wart seines Blattes in glücklicher Sekunde selber formen konnte. Es fuhr ihm jählings heraus, als ein Hund einen Tisch mit Gläsern klirrend über den Haufen schmih. Von der Generation mundartlicher Lokalstückdichter, die eine Stufe älter ist als Glatzbrenner, sagt Richard M. Meyer in seiner Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts:„Realistische Naturwahrheit, volle Porträtähnlichkeit der philiströsen Modelle erreichten sie alle: Höheres erstrebten sie nicht." Aus Glahbrenner paßt diese Schlußwendung nicht; er, den Meyer zwar mit sym- pathischen Worten würdigt, aber doch auch nur einen„Epigonen der humoristischen Dialektdichtung" nennt, er wollte Höheres, und sein Idealismus ging vom Wollen rührig zur Tat über. In jener vormärzlichen Zeit hatte schon das kühne Wort den Wert der Herr- lichcn Tat, und er brauchte es nicht nur als radikaler demokratischer Politiker, den Heinrich Laube „enragiert liberal" und einen „jungen Raufbold" nannte, er brauchte es eben auch als Volks- erzieher. Einmal läßt er ein paar Bürger über die Möglichkeit und Nützlichkeit einer Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam plaudern; da zieht ein Buchdrucker gegen ein paar philiströse Zweifler vom Leder:»Ach, ihr schafsdämlichen Philister... wenn heute ein Jott von'n Himmel herunterstiege, ihr knabbertet ihn so lange mit Könnte's und Vielleicht's an, det keen Knochen von ihm übrig bliebe! Erklären das Jroße und Jöttliche in de Eisen- bahnen, das kann ich nich; wer de Eisenbahnen nich fühlt, der war ursprünglich zum Rindvieh bestimmt worden un is aus Versehen Mensch geworden!... Könnt Ihr denn umständlich auseinander- setzen, worum der Frühling so schön is, un worum ein Sternen- Himmel so nachdenkend macht, un worum der Doktor Luther ewig leben wird, un worum de Erfindung der Buchdruckerkunst so was Jöttliches, un der Bonaparte so'ne jroße Erscheinung is? Ihr dreckig denkenden Sumpfratzen Ihr, wenn Ihr nich mit den Kopp fühlen könnt, dann srägt jescheidte Leute nich, dann jeht zu Hause und anjelt, denn seid Ihr sicher, det keen Wallfisch anbeißt!" Mitten in dieser hanebüchenen Philippika das prächtige Wort: das Große und Göttliche.mit dem Kopfe fühlen! Dieser Appell an den gesunden Instinkt des Volkes! Das Wort eines unge- duldigen Draufgängers und Vorwärtsstürmers, der seine Zeit- genossen trotz der Bleikugel des Spießbürgertums, die ihnen an den Füßen hing, mitreißen wollte hinauf in die Höhen seiner idealisti- schen Gläubigkeit! Er war ein Utopist auch in Sachen des Klein- bürgertums. Meisterlich verstand Glaßbrenner sich darauf, in ein und dem- selben Atemzuge strafend mahnender Volkserzieher und zugleich scharf angreifender Politiker zu sein. In einem Ergänzungsheft zum„Bunten Berlin" vom Jahre 1841 unterhalten sich drei Nacht- Wächter, und da sagt der eine. Brusenberg:„Ach wat, ick fürchte mir nich. Meine Meu»ung kann ick dreiste aussprechen, davor Hab ick Preuße jelernt. davor bin ick'n Mensch, dazu hat mir Jott den Mund jejeben. Wenn Jott jewollt hätte, daß man des aussprechen sollte, wat manche j e r n hören, denn Hütt' er jeden Menschen uf de Zunge en Polzeikomzarius wachsen lassen. Wer sich fürcht't, wat zu sagen, wat er denkt, der doocht nischt, un wer Ursache hat, sich davor zu fürchten, det is en Schuft. So steht et!" Im Jahre vor der Märzrevolution, dem Hungerjahre 1847, fügte Glaßbrenner seinen Berliner Heften jene Sitzung des„V e r- eins der Habenichtse" ein. Da werden dem spießbürger- lichcn Angstmeier Worte über das Wesen der Politik hingewettert, die ein heiliges Glühen für die Sache des Volkes durchatmet: „Das politische Lied ist das eigentliche Lied der Menschheit: es drückt die Welt mit ihren tausend Millionen Seelen und Sternen an sein Herz, und das ist doch wahrlich mehr, als die schwarzen Locken einer Dirne in Reime zu wickeln. Was ist denn Politik so Schlimmes, daß die. Esel und die Philister solche Furcht davor haben? Nehmt der Sache einmal ihren raisinierten Titel, nennt sie ehrlich: unsere Geschichte, unsere Welt, und alle Scheu davor wird aufhören. Tretet aus Eurer Hütte einen Schritt, und Ihr seid mitten in der Politik, mitten in der Welt und ihrer Geschichte. Denn da seht Ihr Polizeü Beamte. Lehrer, da seht Ihr glänzende Karossen mit sechs stolzen Pferden vorüberjagen und da werdet Ihr um eine milde Gabe angebettelt, und da seid Ihr -mitten in dem, was Welt und Geschichte heißt, und Ihr könnt keinen Atemzug tun, ohne eine Menge Politik mit herunterzu- schlucken. Versteht Ihr nun, warum ich unsere Welt sagte? Weil wir die Politik nicht mehr als etwas Fremdartiges, Fern- liegendes, sondern als unser nächstes, größtes, heiligstes Interesse betrachten sollen; weil wir... doch genug!' Wer mich noch nicht verstanden hat, der reise nach der Tyrannei China und melde sich als guter Untertan. Dumm genug ist er dazu." Im ausrüttelnden Hungerjahr 1847 ist das geschrieben, und dem entstammen auch die Worte, die mitten in einer heiteren Plauderei über„Berlin und die Berliner " plötzlich auf- gellen: das Elend ist kein See, von diesem oder jenem Lande be- grenzt; das Elend ist ein Strom, der durch ganz Europa zieht und seine Ufer verheerend zu übertreten droht. Gefängnisse, Barri- kaden, Bajonette, Zensur, Wohltätigkeitsvereine, und wie alle die Dämme heißen mögen, welche die Furcht vor der Ueberschwemmung errichtet, werden sie schützen? Und sind wir nicht die furchtbarsten Verbrecher, wenn wir unN'bloß schützen wollen? Nur die Völker- freiheit kann die Tränen und jenen Strom des Elends trocknen." (Schluß folgt.) Huf der Brüche über die Berelina. Am 27. und 28. November stieg zum hundertsten Male die Er» innerung an jene beiden Tage auf, die auf einem der düstersten und furchtbarsten Blätter der Kri'chSgeschichte und der Menschheit: geschrieben stehen. Die Trümmer oer großen Armee retten sich aus schwanken Stegen noch einmal aus der kalten Todesumarmung des russischen Winters über die im Strudel der Eisschollen dunkel und träge wie der Unterweltsfluß hinschleichende Beresina. Wohl Hab Napoleon in den Kämpfen dieser Tage und in der Hinüberleitungi der noch geschlossenen Heeresmassen ein strategisches Meisterstück vollbracht. Aber was bedeuten die Eeistesstärke, der Heldenmut und die Aufopferung gegen die grausigen Szenen des höchsten mensch-- Uchen Elends, die sie begleiteten? In einem einzigen Gemälde dcs> Schreckens sind hier alle Qualen des tragischen Rückzuges zusammen» gedrängt, und der Menschheit ganzer Jammer faßt uns an, wenn« wir den Erzählungen, besonders der Deutschen , lauschen-� die über diesen Fluß des Todes lebend hinüberkamen. Die ersten Truppen, die die rasch geschlagenen Brücken übev» schritten, waren die noch wenig mitgmommenen Soldaten Oudinots'. In der Nacht zum 27. folgten dann andere Truppen in guter Ord-- nung, und den ganzen Tag und die folgende Nacht passierten Mann- schaften die schon durchlöcherten Brücken in ziemlich weitläufigen Rotten. Unterdessen aber waren auch von allen Seiten die zahl- reichen Versprengten des Heeres herzugeströmt und ballten sich in chaotischer Wirrnis an den wenigen Ucbergängen, so daß die noch geordneten Truppen sich mit Gewalt durch sie hindurch Lust machen mutzten. Unter diesen Nachzüglern spielten sich die furchtbarstem Szenen ab, wie sie Paul Holzhausen in seinem materialrcichen und» anschaulichen Werk„Die Deutschen in Rußland 1812"(Verlag vom Morawe u. Scheffelt, Berlin ) auf Grund von Schllderungen unseren Landsleute zusammenstellt. Die Zugänge zu den Brücken waren derart verstopft, daß sie nur mit Aufbietung aller Kräfte gereinigt! werden konnten. Wagen türmten sich über Wagen, dazwischen lag? Hausrat und Bagage aller Art in wüstem Durcheinander. An den Hauptübergangsstelle von Studicnka bedeckte diese Wagenburg, im der Verwundete stöhnten, Frauen weinten und Kinder schrieen, eino Viertelguadratmeile. Die Wartenden, die daran verzweifelten, daS andere Ufer zu erreichem, stürzten sich zum Teil in die dunklem eisigen Fluten, und mancher kam hinüber,„allein die meisten er- tranken vor unseren Augen", erzählt der bergische Leutnant v. Reck. Unter dem Menschenknäuel, der, wie von Furien des Entsetzens ge» tricbech hinüberdrängle, befand sich der Major v. Loßberg, eingekeilt: wie taufende andere in die Menge.„Man folgte so nahe wie mög- lich seinem Vordermannc, welches oft durch die vielen sich kreuzen- -den Kolonnen unmöglich gemacht wurde. Hier war hauptsächlich den Augenblick, wo nur die Kraft des Pferdes und fester Sitz im Satteü rettete. Die Menschen, welche sich zu beiden Seiten mit Sachen» behängt oder bepackt hatten, verloren solche sämtlich; ja, die Fuß- gänger behielten selbst keinen Knopf aus dem Rocke. Meinen Säbeli erhielt ich mir nur dadurch, daß ich ihn zu meiner Selbsterhaltung zog und ihn hauptsächlich dazu benutzte, die Pferde meiner Neben- und Vordermänner damit aus den Beinen zu erhalten." Nur indem, sie mit vorgehaltenen Pistolen die anderen zum Zurückweichen: zwangen, gelangten sie auf die Brücke. Ein anderer Offizier stand in dem Gedränge vor der Brücke längere Zeit auf dem Leibe einer noch lebenden Frau:„Ich fühlte die Bewegung ihres Körpers unter meinen Füßen, ich hörte ihren Schmerzensruf, und dennoch konnte ich sie erst nach einer ziemlich langen Pause von meiner Last befreien." Die Arme war unter- dessen verröchelt.„Es war nichts Seltenes, Niedergetretene sich mit den Zähnen an die über sie Hinschreitenden festklammern zw sehen, von denen sie aber gleich den ärgsten Feinden gemordet wurden." Hunderte stürzten von den geländerlosen Flanken der Brücken ins Wasser, wo sie unter den Eisschollen rasch ihr kaltes Grab fanden. Der ganze Fluß war mit Leichen gefüllt. In der Nacht zum 29. machten sich die letzten Truppen, die des Victorschen Korps, mit der Axt durch das Wagengerümpel und die Menschen- Haufen mühsam Bahn.„Wir schritten über Berge von Kadavern." berichtet der badische Feldwebel Steinmüller.„Alles, was sich» unseren Bajonettfpitzen entgegensetzte, wurde niedergestoßen." Immer noch aber hlieben Taufende am Ufer, die zu schwach unk» zu stumpf geworden waren, um überhaupt noch an Rettung zu denken. Man ließ als letztes Warnungssignal Wagen in Brand stecken.„Obgleich gewiß noch mehrere Taufend auf dem linken Ufer waren," sagt Löhberg,„so herrschte doch aus demselben Grabesstille." Als aber am Morgen des 29. die Brücken angesteckt wurden und mit ihrem düsteren Schein das höllische Schauspiel umlohten, da kam Leben in den dumpfen Haufen. Einige wollten noch durch das Feuer ans andere Ufer stürzen, andere warfen sich in die Fluten. Wie gespenstische Schatten der Unterwelt irrten sie an dem schwarzen Fluß umher oder starrten mit verglasten Augen still vor sich hin, bis die Russen sie herdenweise in die grau- samste Gefangenschaft trieben. Unter den Hinübergclangten war anfangs die Freude groß. Aber die Geretteten gingen zum größten Teil einem nicht minder furchtbaren Schicksal entgegen, als das, dem sie entflohen. In der nun einbrechenden Kälte von 39 Grad harrte ihrer das Erjrieren in Schnee und Eis...,
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29 (29.11.1912) 232
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