Nnterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 228� Sonnabend den 23. November. 1912 Machdrv« titSetetU i6] Die Oberwälder. Von Alfred Bock  . Den Butternickel hatte ein Geschäft nach Storndorf   ge- fährt. Auf dem Heimwege abends hatte ihn der Schnee- stürm überfallen, er war von der Straße abgeirrt und hatte sich nicht mehr zurechtfinden können. Die Fußspuren zeigten. daß er im Kreise herumgegangen war. Dann hatte ihn Wohl die Müdigkeit bezwungen, er war zu Boden gesunken und im Schlaf erfroren. Den Kopf an einen Baum gelehnt, den der Sturm gebrochen, entdeckte ihn am anderen Morgen der Landbriefträger Heil. Viele Tränen wurden dem Verunglückten nicht nach- geweint. In der Familie war er als ein Tyrann aufge- treten, der seine Leute karniffelte und keinen Widerspruch duldete. Gewinnsüchtig und unersättlich hatte er sein Ge- wissen tanzen lassen, wie er pfiff, hatte manch armes Bäuer- lein bedrängt und geschunden. Trotz alledem hatte der Pfarrer seiner am Grabe mit Nachsicht und Milde gedacht. Den Dank dafür konnte der geistliche Herr in den Gesichtern der nächsten Leidtragenden lesen, und auch der Fernstehenden Blicke wandten sich ihm voll Vertrauen und Befriedigung zu. Nach der Beerdigung trat der Lehrer auf ein Plauder- stündchen in das Studierzimmer des Pfarrers. ..Eben," berichtete er,hat mich der Jöckelsheinrich an- Sehalten.Daß der Pfarrer kein Trcnser is," meinte er. Hab ich schon lang gewußt. Aber heut hat er Worte gehabt. ols kämen sie aus der Wand!" Das soll ein großes Lob für Sie sein, Herr Pfarrer. Und wenn ich noch etwas sagen darf: Sie taten sehr wohl daran, daß Sie auf die Empfind- lichkeit der Nickels Rücksicht genommen haben,'s ist dem Bauer fürchterlich, wenn seine häuslichen'Angelegenheiten »ind gar Verschuldungen eines seiner Familienmitglieder vor der Gemeinde erörtert werden. Anfangs der achtziger Jahre starb hier ein Landwirt namens Welker. Dem seine Rede war:Ich trag die Kirche in meiner Brust, ich brauch keinen öffentlichen Gottesdienst!" Der Pfarrer Hoffmann selig, der kein Wort vor den Mund zu nehmen pflegte, nannte den Mann in seiner Leichenpredigt geradezu einen Kirchenveräch- ter. WaS geschah? Die Familie ließ dem Welker einen pomp- haften Leichenstein setzen. Darauf kann man jetzt noch die Worte aus den Klageliedern Jeremias lesen: Meine Feinde haben mich gehetzt Wie einen Bogel ohne Ursache. Sie haben Steine auf mich geworfen. Du stehest, Herr, wie mir so ungerecht geschieht, Hilf mir zu meinem Rechtet Der Pfarrer Hoffmann hat sich natürlich sehr darüber ge- ärgert und traf die Bestimmung, wenn er hier sterben sollte, wollte er auf dem Friedhof in Lmlterbach begraben werden." Nach allem, was ich von dem Kollegen Hoffmann gehört habe," sprach der Pfarrer,hat er ohne Menschenfurcht ge- predigt und ohne Menschengesälligkeit, ehrliche Worte der Wahrheit. Das Ziel Hab ich mir auch gesteckt. Daneben hat die Ueberzeugung in mir Raum gewonnen, ich darf den Bogen nicht überspannen. Ich kenne den Boden noch zu wenig, auf den der Same fallen soll. Bis ich mich völlig in die Gemeinde eingelebt habe und in die Seelen der Men- fchen hineinleuchten kann, darüber werden noch Jahre ver- gehen. Vorab lass' ich mir's genügen, daß sie in die Kirche gehen, wenn's zusammcnläutet. Ein paar Nachdenksame sind schon darunter, die es spüren, wenn ich mich an ihr Gefühl »ind ihre Erkenntnis wende. Eines Tages, so hoff ich, werden sie eS alle wissen, daß mir die Ehre und das Gedeihen der Gemeinde am Herzen liegen." Ich bin jetzt im achten Jahre hier," sagte der Lehrer. ».Erfahrung ist alles. Wer unter den Oberwäldern etwas er- reichen will, muß Geduld auf seine Fahne schreiben. Geduld iist der Schlüssel zum Erfolg?" Der Pfarrer stand auf. Mit Ihrer Spar, und Darlehnskasse haben Sie wirk- lich einen großen Erfolg gehabt. Aber auch auf Ihrem eigen- kten Feld sehen Sie's keimen und wachsen. Vorige Woche bei der Schulprüfung ging doch alles wie am Schnürchen. Wöbe? mir einfällt: was die Kinder in ihrem Aufsatz über die Plünderung und den Brand im Dorfe im Jahre siebzehn- bundertsiebenundneunzig schrieben, hängt wohl mit Ihrem Ntenfund auf dem Rathaus zusammen?" Jawohl. Herr Pfarrer." Sie werden auch in den Kirchenprotokollbiichern man« cherlei finden, was Ihren Zwecken dient." Mit Ihrer Erlaubnis benutz ich sie gern. Ich will dem« nächst einen kleinen Vortrag halten über die kriegsgeschicht- lichen Ereignisse im Dorf während der letzten drei Iah» hunderte. Ich habe beobachtet, wenn man den Leuten etwas aus der Geschichte ihres Ortes erzählt, köcknen sich ihre Ohren nicht satt hören, und sie bringen einem Teilnahme ent« gegen und Verständnis." Die Veranstaltungen, die Sie planen, Herr Weilandt. lassen sich gewiß noch erweitern. Von der Heimatkunde geht man aus und versucht dann, auch das Interesse für anders Wissensgebiete zu wecken." Ueber die Dinge denk ich schon lange nach, Herr Pfarrer. Wenn Sie da mittun wollten, das wäre wunderschön. Es gilt freilich, einen ungebauten Acker zu pflügen. Und auch hier heißt's: Der Acker reift die Frucht nicht, sondern die Zeit." Das Gespräch ging noch eine Weile hin und her, und der Abend dämmerte bereits, als sich Weilandt empfahl. An der Hofrcite des Peter Margolf vorüberschreitcnd, spähte er nach der Marie aus. Die war nicht zu erblicken. In den letzten Wochen hatte sie das Wasser nicht mehr am Schul- born geholt. Seit sie die Werbung des Hannbast Selzer ab- schlägig beschieden, ließ sie ihr Vater nicht mehr aus den Augen. Dessenungeachtet war Weilandt hoffnungsfreudiger denn je. In wenigen Tagen kam im Landtag der Gesetz- entwurf zur Beratung, der den Volksschullehrern die ersehnt? Gehaltsaufbesserung bringen sollte. Ging alles nach Wunsch. würde er vor den Peter Margolf treten und die Marie zur Frau begehren. Ohne Ueberhebung würde er sprechen, aber mit berechtigtem Selbstvertrauen. In Gegenwart der Kom- Mission hatte der Krcisschulinspektor seine Methode und sein pädagogisches Geschick gerühmt. Und der Peter Margolf war im Schulvorstand. Er wollte gewiß sein Verdienst nicht über­treiben. Dennoch durfte er von sich sagen: er hatte auch sonst der Gemeinde seine Arbeit und Sorge gewidmet. DaS hatten ihm vorhin noch des Pfarrers Worte bestätigt:Mit Ihrer Spar- und Darlehnskasse haben Sie einen großen Er- folg gehabt." Und der Peter Margolf saß im Aufsichtsrat. Bis in den Herbst hatten die Großen und Kleinen hüben und drüben eines hölzernen Stegs wegen sich in den Haaren ge- jegen, den sie über den Bach führen wollten. Der war nun auch endlich zustande gekommen. Aber wer bürgte dafür, daß ihn das nächste Hochwasser nicht zusammenriß? Er, Weilandt, hatte ihnen einen eisernen Steg gebaut, unsichtbar und doch sichtbar, fest gegründet für alle Zeiten. Während der Wintermonate beschäftigte Bisping vier Mann am Hornerhang, darunter den kleinen Kumps, der früher in einem der Basaltbrllche an der Lumda gearbeitet hatte und sich bei der Freilegung des Gesteins besonders brauchbar erwies. Die Leute frühstückten und vesperten in einer eigens für sie gebauten Hütte. Hatten sie ihr Brot verzehrt, ließ der kleine Kumps seiner Zunge freien Lauf. Er sprach von Dumpfheit und Stumpfheit, in der die Ar- beiterschast im Vogelsberg   lebte, und daß sie die beste Hilfe bei sich selbst suchen müßte. Was hier fehlte, sei die Organi« sation. Leider seien die meisten zu träge, sozialistische Ge- danken aufzunehmen. Darum sei auch wenig Aussicht vor- handen, daß sich ihre Lage verbessere. Er habe lange genug drunten geschafft, um zu wissen, was das Volk von Freiheit und Rechten zu beanspruchen habe. Regelmäßig am Samstag erschien Herr Bisping und zahlte die Löhne aus. Danach besuchte er den Krämerskarl und erzählte, welchen Fortgang seine Angelegenheiten nahmen. Die Maschinen waren in Buckau   und Mannheim   bestellt und sollten zu Anfang März geliefert Vierden  . Auch die Feldbahn würde bis dahin betriebsfähig sein. Für die Pflastersteine waren in Berlin  , für den Klcinschlag in Frankfurt   Ab«