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Kirch begnügte sich mit den Räumers des alten Unterbaues; die Schreibstube neben der Haustür bildete zugleich sein Wohnzimmer. Dahinter, nach dem Hofe hinaus, lag die Schlaffammer; so saß er ohne viel Treppensteigen mitten im Geschäft und konnte trotz des anrückenden Greifenalters und seines jungen Partners die Fäden noch in seinen Händen halten. Anders stand es mit der zweiten Seite seines Wesens; schon mehrmals war ein Wechsel in den Magistratspersonen eingetreten; aber Hans Kirch hatte keinen Finger darum gerührt; auch, selbst wenn er darauf angesprochen worden, Tein Für oder Wider über die neuen Wahlen aus seinem Munde gehen lassen.
Dagegen schlenderte er jebt oft, die Hände auf dem Rüden, bald am Hafen, bald in den Bürgerpart, während er sonst auf alle Spaziergänger nur mit Verachtung herabgesehen hatte. Bei anbrechender Dämmerung fonnte man ihn auch wohl draußen über der Bucht auf dem hohen Üfer fiben sehen; er blickte dann in die offene See hinaus und schien keinen der Wenigen, die vorübergingen, zu bemerker. Traf es sich, daß aus dem Abendrot ein Schiff herborbrach und mit vollen Segeln auf ihn zuzukommen schien, dann nahm er feine Mühe ab und strich mit der andern Hand fich zitternd über feinen grauen Kopf. Aber nein; es geschahen ja teine Wunder mehr; weshalb sollte denn auch Heinz auf jenem Schiffe fein? Und Hans Kirch schüttelte sich und trat fast zornig seinen Heimweg an
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gegangen sein; hatte sie doch felbft vor einem halbert Jahre ihre einzige Tochter fast mit Gewalt an einen reichen Truntenbold berheiratet, um von seinen Kapitalier in ihr Geschäft zu bringen; es hatte sie nur gereizt, ihrem Bru ter, wie fie splter meinte, für die hundert Taler auch einmal etwas auf den Stock zu tun. Und so war sie denn schon dabei, ihm wieder gute Worte zu geben, als vom Markte her ein älterer Mann zu den Geschwistern trat. Es war der Krämer von der Ede gegenüber. Kommt, Nachbar," fagte dieser, indem er Hans Adams Hand faßte, wir wollen in Ihr Zimmer gehen; das gehört nicht auf die Straße!" Fortieyung folgt.)
Zwei deutsche Humoristen.
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Seit 1876 liegt Adolf Glaßbrenner im Grabe und die bürgerliche Literaturgeschichtsschreibung sargte nur notdürftig seinen Namen ein. Aber war Glaßbrenner auch wirklich tot? Oder hatte wirklich fein Bopfträger befürchtet, daß der Geist des Verstorbenen noch immer lebendig sei? Doch! Denn die Berliner fönigliche Bibliothek hält ja noch bis zum heutigen Tage mehrere feiner Schriften als Richt verleih bar" ängstlich verschlossen. In verfleisterten Bureaufratenhirnen sputt eben noch immer der Wacht stubengeist des vormärzlichen Bolizeistaates, gegen den Adolf Glaß Der ganze Ehrgeiz des Hauses schien jedenfalls, wenn auch in brenner( A. Brennglas") unerschrocken zu Felde gezogen. anderer Form, jezt von dem Tochtermann vertreten zu werden; war also an der Zeit, fein scharfes( Bewaffen aus bem Grabe uns Herr Christian Martens hatte nicht geruht, bis die Familie unter verdienten Vergessens heraufzuholen, damit es dem sozialistischen Den Mitgliedern der Harmoniegesellschaft figurierte, von der bearbeiterproletariat in seinen gegenwärtigen wie zufünftigen fannt war, daß nur angesehenere Bürger zugelassen wurden. Der Kämpfen nüße. junge Ehemann war, wovon der Schwiegervater sich zeitig und Diefer Aufgabe hat sich nun unfer Genoffe Franz Diederich gründlich überzeugt hatte, ein treuer Arbeiter und feineswegs ein unterzogen, indem er Adolf Glaßbrenners Werte durchmusterte, um Verschwender; aber für einen feinen Mann gelten, mit den die zündenden Gedanken und geiftfunkelnden Satiren Seite an Seite Honoratioren einen vertraulichen Händedruck wechseln, etwa noch zu einem stattlichen Bande zu bereinen. Unterm Brennglas eine schwergoldene Kette auf brauner Samtweste, das mußte er da- heißt das im Verlag der Buchhandlung Borwärts erschienene Buch.„ Ein Ein neben haben. Hans Kirch zwar hatte sich anfangs gesträubt; als Brennglas ist ein nüglich Gerät in der Arbeit des Lebens ihm jedoch in einem stillen Nebenstübchen eine solide Bartie„ Sechs- höchst unbequemes Maß für mancherlei lästiges Erdenzeug, undsechzig" mit ein paar alten seebefahrenen Herren eröffnet wurde, das aus umwallten Schlupfwinkeln hervor ungestraft Raub, ging er auch mit seinen Kindern in die Harmonie. Blutfaugerei und Aergeres treiben darf Es hat
Seitdem der Bruder ihr vor einigen Jahren ein größeres DarTehen zu einem Einkauf abgeschlagen hatte, waren Wort und Gruß nur selten zwischen ihnen gewechselt worden; aber jetzt stand fie bor ihm; schon von weitem hatte sie ihm mit ihrer Krüde zugewinkt. Im ersten Antrieb hatte er sich umwenden und in sein Haus zurüdgehen wollen, aber er blieb doch. Was willst Du, Jule?" fragte er. Was veraffordieren die da auf dem Markt?" Was die veraffordieren, Hans? Ja, leihst Du mir jetzt die 100 Taler, wenn ich Dir's erzähle?"
Er wandte sich jetzt wirklich, um ins Haus zu treten. Nun, bleib nur!" rief fie." Du sollst's umsonst zu wissen Triegen; Dein Heinz ist wieder da!"
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So war die Zeit verflossen, als an einem sonnigen Vormittage zu seinem Teile Macht übers Sonnenlicht, fann dessen im September Hans Kirch vor seiner Haustür stand; mit seinem Strahlen zu dolchspizzem, heißem Bündel zusammenschließen frummen Rüden, seinem hängenden Kopfe, und wie gewöhnlich beide und mit dieser Glutpiele todfchmerzlich sengen, den Pelz brennen Hände in den Taschen. Er war eben von seinem Speicher heim- und Feuer anstiften. Eine peinliche Macht, ein Greuel allem, was gekommen; aber die Neugier hatte ihn wieder hinausgetrieben; fein Licht vertragen fann." Mit diesem Gleichnis leitet Diederich denn durch das Fenster hatte er linkshin auf dem Markte, wo sonst seine vier Drudbogen umfassende Einleitungsstudie ein. Es ist eine nur Hühner und Kinder liefen, einen großen Haufen erwachsener Gemeinde voll historischer Gerechtigkeit, gefättigt von sprachlicher Menschen, Männer und Weiber, und offenbar in lebhafter Unter- Feinheit, eine martig ertönende Fanfare, die uns hernach gleich haltung miteinander, wahrgenommen; er hielt die Hand ans Ohr, zu Glaßbrenner selbst hinüberträgt. Da lauschen wir nun um etwas zu erhorchen; aber sie standen ihm doch zu fern. Da feiner Silvesterrede", die ein Bündel Neujahrswünsche ausschüttet, löste fich ein startes, aber anscheinend hochbetagtes Frauenzimmer und seiner hohnlachenden Deditation an Apoll "; hecheln mit aus der Menge; sie mochte halb erblindet sein, denn sie fühlte mit ihm" Philister, Michel und Lataien", daß die Wolle stiebt; laffen einem Krückstock vor sich hin; gleichwohl kam sie bald rasch genug uns von ihm allerhand Fabeln, Parabeln und Geschichten aus gegen das Kirchsche Haus daher gewandert. Jule!" brummte Hans Fabelhaften Ländern" berichten und wandern an seiner Hand im Adam. Was will Jule?" Berliner Bolt" umher. Ja, hatte er nicht zuerst gezeigt wie es ist und trinft"? Hatte er es nicht gelehrt, zu juchzen und zu tanzen? Löste er nicht den goldenen humor, daß es nun nach langer Dumpfheit das Zwerchfell ror Lachen schittelte? War er nicht der Urheber, der Beflügler des eigentlichen Berliner Bolts wiges? Aber es fam der Augenblick, da das neckische Tändeln dem Ernst der Zeitwirren weichen mußte. Jetzt galt es, das Bolt auf fie hinzulenten, es politisch denten zu lehren. Der politische Satiriter steht wuchtig da und das Bolt selber wird durch ihn aufgerüttelt, befeuert, um durch seinen Mund зи murren, zu protestieren, laut anzuflagen. Ei, und wie seine ,, Guds fäftner", Schuster, Schneider, Handichuhmacher und sonstigen Typen zu politisieren verstehen! Das ist kein Kannegießern mehr, das ist Einsicht und Wollen! Selbst Rentier Buffet ristiert' ne Lippe und fogar unterm Kittel des Gendarms regt sich, was man tezerische Gedanken nennt. Nachdem wir dann Chinesisches" geloftet, eine Fahrt nach Utopien" gewagt, zurückgefebrt, allerlei Nullen, Esel und Schufte" gebüttelt und alles Drüber oder drunter" purzeln gefeben haben, stürzen wir uns in die Revolution". Den Toten oder im Friedrichshain gilt der Schwur: 8u fämpfen, wie ste für die Freiheit zu fallen wie sie. Was sind die ehedem so zahmen Gudfastenmänner jept für Revolutionäre! schon schwirren unheimliche Gespenster durch die Luft. Der Bureau frate fanauzt wieder, der Sensorstift verhungt die Preßfreiheit. Zwar sieht man noch ein Buppentheater, mit Komödianten in Burpur und Seide! Noch führt ihr fie am Strid! Kinderchen, nehmt euch in acht!" Eh gedacht, ist sie schon da, die Rrrreaktion!" Ach und nun? Wir sind wieder ganz in der alten Polizeiwirtschaft! Wir hatten früber zu wenig Polizei. Die Ereignisse im März waren eine geschichtliche Notwendigkeit: die 183 Helden im Friedrichshain mußten für die späteren Schuhmänner ihr Leben aushauchen".. Und, wie folgt, preist der Gudfästner die Ereignisschau des Jahres 1849 im Berliner Gudfasten Unter den Linden an:" Immer' ran, meine Herrichaften!( bathetisch): Hür jenießen Sie das janze weltjeichichtliche Jahr 1819 vor Einen Silbersechier mit den Portrait Seiner Majestät der Krone von Preußen Wohlfeiler is es mir nich möglich!!! Rildwärts, rückwärts Roderigo! Die Rede des deutschen Reichsnarren an das bereinigte Deutschland " öffnet das Tor zum Junterparadies".
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Der Alte zudte zusammen. Wo? Was?" stieß er hervor und fuhr mit dem Kopf nach allen Seiten. Die Speckhöferin sah mit Bergnügen, wie seine Hände in den weiten Taschen schlotterten. " Wo?" wiederholte sie und schlug den Bruder auf den krummen Rücken. Komm zu Dir, Hans! Hier ist er noch nicht; aber in Hamburg beim Schlafbas in der Johannisstraße!"
Hans Kirch stöhnte." Weibergewäsch!" murmelte er. 17 Jahre fort; der kommt nicht wieder der kommt nicht wieder." Aber die Schwester ließ ihn nicht los. Kein Weibergewäsch, Hans! Der Friße Reimers, der mit ihm in Schlafstelle liegt, hat's nach Haus geschrieben."
" Ja, Jule, der Frize Reimers hat schon mehr gelogen!" Die Schwester schlug die Arme unter ihrem vollen Busen umeinander. Bitterst Du schon wieder für Deinen Geldfact?" rief fie höhnend. Ei nun, für dreißig Reichsgulden haben sie unseren Herrn Christus verraten, so fonntest Du Dein Fleisch und Blut auch wohl um dreißig Schillinge verstoßen. Aber jetzt fannst Du ihn alle Tage wieder haben! Ratsherr freilich wird er nun wohl nicht mehr werden; Du mußt ihn schon nehmen, wie Du ihn Dir selbst gemacht hast!"
Aber die Faust des Bruders packte ihren Arm; seine Lippen hatten fich zurüdgezogen und zeigten das noch immer starte bollzählige Gebiz. Nero! Nero!" schrie er mit heiserer Stimme in die Haustür, während sogleich das Aufrichten des großen Haushundes drinnen hörbar wurde. Weib, verdammtes, soll ich Dich mit Hunden von der Tür hehen!"
Frau Jules sittliche Entrüstung mochte indessen nicht so tief
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Aber