Der ScholteSlarl schimpfte dagegen und wehrte sich. Der Links aber griff ihm mit der linken Hand in den Rücken, hob ihn in die Höbe und trug den schweren, kräftigen Burschen wie ein Wickelkind durch das Dorf bis an das Haus des Schäfers. Dort warf er ihn über den Zaun. Su. dohi gehierscht de. dou Lump l* Dann ging er heim. Das war das erstemal, daß der Links die Lacher und die Bewunderer auf seiner Seite hatte. Er machte sich nichts daraus; er vergrub sich in seinem Häuschen und war zufrieden, dah er den Scholteskarl um eine reiche Braut und um sein Renommee gebracht hatte. Aber die verlorene Ehre konnte er'S Petersch ihrer nicht wiedergeben. Die ging nicht mehr unter die Leute und lachte nicht mehr. Der Links stand oft an seinem Speicherfenster und blickte nach dem Häuschen des Schäfers. Er überlegte, ob er nicht hinübergehen und dem Mädchen einen Antrag machen solle, daßalle die Mäuler auffperren". Aber er tat es nicht. Wann's irscht vorbei, dann vielleicht," sagte er sich. Ein Kind, das mit unschuldigen Augen in die Welt guckt, hätte ihn nicht geniert, doch es mußte erst da sein, damit jeder wußte: der Links hat nichts damit zu tun, der Links ist ein anständiger Kerl I Daß er's Petersch ihr gern hatte, wußte jedes Kind über zehn Jahre, seit er den Scholteskarl auf der linken Hand durch das Dorf getragen und über den Zaun des Schäfers geworfen hatte wie einen Bettelsack. Auch da? verlassene Mädchen wußte eS. Der Links Hot e Aache uff dich. Wann de willst der flickt die Pann", meinte einmal der Schäfer, nicht gerade geschmackvoll und zartfühlend, aber desto deutlicher. Das Mädchen gab ihm keine Antwort. Näheres weiß man nicht. Man sagt aber,'s Petersch ihr habe sich im Brandweiher ertränkt und der Links habe sie herausgeholt und in seiner Stube aufgebahrt und Leichcnwache gehalten, drei Tage lang. Das aber weiß man: Der Links ging zum Pfarrer und bat, man solle der Toten die letzte Ehre antun und mit den Glocken läuten, wenn sie be- graben werde. Der Pfarrer lehnte das ab. .Die Glocken werden doch läuten," sagte der Links. «Sie werden nicht läuten." versetzte der Pfarrer. Der Links ging zum Kirchendiener. .Eine Handvoll Taler, wenn du sie auf den Kirchhof läutest!" Gern, wenn's der Pfarrer erlaubt," sagte der Kirchendiener. Der Pfarrer ließ sich auf die Handvoll Taler nicht ein. Er befahl aber dem Kirchendiener, die Glockenstricke zu entfernen. Der verschrobene Mensch sei zu allem fähig, meinte er. Als die Träger den Sarg vor dem Schäfer hertrugen, schloß der Links sein Haus ab und ging zur Kirche. Die Türe war verschloffen. Er packte die Klinke mit der linken Hand und zerbrach den Riegel wie ein Streichholz. Der Küster lief zum Pfarrer. Unterwegs rief er jedem zu, der ihm begegnete:Der Links Hot die Kerch uffgebroche l" Der Links hatte bereits die oberste Stufe der Turmtreppe er- klommen, als die halbe Gemeinde auf dem Kirchhof versammelt war. Er suchte die Glockenstränge. Als er sah, daß sie beseitigt waren, kletterte er zum Glockenstuhl hinauf. «Wann se's Peterfch ihrer nit leire derfe, dann sunn se kam mich leire!" Er hob eine Glocke nach der anderen aus ihrem Lager und trug sie mit der linken Hand ans Schalloch, die zwei Zemner schwere große Glocke so gut wie das hnndertpsündige Betglöckchen. Er trug sie ans Schallloch und warf eine nach der andern auf den Kirchhof hinab! Klirrend zersprangen sie auf den Grabsteinen. MS die entsetzten Zuschauer nach einer Stunde zögernd in den Turm hinaufstiegen, hmg der Links am Glockenstuhl und streckte hnen die Zunge heraus. Er war tot. «Der Links, däS wor aner l" «Die Eiteldorner sagen daS heute noch, nach hundert Jahren, und sie zeigen jedem, der es sehen will, die Stelle, wo die drei Glocken aufschlugen, die Links mit der linken Hand aus ihren Lagern gehoben und zum Schallloch hinausgeworfen hatte. Mit der linken Hand! Daraus legten sie besonderes Gewicht. deshalb ist feine Tat. die an und für sich schwer genug wiegt, un- vergessen geblieben.__ I�eue KunftUtcratur. Die Kunstgeschichte wird wieder ästhetisch bettieben. DaS heißt: die historisch feststellbaren Tatsachen und die aus ihnen sich ergeben- den Reihen werden psychologisch gedeutet und auf abstrakte Formeln gebracht. So entsteht etwas wie eine Metaphysik der Kunst; ab- hängig mehr von der Subjekttvität deS einzelnen Denkers, als von dem objektiven Material. Es wird mehr philosophiert als geforscht. Ob das nützlich ist, ob es die Wahrheit fördert, kann dahingestellt bleiben. Es mag wohl sein, daß die exakte Arbeit des Schurfens und Numerierens mehr an meßbarer Wirklichkeit zutage fördert. Indessen, es hat auch seine Reize und Werte, mit der Einvfindung und all der Leidenschaft, deren der sehnsüchtige Mensch fähig ist, zu erfühlen: wie das große Mysterium der Schönheit geboren wurde und immer wieder geboren wird, nach welchen Gesetzen und Rhythmen es wuchs und zerstört wurde, unr sich ge» steigert zu entfalten. Es gibt sehr viel Befriedigung, die Vielfältig» keit der Dinge, der Werke, unter wenige Einheiten, unter die Begriffe des Parallelismus, des Kontrastes, des Dranias und der Monumentalität zu zwingen. Ob man sich nun mehr für die historische oder die philosophische Art der Kunstbetrachtung entscheidet, wird von dem eigenen Temperament bestimmt. Doch darf niemand so fanatisch sein, nicht beide, so den Historiker wie den Philosophen, zu hören. Zwei Bücher seien darum hier genannt und gegenüber gestellt. Das eine, das exakte, schrieb Heinrich Bulle und nannte es:«Der schöne Mensch". Das war bereits vor längerer Zeit; jetzt aber erscheint eine neue Auflage in Lieferungen sbei Georg Hirth , München ; zu 1,20 M. das Heft). DaS andere Buch schrieb Wilhelm Hausen st ein sder den Lesern desVorwärts" nicht unbekannt ist); es heißt:Der nackte Mensch"(bei Pieper u. Co., München ). Bulle behandelt nur daS Altertum(die übrigen Zeiten werden von anderen Autoren be- schrieben); er füllt damit einen umfangreichen Band. Hausenstein schreibt knapp 200 Seiten über die Kunst aller Zeilen. Solche Ver» fchiedenheit charakterisiert die Auffassung der beiden Schriftsteller. Bulle beschreibt die einzelnen Werke nach Inhalt, Mythologie und historischem Zusammenhang bis in das Detail. Hausenstein gibt nur mit wenigen Strichen die Zeilstimmung, aus der das Werk ge» boren wurde; um das Eigentliche. waS er zu sehen glaubt, als Baustein für eine Philosophie der Form zu nutzen. Eine Probe mag daS erläutern. Beide Autoren beschäftigen sich mit einer griechischen Trinkschale, die das Bild eines HasenjägerS zeigt. Bulle faßt sich kurz:Der Jüngling, der einen Hasen fangen will, steht mehr als gewöhnlich unter dem Raumzwang. Aber die Herbheit der Gliederhaltung ist in vorttefflichem Einklang mit der trockenen und Naren Zeichnung, die diese Epoche für die Innen- Muskulatur liebt." Für Bulle ist dieser Hasenjäger ein wenig un» gewöhnlich, aber keineswegs von besonderer Bedeutung. Für Hausen» stein ist er ein Typus; ein Schlüssel, das Wesen des Hellenismus zu entklären. Der junge Metaphysiker sagt:Der Grieche gibt die ideale Ausbreitung des Aktes über das Flächige, die zweidimensionale Expansion des Nackten in äußerster Potenz. Die Bewegung des Jagenden ist wie die Drehung eines Kreises um seinen Mittelpunkt, rund und unendlich. Der Künstler vollbringt die Umsetzung des Sphärischen ins Ebene, der dritten Potenz in die zweite. Diese paradoxale Funktion ist eben die Stil- aufgäbe der Flächendekoration." Das ist ein wenig umständlich ausgedrückt, ist aber interessant, weil es deutlich zeigt, wie für diese Art der Betrachtung ein einziges Werk zum Dogma für alle Welt- Produktion wird. Hausenstem sucht eben nicht das historische Objekt; er sucht Maßstäbe. Er sucht die Synthese in den Werken der Kunst, aber auch in dem ges-bichtlichen Nebeneinander dieser Synthesen. So kann er, ohne eigentlich ein Kenner zu sein, Geistreiches, vielleicht sogar Richtiges zugleich über die Aegypter nnd die jüngsten Franzosen sagen. Bulle ist Fachmann, ein ge- bildeter und feinfühliger Spezialist; Hausenstem steigert das Feuilleton zu einer Prophesie. (Ganz nebenbei gesagt, istder schöne Mensch" ein ganz außer» ordentlich wertvolles Anschauungswerk, das in guter Auswahl in großen vortrefflich reproduzierten Bildern auf gutem Papier das Beste der Kunst aller Zeiten lunier dem Gesichtswinkel des Titels) sammelt. Für die unserer Bibliotheken, die es sich leisten können, das Beste, weil von dauerndem Wert. Die Red.), ES seien noch zwei Bücher genannt, die sich ähnlich gegenüber- stehen. Oskar Fischel schrieb über:Die Meisterwerks des Kaiser-Friedrich-Muse ums(Franz Hanfstaengl . München ). Ein kurzer Text wurde zu 250 Abbildungen gefügt; man liest einige Daten, etliches über daS Dargestellte, dazu einige Wert- urteile, einiges von den kulturellen Zusammenhängen der Zeiten, die sich in den Bildern spiegeln. Ein geschickter Führer für harmlose Leute. Auch einen Führer,/ aber keineswegs ein Verzeichnis, vielmehr eine empfundene EntwickelungSgcschichte schrieb Karl Scheffler für die Berliner National» g a l c r i e(Bruno Cassirer ). Schefflers Natur ist der HansensteinS durchaus nicht verwandt; er sucht nicht letzte Ab- straktionen, er trachtet nach dem kulturellen Zusammenhang und danach, was daS einzelne Werk leistet, um die in dem Wechsel der Zeiten sich bauende Menschlichkeit zu offenbaren. Aber Scheffler gehört dennoch zu den Geschichtsphilosophen; nur, daß er nicht vom Abstrakten ausgeht, sondern das lebendige Leben zu deuten versucht. Nicht um diese« Lebens willen, um seinetwillen, um der absoluten Wahrheit willen; das scheidet ihn von den exakten Historikern, die sich mit dem zeitlich Wirklichen begnügen. Er selber formuliert seine Absicht, die zugleich sein Wesen ist:Eine Entwickelungs- geschichte der neuen deutsche» Kunst hat die von Jahr- zehnt zur Jahrzehnt erstarkte Malerei lebendiger An- schauung, die ehrlich ringende Wirklichkeitskunst, die Bürger- kunst eines demokratischen Zeitalters, in der die Möglichketten des Höchsten embryonisch enthalten sind, zu ihrem Ariadnefaden zu machen. Denn allein die Liebe zum Lebendigen kann aus dem