die Gäste erkannte: das Basel , die Schneiderbaueritt von Arnbach, und den jungen Prücklbauern, Kaspar Eichinger von Hirtlbach . Die Ursula tat, wie sich's gehörte, geschämig und er- staunt und nicht wissend, warum diese zwei willkomnienen Menschen auf Besuch erschienen. „Ja, Basel , bischt du do? Was treibt denn di daher?" „I ho's geschting(gestern) aa no it an Sinn g'habt, aber der sell Hot ma koan Ruah it lass'n, und i muatz mit eahm uma fahr'n." Sie deutete lachend nach dem Kaspar hin, der mit Hilfe des Lenz seine Pferde ausspannte. „Aba geh no grad eina in d' Stub'n, Basel , und warm di auf! Du muas; it schlecht g'fror'n Hamm ." „Es is heunt nimma so kalt, aba beim Ofa is bessa dischkrier'n(sich streiten). Du, Kaschpa, i geh dawei mit da Urschula eini: du kimmst nachi." „I kimm scho," sagte der Kaspar mit Ruhe und führte hinter dem Lenz einen Gaul in den Stall. Sie hingen hier die Pferde an, versorgten das Geschirr' und erst als die Arbeit getan war, fragte der junge Prückl- bauer: „Du bischt da Ursula ihr Bruada? Gel?" „Ja. Und wo bischt du her?" „Vom Prückl z' Hirtlbach . Du Werst d' as scho denk'n kinna, z'weg'n was i do bin?" „A wengl was hat ma d' Urschula g'sagt." „Bal allssammete stimmt, kunt'n mi heunt richti wer'n." „Ja— ja." „Is dei Vata dahoam?" „Na, der is ins Holz außi, Bamm(Holz) fahr'n. I muaß dahoam bleib'n, weil ins a Gaul krank vor'n is.� „Der da?" Sie standen vor dem Schimmel, der noch in Decken ein- gehüllt war. «Ja. Heunt schaugt a si bessa her; geschting Hot ma graust." „Er werd scho wer'n. Wann moanst denn, daß dei Vota hoam kimmt?" „An Namittag amal kimm a scho." „Saggera, dös werd lang! No, heunt is nia nix mehr vosamt." Der Prückl Kaspar biß mit starken Zähnen die Spitze seiner Zigarre ab, und indes er sie ausspuckte, fragte er: „Du, paß auf, vielleicht ko'scht ma du an Auskunft geb'n, wia vui daß d' Urschula kriaget?" (Fortsetzung folgt.) lttachdruck Mrtoten.Z Sara9 Hbcnteucr- Von Pierre Mille . Samba Taraore, der in Senegal als Tirailleur gedient und nun in Bokä an der Pfefferküste die Stellung eines Polizeiwächters «innahm, hatte die Gewohnheit, jede Nacht auf dem weichen Ufer- fand unterhalb der Promenade des Gouverneurs zu schlafen. Er erwachte an dem Tage, an dem sich die Dinge ereigneten, von denen ich hier erzählen will, etwas früher als gewöhnlich mit dem unbe- stimmten Gefühl, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Seine rechte Hand, dke Samba während des Schlafes stets über die Augen legte, um sie vor dem schädlichen Einflusses des Mondes zu schützen, fiel schwer auf den weichen Boden zurück. Sofort erhob sich ein eigentümlich unheimliches Geräusch, es war. als ob der blatzgrünliche Boden, auf dem der große Neger lag. plötzlich lebendig geworden sei und sich schnell nach allen Seiten zurückzöge. Durch die Bewegung des Erwachenden erschreckt, ergriffen Tausende von Krabben, mit denen die Westlüste Afrikas übervölkert ist, eiligst die Flucht. Mit wütend zischendem Geräusch, eine über die andere weghastend, flohen diese häßlichen schnellen und doch ungeschickten Tiere nach allen Richtungen auseinander. Es war aber nicht die Gegenwart der Krabben, die in Samba Taraore das Gefühl erweckte, als ob etwas nicht stimme. Er kannte diese unreinen Tiere sehr genau und hatte keine Angst vor ihnen. Aber von der Seite des„dlissieu Oirelcteur In Dcmsne" gehörigen Gartens drangen leise klagende Töne zu ihm hin. Man erkannte an der dünnen, schwachen Stimme, daß es ein kleines zartes Wesen sein müsse, das da bitterlich weinte und dem jedenfalls ein schweres Leid widerfahren sein mutzte. Samba erinnerte sich sofort seiner Pflichten als Hüter der Ordnung der Bewohner Bokes. Er erhob sich schnell, um zu sehen, was es gäbe. Ganz nahe dem großen Hause der Douanen kauerte ein kleines schluchzendes Negermädchen am Fuße eines Mangobaumes. Sie war kaum zehn Jahre alt. Ihre nackten Brüstchen, dl« noch nicht ganz entwickelt waren und die wie kleine wilde Birnen aussahen, hoben und senkten sich stürmisch, fie schluchzte verzweiflungsvoll und hielt den Kopf so tief gesenkt, daß die Wirbelsäule ihres Rückens sich wie ein Kettchen auf ihrer schwarzen Haut abzeichnete. „Nicht wohl sein?" fragte Taraore. Sie� erhob den Kopf ein wenig und er erkannte sie. Sie war Sara, die kleine„Mousso", die das englische Waisenhaus in Free- town an Madame Auguet, die Frau des Zolleinnehmers, abge-, treten hatte. Ganz verstört blickte das arme Kind zu ihm auf und sagte endlich: „Nicht gut, nicht gut, sterben wollen!" Sich mühsam erhebend, deutete das schmerzerfüllte kleine Wesen, das wie eine lebende Puppe vor ihm stand, auf seine Hüften. Ein schmaler Streifen von blauem Baumwollenstoff, der um ihre dünne Taille geschlungen war, verhüllte sie nur halb, und über ihre mageren Glieder, auf die Knie und herab auf die Knöchel rieselten zwei Blutbäche, zwei schreckliche, schon halbgeronnene Blutbäche. Samba verstand. Aber er war Muselmann, und seine Religion, wie die Sitte seines Volkes legte ihm, Frauen gegenüber, die größte Zurückhaltung auf, solange sie nicht durch einen richtigen Kontrakt käuflich erworben oder als Kriegsbeute ihm zugefallen waren. Er sagte deshalb kein Wort. Aber er ging zu der verschlossenen Türe oes Zollhauses und klopfte gegen die Läden. Herr Auguet, in weiter Hose und einer Jacke aus rosa Baumwollenstoff, erschien auf der Veranda der ersten Etage und Frau Auguet in leichtem Musselinübcrwarf folgte ihm. Ihr Haar war schon ergraut, aber ihre guten naiven Augen und ihr rundes, frisch aussehendes Gesicht, dessen blühende Farben kaum von dem« Klima gelitten hatten, ver- liehen ihr ein beinahe jugendliches Aussehen. „Kleines Mousso-Sara halbkaputt!" meldete Samba kurz und mit ruhiger Stimme. „Was?" rief Herr Auguet. „Kleines Mousso-Sara halbkaputt!" wiederholte Samba Taraore. „Was sagt er," frug Frau Auguet, die das Argot der Tirailleure noch nicht gut verstand. „Er sagt, daß Sara vergewaltigt worden sei," erklärte Herr Auguet, der ganz bleich geworden war. Sich an Samba Taraore wendend, fuhr er fort: „Hole sofort Herrn Toubeau herbei." Töubeau, das war der Polizeikommissar. Samba grüßte mili- tärisch und marschierte ab, ganz wie ein richtiger weißer Soldat. Frau Auguet schloß Sara in ihre Arme und führte sie in ihr Zimmer. „Mein Kind, mein armes kleines Mädchen," sagte sie.„hast Du große Schmerzen?" Nun gab Sara sich rückhaltlos ihrem Kummer hin; heiße Tränen überfluteten das Gesichtchen, und ihre Augen, ihre großen braunen Augen, diese schönen, nicht ganz menschlichen Augen der Schwarzen, die zuweilen den unschuldig klagenden Ausdruck eines gequälten Tieres annehmen, blickten zärtlich und Vertrauens- voll zu ihrer Schützerin auf.„Mama," schluchzte sie,„o Mama, Mama." Dieses Wort ist dasselbe in fast allen Sprachen der Erde. Es entsteht in ganz natürlicher Weise um die Zeit, wo die kleinen Kinder die ersten durch das Wachsen der Zähne entstehenden Schmerzen in ihrem brennenden Zahnfleisch empfinden; es ist ein Schmerzensschrei: er ruft die Mutter herbei. Und sie fahren fort, Mama zu sage; es ist das Wort, womit sie durchs ganze Leben die Mutter rufen. Das ist die Entstehungsgeschichte des ersten und heiligsten Wortes, das die Kinder der Menschen je gestammelt haben. Erst nachdem die Kleine aufgehört hatte zu weinen und anfing, sich etwas zu beruhigen, stiegen die Tränen in die Augen der guten Frau Auguet. Sara schlief ein,— das arme Kind hatte ja keine Ruhe gefunden seit— seit das Schreckliche passiert war. Als sie erwachte, stand ein großer, dickbäuchiger Mann mit schwarzem Schnurrbart vor ibr, der einen weißen Dolman mit goldnen Knöpfen trug. Sie stieß einen lauten Schrei aus. „Habe keine Angst," sagte Frau Auguet,„es ist der Polizei- kommissar. Es ist der Polizeikommissar. ES ist Deines Wohles wegen, daß er hier ist." Und Herr Toubeau rief: „Ach die Kanaille! Wo ist das Schwein, das so etwas ver- üben konnte? Vorwärts, Kleine, rede! Hast Du ihn gesehen?" Aber Sara umklammerte Frau Auguets Hals mit ihren» Armen und schluchzte wieder herzbrechend, ohne zu antworten. „Run, wer war es," fuhr der Polizeikommissar fort,„ein Schwarzer, nicht wahr? Einer dieser schmutzigen Schwarzen, was?..." Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und in eine der seinen gelegt, mit der anderen hob er Soras Kinn empor und zwang sie, ihn anzusehen. Das schmale, schwarze Gesichtchen erbleichte vor Angst. „Du hast ihn nicht erkannt? Du hast ihn wirklich nicht erkannt?" Sie blickte ihn ganz entsetzt an und machte ein verneinendes Zeichen. „Sie machen ihr Angst," sagte Frau Auguet. „Sie wird nichts sagen," antwortete der Kommissar.„Ich kenne sie, sie sind alle so. Aber ich werde es erfahren, ich werde es schon herauskriegen! Ich werde meine Untersuchungen anstellen."
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29 (23.7.1912) 140
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