Mnterhaltlmgsblatt des Horivärts3!r. 221. Mittwoch öen 13. November 1912sNachdruS verboten�s) Die Oberwälder.Bon Alfred Bock..Daß du deine Mutter so früh hast hergeben müssen/'sprach er.„dessentwegen bist du gewiß zu bedauern. Ich meinaber, bei dem Unglück hat sich ein Glück für dich aufgetan.Du hast in deiner Jugendheit, wo andere den Kopf vollSpupen haben, Verantwortung und Pflichten kennen gelernt.Und deiner Mutter ihre Tüchtigkeit ist wieder in dir lebendiggeworden. Wie schön hat sie's deinem Vater gesagt:„DieMatie ist von keiner schlechten Art und zieht sich allein/'s istdoch auch so. Der Mensch kann Eltern und Lehrer nichtmissen, das Beste aber, was er fürs Leben braucht, muß eraus sich selbst heraus schaffen."Sie waren in die Nähe des Schulhauses gekommen. ZurRechten zog sich sanft ansteigend eine Heidefläche hin, die mitBasaltblöcken übersät war. Zwischendurch führte der Wegzum nahen Oberwald. Den schlugen sie ein.„Guck, Marie," nahm Weilandt, nachdem es eine Weilegeruht hatte, das Gespräch wieder auf,„du warst vierzehn,wie du deine Mutter verloren hast, ich war noch ein Kind, wiemir die Eltern weggestorben sind. Wem das Schicksal eineGrube gräbt, der fällt hinein. Davon hat mein Vater einLiedchen singen können. Er hat in Frankfurt bei den Ein-undachtzigern gedient und war ein strammer Soldat. Ein-mal ist er in der Militärschwimmanstalt auf Wache gewesen.Und patrouilliert nachts am Main. Da sieht er, wie einMensch am andern Ufer hm und her rennt und sich klatsch!ins Wasser wirst. Mein Vater stand keine zweihundertSchritte vom Wachtlokal und hätte leicht Meldung machenkönnen. Er dacht aber:„Hier tut Eile not!" Kurz entschlossenlegt' er sein Gewehr beiseite, entkleidet' sich und sprang inden Strom. Obwohl er ein vortrefflicher Schwimmer War,-haste er seine'Last, bis er den Mann zu fassen bekam und ansLand bugsierte. Die Sache hatte noch ein Nachspiel. Siestellten meinen Vater vor das Militärgericht. Als Soldatwar ihm streng verboten, feinen Posten zu verlasien. Inder Hauptverhandlung wurde er freigesprochen. Der Lebens-müde war ein Schuster, namens Wiedcrhold. Der hatte sichden Tod seiner jungen Frau dermaßen zu Herzen genommen,daß er in einem Anfall von Schwermut ins Master gegangenwar. Er lag hernach lang im Spital. Da hat ihn meinVater treulich besucht und hat ihm auch allerlei geschenkt,was einer schenken kann, der sich als armer Schlucker durch-schlagen muß. Zwei Jahre gingen hin. Mein Vater tratsein Schulamt in Reichelsheim an und heiratete. Dazu ge-hörte Kurage bei seinem kleinen Gehalt. Er tat's aberpacken. Meiner Mutter ihre Rede war:„Wir sind zufrieden.Und darum schmeckt uns das Wasser wie WeinI" EinesTages klopft jemand an meinem Vater seine Tür. Werwar's? Der Schuster aus Frankfurt am Main. Er schiensein Handwerk nicht besonders zu ehren, denn er hatte zer-rissene Stiefel an. Meine Eltern nahmen ihn freundlich auf.Die Mutter kochte ihm einen guten Kaffee. Er saß mit einemleidmütigen Gesicht da und war wenig gesprächig. Erst nachund nach taute er auf. Jenesmal, erzählte er, wie er ausdem Krankenhaus gekommen war. hatte sich seine Kundschaftverlaufen. Er war dann nach Mannheim verzogen, von danach Worms und zuletzt nach Germersheim. Er hatte abernirgends festen Fuß fassen können. Nun wollte er's in derWetterau versuchen. Er war völlig abgebrannt und bat meinenVater, ihm doch behilflich zu sein, daß er wieder sein eigenesBrot essen könne. Mein Vater beriet sich mit meiner Mutter.Die meinte, er habe dem Wiederhold selbigmal aus demWasser gezogen. Damit habe er wirklich genug getan. Derkleinste Sparer finde seinen Zehrer. Er solle um Himmelswillen nicht seine Notpfennige opfern. Mein Vater widersprach. Gerade, weil er den Mann dem Leben erhalten, seier verpflichtet, ihm beizuspringen. Er habe gewiß nicht vielzuzubrocken. So arm sei er aber nicht, daß er einem Armennicht helfen könne. Ich war dazumal ein Bürschchen vonknapp acht Jahren. Hielt Augen und Ohren offten. MeineEltern hatten bis dahin in Frieden zusammen gelebt. Nun ihörte ich zum erstenmal, wie sie sich stritten. Mein Vatergab dann dem Schuster so viel, daß er sich in Reichelsheimeine Werkstatt einrichten konnte. Anfangs ging das Geschäftauch ganz gut und sollte alsbald erweitert werden. Trotzdemmeine Mutter ihn warnte, ließ sich mein Vater herbei, fürseinen Schützling Bürgschaft zu leisten. Wie der nicht zahlenkonnte, wurde mein Vater herangezogen und geriet in diemißlichste Lage. Die Pfändung stand bevor, denn derGläubiger, ein Lederhändler in Mainz, war so hart wieKieselstein. Die Schulbehörde griff cm, und die Folgenwaren nicht abzusehen. Inmitten der schrecklichen Auf«regungen erkrankte mein Vater und starb. Ein halbes Jahrspäter wurde meine Mutter begraben. Der Schützling ver-schwand. Ein Mann aus Reichelsheim hat ihn später unterden Gassenkehrern in Hanau gesehen. Guck, Marie, das sinddie Erinnerungen an mein Elternhaus. Kannst mir's glau»den, ich Hab lang gebraucht, bis ich darüber weggekommen.bin."Mit wachsender Teilnahme war die Marie der Er,zählung Weilandts gefolgt. Da er geendet hatte, sagte sieergriffen:•„Ei du himmlische Gerechtigkeit! Was haben Sre alsKind schon durchmachen müssen! Und erst Ihnen Ihr Vater lWie den seine Guttat in Unsput gebracht hat, das geht einemdurch Mark und Bein. Da denkt man wunder, wieviel manzu tragen hat. Etz wann man so was hört, nimmt man seinPäckchen und duckt sich."Weilandt schwieg in Gedanken verloren. Der Mar«Blicke glitten zu ihm hinüber. Er hatte an alte Wundengerührt. Die schmerzten ihn wieder. Das sah man ihm an.Heiß wallte es in ihr auf. Sie suchte nach einem liebreichenWort. Daß sie ihr Herz im Munde trug, sagte ihr schwerlichjemand nach. Kam sie mit dem Lehrer zusammen, sprangSchlößlein um Schlößlein bei ihr auf. Er hatte halt denSchlüssel dazu. Herst war's das erstemal gewesen, daß sieüber Dinge daheim sich rückhaltlos geäußert hatte. Die Leutesprachen:„Was man zu Hause kocht, soll man zu Haus' auchessen." Das war gewiß wahr. Und doch bereute sie ihreOffenheit nicht. Der Lehrer gab kein Wörtchen weiter. Under hatte Vertrauen mit Vertrai rn erwidert. Das machte sieglücklich und stolz.ll.Der Dippelsluis, des Bäckers Aeltester, war von» Militärgekommen. Er hatte sich bei den Spielleuten die Gefreiten-knöpfe geholt und blies daheim den Heiratsmarsch. Mann»bare Mädchen in Menge traten alsbald ins Gewehr. DieDepeschenträger liefen im Dorf herum und zogen olle Registerauf. Wie nun Verlautbarte, der Luis habe es auf die Walk-müllerlina abgesehen, war des Geschnatters kein Ende. DieLina hatte die Zwanzig schon lange hinter sich. So ein reichesMädchen nahm nicht den ersten besten. Die warten konnten,kriegten auch einen Mann. Dem Walkmüller kamen dieMarkstücke auf dem Wasser zugeschwommen. Dabei war erein Erdenhannes, der Gewann um Gewann erwarb. Unfernlag des Bäckers Gelände. Die Grundbedingung für eineHeirat der Kinder war demnach von vornherein erfüllt: dieSchollen paßten zusammen. Die Väter brachten den Handelins reine und setzten die Hochzeit fest. Das halbe Dorf wurdegeladen. Der Hannjust, der mit Absicht übergangen wordenwar. spie Gift und Galle. Im„Stern" zog er vor ver-sammeltem Volk die Familien durch die Hechel, die im Be-griff standen, sich zu verschwägern. Die Walkmüllerslina,behauptete er. hatte bei all ihrer Hochnäsigkeit mehr als ein-mal über die Stränge geschlagen. Der Dippelsluis drückteein Auge zu. Das liebe Geld strich jedem Cchandsal einehübsche Farbe an. Das war einmal der Laus in dieserschlechten Welt. Der Walkmüller und der Bäcker ließennichts liegen wie glühend Eisen. Galt's, einen über denGänsedreck zu führen, spielten sie unter einem Hütchen. Tatman die zwei in einen Scktk und schüttelte sie durcheinander.blieb allemal ein Svitzbub oben. Solcherlei Reden verhalltenwirkungslos. Die Aussicht auf eine große Hochzeit hielt dieGemüter in währender Spannung. Ten Alten lief in Er-� Wartung des Eßwerks und der guten Getränke schon acht Tagevorher das Master im Mund zusammen, den Jungen, die auf. ein Tänzdjen Hoisten, zuckten die Glieder, und die Gassenj hallten von Jauchzern Wider.' In der Walkmühle ging alles drunter und drüber. Die