zum Gardasee , und seine Freude springt mich an? Er weiß ja nichts von meiner Schande. Vielleicht, vielleicht— will dieses Wort am ersten Tage schon zum Rückwärtsweiser des versteinten Wege- werden? Das Licht verloscht und ich bin wieder frei, zum neun- mal neuntenmal am ersten Freiheitstag. Ungefährdet kommt der Heimflüchtende durch Schlucht und Wald ins frei« Feld. Im Dorfe Boll am Haus zum grünen Berg grüßt keiner der Hunde kläffend wie sonst. Nun geht es aufwärts immer. Hier war das Reich meiner Rodel und ich ein Herr mit Herrscherrechten— halbe Nächte lang in Nebel und Rauhreif, bei Sturm und Sternenschein. Da fuhr die Rodel blitzend zu Tal und kannte keine Ackergrenze, keinen Störer. Der Wust ungestillter Wünsche selbst wurde stiller. Köstlicher ist keine Fahrt: auf dem schlanken Leib des Schlitten� rücklings, gestreckt; in langsam siche- rem Lauf— in aller Herrlichkeit hat sich das Weltall über Dir auf- getan und Du schaust trunken es von Angesicht zu Angesicht. So inag es sein, wenn der Todesengel unsere Seele durch Ewigkeits- lande trägt. Der Kirchturm tritt über den Berg, als ob eine wandelnde Glocke sein Fußwerk wäre. Die Kirche steht erhöht und beherrschend über der Stadt. Und gleich ihr, hochgebaut, nebenan, das Haus; in dem mein Erzfeind und Verderber ein heiliger Mann ist. In einer Gruppe größerer Gebäude, im alten Schloß und in den andern Amtshäusern in der Runde, residieren die Statthalter des Staates. Sie sollten einmal meine Freunde sein. Der Partei- politische Kleister kittete uns wie Scherben, die nicht zusammen- gehören. Ein Proletarierkind kann nicht gefühlsgemeinsam werden mit Privilegierten. Da steht Unrecht gegen Vorrecht, verzehrendes Feuer gegen starres Eis. In den Hütten und einfachen Häusern haust das Volk. Zum Volke gehören heißt Knecht oder Rebell sein. Dieses fromme und zufriedene Volk, dem der Acker viel« Steine und das GeWerk keine goldenen Berge trägt, könnte freier und fröhlicher seiner irdischen Genügsamkeit und den himmlischen Hoffnungen leben, wenn nicht vom Pfarrhaus und von den Amtshäusern her die Störenfried« kämen: Menschen, die in fetten Pfründen sitzen und zur Bewegung und Kurzweil mit Bürgern und Bauern Spiel und Sport treiben. Falsckspiel oft, politischen Sport. Sieben Jahre habe ich geworben um diese Stadt, in hellsehender Liebe, in blindem Haß. Gescheitert bin ich an allen. Das muß ein gewaltiger Unmensch sein, der dem klerikalen Untier die Gift- zahne ausbrechen kann. Aber einbrechen in Herrenrechte, Diener des Staates zu Dienern des Volkes machen oder gar zu Herren über die Herzen des Volkes,— vermessener ist das als Drachen- kämpf. Und das Volk bleibt verwaist. Die zum Herrgottwinkel flüchten und vor dem Muttergottesbilde knien können, haben es gut. Vielen ist auch der alte Großherzog, menschlich näher der Bonndorfer Post- Halter ein Idol gewesen. Beide find tot. Gescheitert bin ich auch am Volke. Nun hat es mir ein Denkmal aufgerichtet, ein starkes Kreuz, an dem der Schacher blutet und verbluten muß. Auf dem Lin- denbuck, bei den entblätterten Linden steht das Kreuz und will ein warnender Galgen für Weggenossen und Siedelnde sein. Und dennoch, ich grüße dich, du arge Stadt. Von deinen fünf- -zehnhundert Seelen find mir doch tausend ans Herz gekommen. Wie sie schimnzert im Silberglanz dieser Nackt. Wie ist der Him- mel so tief auf dem Berge hier und jeder Stern ein leuchtendes Auge. Der Vollmond gibt sein Bogenlicht weit dem weißen Süden zu. Fast möchte man die Mauer der Alpenkönige erfassen wie am Tag. Grenze, ich grüße dich heut ohne Grauen. Das ist der gleiche Glanz und der gleiche Klang überirdischer Stille, der über diesem Land lag in jener Januarnacht, der ersten Fluchtnacht. Als ich die Schweiz nicht zu erreichen wagte vor meinen Häschern und fünfzehn Stunden den Winterwald durchirrte, um den Tod zu finden. Dort links im Walde über Brunnadern und JBillendorf. Da hing ich am Baum wie Absalom . wie Judas , das Sacktuch an der Gurgel. Das stumpfe Messer wollte den Pulsschlag des Lebens nicht treffen. Das Schncegrab gab mich wieder frei, das sinnig schon gedeckt war mit Tannenimmergrün in Kreuzesform, mir zur ewigen Ruhe. Nun hat die Erde mich wieder, das Heimatland und das Liebste, das mein ist auf Erden. Wie sie sanft ruhn, die Häuser und Bürger dieser Berg- und Bauernstadt. Auf jedem Dache liegt der jungfräuliche, unberußte Schnee wie eine Himmelssendschaft. Ueber allen Giebeln hängt so hell und rein das himmlische Licht der Nacht und der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft. Nur ganz hinten im Ort, das letzte HauS, das Gefängnis grinst mit seinen Eisenstäben. (Fortsetzung folgt.)! Die fanriUe KobU Von C. S ch e n k l i n g. Nach der Beerenernte werden die meisten Gemüsesorten küchen- reif Namentlich find es die verschiedenen Kohlarten, die in unserem Hanshalte eine Rolle spielen. Die zahlreichen Varietäten/ die man von diesem Gemüse kennt, beweisen, daß der Kohl seit langem eine Kultur- pflanze ist, denn je länger eine Pflanze oder auch ein Trer unter der Beeinflussung des Menschen steht, desto größer ist die Zahl der Varietäten und der Spielarten, die herausgezüchtet worden sind oder werden können. Die Stammform unseres Gemüsekohls(Brassica oloraoea), die ästige, holzige Stengel befitzt, wächst an verschiedenen Stellen der Insel Helgoland noch wild; häufiger kommt sie vor auf den Kreide» felsen Englands und Nordfrankreichs. ES soll dahin gestellt bleiben, seit wann dieser Kreuzblütler von den Menschen in Kultur genommen wurde. Jedenfalls pflanzten Juden und Aegypler bereits Kohl, und die Griechen hatten verschiedene Sagen über seine Entstehung. Die Mythologie dieses Volkes erzählt von mehreren Pflanzen, dr« aus den Tiänen oder dem Blute irgend eines Verstoßenen, Ge» marterten oder Getöteten entsprossen seien; auch die Kohlpflanz« ging aus Tränen auf. Lykurgus, ein thrazischer Fürst, widersetzt« sich nicht nur nach Kräften der Kultur des Weinstockes, sondern ließ auch olle Reben in seinem Lande vernichten. Darüber erzürnt, band ihn Dionysos an einen Weinstock fest, und aus seinen Tränen erwuchs der Kohl. Die Jonier schwuren bei der Brassica, und Mikander nennt den Kohl ein heiliges Kraut. Wie anerkennend man ihn be- urteilte, ist daraus zu ersehen, daß Pylhagoras den Genuß deS gemeinen Küchenkohls als ein vorzüglich gesundes,»den Menschen gar zuträgliches Gemüse, das ihn bei heilerem, ruhigem Sinn und Mut erhalle", allen aufs dringendste empfiehlt. Die Römer kannten bereits verschiedene Kohlarten, doch ist eS unmöglich, bei einem so leicht veränderlichen Gewächs nach mehr denn zweitausendjähriger Kultur noch Vergleiche mit unseren Kohlgewächsen ziehen zu wollen. In den Gartenbau» Schriften der allen Römer werden zwei Arten erwähnt: Brassica vividis, unser Savoyer Kohl und Br. laevis, unser Kopflohl. Außer» dem kannten sie bereits den Braun- oder Grünkohl, aber vom roten Kopfkohl findet man noch nichts. In Deutschland wurde dem Kohl aus den Landgütern Karls des Großen große Sorgfalt zugewandt und die verschiedenen Arten nicht nur kultiviert, sondern auch vermehrt. Bevor das Gemüse aber in die kaiserlichen Gärten gelangte, wurde es in den Klostergärten ge» pflegt, und daß«S dahin seinen Weg aus den romanischen Ländern gesunden hatte, beweist der Name, der eine Entlehnung auS dem lateinischen canlis(junges, eßbares Kraut mit starlem Stengel) ist, wre denn auch die Benennung Kopskohl, oberdeutsch cbaxus(heute Kappus) auS dem mittellateinischen caputium die Herübernahme auS dem Klostergarten besonders deutlich verrät. Daß der Kohl bald ein beliebtes BollSgericht geworden, bezeugen auch die Ländereien deS späteren Mittelalters, die nach altem Brauche noch Kohlgärten heißen, in der Tat aber ausgedehnte Felder sind. Und daß er ein geistliches Hauptesien bleibt, darauf ist die hübsche von Jaroschin erzählte Geschichte von dem Samländer aufgebaut, dem die preußischen Ordensbrüder ihre Burg zu Balge , Kapelle. Schlashaus und Speise» saal zeigen. In diesem sieht er sie Kohl essen und, weil er der- gleichen nicht kennt, glaubt er, sie nährten sich von Gras, weshalb er seinen Leuten rät. die Brüder nichr anzugreifen, da man einem Bolke, das so genügsam lebe, unmöglich widerstehen könne. Sieht man von den zur Sippe gehörenden Oel gebenden Arten, wie Senf, Rübsen usw. ab, so sind es sich« Arten, die als Kohl» pflanzen vorzugsweise zur Geltung kommen: Winter- oder Blattkohl, Rosenkohl. Welsch-, Wirsing « oder Savoyerkohl, Kopflohl(auch Kraut genannt), Kohlrabi und Blumenkohl. Diese Arten find entstanden durch eine Jahrtausend« hindurch fortgesetzte Kultur, infolge deren die zähe Pflanzenfaser zurückgedrängt und Stärkemehl und Zucker sich reichlich in den Zellen ablagerte, wodurch die harte Substanz zartfleischig wurde. Bollzog sich diese Umwandlung in der Gipfel» knoipe, io entstand der Kohlkopf; beförderte sie die Wucherung de« Zellgewebes der Blätter in noch höherem Grade, so bildete fich der Wirfing; war dieser Prozeß nur auf den Rand der Blätter beschränkt, so entstand der Krauskohl. Ging die Nahrungszufuhr vorwiegend den Eeilenknospen de« Strunkes zu. so entstand der Rosenkohl; fand die Ablagerung von Zucker und Stärkemehl besonders in der Blütenachsi statt, so entstand der Brockoli, und im Blumenkohl wurde der ganze Blüten- stand in markige Substanz verwandelt. Zur Kenntnis der einzelnen Arten noch folgendes: Der Winter- oder Blattkohl bat einen verlängerten, stielrunden Stempel und ausgebreitete, kleine Köpsi bildende Blätter. Sind diese flach und fiederspaltig, so heißt die Unterart grüner Blattkohl; sind sie flach und entweder gar nicht oder nur scv wacki- wellen förmig, so ist es Grünkohl; find sie kraus- fiederspaltig und haben sie eingeschnittene Lappen, so ist es Braunkohl. Die Be- nennung der beiden letzten Varietäten bezieht fich auf daS Aussehen des zubereiteten Gemüses. Da der Blätterkohl vom Froste nicht leidet, kann er wintersüber an Ort und Stelle stehen bleiben(Winter- kohl);»ach dem ersten Frost gewinnt er sogar an Wohlgeschmack. Der liebliche Rosenkohl(Sprossenkobl), den man schon am Ende deS 16. JabrhundertS kannte, kennzeichnet fich durch flache, lockere Blätter, in deren Winkeln Knospen entstehen, die im Früh» ling des zweiten Jahres sich in kleine Blattrosetten(Rosen) verwandeln. Später dehnen sie sich zu blülentragrnden Aesten aus, wozu man es natürlicherweise im Gemüsegarten nicht kommen läßt. Bekanntlich ist der Rosenkohl vielen eine ! Delikatesse, aus welchem Grunde es sich dsi Gemüsegärtner ange- legen sein lassen, in jedem Jahre mir Neuzüchtungen aufzuwarten. Der Wert richtet sich nach der Höhe des Stengels, der beim '„Erfurter Dreienbrumren" eine» halben Meter erreicht und nach der
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29 (24.9.1912) 185
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