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Die Sache ins Lächerliche ziehend, erwiderte dee Kellner:" Ich habe einen dummen Schädel, und Rechnen ist immer meine schwache Seite gewesen."

Wenn Du einen dummen Schädel hast, so schilt Deine Mutter aus, die Dich geschaffen hat," schrie Anna Maria wütend. Ich habe zehn Hühner bestellt und Du bringst mir dreizehn Flügel?"

Der Kellner sette eine freche Miene auf, blinzelte mit den Augen und entgegnete: Sagt, habt Ihr nie einen Menschen ohne Beine oder Arme geschen? Wenn das den Menschen passiert, warum sollte das nicht auch bei den Tieren vorkommen fönnen?"

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in die Bratenschüssel, zählte höchst gewissenhaft die Flügel der Schwindel und dergleichen gequält, als Baby babe er sag und mageren Tiere, wintte dann mit lautem Ruf den Kellner heran Nacht wie ein Adler geschrien, als Knabe aus seines Vaters Pfeife und fragte ihn spöttisch:" Du, sag mal zehn und zehn, wieviel geraucht und Steine in die Straßenlaternen geworfen; jest wo er macht das?" groß war, sei er anmaßend, faul, gefräßig, Mädchenjäger, habe immer einen Fluch im Munde und das Messer in der Hand. Anna Maria schwor, sie würde keinen Centesino bergeben, um ihn aus der Patsche zu ziehen, in die er sich gestürzt; im Gegenteil, da sie ganz gut wisie, wo er sich aufhalte, wolle sie ihn selber holen und ihn den Karabinieri ausliefern und den Richtern flipp und klar fagen, was für ein leckerer Bissen ihr lieber Sohn für den Galgen sei. Als sich die Gesellschaft in den düsteren Gassen von San Lorenzo zerstreut hatte und sie und ihr Mann sich, ohne zu wissen wie, in ihrem engen, feuchten Stübchen befanden, schwor Anna Maria mit feierlicher Gebärde, beim Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste, daß sie ihren Sohn bis in die Ewigkeit verleugnen würde. Kaum war sie am folgenden Morgen erwacht, so sprang fie befümmerten Herzens aus dem Bett, verließ weinend das Haus und rannte dahin, wo sich, ihrer festen Ueberzeugung nach, Epio verborgen hielt: dem Laden seines Freundes. Sie fand ihn warf sich auf ihn, preßte ihn zum Erstiden an sich, benette ihn mit ihren Tränen, nannte ihn Fleisch von ihrem Fleisch. feine Tugenden und schloß mit den stolzen Worten: Wer im Schatten der St. Peterskuppel geboren sei, der lasse sich nicht einmal vone Heiligen Vater mit Füßen, treten! Ohne Atem zu schöpfen, stürzte sie dann nach der Wohnung des Verwundeten und sprach dort mit der überzeugenden Beredtsamkeit eines verteidigenden Advokaten aus der Zeit der Ciceros .

Gebratene Menschen esse ich nicht!" rief Anna Maria noch ent­

rüsteter.

Da er mit seinem Latein fertig war, gab der Kellner eine bes leidigende Antwort, was einen Tumult hervorrief. Romolo warf ihm eine Reihe Schimpfworte zu und Epio, der besonders in der Trunkenheit fampflustig war, packte ein halbes Huhn beim Bein mit der Absicht, es dem Betrüger ins Gesicht zu schleudern. Aber das Huhn hielt nicht die vorgeschriebene Wurflinie inne, die Freude ihres Lebens, stempelte ihn zum besten aller Söhne, pries sondern traf den Kopf eines jungen Mannes, der am Neben­tische ſaẞ.

Der Getroffene wandte sich Epio zu und sagte gereizten Tones: Du, Menelit"( diesen Namen des abessinischen Negus wendet das italienische Volk gern als Neckwort an. D. V.), behalte die Knochen auf Deinem Teller!"

Epio erhob sich, sah den Beleidiger scharf an und rief ent­flammten Blickes: Was sagst Du? Was willst Du von mir? Bist Du des Lebens müde?"

Der andere scherzte schon wieder mit seinen Nachbarinnen und überhörte die herausfordernden Worte.

Dann holte sie, um das Eisen zu schmieden, so lange cs heiß ist, der. Gatten und den Sohn und fehrte mit ihnen in das Haus des Kranken zurück, um den Frieden zu besiegeln, und das mit einer Flasche Rosolio, die sie unterwegs bei einem Liförfabrikanten ere stand. Epio wollte sich die Wunde ansehen, was der andere abe Fragen, Drohungen, Friedensvorschläge, Zornesausbrüche, Vor- lehnte, indem er erklärte, es sei nur ein unbedeutender kleiner Stich. fichtsmahnungen, Anreizung zur Herausforderung wurden hörbar, Anna Maria lachte vor Freude, trocknete sich die letzten Tränen nun alles wieder in bester Ordnung war, währenddessen sich der Kellner, glücklich, daß seine Angelegenheit und erklärte, diese Wendung genommen hatte, aus dem Staube machte, in der daß der 2. November, der Totentag, auch geehrt werden Ueberzeugung, daß jezt niemand mehr der 13 Flügel gedenken müsse; daher schlage sie vor, daß man im Hause des neuen Freundes sperse; die Kosten wolle sie tragen. Der Vorschlag wurde mit großer Begeisterung angenommen, und Anna Maria gab dem allgemeinen Gedanken mit einem ihr eigenen gewichtigen Sage Ausdruck, die ihr allemal Ansehen und Ehrung verschafften: Wehe, wenn es in der Welt fein Leid, Tränen, Verwirrungen, Kämpfe, Krankheiten gäbe I Das Leben würde so langweilig sein, daß niemand Mut und Lust hätte, es zu leben." Ganz brüderlich, mit großer Herzlichkeit und ungeheurens Appetit setzte man sich an den gedeckten Tisch.

würde.

Man begann wieder zu essen und zu trinken und nagte, obwohl man satt war, an den Hühnerknochen, dabei beunruhigt durch ein dumpfes Gefühl von Mut, das sich noch steigerte unter dem schäd­lichen Hauch der Trunkenheit.

Nur Epio nicht, leerte aber ein Glas nach dem andern. Er fonnte das Wort Menelik gar nicht verdauen. Es blieb ihm gleich einem Knochen quer im Halfe fizen. Er grübelte und grübelte über den Sinn, sagte sich das Wort laut vor, um den Klang zu erforschen,

die Silben zu zählen.

Nach und nach nahm das Wort für ihn die Bedeutung einer fürchterlichen Beleidigung an. Sich Menelik nennen zu lassen, ohne sich dagegen zu wehren, schien ihm der Gipfel aller Schande. Und so erhob er sich von seinem Platz, wenn auch etwas schwankend, die Hände in der Tasche, der steife Hut in die Stirn gerückt. Mit der Hartnädigen Ruhe des Römers näherte er sich seinem Widersacher. berührte dessen Schulter und sagte, sich leise von rechts nach links wiegend: Bist Du es, der mich Menelit genannt hat?"

Der Angeredete wandte ihm das lustige, gerötete Gesicht zu und fragte nun feinerfeits, beim Lachen zwei Reiben weißer Zähne zeigend:" Was, gefällt Dir der Name Menelik nicht?"

" Nein, er gefällt mir nicht!" entgegnete Epio noch ruhiger, während sein Geficht marmorbleich geworden war und seine Lippen

bebten.

Anna Maria, die einem Haufen Höhnerköpfen das Gehirn aus­sog, hatte von dem Vorgang nichts bemerkt.

" So? Der Name Menelik gefällt Dir nicht?" wiederholte der Spaßvogel mit einer unvergleichlich schalthaften Miene." Du hast Unrecht, der Name Menelik scheint extra für Dich gemacht zu sein." " Er gefällt mir nicht!" wiederholte Epio mit etwas rauber Stimme, während sich die Finger seiner rechten Hand in der Hosen­tasche zusammentrallten"

" Gut, wenn Dir der Name Menelik nicht paßt, so nenne ich Dich Menelat."

Der Einfall machte Eindruck, die beiden Gefährtinnen des Spaß bogels hielten sich vor Lachen die Seiten.

Weder Menelit, noch Menelat!" protestierte Epio mit ge­runzelter Stirn und zusammengebissenen Zähnen, tat dann einen Sprung rückwärts und stürzte sich mit tagenähnlicher Bewegung auf den Verhöhner. Das Bligen einer Klinge, der erstickte Klang eines Fluches, ein Aufschrei, ein Blutstrom, ein Rücken von Stühlen, ein Herbeistürzen von Menschen, der Herausforderer am Arm verwundet, Epio in der Dunkelheit der Nacht entflohen.

Nachdem die erste Bestürzung gewichen war, fonnte man fest­stellen, daß die Wunde nicht gefährlich sei. Da Wächter nicht zu gegen waren und der Wirt aufs inständigste bat, si nicht in Konflikt mit der Polizei zu bringen, fam man allgemein überein, die Sache zu vertuschen. Der Verwundete wurde mit dem verbundenen Arm in einen Wagen gehoben und in seine Wohnung gefahren.

Anna Maria war geradezu wütend auf ihren Sohn und hörte während des Heimwegs nicht auf ihn zu verwünschen. Epio sei eine Kanaille, die ihr feine Minute Ruhe gelassen. Schon vor der Geburt habe er gezeigt, wie er sei, indem er sie neun Monate mit

( Deutsch von C. Brenning.)

Die filmpeft.

Nicht von der Kinofeuche rede ich, sondern von einer anderen Modeseuche, die nun auch schon Arbeiterkreise ergreift: Vom Snipsen"! Ich will gewiß nicht die Kunst des Photographierens herabsetzen und den ungeheuren Fortschritt auf diesem Gebiet be­streiten. Aber das Photographieren als Massenbetrieb ist eine guauenhafte Sache geworden. Denn nicht nur kann man nichts getrost nach Hause tragen, wenn man es nur schwarz auf weiß bes fißt, sondern was das Licht auf die photographische Platte im Bruchteil einer Sefunde zaubert, ist lange nicht das, was wir in der Kamera unseres Auges, der das photographische Spielzeug ja nur nachgebildet ist, sammeln, fönnten.

Es liegt in allem nein Technischen eine merkwürdige Fronie. So etwas wie eine Strafe dafür, daß wir uns mit untergeord­neten Hilfsmitteln begnügen, wo wir doch alle über viel Größeres verfügen, wenn wir es nur erkennen und pflegen wollten. Ich meine die psychische Fähigkeit, alle äußeren Dinge, vor allem Land­schaften und Stimmungen in der Natur durch unser Auge un mittelbar aufzunehmen und wie durch eine konservierende Lösung den künstlerischen Gehalt des Geschauten durch unsere Seele ins Unterbewußtsein versinken zu lassen. Daß das möglich ist, das zeigt um ein möglichst prägnantes Schulbeispiel anzuführen der Fall aller jener Maler und Zeichner, die nach dem Gedächtnis reproduzieren. Ich kenne selber einen alten Akademieprofessor, der tagsüber im Café oder abends im Theater interessante Köpfe durch intensives Schauen sich deravt tief einverleibt, daß er in der Nacht vor dem Schlafengehen die Gesichter aus dem Gedächtnis zeichnen kann. Sie sind fast immer porträtähnlich. Aus dieser alten be­kannten Tatsache ziehen nur leider die allerwenigsten Wanderer den richtigen Schluß: Jeder Mensch ist bis zu einem gewissen Grade Beichner, Maler, Dichter, Musiker. Mit anderen Worten: es gibt feine menschliche Fähigkeit, die der einzelne nicht in irgend einem Grade selber besäße. Die Zeichnungen in den Wohnhöhlen unserer Vorfahren aus den Steingeit lehren uns, wie stark damals schon der Mensch künstlerisch produktiv war. Das bildnerische Talent im Menschen und seine Anlagen zum Zeichnen und Malen werden nun aber durch die handwerksinäßige Liebhaberphotographie am meisten unterdrückt. Daß manche Menschen erst durch das Photographieren zu den ersten Schübungen gelangen, wird damit gar nicht bestritten, wie denn ein jedes Ding bekanntlich seine zwei Seiten hat.