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Albertine

und Mutetr Kristiansen und Eduard saßen mehr und mehr Heinz und von nicht üblem Aussehen; aber Heinz fümmerte fich nicht um fie, und man hätte glauben fönnen, daß auch er der im Schatten und im Halbdunkel. Bubenregel folge, ein tüchtiger Junge dürfe sich nicht mit Dirnen abgeben, wenn in dem Hause dem Pastorgarten gegenüber nicht Die kleine Wieb gewesen wäre. Ihre Mutter war die Frau eines Watrosen, eine Wäscherin, die ihr Kind sauberer hielt, als, leider, ihren Ruf. Deine Mutter ist auch eine Amphibie!" hatte einmal ein großer Junge dem Mädchen ins Gesicht geschrien, als eben in der Schule die Lehre von diesen Kreaturen vorgetragen war. Pfui Warum? doch, warum?" hatte entrüstet die kleine Wieb gefragt. Der Weil sie einen Mann zu Wasser und einen zu Lande hat!" Bergleich hinkte; aber der Junge hatte doch seiner bösen Lust genug getan.

Jetzt hörte man die Machine nicht mehr.- hatte aufgehört zu nähen und starrte unbeweglich vor sich hin. Sterben?-ja, wenn sie das nur könnte dann brauchte sie nicht mehr hier am Fenster zu fißen und immer und ewig den Kronprinzen und Viktoria anzusehen, immer dasselbe, es war übrigens eine hübsche Spize, die Viktoria da hatte noch vor kurzem würde sie sich eine solche Spike gewünscht haben statt der blauseidenen Schleife, an die sie so lange ge­dacht hatte.

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Sterben das mußte sonderbar sein und sonderbar, es im voraus zu wissen.

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Nein! Ob Eduard es wußte? Wie konnte er dann so ruhig dasigen und lesen, als wenn nichts los sei denn es mußte doch sonderbar sein!

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Er brauchte sich doch nur in dem Spiegel zu sehen, dann Eduard war im Grunde mußte er es doch sehen können. hübscher glich ihr jetzt mehr als früher. Sie dachte, ob sie wohl so aussehen würde, wenn sie jetzt Sterben sollte? Eduard erhob den Kopf, ihre Augen be gegneten sich. Ja, sie glaubte doch, daß er es wußte.

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Gleichwohl hielten die Pastorstöchter eine Art von Spiela fameradschaft mit dem Matrosenkinde; freilich meist nur für die Werfeltage, und wenn die Töchter des Bürgermeisters nicht bei ihnen waren; wenn sie ihre weißen Kleider mit den blauen Schärpen trugen, spielten sie lieber nicht mit der kleinen Wieb. Trafen sie diese dann etwa still und schüchtern vor der Garten­pforte stehen, oder hatte gar die jüngste gutmütige Bürgermeisters­tochter sie hereingeholt, dann sprachen sie wohl zu ihr sehr freund­lich, aber auch sehr eilig: Nicht war, kleine Wieb, Du fommit doch morgen zu uns in den Garten?" Jm Nachsommer steckten sie ihr auch wohl einen Apfel in die Tasche und sagten: Wart, wir wollen Dir noch einen suchen!" und die kleine Wieb schlich dann Er glich ihr jetzt sehr, sie glichen einander jezt mehr als mit ihren Aepfeln ganz begossen aus dem Garten auf die Gaffe. fonft- früher hatte sie mehr Aehnlichkeit mit Oline gehabt, Wenn aber Heinz darüber zufam, dann riß er sie ihr wohl wieder ach fort und warf sie zornig in den Garten zurüd, mitten zwischen die aber jetzt nicht mehr, denn sie war magerer geworden ja, jetzt konnte es auch einerlei sein, das wie alles andere. gepuzten Kinder, daß fie schreiend ins Haus stoben; und wenn Wieder mußte sie Eduard ansehen, er sah jetzt wohl dann Wieb über ihre Aepfel weinte, wischte er mit seinem Schnupf­tuch ihr die Tränen ab:" Sei ruhig, Wieb; für jeden Apfel hol ich nicht auf. Dir morgen eine ganze Tasche voll aus ihrem Garten!"" Und sie wußte wohl, er pflegte Wort zu halten.

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Ja, so würde sie auch aussehen, nur daß sie das Haar in der Mitte gescheitelt trg.,

Viele Mädchen trugen auch einen Scheitel auf der Seite, aber das mochte sie nicht leiden, wenigstens wollte sie es nicht tun. Vielleicht wurde sie daher so mager, weil sie auch im Begriff war zu sterben. Vielleicht war sie auch schwindsüchtig? ( Fortsetzung folgt.)

2]

Hans und Heinz Kirch.

Von Theodor Storm .

Als Heinz das zwölfte Jahr erreicht hatte, wurde ihm noch eine Schwester geboren, was der Vater als ein Ereignis aufnahm, Das eben nicht zu ändern sei. Heinz war zu einem wilden Jungen aufgeschossen; aber in der Rektorschule hatte er nur noch wenige über sich. Der hat Gaben!" meinte der junge Lehrer, der könnte Hier einmal die Kanzel zieren." Aber Hans Kirch lachte:" Larifari, Herr Rektor! Ums Geld ist es nicht; aber man sieht doch gleich. daß Sie hier nicht zu Hause fi.id."

Gleichwohl ging er noch an demselben Tage zu seinem Nachbarn, dem Pastor, dessen Garten sich neben seinem Grundstück bis zur Straße hinab erstreckte. Der Pastor empfing den Eintretenden etwas stramm. Herr Kirch," sagte er, bevor noch dieser das Wort zu nehmen vermochte. Ihr Junge, der Heinz, hat mir schon wieder einmal die Scheiben in meinem Stallgiebel eingeworfen!"

Hat er das," erwiderte Hans Kirch, so muß ich sie einsehen Tassen, und Heinz bekommt en Stod; denn das Spielwert ist zu

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teuer." Dann, während der andere zustimmend nidte, begann er mit

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Wieb hatte ein Madonnengesichtlein, wie der kunstliebende Schulrettor einmal gesagt hatte, ein Gefichtlein, das man nicht gut leiden sehen konnte; aber die fleine Madonna az gleichwohl gern des Pastors rote Aepfel, und Heinz stieg bei erster Gelegenheit in die Bäume und stahl sie ihr. Dann zitterte die eine Wieb; nicht weil sie den Aepfeldiebstahl für eine Sünde hielt, sondern weil die größeren Kostgänger des Pastors ihren Freund dabei mitunter überfielen und ihm den Konk zu bluten schlugen. Wenn aber nach wohlbestandenem Abenteuer Heinz ihr hinten nach der Allee ge­winkt hatte; wenn er vor ihr auf dem Boden kniete und seinen Raub in ihre Täschchen pfropfte, dann lächelte sie ihn ganz glüd­selig an, und der kräftige Knabe hob seinen Schüßling mit beiden Armen in die Luft: Wieb, Wieb, fleines Wiebchen!" rief er jubelnd; und er schwenkte sich mit ihr im Kreise, bis die roten Aepfel aus den Taschen flogen.

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Mitunter auch, bei solchem Anlaß, nahm er die fleine Madonna bei der Hand und ging mit ihr hinunter an den Hafen. War auf den Schiffen alles unter Deck, dann löste er wohl ein Boot, ließ feinen Schüßling sacht hineintreten und ruderte mit ihr um den Warder herum, weit in den Sund hinein; wurde der Raub des Bootes hinterher bemerkt und drangen nun von dem Schiffe zornige Scheltlaute über das Wasser zu ihnen herüber, dann begann er hell zu fingen, damit die kleine Wieb nur nicht erschrecken möge; hatte sie es aber doch gehört, so ruderte er nur um so lustiger und rief:" Wir wollen weit von all den schlechten Menschen fort!"- Eines Nachmittages, da Hans Kirch mit seiner Jacht von Hause war, wagten sie es sogar, drüben bei der Insel anzulegen, wo Wieb in dem großen Dorfe eine Verwandte wohnen hatte, die sie Möddersch" nannte. Es war dort eben der große Michaelis- Jahr­markt, und nachdem sie bei Möddersch eine Tasse Kaffee bekommen hatten, liefen sie zwischen die Buden und in den Menschendrang hinein, wo Heinz für sie beide mit tüchtigen Ellenbogenstößen Raum dem, was ihn hergeführt, herauszurüden: der Pastor sollte seinen Kuchenherzen gegessen und bei mancher Drehorgel stillgestanden, als zu schaffen wußte. Sie waren schon im karussell gefahren, hatten Heinz in die Privatstunden aufnehmen, die er zur Aufbefferung Wiebs blaue Augen an einem filbernen Ringlein haften blieben, der seines schmalen Ehrensoldes einigen Koitgängern und Söhnen der Honorationen zu erteilen pflegte. Als dieser sich nach einigen zwischen Ketten und Löffeln in einer Goldschmiedsbude auslag. Fragen bereit erklärte, machte Hans Kirch noch einen Versuch, das Hoffnungslos drehte sie ihr nur aus drei Kupferfechslingen be­stehendes Vermögen zwischen den Fingern; aber Heinz, der gestern Stundengeld herabzudrücken. Da aber der Pastor nicht darauf zu alle seine Kaninchen verkauft hatte, besaß nach der heutigen Ver­hören schien, so wiederholte er ihn nicht; denn Heinz sollte mehr schwendung noch acht Schillinge, und dafür und für die drei Sechs­lernen, als jetzt noch in der Rektorschule für ihn zu holen war. Am Abend dieses Tages erhielt Heinz die angelobte Strafe und linge wurde glücklich der Ring erhandelt. Nun freilich waren beider am Nachmittage des folgenden, als er zwischen den anderen Schülern Taschen leer; zum Karussell für Wieb spendierte Möddersch noch einmal einen Schilling denn soviel kostete es, da Wieb nicht wie oben in des Pastors Studierzimmer faß. von Wohlehrwürden noch vorhin in einem Stuhle fahren, sondern auf dem großen Löwen einen scharfgesalzenen Tert dazu. Kaum aber war nach glücklich reiten wollte; dann, als eben alle Lampen zwischen den schmelz­verflossener Stunde die unruhige Schar die Treppe hinab und in und goldgestickten Draperien angezündet wurden, waren für sie die den Garten hinausgestürmt, als der erlöste Mann von dorten unter Freuden aus, und auch die alte Frau trieb jetzt zur Rüdfahrt. feinem Fenster ein lautes Wehgeheul bernahm." Ich will Dich Manchmal, während Heinz mit fräftigen Schlägen seine Ruder flickern lehren!" rief eine wütende Knabenstimme. und wiederum

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erscholl das klägliche Geheul. Als aber der Pastor sein Fensterbrauchte, blickten sie noch zurück, und das Herz wurde ihnen groß. öffnete, fah er unten nur seinen fahlblonden Kostgänger, der ihm wenn sie im zunehmenden Abenddunkel den Lichtschein von den am Morgen Heinzens Missetat verraten hatte, jetzt in eifriger Be- bielen Karussell- Lampen über der Stelle des unsichtbaren Dorfes Beschweben schäftigung, mit seinem Schnupftuch ich das Blut von Mund und schweben jahen; aber Wieb hatte ihren silbernen Ring, den sie nun Nafe abzutrocknen. Daß er seiost an jenem Spielwerk mitgeholfen nicht mehr von ihrem Finger ließ. hatte, fand er freilich sich nicht veranlaßt zu verraten; aber ebenjo menig berriet er jegt, wer ihm den blutigen Denkzettel auf den Weg gegeben hatte.

Der Pastor war des Segens eines Sohnes nicht teilhaftig geworden; nur zwei Töchter besaß er, einige Jahre jünger als

Inzwischen hatte Kapitän Kirch seine Jacht verkauft. Mit einem tattlichen Schoner, der auf der heimischen Werft gebaut worden war, brachte er für fremde und mehr und mehr für eigene Rechnung Korn nach England und nahm als Nüdfracht Kohlen