die Jugend, die, unten aus der Bewegung aufgetaucht, über- raschend aus ihrem Bodenfall aufgeschossen war und nun kam und neue weitgehende Forderungen an das Dasein stellte. Aus unbekannten Wegen waren sie an denselben Punkt gelangt wie er selber, und beanspruchten in erster Linie Menschen zu sein. Die Heiligkeit des Ichs erfüllte sie und setzte sie in Empörung über jegliches Joch: sie fingen damit an, es von innen abzuwerfen, rauchten und tranken nicht, wollten keine Sklaven von irgend etwas fein. Sie hielten sich der Be- wegung fern und hatten ihre eigenen Versammlungsorte in der Nähe des Südboulevards, wo sie lasen und neue Gesell- schaftsordnungen entwarfen. Es waren aufgeklärte, gutge- lohnte Arbeiter, die hartnäckig die Verhältnisse des Prole- tariats teilten, fanatische Gläubige, die ihren Wochenlohn verschenkten, wenn sie einem begegneten, der ärmer war als sie selbst: Hitzköpfe, die auf die Revolution warteten. Mehrere von ihnen hatten wegen aufrührerischer Umtriebe gegen die Staatsordnung im Gefängnis gesessen. Es waren auch Leute vom Lande darunter, Söhne von denen, die da draußen in Gräben und Torfmooren standen. Die Kinder des kleinen Mannes nannte Morien sie. Hier war endlich der Nachwuchs derer, die die Bewegung mitgemacht hatten: so mußte sie verlaufen. Mit Genügsam- keit hielten sie sich unabhängig von den bestrickenden Mitteln des Kapitals, sie verachteten den kleinbürgerlichen Hang zum Wohlleben und waren immer zum Handeln bereit; in ihnen war der Aufbruch auf jeden Fall eine Tatsache. Sie wollten Pelle gern für sich gewinnen.Komm zu uns herüber I" sagte Peter Drejer oft. (Fortsetzung folgt.) 1]'Cagcbuch eines entlassenen Sträflings. Bon Hans von Glümer. Der erste Tag. Am letzten November 1908 wurde ich aus der badischen Zentral- prafanstalt Freiburg cntlaffen. Es war ein heller Tag. den um die siebente Morgenstunde Däinmer und Nebel noch verschleiert Helten. Das Glatteis, hatte der Kammerausieher gesagt, sei gefährlich für meine neuen genagelten Schuhe. Die aber spotteten der Vorsicht und wollten Flügel der Füße sein. Ein Schulbub wies mir den Weg vor das Stadtwr. Er zog höflich den Hut und behandelte den Entlassenen wie einen Menschen, der das Vertrauen der Kinder ver- dient. Mein Anzug war frisch gebügelt und die Wäsche sauber wie am Festtag. Mit«>pitzstecken und Ohrenmütze sah ich wohl einem harmlosen, rotbäckigen, gutgenährten Touristen gleich, der hinaus will ins Rodelgelände. Auf der Landstraße lachte die weiße Winterwelt. Blutrot stieg die Sonne über schwarzen Bergen auf. Ich atmete tief die erste freie Luft nach vielen Wochen, von denen jede wie ein. Jahr ist. Die erste Zigarre war verraucht und hatte mich ein wenig be- trunken gemacht. Du köstliches, langentbehrtes Gift! Dieser Lei- denschaft zuliebe bin ich im Gefängnis ein Dieb geworden. Schon auf dem Schub, in Heidelberg . Da standen Körbe mit Tabak auf dem Korridor. Wir rauchten das Kraut, echten Pfälzer, in Pack- papier gerollt, von Mund zu Mund in der GemeinschaftSzelle auf dem Wege nach Waldshut wo ich drei Wochen in Untersuchung saß und gezählte hundert Zigarren vertilgen durfte. In Freiburg freilich war man auf einzelne Blättchen angewiesen, die zertreten auf der Treppe lagen und im Nu, samt dem Schmutz, zwischen die Zähne wanderten so gierig und gemein macht die Enthaltsam- keit. Beim Kirchgang hielt die Linke das fromme Begleitbuch und die Rechte tastete nach den Tabakskisten, die im ersten Laufgang vor den Zellentüren aufgestapelt waren. Heidi, wenn ein Knoten er- wischt werden konnte. Dann wurde der Sonntag zum' Fest und ich trank mir am braunen Saft«inen Rausch. Das Tabakkauen haben unter Fünf Drei als Sträfling gelernt. Es ist das vor» nehmste Vorrecht des fünften Standes. Just poltert ein Bahnzug vorbei und merkt nicht, wie der Ent» lassen« ihn verlacht und verlästcrt. Du rollendes Gefängnis! Da sollte auch ich darinnen sitzen für eine Mark vierzig, die mir die Gefängnisverwaltung gab für die Fahrt bis Bonndorf . Zum Teufel, liebep als Leiche auf dem Gleis, wie als Lebender und Eni- lass�-ner in dem Käfig, Ivo wilde Tkere hocken, die Mitmenschen heißen. Wandern will ich heute fünfzehn Stunden weit, bis ans Ende der Welt morgen und alle Tage, um immer dem gräßlichen Gesicht der Menschen auszuweichen, die meine Schuld nur kennen wie einen blutenden Riß ins Leben, den keine Sühne heilen kann. Sie wissen ja nicht, was der Verbrecher vor der Tat und für die Tat erlitten und verkämpst hat. Nein, nicht in die Eisenbahnzelle! Hundertmal lieber zurück in die Gefängniszille, die eine große stille Seele hat! Hier ist ei« schmuckes Dorf, Littenweiler , das mich auch aw> starrt mit besonderen Mienen. War einmal ein junge? Leben, schön und schlank wie der Tann im Bergwald, keusch und herb wie Tannenduft. Hat mir das Herz genommen und angefüllt mit ' Seligkeit, die den Gruß ihrer Hand hinnahm wie ein Gottesgeschenk. i Eine Liebe ohne Sinnengier. Sie hat einen andern genommen und ist elend geworden wie ich Armes Littenweiler Lieb, glaubst du es auch, daß jener Mensch, der einmal in einer Boller Mitsommer» nacht zitternd Deine Lippen fand, ein Sittlichkeitsverbrecher ge» worden ist? Laß fahren dahin! Dort winkt ein Wirtshaus am Wege. Trink einen Schnaps und sei ftoh. Wer Wirtshäuser baut, dämpft Revo» lutionen und was ansonft Herzen heiligen und groß machen kann. Müde müßt ihr werden und stumpf das ist die Erlösung. Frcm Wirtin,«in Kirschwasser noch! Es ist der zweite Schnaps seit letz« tem Winter, seit der letzten Fluchtnacht im Stalle eines belgischen Bauern. Nun bin ich wieder bei den Wälderbauern, sitze sicher und gut an der warmen.Kunst"(Sckavarzwälder Sitzofen). Wie diese einschichtigen Seelen, Menschen ohne Wissen und Arglist, doch auch einem Geächteten es wohl sein lassen. Drei Stunden später aber, im Posthaldcngasthof, kamen feldbcrgwärls Stadtherren, die ihre Skier wie Fittiche trugen und im Kopfe so scharfspürende Augen, als ob sie Geier oder Juristen wären. Die Reisekasse von drei Mark(eine Mark sechzig in sieben Mo. naten ehrlich verdienter ZuchthausarbeitSlohn ist auch dabei) hat nicht gereicht für ein tüchtiges Mittagbrot. Was man hinter Git­ter und Mauer in einem Monat unter tausend Schmerzen und Flüchen verdient: die Freiheit vertrinkt, verrauchts, verfubeltS in einer Stunde. Und übel wud dem Uebeltäter obendrein. D i e Freiheit hat ein Loch. Die neuen Schuhe hängen heiß und schwer an den Füßen. Das Tal ist nun voll Eis und fröstelnder Schatten. Auf der Höhe wurde das keusche weiße Schneefeld'zur Wüste. Die Sinne sagen zum Leib«, daß er ein ungewohntes Maß von Freiheit nicht qualloS genießen darf. Und da war noch ein grausames Er» lebnis, gerade als die Rächt dte näherkommenden heimischen Be. zirke bergen sollte: Ueber der Straße bei Hölzlebruck stand ein Mann aus Neustadt,«in Aufseher bei Telegraphenarbeitern. Er stand auf dem Gerüst zwischen den Drähten, und seine Gestalt wuchs wild und furchtbar wie eine Vifion der erste Mensch, der mich erkannte. Ich wollte in die Erde sinken, in die Wolken entfliegen. in der Luft zersplittern, den Millionen Etsnadeln gleich, die er« darmungilos dem Wanderer entgegentreiben. Und blieb doch ank die Stelle gebannt wie ein Vogel vor dem Schlangenblick, bis die Furie Furcht die Füße löste, irgendwo ein Versteck zu suchen. Im dunklen Winkel eines Wirtshauses. Scblafen. schlafen und die Freiheit vergessen. Kann man hier über Nacht bleiben? Ich wag? die Frage nicht. Ein Bett für achtzig Pfennige würde der Rest der Rcisekasse noch leisten; wehe, wenn?S zehn Pfennig mehr kostet! Aber dann lauert morgerf wieder der helle verräterische Tag mit vielen Menschen, die mich erkennen könnten. Ich muß. Muß wei- ter wandern die vier Stunden noch bis nach Haus. Wenn nicht ein neuer Wunsch den Willen verführte: Hier ruft ein rotes Haus ein« zutreten. Ein Stationsgebäude. WaS der Frühmorgen verschmähte, bringt die Nacht als zärtliche Zuflucht: das rollende Gefängnis. Zelle zweiter Klasse. Die Angst ist auck ein Borwand, vornehm zu fahren. Der Entlassene wühlt sich wollüstig in die Polstrr und zählt sein Glück: Der Wartesaal war ohne Licht gewesen. DaZ letzte Geld reichte gerade bis Löffingen . Kein bekanntes Gesicht schaute durch die Wagenfcnster. Das Abteil war leer. Wenn Bonn - dorfer im Zuge saßen, mutzten sie in Kappel-Gutach ihre Bahn be- steigen. Ich fühlte mich wie ein Kriegsheld, der das Feld durch siegreiche Flucht behauptet. Ich gab dem Schaffner zwei Zigarren, und er läßt mich allein, als ob ich liebend zu zweit wäre. Isolier. sträflinge sind gewohnt, ihr eigenes Reich zu haben. Ich rauche. pfeife, singe und komme zu kühnen Gedanken. Es lob« das Glück! Auf dem Lüffinger Bahnsteig deckt gütig die Nacht meinen Schatten. daß er unbesehen entweichen kann. Und diese Nrnkst. deren Antlitz sich immer verfinstert, wo die Kultur ihre Freiheit und Schönheit hemmt, hat hinter dem Städt« chen sich licht und weit aufgetan. Auf weißem Schneegrund unter silberblauem Himmel lte�t das breite Hochfeld vorHieiselfingen in Bollmondverklärung. Keine Kreatur stört um diese Stunde Straße und Land. Hinter dem Dorf öffnet der Wald seine hohen Tannen mit Wnrzeliverk, Stein und Steige und läßt nur den vertrauten Fuß passieren. Wie oft waren wir vereint und einsam hier: der Wald, die Rächt und ich. Mein Gotteshaus! Da stiegen und stürz. ten die Gedanken lo sternenhoch jauchzend und schaurig tief, viel tiefer und rauschender als das Wildbett der Wutach ist. Nun ist die Wutach vereist und es raunt und röchelt vom Wehr. Den Strom meines Lebens haben sie auch in ein Stauwehr gespannt. Hütet euch, wenn der Eisbruch kommt! Tief drunt im Tal(wie klang doch das Lied vomDirndl mein"?) im Kurhaus Bad Boll blinzelt noch ein Licht. Ich muß mick» wieder verstecken. Im Dickicht schläft ein« Bank den Winter- schlaf und Nixen, Hexen und Teufel umtanzen fie: meine Träume, die nun bemoost und Erinnerung geworden sind. Das Licht vom Bad starrt durch leeres Gezweig, wie eine Lanzenspitze, die daS zuckende Herz öffnen will. Wer wacht dort? Vielleicht eine ver, lassen« Magd bei ihrer Sehnsucht? Bielleicht ein verspäteter Zecher ans Bonndorf , dessen Gruß mich wegHeimwärtS anpacken könnte? Vielleicht istWutach ", der Bernhardiner, nicht mit dem Herrn