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und flugen Augen. Er sest mächtige Unterschriften auf Formu lare. Er macht beinen ungünstigen Eindrud, nimmt meinen Auffab über die Gefängnisschule an und schenkt mir den eben gedruckten Jahresbericht des Vereins zur Besserung entlassener Strafgefangenen zu Berlin , an dem der Vereinstitel der häßlichste Teil ist. Vielleicht könne ich den Bericht journalistisch verwerten. Für das Ausweiseverfahren hat er beruhigende Worte und eine faft verächtliche Handbewegung: das sei eine veraltete Bestimmung der bierziger Jahre. Ich solle doch in einen Vorort ziehen, dort wäre man duldsamer und einem harmlosen Entlassenen geschähe nichts. Auch eine Legitimation als Entlassener wurde mir ausgefertigt, eine Karte mit einer Nummer, die man vorweisen kann in schlimmen Fällen. Ein Schutzschein gegen den Schuhmann.
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27. April.
Gebenedeiter Geist der Bureaukratie. Ich habe Hunger und fein Geld zur Miete und vorgestern an den Fürsorgeverein um ein Darlehen geschrieben. Heute antwortet der Bureaudirigent des Vereins zur Besserung der Strafgefangenen zu Berlin , mein Gesuch müsse an das Direktorium des Vereins zur Besserung der Strafgefangenen zu Berlin , Berlin C. 2, Grunerstraße 1, gerichtet werden. Schreiber, Unterschreiber, Briefbogen und Bureau beider Vereine sind gleich. Der Verein narrt mit zwei Kappen. Auf einen steht" Fürsorge", auf der andern Zur Besserung!"
1. Mai.
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nehmen fulturell eine ganz andere Stellung ein, als die musikalis schen Klassiter. Ihr Intereffentreis ist weiter gezogen; fie stehen in lebendiger Fühlung mit Wissenschaft und Bildung, haben lebendige Beziehungen zur literarischen Bewegung der Zeit. Drei der bedeutendsten unter ihnen, Hoffmann , Weber, Schumann, sind auch romantische Dichter, Schriftsteller und Kritiker, denen das Eintreten und Kämpfen für eine deutschynationale Kunst als entscheidendes Merkmal gemeinsam ist. Am wichtigsten erscheint ihnen zur Erreichung dieses Zieles die Befreiung der Oper von fremden Fesseln, die Schöpfung der deutschen Oper als eines selbständigen, einheitlichen Kunstwertes. Der erste, der begeistert diese Idee faßt und sie zusammenhängend entwickelt, ist E. 2. A. Hoffmann.
Wie es dem genialen Erzähler Hoffmann zu Lebzeiten nicht gerade glänzend ergangen ist, so hat man ihn auch nach dem Tode lange schlecht behandelt, weil einige Literaturpäpste ohne fünftlerisches Verständnis es so in ihren weitverbreiteten Literaturgeschichten eingeführt hatten. Immerhin brachte die Zeit einen durchgreifenden Umschwung in der Beurteilung des Dichters, nachdem Frankreich und französische Schriftsteller längst vorangeschritten waren. Anders steht es noch heute mit Hoffmanns Stellung als Komponist. Es ist zwar durch die neuesten Forschungen zweifellos festgestellt, daß er ursprünglich Musiker gewesen ist und nur von dieser Fähigkeit her richtig begriffen werden kann. Aber nur sehr langsam will sich diese Erkenntnis durchseßen, vorwiegend des halb, weil in den Literatur- und Musikgeschichten fast immer ge= schrieben steht: der Begründer der deutschen romantischen Oper war Hurra! Der Herr Polizeipräsident soll leben! Er hat von C. M. v. Weber, wo es doch heißen müßte: der Schöpfer der ersten meiner Ausweisung Abstand genommen. Heute morgen tam der vollendeten romantischen Oper ist C. M. v. Weber, ihr BeBrief. Vom Fürsorgeverein. Im Schema, mit Nedes Namen, der gründer ist E. T. A. Hoffmann. Fünf Jahre vor der Premiere als Bureaudirigent für Fürsorge und Besserung zeichnet. Ich darf des Freischüß" in Berlin ( 1821) fand die Uraufführung der„ Unin Berlin bleiben und muß mich nur am Monatsanfang dem Verein dine" von Hoffmann am gleichen Orte statt. Lange bebor Weber borstellen. Also eine auffallend milde Form der Polizeiaufsicht. den Freischüß" begann, Spohr feinen ersten Erfolg hatte Ich wanderte stolz durch die Straßen. Wie ein Kind, dem die und Beethoven den Fidelio" in seiner letten Gestalt formte, lange Prügel erlassen sind. Meine Freiheit lachte über die roten Nelken vor dieser Zeit war die erste deutsche romantische Oper entstanden. und Kunstknospen der feiernden Arbeiter. Wie mühselig müssen Ihre Geburt fällt in den Herbst des Jahres 1812, also genau in fie sich einen Tag im Jahr erobern. Herrn Nedes habe ich unrecht die Zeit vor 100 Jahren. Der erste Gedanke an die Undine"= getan. Er ist ja auch nur ein Opfer der paragraphierten Vorschrift. Oper war in Hoffmann im Juni 1812 emporgekeimt. Noch unEr gab mir zwanzig Mark Darlehen. Aus seiner eigenen Tasche, bestimmt und dunkel schwebten ihm die musikalischen Eindrücke vor. über den Kopf des Direktoriums hinweg, sagt er. Ich wurde üppig Er suchte nach dem Dichter, der ihm das poetische Gerüst und die und kaufte ein Reclambändchen um zwanzig Pfennig, des Zucht- förmliche Ausführung gab. Mit dem Augenblick, wo er diesen häuslers Oskar Wildes Zuchthaus zu Reading. Dann würden Dichter gefunden und den Anfang des Librettos fertig in Händen Wirtin und Schwägerin bezahlt. In der zweiten Hälfte April war hatte, war das Zustandekommen des Werkes gesichert. Hoffmann meine Einnahme achtundzwanzig Mart, einschließlich zehn Mark selbst hat diesen Zeitpunkt angegeben, und zwar in einem Briefe Vorschuß von der Straßburger Post". an seinen Tertdichter Fouqué vom 4. Oktober 1812, welcher Tag demnach als der eigentliche Geburtstag der deutschen romantischen Oper gelten kann.
3. Mai.
Uebermorgen ist in Bonndorf ein Wechsel von einhundertfünfundneunzig Mark fällig, Restschuld an die Hausleute. Ich habe diese gewaltige Summe heute in der Hand gehalten und zur Post gegeben. Gleißendes Gold und verführerisch schön. Der Freiburger Bezirksverein für Jugendschutz und Gefangenenfürsorge schrieb Anfang März, in petuniären Schwierigkeiten soll ich mich ungeniert an ihn wenden; der Verein gäbe mir ein unverzins liches Darlehen auf ein bis zwei Jahre. Der Jugendschuß- und Gefangenfürsorgeverein schidte am Ersten die einhundertfünfund- schen Dichtung, daß er beschloß, aus ihr eine Oper zu machen. Die neunzig Mart.
9. Mai.
Hoffmann , der damals als Musikdirektor und Theatermaschinist, zuweilen auch als Regisseur und Dramaturg in Bamberg tätig war, hatte schon seit seinem Aufenthalt in Warschau ( 1804) nach einem passenden Operntert Umschau gehalten und war, da er nichts zusagendes fand, mehrmals gezwungen, recht belanglose Libretti zu vertonen. Da lernte er im Sommer 1812 Fouqués Undine" fennen und ward so ergriffen von dieser liebenswürdig- romanti größte Freude aber für ihn war es, als sich Fouqué , selbst, auf Vermittelung des gemeinsamen Freundes Eduard Hibig, bereit Der Verein zur Besserung der Strafgefangenen zu Berlin erklärte, die Umgestaltung der Novelle zum Textbuch vorzunehmen. unterhält eine Schreibstube für Entlassene, die nach dem neuen Wie begeistert Hoffmann von dem Stoffe war, wie dankerfüllt er Jahresbericht seit Oktober 1906 von dreihundertfünfzig Schüßlingen sich Fouqué gegenüber zeigte, das offenbaren am schönsten die benutzt wurde. Die Bureauzeit ist von acht bis halb vier Uhr mit Briefe, die er im August und September 1812 an den Dichter furzer Mittagspause. Wer wöchentlich mehr als drei Mart ver- richtete. Diese Briefe sind aber vor allem von hoher Bedeutung dient, bekommt zehn Prozent abgezogen. Der Abzug erhöht sich auf für das Entstehen der romantischen Oper überhaupt. In ihnen ist fünfzehn Prozent bei Benutzung von Voltstüchenspeisemarken oder schon alles enthalten, was Hoffmann später zur Theorie des deutbei Benubung einer Fürsorgeschlafstelle. Wer Speiſemarken und schen Musikdramas schrieb und in dem Serapionsbrüder- Dialog Schlafstelle hat, bekommt fünfundzwanzig Prozent Abzug. Den Der Dichter und der Komponist" gesammelt niederlegte. Denn bollen Lohn genießt also nur, wer die Summe von drei Mark in der hier vollzieht sich eben jene lange vorbereitete und ersehnte Synthese Woche nicht erreicht. zwischen Mufit und Dichtung, zwischen deutscher Romantik und deutscher Tonkunst. Am Wortdrama waren die literarischen Romantifer samt und sonders gescheitert, die Schlegel, Zied, Brentano, Arnim und Zacharias Werner . Andererseits suchte und fand der Drang nach dem Erfassen des Unendlichen seinen Ausdruck in der Kunst, die allein fähig ist, das Unendliche an sich" auszu= sprechen: in der Musik. Das romantische Drama konnte nur
( Fortiehung folgt.)
Die Geburt der deutfchen roman- uitbrama sein. Allerdings: es galt einen weiten Weg von Hoff
tischen Oper
Von Dr. Martin Ehrenhaus.
mann über Spohr, Weber und Marschner zurückzulegen, bis die relative Vollendung bei Richard Wagner erreicht war.
Die Briefe Hoffmanns an Fouqué, des Musikers an seinen Dichter, aber find gerade deshalb so beMit der Herrschaft der deutschen Romantit vollzog sich zugleich deutsam, weil sie zeigen, wie flar fich Hoffmann über die Beim deutschen Geistesleben ein Ereignis, das für die Kunst der fol- dingungen eines musikalischen Dramas als des Typs eines neuen genden Zeit von weittragender Bedeutung werden sollte: der Ein- Kunstwertes im bewußten Gegensatz zur älteren Oper war. Darum tritt der Mufit in die allgemeine Kultur an der Wende des 18. mögen einige der martantesten Stellen, besonders aus den wichund 19. Jahrhunderts. Noch am Ausgang des 18. Jahrhunderts tigsten und entscheidenden Dokumenten vom 15. Auguft und 4. Ofe gingen Musik und Musiker ohne inneren Zusammenhang mit der tober 1812, hier mitgeteilt sein. Da heißt es: Wie fern mir jede Geistesströmung ihre eigenen Wege. Von einer nationalen Kunst Anmaßung liegt, den herrlichen Dichter auch nur im mindesten beder Musik konnte teine Rede sein, denn das wichtigste Mittel zur engen zu wollen, darf ich wohl nicht versichern, nur feh es mir er Feftigung einer solchen, das Theater, stand unter der einseitigen laubt zu bemerken, daß, wenn manche Begebenheiten wegfallen, Herrschaft der italienischen Oper von wenigen Ausnahmen ab- weil der Raum des Dramas sie nicht aufnehmen kann, und dadurch gesehen. Erst die führenden Musiker des 19. Jahrhunderts bewirken manche Nüancierung verloren zu gehen scheint, die Musik, welche einen allmählichen Umschwung in der Schäßung ihrer Kunst als mit ihren wunderbaren Tönen und Akkorden dem Menschen recht des Ausdruces einer Persönlichkeit, Die Romantiter- Mufiter eigens das geheimnisvolle Geifterreich der Romantit aufschließt,
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