Unterhattungsblatt des vorwärts
Nr. 247.
Freitag den 20. Dezember.
1912
tri-qdruS perboren.!
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».Dtt mußt doch den Fahnenzua um vier U?c se�en und das Volksfest heut abend mitmachen!" Ja, den Fahnenzug wollt sie sich ansehen, aber zu dem Volksfest wollt sie nicht gehen. Sie blieb noch einen Augenblick stehen, als sie sich ver- abschiedet hatten, der Schal der Alten war eigentlich doch ganz hübsch. Er tauchte immer wieder auf zwischen allen den Leuten. Jossa redete ununterbrochen und zerrte sie am Arm. Eduard sah so aus, als wenn seine Kleider Schwindsucht hätten. Die Flagge hing schlaff herunter von der faltigen Schulter, die sich gegen Mutter Kristiansens schiefen. krummen Rücken lehnte. Sie hätte doch wohl lieber mit ihnen gehen sollen. Eduard sah so gräßlich elend aus. Jetzt waren sie ver- schwunden. Jossa hatte fortwährend geredet. „Bin ich nich fein?" „Du, Jossa, wo hast Du all die feinen Sachen her?— Du hättest kein knallgrünes Seidenfutter in den Hut nehmen soll'n, das steht nicht zu Deinen gelben Stirnlocken, und die hättest Du Dir auch ein bißchen abschneiden können. Es sieht so aus, als wenn Du gar keine Augen hättest, klein sind sie ja von Natur, aber nu sind sie ganz weg. Und blaue Hand- schuhe, bist Du nich recht gescheit?— Aber wo hast Du eigcnt- lich das Geld her zu all dem Staat?" „Ich bin mit einem feinen Herrn verlobt, und der hat mich eingekleidet, und dann hat er mir noch zwanzig Kronen gegeben, dafür soll ich mich heut amüsieren? Was sagst Du dazu?— Woll'n wir auf den See fahren? Oder wozu hast Du Lust?— Wir bleiben natürlich in der Stadt und essen zu Mittag." „Was für ein feiner Herr is das, Jossa?" „Ein reicher Kaufmann: wie er heißt, darf ich nich sagen, er is gerade nich mehr so jung, aber furchtbar flott!" ».Jossa! Jossa!" Am Abend.
„Tine, darf ich Dir Herrn Kandidat Helgesen und Studiosus Smith vorstellen." sagte Jossa, ganz rot vom Tanzen. Es war am Abend auf dem Volksfest. Die Stirnlöckchen sahen ganz weiß aus gegen die dunkle. blutunterlaufene Haut mit den Schweißtropfen, die sie fort- während abtrocknete. Albertine verneigte sich, die beiden Herren machten ein steifes Kompliment und lüfteten den Hut. Helgesen fragte, ob sie mit ihm tanzen wolle.
„Ja—"
Einen Augenblick später hatten sie den Kreis durch- brachen und befanden sich mitten in der Staubwolke. Nein, wie fest und gut er sie hielt, ja er k o n n t e Polka tanzen,— und dann hatte er etwas an sich, was so fein roch, und was ihr jedesmal, wenn sie ihm nahe kam, entgegenschlug. „Ach nich so lange linksum, mir wird ganz schwindlig!" Es war furchtbar unangenehm, daß sie keine Hand- schuhe anhatte.— Ach, wie himmlisch das war!— ach, wie schön! Er tanzte so gut und sicher, so ruhig und fein: ja. er konnte tanzen, so daß man was davon hatte. So. nun würde er gewiß aushören— nein— er fing wieder an!— Au!— Ho. ho!— Das war ein tüchttger Puff!— Sie wurden aus der Reihe gedrängt.— Er verneigte sich und reichte ihr seinen Arm und führte sie weg aus dem Kreise. „Wünschen Sie Limonade oder Bier?" „Bitte Bier!" ...Ja, es wird gut kun, ein Glas Bier zu trinken! Puhl" '„Vielen Dank!" „Noch ein Glas?" „Nein, ich danke, nichk Mehr-.» Ach lä. vielleicht doch Ndch eins«.. Ihr Wohl!"
Wo nur Jossa geblieben war?— Es war ihr doch, als habe sie ihr gelbes Haar zwischen den Tanzenden gesehen. „Da kommen sie!" Jossa und Smitb bohrten sich durch die Reihen hindurch, � er hielt sie noch umschlungen, und sie hatte ihren Arm um seinen Rücken gelegt; mit der linken Hand hielt sie einen kleinen feuchten Lappen von Taschentuch, mit dem sie sich fortwährend im Gesicht herumwischte. Alle Stirnlocken waren ausgefallen, und das Haar hing ihr in langen, gelblich schwarzen Strähnen über die kleinen Augen herab, die da» hinter hervorblitzten. „Puhl Is es nich fein, Tine?— Nu will ich mit Hel- gesen tanzen, denn kannst Du mit Smith tanzen. Ach. der tanzt himmlisch, Du!— Wie sitzt meine Tnrnüre?— Trinkt Ihr Bier?— Gib mir'n Schluck ab!— Danke— Komm nu» Helgesen— nu sollst Du rnit mir tanzen, mein Jung'!— Wir haben nämlich Brüderschaft getrunken. Tine. Komm nu!" „Nein, jetzt will ich nich mehr tanzen. Wollen wir ein wenig auf dem Wall spazieren gehen, Fräulein Kristiansen?" „Ne, hör' mal einer!" rief Jossa.„Na ja, einige nennen das ja freilich spazieren gehen!— Ja. denn komm Du man, Smith, Du stellst Dich ja nich so fein an." Auf der gegenüberliegenden Seite, weit weg. hörten sie den Lärm der Tanzenden und der Musik hinter den großen Gebäuden, auf der gegenüberliegenden Seite lagen die Schiffe tief da unten mit den schwarzen Masten und Rahen die Kreuz und Quer an den dunklen Abhängen, die � den Hintergrund bildeten, mit der Laterne oben an der Mastspitze „Wollen wir uns hier hinsetzen?" Er hatte den Arm um ihre Taille geschlungen wie beim! Tanzen und saß dicht neben ihr: sie spürte wieder den feinen Geruch— saß da und sah über den Wall hinweg aus alle Schiffe, die sich im Wasser spiegelten. Es war eine geraume Zeit verstrichen, und sie hatten dä- gesessen und geplaudert. Es war. als hätten sie einander lange gekannt. Er hatte ihr erzählt, daß sie ihm aufgefallen ser, als er im Grand Hotel gesessen habe, und daß sie das schönste Mädchen in Kristiania wäre. Ja. nicht nur das. sie sei auch schöner als alle Damen zusammen, und er fragte, ob sie eine Schwester habe. „Nein, sie habe keine Schwester, nur einen Bruder, der krank sei. Und er sprach so nett und verständig mit ihr, sagte, daß sie vernünftig sein müsse, vorsichtig, daß sie es nicht machen dürfe, wie alle die andern, denen es so schlecht erging. Denn es sei sehr gefährlich und sie sei so hübsch, sie müsse sich ver- loben und sich verheiraten, es könne ihr nicht schwer werden. einen guten Mann zu bekommen, der einigermaßen gut ge- stellt sei. Sie dürfe überhaupt nicht soviel mit Jossa gehen—• denn Jossa habe keinen guten Ruf, und das schadete ihr sehr» das wisse er, sie ging zuviel mit ihr. Er legte den Arm ein wenig fester um ihre Taille. „Was is das, was so fein riecht, was Sie an sich haben?" fragte sie;„das is woll was furchtbar Feines, den Geruch Hab' ich noch nie gerochen!" Er sagte, es heiße Lau cke I-ubin. Ja, sie hatte freilich auch geglaubt, daß Jossa sehr leichtsinnig sei, aber sie glaubte nicht, daß sie etwas Schlimmes tue. Ja, sie dürfe überhaupt nicht mit Jossa zusammen gehen, denn es würde nicht mehr lange währen, bis Jossa unter Kontrolle käme, sagte er. „Nein, ist das möglich? Nein, dann wollte sie wirklich nicht mit ihr gehen. Der Dampfer glitt vorüber. „Der geht in den Fjord hinein.� „Ja, das tut er wohl." „Nein, sehen Sie doch!" Eine Rakete stieg von dem Dampfer in die dämmerhelle Nacht auf.-- eine ganze Reihe folgte dieser ersten. „Nein, ich will Ihnen etwas sagen, ich sage Ihnen dies von Jossa, weil ich wirklich ein so großes Interesse für Sie habe, Fräulein Albertine. gleich vom ersten Augenblick an. Ich dachte bei mir. es wäre doch ein Jammer, wenn diese