Bei der Viktoriastraße blieben sie stehen. Der Schutz- mann war ihnen gefolgt und stand gleichzeitig auf der anderen Seite der Streße still. Pelle machte seinen Begleiter darauf aufmerksam. , Peter sah gleichgültig da hinüber.„Er gleicht einem englischen Bluthund." sagte er ruhig,„ein gieriges Gebiß und kein Gehirn! Was mich am meisten quält, ist. daß wir selbst die Hunde liefern, die uns jagen sollen. Aber jetzt fangen wir bald an. unter dem Militär zu agitieren." Er sagte gute Nacht und ging nach den Wiesen hinaus, wo er wohnte. Ellen nahm Pelle ganz oben an der Straße in Empfang. „Min, wie ging es?" fragte sie gespannt.„Hast Du die Stelle gekriegt?" Er machte sie ruhig mit dem Sachverhalt bekannt. Sie hatte den Arm um ihn geschlungen.„Du großer Mann," sagte sie und sah glücklich zu ihm auf,„wenn Du wüßtest, wie stolz ich auf Dich bin. Jetzt sind wir ja reich. Pelle, 35 Kronen die Woche! Freust Du Dich nicht auch?" „Ja, ich freue mich, daß Du und die Kinder es einmal ein bißchen gut bekommst." „Aber Du selbst, Pelle, ich finde. Tu bist gar nicht so entzückt. Es ist doch eir e angenehme Stellung, die Du bekommst!" „Eine leichte Stellung wird es nicht für mich: aber ich muß sehen, daß ich das Bestmöglichste daraus mache," er- widerte er. „Das verstehe ich nicht. Du sollst auf feiten des Fabri- kanten stehen: aber das ist ja eine ganz natürliche Folge einer solchen Stellung. Es ist doch auch sein gutes Recht, daß seine Angelegenheiten beaufsichtigt werden." (Forlsetzuug folgt.).' fräuleün frydenfant. Von Karin Michaelis . Fräulein Frydenfant ist unterwegs! Klein und zierlich, behend und lächelnd, mit �den kleinen flatternden Scidenlocken schwebt sie anmutig über die Straße. Sie geht über das holprige Pflaster, als tanzte sie zwischen Eiern. Ihre Schnürstiefelchen sind aus lachsfarbiger Seide; der allcrälteste Schuhmacher verfertigt sie für sie allein. Fräulein Frydeniant geht nur aus� wenn die Straßen für lachsfarbige Seidenstiefel ge- eignet sind. Leicht und graziös schwebt sie die Straße entlang, nickt grüßend nach allen Fenstern hin, unterhält sich mit allen Kindern, streichelt alle Hunde— und flieht erschrocken vor dem kleinsten jungen Kätzchen. Sie selbst gleicht eigentlich einem recht vcrhätschel- ten Kätzchen. In der rechten Hand hält sie ihren Pompadour. Mit ihren kleinen dünnen Fingern umklammert sie ihn, als wären in seiner schwarzseidenen Tiefe Schätze verborgen. Für den, der Fräulein Frhdenfant nicht kennt, ist nichts Merk- würdiges an diesem Pompadour. Er ist gefällig und nett. Es könnte ein Strickstrumpf darin liegen, ein zusammengefaltetes weißes Taschentuch und ein kleines Portemonnaie aus Saffian. Fräulein Frydcnsvnt selbst sieht mit ihrem süßen Lächeln genau so aus wie irgendeine ehrbare alte Dame, die ihre Nachmittvgsbesuche hei Freunden und Bekannten macht. Und das tut sie auch. Gerade das tut sie. Und die Damen der Stadt, die spionierend vor den Fenster- spiegeln sitzen und in die große weite Welt hinausspähen, rufen schleunigst den Küchengeiftern zu:„Fräulein Frtchenfant kommt! Es ist niemand zu Hause!" Es ist nie jemand zu Hause in den Familien, bei denen die Frhdenfant klingelt. Das heißt, falls ihr Kommen bemerkt worden ist. Die alte Dam« schwebt die Treppe hinauf und klingelt. Das liebliche, menschenfreundliche Lächeln verläßt ihre Lippen nicht. Gibt das Mädchen ihr den, Bescheid, daß leider niemand zu Hause sei, dann nickt sie bloß und bittet, viel, vielmals zu grüßen, schleicht dann ganz still wieder binab und geht in die nächste Einfahrt oder durch die nächste Haustür. Slber das ist das Charakteristische für die Frhdenfant. daß sie nur so lange, wie es ihr paßt, von Tür zu Tür geht. Es kommt vor, daß sie vor einer Tür vor sich hin nickt, und durch d> e Tür kommt sie hinein. Keine Mocht der Welt kann sie daran hindern. Wenn das Mädchen«uch hier in bedauerndem Ton ihren Be- .scheid herleiert, sagt Fräulein Frhdenfant einfach mit ihrem be- zaüberndsten Lächeln:„Das macht gar nichts, Kleinchen. Ich warte gern. Ich Hab' ja schon so oft gewartet!" Und dann zwängt die Frydensant sich mit sanfter Gewalt an dem Mädchen vorbei. Sie bindet ihr Hutband auf und öffnet ihre Pelerine. Fräulein Frhdenfant lächelt stets gleich holdselig mag Sie Stube leer sein, weil man noch eben hat entwischen rönnen.— oder mag die Frau des HauscS beschämt aust dem Fenstertritt sitzen, bereit, tausend Entschuldigungen zu stammeln, wie sehr man sich doch immer wieder über diese dummen Dienstboten ärgern müsse, die auch rein gar nichts verständen. Denn wenn man auch sonst für niemand zu Hause sei, für Fräulein Frhdenfant sei man natürlich doch immer zu sprechen. Ist die Stube leer, dann geht die Frydenfan! umher, schnuppert hier und schnuppert da. rückt vor dem Spiegel ihre feinen Löckchen zurecht und die tondernschen Spitzen, die sich am Halse immer umlegen. Dann öffnet sie die Tür nach der Küche und sagt:„Ach, Kleine, haben Sie nicht einen Löffel Marmelade für mich? Das Gehen nimmt einen so mit!" Worauf das Mädchen mit dem unseligen Tablett erscheinen muß. Durch alle Schlüssellöcher beobachtet man nun, wie Fräulein Frhdenfant sich gegenüber dem Tablett mit dem Eingemachten ver- hält. Ganz still sitzt sie da und sieht danach hin. Lächelnd, in seligem Vorgenutz, wie die Katze mit der endgültig gefangenen Maus. Auf dem Tecbreit stehen Wassergläser, das Körbchen mit den Teelöffeln, kleine Schalen mit verschiedenen Marmeladen und einige GlaS- teller; auch selbstgebackene Näschereien oder Gewürzzw-ieback vom Bäcker. Nun nimmt Fräulein Frhdenfant alle Löffel aus dem Korbe und wiegt sie in ihrer Hand, einen nach dem anderen, mögen sie auch alle den gleichen Stempel tragen und zu derselben Stunde bei demselben Silberschmied zur Welt gekommen sein. Einer der Lössel wird ausgewählt und gleitet, mit einem kleinen Wuppdich, lautlo' und blitzschnell in den Pompadour. Keine Miene in Frau- lein FrhdenfantS Gesicht verzieht sich. Von allen Gerichten nimmt sie sich etwas. Immer nur ein bißchen aus den Teller und ein bißchen auf die Spitze des Tee- löffels. Ihr kleiner roter Mund schleckt mit Ergötzen die süßen Sachen. Bon Zeit zu Zeit taucht sie den Löffel in das Wasserglas, wenn sie zu einer anderen Sorte übergeht oder sie lehnt sich auf ihrem, Stuhl zurück und fängt an, leise vor sich hin zu summen. Draußen wechseln sich die Hausbewohner ab und überwachen lautlos Fräulein Frhdenfants Tun. Aber unverdrossen fährt sie fort zu essen, als ob ihre irdischen Bedürfnisse sich auf Marmeladen und Gelees beschränkten, und als hätte sie achhmdvierzig Stunden lang gefastet. Ohne jeden Uebergang läßt sie schließlich ab von dem Tablett mit dem Eingemachten, mit einem Ruck fährt sie auf— wie die Katze, die auf dem Sprunge steht—■, wittert einen Augenblick umher und steuert dann auf die Stelle zu. wo sich die Wertsachen befinden. Es gibt Familien, die auf Etageren� die schwer staubfrei zu halten sind, förmliche Gestüte von Hunden, Katzen, Hühnern haben, sowie Pantoffeln, Schäferinnen, geflochtene Körbchen und Kuh- glocken, alles aus Fayence, Porzellan u-nd Biskuit. Und andere, die auf den aufgeschlagenen Klappen ihrer Sekre- täre ganze Scharen von Spangen, schuppigen u,ck> gegliederten Fischen, Nadelbüchsen, Riechfläschchen und Löffeln mit eingra- vierten alten Jahreszahlen aufbewahren, alles aus Silber. Alle Familien haben ein oder mehrere Flakons mit geschliffe- nen Kristallstöpseln, die mit Kölnischem Wasser gefüllt oder leer sind. Diese Ilakons werden nicht benutzt so wenig, wie die harten Sofpkissen und die Damenfchreibtische. an denen niemand sitzen kann. Fräulein Frhdenfant steht nun vor allen diesen Herrlichkeiten. Sie atmet tief und selig, eine leichte Röte kommt und geht auf ihren Wangen. Lange und wiederholt nimmt sie alles in Augen- schein. Der Silberfisch zappelt im Pompadour. Kein Fischer kann die Angelschnur sc schnell heranziehen. Und Fräulein Frhdcnfvnts dünne Hand preßt die Oeffnuny des Beutels so ffst wie ein Kind, das einen schleimigen Aal um- klammert hält. Mit reinem, mildem Blick sieht Fräulein Frydcnfont sich in der Stube um. bevor sie ins Entree hinausgeht. Hinter dem Schlüsselloch ist jetzt niemand mehr. „Ja, ich glaube doch, es ist besser, wenn ich mich wieder auf die Strümpfe mache!" sagt sie und streichelt dem Mädchen die Hand.„Bestellen Sie bitte viele, viele Grütze! Und schönen Dank für die Marmelade! Sie war gut! Wirklich!" Das Mädchen hilft ihr beim Anziehen der Pelerine und bindet ihr die Hutbänder. Fräulein Frhdenfant steht sie warm an: „Sagen Sie mir Ihren Namen, Kleinchen, damit ich ihn mir gut notieren kann!" Das Mädchen fagt seinen Vornomem aber Fräulein Frhden- sank verlangt den Namen ganz.„Man ist ja nun bald recht be- jährt. Und da ist es am besten, Ordnung in seinen Sachen zu haben. Besonders wenn man keine näheren Verwandten hat!" Das Mädchen muß seinen vollen Namen mit dem Geburts - datum auf einen Papierstreiftn schreiben, den Fräulein Frhdenfant dann um den Finger wickelt und später in den Pompadour steckt: „Etwas Großes kann ja nicht für jeden abfallen, wenn man so vieje Freunde hat, die man alle bedenken möchte; wenig ist aber immer mehr als gar nichts. Und was w o n i g fiür den einen ist, kann für den anderen eine ganze Herrlichkeit sein... Sie hoben vielleicht einen Schatze wie ich mir denken kann?" Ja, das Mädchen hat einen Schatz.
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29 (20.9.1912) 183
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