Anterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 251.'Sonnabend den 28. Dezember.1912xNaSdruZ versolen.)1SZElbertim.Roman von Christian Krohg.Es war spät geworden, sie war viele, viele Male in derKarl Johannstraße ans- und abgegangen, gleichsam gegenihren Willen auf den Wall gegangen und saß dort auf der-selben Bank.Ein großer Dampfer segelte in den Fjord hinein, undanabläßlich huschten die kleinen Dampfer hin und her.Der Punsch stieg ihr mehr und mehr zu Kopf.— Sierückte von einer Seite der Bank auf die andere und stampftemit den Füßen.— Er hatte sie um der andern willen imStich gelassen. Nun war es doch so gekommen, wie er ge-fürchtet hatte, sie war nicht mehr anständig, nein, das tvarsie ja nicht mehr, obwohl sie es ungern tat. Es war doch sogekommen, und da hätte er es ebenso gut sein können wie einanderer.— Wenn er doch käme, mit ihm würde sie gern nachHause gehen. Fredrik, Fredrik, mein Freund, komm zu mir,ich will Dich küssen und Dich lieb haben, drinnen in mir weintes nach Dir, und da ist immer ein leerer Platz neben mir, weil5i)u nicht da bist, Fredrik, komm!Es war ja zu spät, ja, ich war ja schon verliebt in Dich,mein Freund! So komm doch, komm, ehe es zu spät ist, ehedie andern mich ruiniert haben, so daß Du nicht mehr willst!— Du sollst mich haben, und Du brauchst mir kein Geld zugeben, und niemand braucht es zu wissen. Aber spute Dich,Fredrik, spute Dich, denn ich weiß, daß ich mit jedem Tagschlimmer und schlimmer werde!Warum hast Du mich damals nicht genommen?Und ich bin Dir treulos gewesen, mein Freund, aber daserzähle ich Dir nicht— ja, einmal, wenn Du meiner über-drüssig geworden bist und von mir gehen willst.Fredriksborg.Es war am Nachmittag.„Wer doch eine Zigarette hätte!" murmelte Alftertin? vorsich hin. Sie saß am Fenster in der Norderstraße 7, wohin siewieder gezogen war. Sie hatte gefunden, daß ihre Mutterso allein war, und nun war auch der Vater wieder nach demEismeer gefahren, aber freilich hatte sie da ihr seidenes Fichuund den"seidenen Sonnenschirm und den Hut aufs Leihamtwandern lasten müssen, um Branntwein und andere Aussteuerfür ihn zu kaufen, sonst hatte er nicht reisen wollen. So saßsie hier denn nun wieder fest, so wie ehedem, und war seitvierzehn Tagen nicht aus der Tür gewesen.Es hatte angefangen, des Nachmittags wieder ein wenigdunkler zu werden, und es war auch kälter geworden.Es war an einem Sonntag im August, Ende August—an einem Nachmittag. Albertins faß da, schwarzgekleidet,zurückgelehnt in dem knarrenden Korbstuhl am Fenster, unddurch die Scheiben siel ein warmer Abendschimmer, der dieHalbgardine rötlich färbte und ein grasgrünes, schimmern-des Viereck auf die blaue Wand warf.Ein anderer, leuchtender, viereckiger Sonnenklecks lagflach ausgestreckt unten am Fußboden, durch eine schimmernde,wogende, schräge Staubkolonne mit drcm andern Fenster verbunden, und die alte, muffige Stube war ganz eingehüllt ineinen warmen, weichen Sonnenschimmer. An Eduards Platzam Ofen faß noch eine schwarzgekleidete Gestalt, das warMutter Kristiansen, die alten, welken Hände in dem schwarzenSchoß.Lange hatten sie so gesessen, ohne zusammen zu sprechen,gleich seit dem Mittagessen, als die Sonne weiß und kräftiggerade hineinfiel, nur hin und wieder einmal ein Knarrenmit dem 5korbsiuhl, wenn Atbertine sich bewegte.Und die Sonne sank, und es war ein wenig dunkler ge-worden, und der Schimmer da drinnen wurde immer goldiger,immer rötlicher.„Eiue Zigarette l Ach, wer doch eine hätte!"Sie hatte, da wo sie saß. ein abscheuliches Gefühl, alswenn die Welt und das Leben ihr zwischen den Fingernzerrönnen. Weil sie es nicht akkurat so kriegen konnte, wiesie es haben wollte, war doch kein Sinn darin, nicht das Vcr-gnügen mitzunehmen, das sich ihr bot.Ein Glas Champagner und eine Zigarette— Duke vkDnrharn!"Und sie lehnte sich zurück imd blies gleichsam den langen,blauen Rauch hmaus...Puh!"„Ja, sie mußte das haben, und zwar mußte es noch beutesein, jetzt gleich!— Es war übrigens sonderbar, sie hatte sichbisher nie etwas aus Champagner oder aus Zigaretten ge-macht, aber nun auf einmal, als ihr einfiel, wie das schmeckte,und mm mußte sie es haben, und zwar heute noch. Sie konntesich ja Olinens Hut leihen.„Puh— uh!"Sie balanzierte den Stuhl nach hintüber und sah an sichherab: der hohe, üppige Busen war noch nie so schwer wogendgewesen unter der strammen Trikottaille, und sie war einwenig gewachsen und war etwas schlanker und länger in derTaille geworden und fühlte sich auf einmal jung und lebend.Ja, jetzt mußte sie wieder ein wenig hinaus und Cham-pagner trinken und Zigaretten rauchen. Früher hatte siekeinen Gefallen daran gefunden, denn es war so teuer, unddie Herren hatten am Ende nicht die Mittel dazu. Ach was,gerade darum war es ihnen gesund, diesen Schafsköpfen, dieso dumm aussahen, wenn sie nicht umhin konnten, sie amnächsten Tage in der Karl Johannfiraße zu grüßen. Die-selben, die am Abend vorher vor ihr auf der Erde gekrochenhatten, um einen einzigen Kuß zu erlangen, während sie mitden Füßen nach ihnen stieß und den Champagner ttank, denzu bezahlen, ihre Mittel ihnen nicht erlaubten, und sie dasitzen und sich erzählen ließ, daß sie das schönste Weib sei, dassie kannten, und daß sie eine Eiskönigin sei und Fischblut inden Adern habe, und daß sie kein Herz habe. Nein, das warauch gewiß wahr, sie hatte kein Herz.— Aber jetzt erst sahsie ein, daß es schneidig sein könne, sich von einem von ihnenschöne Kleider und Handschuhe in Unmassen schenken zu lasten.so daß sie ganz flott würde, und dann einen andern zunehmen, denn man war doch nicht umsonst schön! Kein Herz,nein, von der Ware hatte sie wohl nicht allzuviel.Sie stand auf und trat vor einen alten Spiegel zwischenden Fenstern, hob die Arme in die Höhe, lehnte sich einwenig hinten über und drehte sich rund herum.„Eine schöne Figur trab ich auch, viel schöner als früher.Findest Du nicht auch. Alte?"Es war später, die Sonne war sgnz untergegangen—ein herrlicher, duftgesättigter Sommerabend, gerade an derGrenze des Septemberklaren und Gelben. Alle Gärten ansder Ladegaards-Jnsel zu beiden Seiten der Langviksbuchtstanden voller Rosen, und da war ein schwerer Reichtum vonVegetation den Bcrgabhcmg hinauf, und aus all dem Grünwuchs der hölzerne Turm von Frederiksborg mit seinenSchießscheiben auf, während Tanzmusik und laute Stimmenin den lauen Abend hinausschallten.In hellen, grellbunten Sommerkleidern stolzierten Jossaund Valeria zwischen allen den andern geschmückten undbrausenden Mädchen ans ihren hoben Absätzen daher; aberauf einmal kniff Valeria Jossa hart in den Arm und zeigtenach oben.„Ne, nu Hab ich es mit meinen eigenen Augen gesehen!"„Ja, und früher war sie so aufgeblasen und wolltenirgends hingehen und schimpfte mit uns benim, weil wirausgingen, und nu kommt sie hierher nach Fredriksborg!— Na, ich danke!"„Atbertine geht nie da hinein." flüsterte Jossa leise,„siegeht bloß vorbei, da kannst Du Gift ans nehmen, sie gehtbloß spazieren."„Ja, daS werden wir nu ja bald sehen? Sie hat keineHandschuhe an!"„Ne, und der schöne Sonnenschirm is auch weg!"„Sie sieht gut ans. famose Figur?" sagte Jossa/„Ach, ich sind, sie hat schon abgetakelt."„Ob sie wohl nich mehr gir! Ficund mit Winther is?Ich glaub nick, ja, sie sieht wirklich gut ans; aber sie is zuaufgeblasen."„Na, was Hab ich gesagt?" Valeria versetzte Jossa«neuPuff in die Seite, während sie sich unsicher daS oberste Endedes Hügels aus ihren hohen Absätzen hinaufarbeitete.