Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 236. Donnerstag den 5. Dezember. 1912 ftgaftttus vervorm.l 8] Hlbertine. Roman von Christian Krohg  . Und jetzt jetzt sollte es sein, als wäre nichts gewesen, jetzt sollte alles wieder gut sein, bloß weil ein alter Kerl sie für sich allein haben wollte. Anständig und verheiratet wie konnte sie anständig sein was geschehen war, war ge- schehen, und anständig konnte sie doch nie wieder werden. Dann hätte das Ganze ja keine Bedeutung dann brauchte man ja nicht so viel Aufhebens davon zu machen, wenn sie jeden beliebigen Augenblick wieder anständig werden konnte. Aber nun bloß weil sie mit dem armen Alten verheiratet war, da waren sie gleich alle wieder so gut und freundlich gegen sie. die am härtesten gegen sie gewesen waren, die waren jetzt so weich wie Butter. Allein Olsa! Was war das für eine Herzensfreundschaft! Als wenn das nie ein Ende nehmen sollte! Aber das war ja wahr, Oline lebte jetzt in guten Verhältnissen! Nein, jetzt dachte niemand mehr an sie sie waren, wenn möglich, noch freundlicher gegen sie, bloß weil sie in der Mittelgasse gewohnt hatte. Jetzt kam die Reihe an Albertine. Die sahen sie an, als wenn ihnen die Augen aus dem Kopf springen sollten, wenn sie bloß neue Stiefel an hatte oder sich ein neues Band auf den Hut gesteckt hatte. Ja, jetzt war die Reihe an ihr, und sie drehten sich nach ihr um, Olsa und alle die anderen, wenn sie nur über den'Hof ging. Mit der is es auch bald so weit!" sagten sie.Seht doch bloß, wie sie Oline ähnlich sieht!" Wenn aber Oline selbst in ihrem feinen Regenmantel, das Kind an der Hand, kam, dann war alles gut und schön. Jetzt war sie ja anständig und verheiratet, und es machte ja auch nichts, daß sie das Kind lange vor der Zeit bekam, nein, jetzt war ein Pflaster über das Ganze gelegt! Sie fand, es war ein Glück, daß Oline Erlaubnis erhielt, in die Kirche zu kommen und vor dem Altar selbst getraut zu werden. Oline, wenn man sich das dachte, die! Nein, sie verstand das Ganze nicht anständig und der- heiratet diel Sie wurde nicht anständig, und wenn sie den Pfarrer selber heiratete! Sie konnte es gar nicht werden, selbst.wenn sie es wollte, die Aermste! Die beunruhigenden Gedanken kehrten immer wieder zurück, und die Worte, die sie ausgesprochen hatte, kamen auch wieder. Und all das Häßliche und Abscheuliche, wie konnte sie das vergessen? Wenn sie sie doch nur fragen könnte! Sie konnte es sicher auch nicht mehr los werden es haftete Oline an, genau so, wie es sie selbst verfolgte. Ja, sie war anständig genug ihr war nichts mehr an- zusehen! Das Stirnhaar war zurückgestrichen, die Hüte mit den Federn hatte sie verkauft, sie hätte nur einen zurück- behalten, sagte sie, der sollte wohl auf dem Boden liegen und auf Albertine warten! Nein, ich danke ihr sollte es wohl nicht so gut ergehen! Oline ging auch nicht mehr in hohen Lackstiefeln mit spitzen Absätzen Nein, sie ging mit einem Korb am Arm und das Kind an der Hand, und anständig ge- kleidet natürlich! Mit einem feinen Regenmantel, aber nicht auffallend! Und sie ging in die Läden und überall hin, und niemand merkte es oder sah es ihr an, s i e begriff nicht, daß sie es nicht sahen, daß sie es aber nicht fühlen konnten, wenn sie neben ihr standen, daß sie es nicht riechen konnten! Hu! Es konnte doch nicht nur in den Straußen- federn und den Lackstiefeln allein stecken, es mußte doch in ihr selbst sein! Sie fand, daß sie es jedesmal merken konnte, wenn Oline dagewesen war. Ein Glück, daß die Polizei ihr nicht ein Abzeichen an- bängte. Anständig und verheiratet ja, schön! Nein, um keinen Preis der Welt würde sie den Regenmantel von ihr leihen. Die Uhr schlug jetzt jenseits der blauen Wand, drüben bei Madam Olsen, zwei heisere Schläge. Jetzt fängt die Musik im Studentenhain gleich an." Sie sah auf die Straße' hinab noch immer dasselbe Wetter. Mutter Christiansen wandte sich um. 1Nu mußt Du wohl gehen, Eduard l" Mir deucht, Eduard wird von Tag zu Tag elender," sagte Albertine, als er gegangen war. iAch ja, das find' ich auch," sagte Mutter Christiansen 'mit halbunterdrücktem Weinen in der Stimme. Sie nahm einen Lappen und wischte den Boden, da, wo er gesessen hatte, ab. Albertine faltete die fertig genähten Taschentücher vier- eckig zusammen und nahm ein neues Dutzend in Angriff. Anständig ja, ich danke! Aber sie war doch einmal anständig gewesen, Oline, und auch unschuldig! Und da­mals war sie so süß, und damals hatte sie sie auch lieb gehabt und war so stolz darauf gewesen, ihre Schwester zu sein so gut und klug und schön, wie sie war, ach ja, denn schön war sie, und das hatte sie so oft zu hören bekommen, und dann rannte sie des Abends soviel in der Karl-Johann-Straße herum. Ich? Nein, ich laufe doch nicht zuviel in der Karl- Johann-Straße, das kann doch gottlob niemand von mir sagen was sie sich sonst auch ausdenken mögen vier Wochen sitz' ich jetzt schon hier. Hu, die Dreckmaschine, immer- zu zieht sie den Faden zusammen!" Knack knack vor­sichtig zog sie das Taschentuch unter der Nadel hin und her und versuchte wieder von neuem. So jetzt ging es wieder. Bei Zwangsabholung" stand da auf dem blauen Zettel, mit dem der Polizist damals kam er hatte einen großen, roten Schnurrbart den könnt' ich morden. Gott  , wie Vater die Mutter damals verprügelte, ich glaub', er hat ihr den Rücken eingeschlagen, so daß er so wurde, wie er nu is." Sie sah auf:Es wird wohl nicht ganz so leicht sein, eine ordentliche Taille für d e n Rücken zuzuschneiden, aber ich muß mich doch wohl daran machen mit den gräßlichen Flicken kann sie doch nicht länger gehen." Oline hat Glück, sie war nich zu Hause, sonst hätt' er sie wohl gleich tot- geschlagen. Die arme Alte ja, damals macht' sie sich fein genug sie holt' das hundertjährige Umschlagetuch aus der Kommode, band es um und macht' sich so fein wie möglich. Und dann ging sie mit Oline nach der Polizeistation zu Polizeiinspektor Winther. Ja, wirklich diesmal sollt' sie noch mit einer Warnung davonkommen. Aber dann kam wieder einer, der gräßliche Kerl kaum vierzehn Tage später.Die Zwangsabholung" großer Gott, was Hab' ich nich der Polizei und dem Kerl alles an den Hals gewünscht-- dieser gräßliche, rote Schnurrbart! Ja, da band denn die Alte ihren geblümten Schal wieder um und ging mit. Nein diesmal mußt' Oline rein zum Doktor. Ja nu is mir das Ganze schnuppe," sagte Oline und mietete sich eine Stube in der Stadt. Wenn sie das doch bloß nicht getan hätt' großer Gott   das hatt' sie doch nich nötig, aber es sollt' wohl so sein. Nein und dann nachher, als sie im Krankenhaus lag und wir heim- lich hinschleichen muhten, denn er wollt' uns zu Grus und Mus schlagen, wenn wir da hingingen, sagt' er. Ach ja! Ich mag gar nich an all das denken, ich werd ganz verrückt davon ich muß an was anderes denken nu is das Taschentuch fertig so nu leg' ich es hübsch zusammen, oben auf die anderen... Ich glaub' beinah, das. wovor mir am allermeisten graut, is der Gedanke, daß sie ins Land- arbeitshaus kam. Da weinte Mutter so, daß sie gar nich wieder aufhören könnt'." Des Tags dürfen sie ja nämlich die Herren auf der Straße nich grüßen. Da traf sie den. den sie geliebt hatt' und der sie verführte. Mitten in der Karl-Johann-Straße nickt' Oline ihm zu und da, man sollt's nich glauben geht er hin und zeigt' sie an, und da kriegt sie sechs Monate Besserungshaus und dann dürft' sie nich in der Karl-Johann- Straße gehen.Ja nu is mir das Ganze schnuppe," sagte Oline, als sie wieder raus kam. und da zog sie gleich in die Mittelgasse und da nahm sie den Namen Rosalie an Oline war nu nich mehr fein genug. Nein, das is was. wovor mir noch mehr graut, wenn ich daran denke das ist, als ich sie vor der Polizeistation sah den Montag morgen ihr Lächeln als sie da rein- gehen wollt' ich sah noch ihre Hand auf der Türklinke