Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 252.
19]
Albertine.
Dienstag, den 31. Dezember.
( Schluß.)
Sie nahm langsam und widerwillig den Deckel von der Maschine, zog die Schublade heraus, nahm die Delkanne und fing an, damit hier und da Del in die Maschine zu tropfen. Sie stellte die Delfanne hin und suchte nach ein paar Spulen in der Schublade, aber sie ließ sie liegen, und lehnte sich in den Stuhl zurück und sah gerade vor sich hin.
Der Regen fing an, ein wenig dichter zu werden, ein richtiger Plagregen.
Es goß, und es war wirklich nicht leicht, durch die Fensterscheiben zu sehen: aber war da nicht einer, der quer über die Straße kam und nach der Nummer sah? Herr Du meines Lebens!"
Er ging hinein, er hatte doch wohl keinen roten Schnurrbart?
Er ging vorüber, durch den Torweg auf den Hof. ,, Ach, die Polizei, nichts weiter; in alten Zeiten, da hatt' ich Angst vor der Polizei."
Sie fuhr in die Höhe, zwei harte Schläge pochten an die Tür, sie tat sich auf der Schußmann!
-
So, find Sie da? Sie suche ich," sagte er. Mich? Was wollen Sie von mir?"
Sie hielt die Zigarette in der hohlen Hand, damit er fie nicht sehen sollte.
Ich erkundigte mich erst auf dem Hofe nach Ihnen und glaubte, Sie wohnten da," sagte er noch so freundlich. „ Nach mir? Aber was wollen Sie denn von mir?" fragte sie.
,, Vorladung!"
1912
Endlich war sie auf den Youngmarkt gekommen, dork herrschte lebhafter Verkehr, und sie sah den großen Bogen über der Treppe da oben, die sie hinaufgehen mußte.
Es fehlten nur noch fünf Minuten; ihr schauderte, und fie ging den Hügel hinan.
Niemand sah sie an, mutig ging sie quer über die Straße, blieb unten an der Treppe stehen, als besinne sie sich, oder als warte sie auf jemand, dann wandte sie sich um und schritt flott die breiten Granitstufen unter der Bogenwölbung hinan. " Ich wünsche mit Polizeiinspektor Winther zu reden," sagte sie zu dem Schußmann an der Tür.
Es war, als wenn die große Vorhalle mit dem schwarzen, steinernen Fußboden und dem feuchten, kalten Geruch sich ihr bedrückend auf die Brust legten. Durch eine halbgeöffnete Tür sah sie einige Polizeisergeanten, mit breiten, goldenen Schnüren an der Uniform, sißen, und lachen und plaudern und rauchen.
,, Gefälligst da!" sagte der Echußmann und zeigte auf einen langen, dunklen Gang.
Endlich wurde sie vorgelassen. Sie sah seinen schwarzen, kurzgeschorenen Kopf hinter einer gefängnisgelben Schranke über ein Protokoll gebeugt.
ging.
,, Albertine Kristiansen!" meldete der Schußmann und
Winther sah sie flüchtig von der Seite an, erhob sich und ging auf und nieder, die Hände in der Tasche.
,, Albertine Kristiansen," sagte er, wovon leben Sie eigentlich? Wohnen Sie bei Ihren Eltern, wie? Ja, es ist nach allem, was ich höre, wohl nur so hin und wieder, daß Sie- Sie, Albertine, Sie sind auf einer gefährlichen Bahn. Es liegen mehrere Meldungen vor, ich sage nicht, von wem sie sind. Sie stammen von Ihren Freundinnen, sie haben schlechte Freundinnen, Albertine... Ein junger Sohn des Hauses ist mehrere Nächte weggewesen, und er ist mit Ihnen zusammen gewesen, es wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als Sie vom Arzt untersuchen zu lassen. Nun, warum antworten Sie denn nicht? Man pflegt doch auf alle Fälle zu bitten, daß man verschont wird und Besserung zu geloben, in dem Falle könnte ich die Sache ja in Erwägung Sie nahm ihn mit der linken Hand, in der rechten hielt ziehen. Sie sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf fie die Zigarette, die anfing, sie zu verbrennen. einem sehr gefährlichen Wege. Warum antworten Sie nicht? Er ging, alle Kindergesichter erschienen in der Türöff- Sie lachen?- Sie werden bald was zu lachen bekommen. nung. Dann waren sie weg.
Vorladung? Für mich? Das muß ein Irrtum sein!" Sie war leichenblaß, die Augenbrauen hatte sie im Born gerunzelt.
,, Ach nein, ich irre mich nicht Albertine Kristiansen. Bitte schön, morgen früh um zehn!"
Er reichte ihr einen blauen Zettel.
Sie zog die Tür heran und verschloß sie, ließ die erloschene Bigarette an die Erde fallen und las unter dem Polizeisiegel: ,, Polizeiamt Christiania;
Sie werden hierdurch von dem Polizeiamt der Stadt Christiania geladen, sich am Mittwoch, den 31. August, um zehn Uhr vormittags auf der Hauptstation in der Müllerstraße bei dem Polizeiinspektor einzufinden.
Gez. Winther.
NB. Diese Vorladung ist mitzubringen. Auf der Polizeistation.
Es war am nächsten Morgen, die Uhr bei Olsens hatte neun geschlagen.
Albertine stand da und flocht ihr Haar. Wenn sie an die Polizeistation fam, wollte sie die Haupttreppe hinaufgehen, nicht durch die Glastür.
Sollte sie es der Alten sagen und sie bereden, mitzugehen? Nein. Sie kam wohl mit einer Verwarnung davon, und dann war es ja einerlei. Sie hatte gesagt, der Schußmann habe sich nach Jossas Adresse erkundigt, denn Olsens hatten natürlich der Alten sofort erzählt, daß er da gewesen war. Ob die Alte das glaubte, wußte sie ja nicht, aber sie hatte gar keine Lust, darüber zu reden.
In der Lakkestraße standen mehrere Frauen und Mädchen in einem Torweg und lachten und schwaßten.
Guten Tag, Albertine!" riefen sie ihr zu. Sie nichte zurück und eilte in die Brückenstraße.
Die Straßenbahnen gingen wie sonst, gelb und rafselnd, und glänzten und spiegelten sich da unten in der Sonne.
Sie war an die Straßenede gekommen, die Uhr ant der Erlöserkirche zeigte zehn Minuten vor zehn. Sollte fie durch die Youngstraße gehen? Nein, dann kam sie gerade an die Glastür, und- nein, sie wollte lieber durch die Plönerstraße gehen.
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Ich denke, es wird das beste sein, wenn Sie zu dem Arzt hineinkommen. Wie denken Sie darüber?"
Sie war bleich und lachte. Sie hörte wohl, daß er vom Arzt redete, aber wollte er so tun, als habe er sie noch nie gesehen- er?
Sie biß sich auf die Lippe.
Ich hatte mir gedacht, ich wollte Sie durch diese Tür Tassen," er zeigte auf eine Tür zur Linken. Dann hätte Sie niemand gesehen."
Sie lachte laut.
,, Seit wann fießen wir uns, Emil?" " Frederiksen!"
Der Schußmann kam herein. Führen Sie sie zum Arzt!" Albertine lachte.
,, Du, Emil, Du hast ein Nachthemd und ein Paar Bantoffeln bei mir vergessen, willst Du nicht kommen und Dir Deine Sachen abholen?"
,, Nehmen Sie sich in acht, Sie!" sagte er falt.., Wenn Sie noch lange fortfahren, auf die Weise zu reden, so ergeht es Ihnen noch schlimmer."
Landarbeitshaus, vielleicht?" sagte sie und lachte. Winther winkte dem Schußmann, er packte sie fest beim Arm und führte sie hinaus.
Da auf einmal verstand sie es erst.
,, Der Doktor! Nein, nein, nein!" flüsterte sie dem Schußmann zu, ich will nicht, ich will nicht, lassen Sie mich gehen, ich will auch anständig sein, ich will nie mehr ausgehen, ach, lassen Sie mich gehen. Lassen Sie mich, bitte, noch einmal mit dem Polizeiinspektor reden!"
Kommen Sie!" sagte er.
Es duftete stark nach Moschus in dem Raum, in den er sie führte, es rauschte von Seide und von gesteiften Unter röcken. Links war eine Tür, durch die Eine mit einem