Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 238.

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Sonnabend. den 7. Dezember.

Nachdrud berboten.)

Albertine.

Roman von Christian Krohg  '

Tine

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1912

Stockwert eines Hauses in der Brostraße; Jossa   zog energisch am Glockenzug, so daß der hin und her baumelte. Nein, sieh doch mal, ordentlich,' ne gedruckte Visitens farte an der Tür hat sie Ja, was segst Du dazu?" Madame Oline Frederiksen- Wasch und Plättstube"

na, ich danke!

" Ja, meinetwegen fann sie sich soviel Madam nennen, wie sie will, sie ist früher ja fein genug gewesen, sollt' idj meinen; es gibt noch nich viele Madams und nich viele Fräuleins, die solche Kleider über und unter haben wie sie Rosalie Kristiansen gehabt hat!"

Die und Madam! Sie ist doch auch nicht feiner als die Du tust es nich- daß Du es mir nich tust! Du härst, was Deine Mutter sagtes ist Un- Alte. Mich wundert bloß, daß da nich Frau Oline Frede rechtach, tu' es nich liebe Tine ich glaub', die riksen steht! Aber sie nennt sich ja gar nicht Rosalie!" Ma'chen werden ganz verrückt hier, in der Stadt. Wie Sie hat das Recht, sich Madam zu rennen," ſagte fieht das aus!. Du, ein armes Mädchen wie fannst Du Sofia  , denn ihr Mann ist ja Meister und hat Gesellen in twohl so gehen?- Ja, denn fannst Du man gleich in die seiner Werkstatt." Stadt ziehen. Ach, tu' es nich, liebe Tine! Was, meinst Du, was werden Madam Olsen und Madam Hansen sagen, wenn sie das sehen? Sieh Dir doch Viktoria an!- Hat fie vielleicht Roden?" " Sch pfeif' auf Madam Olsen und Madam Hansen und die ganze Gesellschaft! Aber Du stellst Dich ja fürchterlich an, Mutter, denn will ich es Dir zu Gefallen tun und mir feine Locken brennen. Aber' ne Tournüre will ich haben!" Sie hatten lange herumgesucht, um etwas zu finden, was sich als Tournire verwenden ließ da riß Soffa Eduard den Tag" aus der Hand und knauschte ihn zu einem Ball zusammen.

Das ist wirklich die allerbeste Tournüre, die man fich denken kann!"

Mutter Kristiansen trocknete die Augen und schüttelte den Kopf.

Aber der Kleiderrod war bereits in die Höhe gehoben und der Tag" darunter festgebunden.

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Sehen Sie doch, sehen Sie doch das ist doch weiß Gott nichts zum Beinen, so'n kleines Ding!"

Nu noch ein Paket in jede Handfönnen wir nich ein paar Lappen und ein Stück Bindfaden friegen? Und nu machen wir eine Schlinge und hängen das Bäckchen über den kleinen Finger das sind Besorgungen, die wir ge­macht haben! Und dann schnell zu Oline! Adieu, Mutter Kristiansen!"

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Stell mir die Erbsen warm, Alte, wenn ich vielleicht ein bischen zu spät kommen sollt."

Und zur Tür hinaus waren sie. Eduard hustete.

Ja, nu muß id) wohl nach dem Krankenhaus gehen, sonst fomme ich zu spät zu Tische, und der Doktor is weg!" fagte er mit schwacher Stimme, indem er sich erhob. Er Hustete hohl und spie mit Anstrengung ein wenig grauen Schleim aus und ging.

Oline.

Ja, das Wetter war wirklich herrlich! Es tropfte an den Dachrinnen, es leuchtete und lachte von dem blauen Himmel, und der Sonnenschein hatte große, schneefreie Flecke an den Häuserreihen entlang geschmolzen.

Sie blieb einen Augenblick stehen und atmete tief auf. Die Luft war lan und frisch, es war, als sei fie lange frant gewesen; sie sah wieder zu den Fenstern empor. Es sah dort so dunkel und eingeschlossen aus, und die Halbgardine war Schrecklich schmußig und an vielen Stellen gestopft.

Nein, so fonnte es nicht weiter gehen.

Bur Linken ragte der Kirchtum sonnenbeschienen auf. Da Tagen schimmernde Schneeflächen mit einer blauen Wand da Hinter, und rechts hinter den häßlichen Dächern und Hänsern Jag die Stadt, das wußte sie, der feine Teil der Stadt. Der Lag da im Sonnenschein und wartete auf fie.

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So spute Dich doch, Du mußt Dich wirklich ein wenig sputen!"

Sie hüpfte hinter Jossa   drein, deren Tournüre fie um die Straßenede barschwinden sah.

Hier schlängelten sie sich unter Lachen und Laufen von der einen Seite nach der anderen, zwischen den verschiedenen Menschen hindurch, die dort gingen, einmal quer fiber die Straße hinüber, um dem ausgestreckten Arm eines Schlachter­bruschen zu entgehen, dem sie eine hastige Antwort ins Ge­ficht schleuderten, zuweilen vom Bürgersteig hinab, wieder Hinaufspringend, um sich gegenseitig nicht zu stoßen.

Atemlos standen sie dann vor einer Glastür im zweiten

Oline stand in der geöffneten Tür, ehrbar, das Haar glatt an den Schläfen herabgestrichen, dieselbe braune Farbe wie Albertinens, dieselbe Stopfform, dieselben großen, ernst­haften Augen, dieselbe Nase und die schmalen, geschwungenen Lippen, dieselben breiten, viereckigen Schultern, die hohe Brust und die großen Hände, und derselbe bleiche, feine Teint, nur ein wenig frischer, das Ganze ein wenig voller und mit anseßendem Doppelkinn.

Lächelnd und ruhig stand fie da, anständig und hübsch, froh und vernünftig und wohlhabend anzusehen. Die Kleider­ärmel waren bis über die Ellenbogen aufgestreift und ließen ein Paar echte Waschfranenarme und Hände sehen mit ver­waschener, runzeliger Haut an den Fingerspitzen.--

Es war falt in der Wohnstube, in der sie geführt wurden, und über dem frischgestrichenen Fußboden war Bapier ausgebreitet.

Es war viel feiner wie draußen bei ihnen in der Norder­Straße, gesteifte und gemusterte Gardinen vor den hohen Fenstern, feine Rede von Halbgardinen mit Stopfstellen.

Der Kronprinz und Kronprinzeß Viktoria, die über dem Sofa hingen, hatten breite, feine vergoldete Rahmen und waren, der Fliegen halber, mit Flor verhängt, die Wände waren tapeziert, feine blau gestrichene Holzverkleidung. Und dann schien die Sonne durch das hohe Fenster in das ganze Zimmer hinein.

Jossa   hatte gar feine Zeit zum Umsichsehen.

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,, Ach, das Wetter ist herrlich, Oline, und da hab' ich denn endlich Albertine mit herausgefriegt; sie hat ja fast den ganzen Winter zu Hause gesessen, sie ist ganz mager und blaß und elend geworden!"

Und weißt Du, was sie in der Stadt von ihr erzählen?" ,, Na, das kann ja schließlich einerlei sein, ich will feinen Klatsch weiter bringen, das is nich meine Art."

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Hab' ich mein Kleid nich fein rausgeputzt? Und was für eine Tournüre, Du! Denk Dir, da sind ordentliche Federn drin, was fagst Du dazu? Nein, Du, Albertine muß raus! Aber ihre Sachen sind beim Färber, ja, man nennt es Färber", aber Du weißt wohl, was für eine Art Färber das is.- Und da sagt' ich. ach, was, sagt' ich- und hier sind wir. Der König is in der Stadt, und der himmlische Priuz Karl, und Du fannst Dir ja denken, ich muß raus und mir die Beine vertreten, und im Studenten­hain spielen fie heut' und sie fenkte die Stimme stell Dir vor, was sie von ihr sagen! Sie sagen, sie is zur Kontrolle gewesen und sie hat im Krankenhaus gelegen! Albertine? jagt' ich, die Unschuld selbit? sagt' ich, sie, die nich mal berlobt gewejen is die nich einen einzigen feinen Herrn fennt die? sagt' ich Albertine glaubt ja, daß es von Valeria qusgeht, aber ich sag' nich, von wem ich es hab - ich erzähl' bloß, was die ganze Stadt sagt."

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Ja, das ist die ärgste Lüge, die ich in meinem ganzen Leben je gehört habe," sagte Oline nrd lachte und strich den einen Mermel, der herabgeglitten war, in die Höhe.

..So'n Haje wie Albertine; sie hat wohl nich mal den Mut, fich zu verheiraten die läuft ihrem Mann in der Herr, Du meines Lebens, hast Du Hochzeitsnacht weg! Dir das Haar abgeschnitten das steht Dir übrigens gut, aber Du mußt es brennen!"