Unterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 213. Freitag, den 1. November. 1912 (Kachdrua perdolen� t] Die Oberwälder. Von Alfred Bock . 1. Das Dorf liegt im hohen Vogelsberg. Es lehnt sich an eine jener zahlreichen Kuppen, die in den wunderlichsten Formen den langgestreckten Bergrücken überragen. Von der Höhe des Kegels schauen vier Basaltsäulen ins Land. Wenn die Sonne sie überglänzt, prangen sie in leuchtendem Blau, bei düsterem Himmel kleiden sie sich in drohendes Schwarz, daß die Kinder drunten ein Gruseln befällt. Das Dorf, das an siebenhundert Seelen zählt, ist uralt, denn es wird schon im elften Jahrhundert in einer Urkunde des Klosters zu Fulda genannt. Fern von den viel begangenen Völkerstraßen hat es doch der Gifthauch der großen Kriege berührt. Anno 1634 brach ein Trupp Kroaten ein und führte Hausrat und Vieh hinweg. Ein paar herzhafte Männer, die sich zur Wehr setzten, wurden erbarmungslos niedergemacht. Im öfter- reichischen Erbfolgekrieg schütteten die Franzofen den Hafer, den sie gewaltsam eingetrieben, in der Dorskirche zuhauf. Während der Revoluftonskriege plünderten und zerstörten die Soldaten des Generals Hoche Haus für Haus. Das Busö�verk, hinter dem sich die Weiber und Kinder verbargen, heißt bis auf den heutigen Tag die Seufzerhecke. Allen Be° drängnissen und Wirrsalen entgegen bauten die Dörfler ihre Wohnungen wieder auf und gewannen der mageren Scholle ab, wessen sie für ihre Lebsucht brauchten. Als im Jahre 1848 der Sturm der Märzrevolution über die deutschen Lande brauste, war es einzig der lange Schauß in der Siebenhäuser- gasse, der sich mit dem Gedanken einer Staatsumwälzung be- faßte. Er erschien denn auch vor der Behausung des Dorf- oberhauptes und schrie:Wir wollen eine Republik I" Der Bürgermeister schob den dicken Kopf zum Fenster heraus und rief:Die Republik is schon da!"So," sagte der Um- stürzler,dann is es gut." Und ging an seine Arbeit. 1876 schickte das Dorf zwölf seiner stramm gewachsenen Söhne ins Feld. Acht kehrten heil zurück, vier mußten in Frankreich ihr Leben lassen. Allgemein war der Glaube verbreitet, daß der Kriegslärm bald wieder anheben werde. Wie nun der Friede geschlossen war, wie sich's allerorts regte und rührte, kam die neue Zeit aus der Niederung ins Gebirge herauf. Sie verhieß den Bauern ein goldenes Leben. Die aber kehrten ihr den Rücken. In harter Arbeit gestählt, rauh wie die un- wirtliche Natur hielten sie in zähem Beharren am Alten, Her- gebrachten fest. Mitten durch das Dorf strömt ein klarer Bach. Im Sommer hat er nicht viel zu bedeuten. Im Frühling, wenn der Schnee im Oberwald schmilzt, zeigt er sich als ein wilder Gesell, der den Anwohnern manchen Schabernack spielt. Hüben und drüben, planlos angelegt, ziehen sich die Gassen und Gäßchen hin. Auf der einen Seite haben sich die kleinen, auf der andern die großen Bauern seßhaft gemacht. Beide leben in ständiger Fehde. Wegen der Fischereigerechtigkeit schlugen sie eine förmliche Schlacht, wobei es blutige Köpfe setzte' und ein Pächter auf dem Platze blieb. Eine Zeitlang war's dann still, bis beim Vollzug der Feldbereinigung die Zänkereien aufs neue begannen. Diesem trotzigen Geschlecht ist die Streitsucht eingepflanzt. Der Kreisrat, der feit zwanzig Jahren seines Amtes waltet und kein Mittel unver- sucht läßt, die Hadernden zu versöhnen, hat letzthin zum Bürgermeister gesprochen:Ich gäb was drumm, wenn ich in die Dickköpfe einmal hineingucken könnt."Das is eso," hat sich der Bürgermeister geäußert.Ich sein gewiß der schlechtst Hirt net und laß für die Herd mein Leben. Aber hier macht der eine haar und der andere hoit(links und rechts), und is alles ein Deiwel!" Der Bürgermeister ist ein schlauer Patron, bläst warm und kalt aus einem Mund und will sich mit allen halten. Es war in der ersten Hälfte des April. Früher als sonst war der scharfe Nordost einem milden Südwest gewichen. Die Erlen am Bach hatten sich mit Kätzchen geschmückt, und auf den Wiesen wagte sich unter den kräftig emporschießenden Gräsern der Himmelsschlllssel heraus. In den Häusern wurde die Ofenbank leer. Die Hütebuben trieben das Vieh auf die Weiden, die Männer legten die Hand an den Pflug. f Drei Stunden lang hatte der Peter Margolf auf seiner 'Gewann am hohen Rain gezackert. Der Boden war steinig und gab nicht viel her. Die Zugochsen quälten sich ab. Auch der Bauer holte sich einen nassen Buckel. Bei sinkendem Tage kehrte er rackemüd heim. An der Hofreite empfing ihn seine Tochter, die Marie, und goß einen Eimer voll Wasser über den Pflug. Nun würde die Aussaat gedeihen. Der Peter entjochte die Tiere und versorgte sie mit reich- lichem Futter, dessen sie jetzt, wo die Arbeit sich häufte, mehr denn je bedurften. Dann rief er seiner Tochter zu, er wolle vor der Nachtsuppe noch ein Schnäpschen trinken, und ging drei Häuser weiter in denRitter". Er war ein großer, breitschulteriger Mann, der die Fünfzig überschritten hatte. Auf dem machtigen Nacken saß ein wohlgebildeter Kopf. Aus dem glattrasierten Gesicht sprang eine starke Nase vor. Die blaugrauen Augen waren von buschigen Brauen überwölbt. Das kurz gehaltene, leicht ergraute Haupthaar wuchs bis in die Stirn hinein. In der Wirtsstube, einem ziemlich großen, wenig sauberen Raum, der von Tabaksqualm erfüllt war. traf der Peter vorn am langen Tisch den Krämerskarl, den Walk- mllller und den Butternickel. Im Hintergrund saßen der Hannjust und der kleine Kumps. Der Wirt, ein hoher Sech- ziger, dem das Kupfer aus dem Gesicht schlug, stand an die Wand gelehnt und lauschte der Unterhaltung. Es wurde von der Witterung gesprochen. Frühmorgens hatten die Steine geschwitzt. Das deutete auf Regen. Man mußte sich beeilen, die Kartoffeln zu setzen. Die einen hatten eine neue Sorte bezogen, die die Landwirtschaftskammer empfahl, die andern waren bei ihrer alten geblieben. Das Gespräch, das im Zick- zack lief, beschäftigte sich mit den Entwässerungsanlagen auf dem Bruch, mft der Feuerlöschordnung, mit dem Pfarrer und sprang dann auf die Feldbereinigung über, die, obzwar sie nach langem Widerstreit durchgeführt war, das Dorf noch immer in Atem hielt. Es war ein öffentliches Geheimnis, daß gar mancher unter den Bauern sich kein Gewissen daraus machte, krumme Furchen zu ziehen und vonr Nachbarfeld ein Stück abzuzackern. Der Geschädigte wehrte sich. In der Regel kam's aber so, daß der geringe Mann den kürzeren zog. Nun hatten die Wohlhabenden durchgesetzt, daß vor der Zusammen- legung der Grundstücke alles neu vermessen wurde. Der Antrag der kleineu Besitzer aber, wonach die Angaben des �Grundbuchs bei der Bereinigung maßgebend sein sollten, hatte nicht die nötige Unterstützung gefunden. Die Großen schoben die Kleinen beiseite und heimsten den Vorteil ein, sofern die Liegenschaften im Laufe der Jahre nach Form und Flächen- inhalt ein wesentlich anderes Aussehen gewonnen hatten. Indessen rief später die Verteilung der Ersatzgrundstückc auf beiden Seiten Verstimmtheit wach. Ich Hab da droben am hohen Rain ein schön Ackerding erwischt," rasaunerte der Peter Margolf.Da vergeht einem, weiß Gott , die Lust am Bauerieren." Du mußt halt Korn drauf ziehen," spöttelte der Walk- müller,dernachert kannst du's den Leut' emal weisen, wie man aus Stein' Brot macht." Stein' hin, Stein' her," rief der kleine Kumps,der Peter braucht sich net zu beschweren." Dumni Gedrätsch." wandte sich der Margolf gegen den Sprecher.Ich Hab' bei dere Bereinigung nir profenticrt." 's kost' mich ein Lach! Als wüßt' man's net, dii hast dein Schäfche geschoren." Der Peter spuckte verächtlich aus. Was geb' ich auf dein' Zorn!" Nur langsam mit den armen Leut," erwiderte der kleine Kumps schlagfertig,'s sein� ere gar viel." Wer sich mit euch Lappanier einläßt, der schmeißt sich selbst aufs Maul," trat ihm der Butternickel entgegen.«Ein Glück, daß ibr's net aus'm Aermel zisselt. Wann ihr auf den Gaul kommt, reit' euch kein Teufel vor." Dich kann man in deiner eigenen Butter braten, und du wirst net besser," brach jetzt der Hannjust los.Wie bat der Pfarrer Sonntag gesprochen?Es werden allezeft Arme im Lande sein. Und wer sich der Armen erbarmt, der ehrt Gott ." Gelle, das is für dich französisch?'s is doch eso, daß du keinem was gunnst. Und gäbst ein Aug' drum wann der andre keins hätt'l"