gezwungen ist, die Zeit zu fälschen, seine Uhren zu verrücken und sich bewußt über die Sekunde zu täuschen, nur damit er die Fiktion einer gleich und ewig abrollenden Zeil aufrechterhalten kann. Wer das nicht glaubt» erinnere sich nur an das Schaltjahr. Was bedeutet diese Korrektur, dieses Einschieben eines ganzen Tages alle vier Jahre anderes, als iwttz unsere Zeitrechnung falsch ist und deswegen von Zeit zu Z- t berichtigt werden muß, damit nicht zu lächerliche Irrtümer zwischen«der Jahreszeit und'dem Ka- lender klaffen. Ein Jahr, oder astronomisch gesprochen, die Dauer eines Erdumlaufes um die Sonne ist 36S Tage 5 Stunden 48 Mi­nuten 48 Sekunden lang. UnsereSilvestersreude" wäre also jedes Jahr erst um fast sechs Stunden später berechtigt als im vorigen Jahr, um 6 Uhr morgens oder am Mittag des ersten Januar, einen Tag, eine Woche später. Ganz korrekt gedacht: im Rollen der Jahrtausende gibt eS unter allen 365 Tagen keinen, der nicht irgendwann einmal der astronomische Neujahrstag mit demselben Rechte ist, mit dem wir den t. Januar feiern zu können glauben. Und dennoch zeigen unsere ganzjährig gehenden astronomischen Uhren uns nichts von diesem Irrtum. Genau um Mitternacht des 31. Dezember zeigen sie auch Mitternacht I Wie geht das zu? Einfach so, daß wir ihren Gang fälschen. Wir wissen sehr gut, daß der Stcrnentag kürzer ist als ein Sonnentag, teilen aber unser Leben dennoch nicht nach dem kosmischen Gesetz ein, sondern halten uns an die Sonne und richten nach ihr unsere Uhren bei der Kontrolle, deren auch die beste Uhr bedarf, um gleichmäßige Zeit- abschnitte anzuzeigen. Alle Uhren eines Landes richten sich nach dessen Sternwarte. und die öffentlichen unter ihnen erhalten von dieser telegraphisch. an manchen Orten auch durch einen Schuß oder einen Zeitball die genaue Mittagszeit angegeben. Tie Sternwarte aber richtet sich nach der großen Himmelsuhr der Sterne, als der einzigen, die richtig geht. Wir haben kein anderes Mittel, um die Zeit zu messen, als die Gesetzmäßigkeit, dje«sich in der Bewegung der Gestirne ausspricht. Ein Stern, der im Laufe einer Nacht über den Himmel wandelt, ist dem Astronomen ein Uhrzeiger an dem Ziffernblatt des Firmaments. Um die Zeit ablesen zu können, hnt der Sternforscher sich freilich erst eine gedachte Hilfslinie, den Meridian, schaffen müssen, der die Nordsüdlinie festlegt. Die Zeit, die ein Stern braucht, um im Verhältnis zu dieser Linie auf denselben Punkt zurückzukehren, auf dem er war, nennt man einen Sterntag, und dieser ist das einzige sich gleichbleibende Intervall auf Erden. An ihm kontrol- liert die Sternwarte den Gang der Uhr und nach ihm korrigiert sie deren Fehler. Trotzdem aber richtet sich das bürgerliche Leben nicht nach ihm, sondern nach dem Sonnentag, und daraus entsteht die Differenz zwischen dem wirklichen und dem bürgerlichen Jahr, die mir alle vier Jahre durch das Einsetzen eines Schalttages auszu- gleichen trachten. Dabei begeht man freilich, weil die Differenz in diesem Zeitraum noch kein ganzer Tag ist, wieder einen Fehler. Dieser Fehler wird dadurch korrigiert, daß man alle 400 Jahre drei Schalttage wegläßt, auch im Jahre 1582 einfach 10 Tage aus dem Kalender strich. Natürlich fragt man sich bei dieser Sachlage sofort, warum man sich dann lieber nicht allein nur an den Sonnentag hält? Weil dieser nicht jeden Tag gleich lang ist. Die Erdbahn um die Sonne ist kein Kreis, sondern eine Ellipse; daher braucht die Erde bald längere,«bald kürzere Zeit, um einenTag" hervorzubringen. Der Sonnentag ist am 11. Februar um 14,5 Minuten,-am 26. Juli um 6 Minuten, am 14. Mai um 4 Minuten kürzer als diese Frist. Gleich ist nur der Sternen tag, weshalb sich alle Rechnung und alle Uhren nur nach ihm richten können. DieUnzuverlässigkeit" der Sonnenuhr bringt uns aber wieder in eine merkwürdige Lage. Wir müssen nun die Tageslänge fäl- schen, indem wir sie willkürlich jeden Tag auf genau 86 400 Sekun- den(gleich 24 mal 60 mal 60 Intervalle) festsetzen. Es entsteht zwischen dieser vom bürgerlichen Leben gefordertenm i t t l e r e n Zeit" und der wissenschaftlich zu Sternbercchnungen allein brauch- barenastronomischen Z ei t" ein Unterschied, den der Astro- nom mühsam in Tabellen berechnet und bei allen seinen Arbeiten in Betracht ziehen muß, will er nicht in die gröbsten Irrtümer und in heillose Verwirrung geraten. Dies«Z e i t g le i ch u n g" findet man denn daher auch in allen besseren, unbedingt in jedem astro- nomischcn Kalender angegeben. Es ist also eine fromme Täuschung, genau nach der Sekunde des Jahresanfanges»HU spähen, und kein Fest als der Jahreswende bat mehr Anspruch darauf, nur als ein Bedürfnis des täglichen Handels und Wandels betrachtet zu werden, für das in den Ewig- keitswcrten des Weltalls aber auch gar keine Stütze sich findet. kleines feuilleton. Literarisches. Gesamtausgaben. Unsere Verleger haben eingesehen, daß man billige Ausgaben der erfolgreichen Schriftsteller veranstalten muß, um damit in breite Kreise zu dringen. Zuerst und solange es geht, wird die Literatur zu hohen Preisen getrieben; dann, wenn man neue Schichten dafür zu gewinnen sucht, macht man billigere Kerantw. Redakteur: Alfred Wielcpp, Neukölln.==- Druck u. Verlag: Ausgaben und schließlich wendet man sich gar mit volkstümlichen Preiien an die breite Masse. Dieses Prinzip hat unter unseren Literaturverlegern am konseguentesten S. Fischer durchgeführt. Den preiswerten Gesamtausgaben Ibsens , Björnsons, Schnitzlers hat er unmittelbar nach G. Hauptmanns fünfzigstem Geburtstag Hauptmanns gesammelte Werke in einer so- genannten Volksausgabe folgen lassen. Sie umfaßt alles, was Hauptmann geschrieben: 22 Dramen in chronologischer Folge, die zwei Novellen, die beiden Romane(Emanuel Quint und Atlantis) und den griechischen Frühling. Die sechs ordentlich gedruckten, in gelbes Leinen gebundenen Bände kosten 20 M. Es ist sicher eine buchhändlerische Tat, die Werke eines Lebenden zu einem solchen Preis herauszugeben; und gewiß werden unsere Bibliotheken die Ge- legenheit benutzen. Kosten doch ein halb Dutzend Einzelausgaben von Hauptmanns Dramen soviel lvie das gesamte Werk. Und selbst wenn man den größten Teil der späteren Hauptmann-Dramen ohne weiteres preisgeben und seinen jüngsten Roman Atlantis in die bloße Unterhaltungsliteratur(mit der Sensation eines Schiffsunter- gangs) rechnen will, bleibt doch genug des dauernd Wertvollen. Sicher ist Hauptmann nicht der proletarische Dichter geworden, auf den mancher irrtümlicherweise nach den Sturm- und Drangwcrken seiner ersten Zeit gehofft hatte...Vor Sonnenaufgang " undDie Weber " sind ohne Nachfolge und Steigerung geblieben. Auch als der Erfüller der naturalistischen Bewegung hat sich der Dichter des Mitleids nicht erwiesen. Das zeigen schon die Stilwandlungen und die Flucht in die Vergangenheit, in der er immer wieder Anlehnung gesucht hat. Der unvergleichliche Beobachter, der eminente Ziseleur des Alltags hat dieser wirren, zerrissenen, ganz atomisierten bürger- lichen Welt kein fester Gestalter, vorausschreitender Weltanschauungs- dichter werden können, wie sie eine Klasse eben nur in ihrem Auf- stieg hervorbringt. Theodor Storms Werke werden 1019 frei. Glücklicher- weise hat der Verleger der Gesamtausgabe(George Westermann in Braunschweig ) schon jetzt diese Schätze deutscher Erzählerkunst und Lyrik einem größeren Kreise von Volksgenossen erschlossen, indem er eine neue, alles umfassende Ausgabe von fünf grauen Leinenbänden zu dem verhältnismäßig geringen Preise von 15 M. veranstaltete. Die Anordnung ist dieselbe wie in den früheren Ausgaben, eine rein chronologische hätten toir vorgezogen, obwohl ja Storm ein Meister seines Faches von Anfang ist und der Uebergang von der romantischen zur realistischen Novelle wohl die allgemeine Richtungslinie andeutet, aber im einzelnen nicht konsequent verläuft. Unsere Leser haben jetzt eben an einer der besten Erzählungen Storms erproben können, welch ein Meister der Form und des Gehalts da am Werke ist. Storms Welt ist scheinbar eng und klein. Aber wie weiß er ihr das Tiefmenschliche abzugewinnen. Wie kühn packt er die Probleme an, z. B. in der NovelleEin Bekenntnis" (ein Arzt hilft seiner krebskranken Frau zum Tode und entdeckt nachher, daß Rettung möglich war) oder in dem sozial empfundenen Doppelgänger". Die Kunst des Erzählens handhabt Storm wie selten ein Deutscher. Keine breite Malerei und doch die intimste Stimmung(meist verhaltene, tragische), die Gestalten voll Kontur und die Begebenheit balladenhaft gedrängt. Der Erzähler Storm (von dem Lyriker soll gar nicht erst die Rede sein: er ist der feinsten einer) gehört in jede unserer Bibliotheken. Astronomisches. Ist der Weltraum leer? Professor Pickering, der Leiter der Harvardsternwarte, der eine erstaunliche Fruchtbarkeit an ideen- reichen Untersuchungen und Veröffentlichungen beweist, hat jetzt vor der Britischen Astronomischen Gefellschaft wieder eine merkwürdige Arbeit erörtert. Er beschäftigt sich darin mit der an sich schon alten Frage, ob der Weltraum, wie er sich zwischen den Himmels- körpcrn ausdehnt, leer ist oder nicht. Er neigt zu der Annahme der zweiten Möglichkeit, und zwar stellt er sich diesen Raum mit einem Gas erfüllt vor, das eine besondere Fähigkeit besitzt, das Licht zu verschlucken. Dies Gas soll aber nicht dasselbe sein wie der sogenannte Aether, den schon frühere Theorien als Ausfüllung des Weltraums bezeichnet haben, um die Fort« Pflanzung der Schwingungen der Wärme, des Lichts und anderer Energieformen von einem Weltkörper zum anderen zu erklären. Professor Pickering meint insbesondere, daß solche Gase ständig von der Sonne und anderen Sternen in den Weltraum hinausgeschleudert werden und dort an den Bewegungen des Aethers selbst, dessen Vorhandensein auch Pickering nicht leugnen will, teilnehmen. Die Kometen, die ohne Zweifel aus überaus feinen Stoffen zusammen» gesetzt sind, wären diejenigen Körper des Weltalls, die diesen Gasen am nächsten stehen und auch am ehesten durch eine Reibung mit ihnen aufgehalten werden müßten. Ein solcheswiderstehendes Medium", das die Bewegung von Himmelskörpern zu hemmen geeignet wäre, ist auch schon von anderen Forschern vermutet worden. Pickering hat nun die Unter« suchung in Angriff genommen, an der Bahn des Kometen das tat- sächliche Vorhandensein dieser geahnten Ausfüllung des Weltalls nachzuweisen, und er glaubt versichern zu dürfen, daß ihm dies schwierige Unternehmen gelungen sei. Andere Astronomen haben an seine Berechnungen und Folgerungen noch manche Bedenken ge- knüpft, aber sie geben zu, daß die Arbeiten von Professor Pickering die Wahrscheinlichkeit des Schlusses auf eine derartige Erfüllung des Weltraum? vermehrt haben._. VorwärtsBuchdruckere« u.Vertagsanstalt Paul EmgerörEo., Berlin