Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 227.

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Freitag den 22. November.

( Nachdruk verboten.)

Die Oberwälder.

Von Alfred Bock  .

Nebenan bimmelte das Ladenglöckchen. Vor der Theke standen Leute, die bedient sein wollten. Der Krämersfarl fah und hörte nichts. Erst ein fräftiges Klopfen wedte ihn aus seinen Träumereien.

1912

schilderte Bisping als einen reichen Mann, den die Krank­heit seiner Frau in den Vogelsberg   verschlagen. Weil er in der Vollkraft seiner Jahre nicht müßig gehen welle, habe er den Steinbruch gepachtet. Im Frühjahr sollten am Horner­hang an hundert Ripper beschäftigt werden. Bis nach Au­menrod hin würde man das Stampfen des Klopfwerks hören. Seit Olims Beiten habe kein Hahn nach dem Dorf gekräht, nun rüde es mit einem Schlage in die Reihe der Industrie­orte ein. Bei der Gebirgsbahn, von der jetzt die Rede sei, müsse man sich auf Ueberraschungen gefaßt machen. Niemand fönne die Gewähr dafür übernehmen, daß hier eine Station oder auch nur eine Haltestelle errichtet werde., Komme aber das Basaltwerk in Gang, so würde die Eisenbahn sich selbst Spar- und Darlehnskasse an der Person des Herrn Bisping und seinem Unternehmen das größte Interesse habe, darüber brauche man kein Wort zu verlieren. Das Einnahmekonto weise aus, daß der Kasse Geld in Menge zugeflossen sei, mehr sogar, als man verwenden könne. Deswegen stehe man vor der Frage, ob man den Ueberfluß in Staatspapieren anlegen oder nach Darmstadt   abführen solle. In beiden Fällen schlage man höchstens dreieinhalb Prozent heraus. Da sei denn der Antrag des Herrn Bisping doppelt willkommen, der sich bereit erklärt habe, fünf Prozent zu bewilligen. Zum Schluß verlas der Karl die Schäßungsurkunde und fügte hinzu, die vereidig­ten Makler, die das Schriftstück unterzeichnet hatten, seien Leute, denen man unbedingt Glauben schenken fönne. Das wisse er von seinem Aufenthalt im Preußischen her.

Am Sonntag darauf kamen Vorstand und Aufsichtsrat im Geschäftszimmer des Rendanten zu sammen. Der Krämers­farl stürzte die Kasse und gab den Anwesenden Gelegenheit, den Bestand mit dem Buchsaldo zu vergleichen. Dann legte er die Schuldscheine und Urkunden, die ihm anvertraut waren, schädigen, wenn sie den Anschluß daran versäume. Daß die bor  . Der Föckelsheinrich als Direktor sah das Einnahme­und Ausgabejournal durch. Obgleich er von Buchführung Höchst unklare Vorstellungen hatte, fühlte er sich dem Rechner gegenüber zu der Bemerkung veranlaßt: Du kannst's, wie der Hannjerg das Dreschen!"

" ych tu nur meine Schuldigkeit," sagte der Krämerskarl bescheiden, aber mit einem Gesichtsausdruck, der nicht daran zweifeln ließ, daß er sich seines vollen Wertes bewußt war. Eine Reihe von Gesuchen um Aufnahme in die Genossen­schaft war zu erledigen. Unter den Bewerbern wurde der Eberhard Happel in der Wassergasse genannt. Diesem war vor ein paar Jahren die Scheune abgebrannt. Im Dorf wußte jedermann, daß er sie angezündet hatte, und zwar bloß darum, weil er gut versichert war. Das gerichtliche Verfahren, das gegen ihn eingeleitet war, hatte mit seiner Freisprechung ge­endet. Seine Ehefrau sagte unter ihrem Eid aus, ihr Mann sei in der Nacht, da der Brand ausgebrochen war, nicht von ihrer Seite gekommen. Durch die Drohungen des Frevlers eingeschüchtert, hatte sie einen Meineid geschworen. Bald nachher war sie gestorben. Der Mann hatte sich wieder ver­Heiratet und zählte zu den Wohlhabenden im Ort. Um seiner Vergangenheit willen ihm die Mitgliedschaft zu verweigern, fam in der Versammlung niemand in den Sinn. Einzig der Krämerskarl war's, der Bedenken hegte: Ich will dem Hap­pel nir anhängen," sprach er. Jeder muß selbst am besten wissen, wo ihn der Schuh drückt. Mancher glaubt, er ist durch den Finsterwald. Auf einmal kommt's, wie's in dem Lied heißt:

Gott hat gestürzt dich, ach, so bald Den Abend als den Morgen, Die Stund' ist dir verborgen.

Ich mein, die Kaff ist eine Familie. Die soll sich sauber halten, soll feinen hereinlassen, der nicht mit den besten Haaren gezeist ist. Obendrein sind wir noch eine junge Fa­milie. Und an einem neuen Kleid sieht man einen Flecken eher als an einem alten."

Was der Happel selt in der Salzbrüh liegen hatt," sagte Ser Jödelsheinrich, geht uns gar nig an. Sier dreht sich's drum, wie he steht. Un da is nur eine Stimm: he steht gut. Die Kass will vor allen Dingen Geschäfte machen. Dessent­wegen denk ich, wir nehmen ihn auf."

Ein beifälliges Murmeln bewies dem Direktor, daß er sich mit der entschiedenen Mehrheit in Uebereinstimmung be­fand.

Demnächst gelangte ein Brief zur Verlesung, der bei Sem Jöckelsheinrich eingelaufen war. Ein Bankhaus in Fulda   hielt sich der Spar- und Darlehnskasse zur Besorgung solider Anlagewerte empfohlen.

,,' s wundert mich, daß sie nicht dabei schreiben, was das für solide Anlagewerte sind," spöttelte der Krämersfarl.' fist noch gar nicht lange her, daß die Herren Bankiers die Rassen mit den Argentiniern und Portugiesen hereingelegt haben. Und sind Tausende und Abertausende verloren ge­gangen. Wann uns einer von den Kujonen kommt, wird er gejagt, daß die Feßen fliegen."

Von den Papieren verstehen wir nir," sagte der Jöckels Heinrich. Wir haben Dich über die Kass' gefekt, und Du seist gehirzt( erfahren) genug, daß Du Dir kein Fett aufs Aug' schwäßen läßt."

Als letter Punkt der Tagesordnung stand das Dar­Lehnsgesuch des Baunternehmers zur Beratung. Der Rechner

Nach einer kurzen Bause trat man in die Besprechung der Frage ein.

" Der Beschreibung nach scheint's ein großes Gewerk zit fein," sagte der Vogelsheinrich. Daß wir aber fünfzigtausend Mark drauf geben, will mir net in den Kopf. Fünfzigtausend Mark! Da wird einem ja ganz schwimmelig. Ei du liebes Gottche! So viel hab ich mein Lebtag noch net beisamment gesehen."

Fünfzigtausend Mark," erwiderte der Kränzerskarl mit einer wegwerfenden Gebärde, das will gar nir heißen. Ich hoffe den Umsatz in einem Jahre auf eine halbe Million zu bringen."

Was der Karl da verdeutscht hat," bemerkte der Mar­golfspeter, der dem Aufsichtsrat angehörte ,,, dagegen will ich weiter nir sagen. Wann alles so fommt, wie he sich's ver­spricht, dernachert hätten wir ein' guten Schnitt gemacht. ' s kommt aber auch manchmal anders. Daß wir so viel am ein' Nagel hängen, da is mir net wohl debei."

" Ich sein überhaupt von dem Westfalen net besonders eingenommen," sagte der alte Fink von der Ruhmauer. Man spricht, das ganz' Land wär unterworrn( unterhöhlt). Und wär inwendig ein Feuer wie selbigmal in Herbstein  , wo der halbe Ort zugrund gangen is. Eines Tags tät alles zusammenstürzen."

Der Krämerskarl lachte.

,, Wer hat Dir dann den Floh ins Ohr gesetzt? Das Westfalen steht so fest wie der Vogelsberg  . Ich glaub, Du haft läuten gehört, weißt aber nicht, wo die Glocken hängen. Wenn man fünfzig Meilen in die Erd' hineinspazieren könnt, käm man überall auf Feuer. Ob da Bergwerke sind oder nicht. Der Herr, der letzt mit dem Herrn Bisping dagewesen ist, hätt Dir das auseinanderlegen können. Das Feuer in der Erd ist so weit weg, daß keiner nix davon gespürt. Und nimmt alsfort ab. Und geht emal ganz aus. Deffentwegen fann man sagen, der Grund wird jeden Tag fester."

In Laubach  ," nahm der Jöckelsheinrich das Wort, war emal so ein Makler.' 3 läuft mir im Maul erum,' s fällt mir alleweil net ein, wie er sich schrieb. Der sagt', bei den Schätz­ungen täten sie so niedrig wie möglich greifen. Das müßten fie nach Pflicht und Gewissen. Ich hab mir die Urkunde emak näher betracht! Zu riskieren haben wir nir. Ich denk so: vorweg profitieren wir anderthalb Prozent. Der Bisping kriegt das Geld, wo er will. Daß he uns nu die Vorhand läßt, das is sehr schön von dem Mann. Und daß wir ihn gleich vor dem Kopf stoßen, wo he et das Werk anfängt und so ein Geldspiel ins Ort bringt, da wären wir ja mit dem Dummbeutel geflopft."