Straße ein heiteres, lebensfreudiges Aussehen, dem die spizzen alten Giebel mit ihren Türchen und Luken, die Steinbänke vor dem Hause, die tiefgelegenen Fensterstöcke der Erdge chosse und eingemauerten Heiligenbilder noch einen Stich ins Kleinbürgerliche verliehen. Vor einem dieser Häuschen hielt der Wagen. Aus den Fenstern ringsum streckten sich neugierige Gesichter. Eine Anzahl Kinder sahen zu, wie die Strafferleute ihr Zeugl abluden und in das obere Stockwerk schafften. Koftete manchen Schnaufer, bis das lehte die enge kurze Treppe hinauf gezwängt war. Dann gab der Sohn den beiden Alten die Hand und mit einem kräftigen Bfüat Gott " schied er.
35
Es liegt Kern im Abschiednehmen der Menschen jener Gegend. Selbst für lange Zeit scheiden sie mit einfachem Handschlag und furzem Gruß. Tränen gelten beim Abschiede den Männern als Schande und auch die Frauen üben darin Zurückhaltung. Nur bei. einer Leiche leisten sich die Weiber einen Ueberfluß an solchen. Zwischen Eltern und Kindern werden von fleinauf wenig Zärtlich feiten ausgetauscht. Zärtlichkeiten unter jung Verheirateten sind spärlich, vor andern ganz ausgeschlossen. Selbst der Verkehr unter Liebenden ist ein viel rauherer wie anderswo. Und trotzdem haben fich diese Bauern gerade so lieb, halten ebensogut zusammen, wie die in Abschiedstränen und Küssen schwimmenden Großstädter. Das große Sehnen der begüterten Bauern jener Gegend ist es, einmal am Lebensabend statt in ihrem Dorf im Austragstüberl zu leben, in die Stadt ziehen und dort in einfacher Behaglichkeit privatisieren zu können. Und eine Dreiherrenleiche am Lebensend. So eine fchöne Leich' mit Musik, Leichenfängern und drei Geistlichen. Wenn so ein Bäuerlein sechzig alt ist und die Zinjen seines verkauften oder an die Jungen abgegebenen Hofes erlauben ihm das einigermaßen, dann mietet er sich im Städtchen eine kleine Wohnung. Stube, Kammer und Küche genügt ihm für sich und seine Frau. Zwei Betten in der Stube, eines in der Kammer für kommende Besuche. Und Betten sind das! Nirgends kann man ihresgleichen treffen. So auch bei den Strasserleuten.
Reine Matraßen, nein, schön gleichmäßig gestopfte Strohjäde, die ihre Füllung jedes halbe Jahr erneuern. Ein weiches Federunterbett, Leintücher, so rauh wie Sackstoff, aber gesund, zwei riesige Kopfkissen und als Glanzpunkt federgefüllte zudecken, in jeder das Kleid einer Gänseherde. Wer das erstemal in ein solches Bett gerät, der verirrt sich darin. Unaufhaltsam und rettungslos finft er in die Tiefe.
Ein lederüberzogenes, niedriges Sofa stand hinter dem massiv eichenen Tisch. Hunderte von breittöpfigen Messingnägeln waren rings um den Lederrand eingeschlagen. Der Uhrkasten wie die plumpen Stühle waren gleich dem Tisch aus schwerem Eichenholz. Die Betten und der zerlegbare zweitürige Kleiderschrant aus didem Tannenholz angefertigt, blaugrau gestrichen und mit bunten Tulpen und Rosenmotiven bemalt. In der Ecke hinter dem grünen Rachelofen da hing ein großer, lindenholzgeschnitzter Herrgott, palme fäßchengeziert, ein ewiges Lichtel davor; neben der Tür ein kleiner Zinnkessel, das Weihwasser enthaltend. Schmiedeeisernes, gebrauchsblankes Beschläg zierte die truhenähnliche Eichenkommode. Schlecht waren nur die beiden Heiligenbilder an der Wand, ordinärer, greller Deldrud, nicht die glanzbergoldeten, platten Rahmen ( Fortsetzung folgt.)
tvert,
Vom Schlittschub.
Bon C. Schenkling.
Vis tief in die nebelgraue Ferne altnordischer Götterzeit läßt sich die Kunst des Schlittschuhlaufens verfolgen. Die nordische Sage fchreibt ihre Erfindung den Göttern zu; kein Sterblicher durfte sie für sich in Anspruch nehmen. Der Ase aller, der Gott des Gesanges, war es, der den Kothurn zuerst an den Fuß legte, um über die unwegfamen Pfade, wie sie der Winter erzeugt, leicht dahin eilen zu können. Aus diesem Hinweis läßt sich gleichzeitig auf das Alter des Schlittschuhs schließen: er war bereits der altgermanischen Welt bekannt.
Den federleichten Schlittschuh unserer Tage fannten freilich die Nordländer nicht. Das Modell des Schlittschuhs jener Zeit wurde im Schweizer Lande aus einer Moorschicht zutage gefördert. Unter verschiedenen Stein- und Knochenwerkzeugen, die gelegentlich einer Nachgrabung ausgehoben wurden, fand man auch einen Schlittschuh, der aus einem Pferdeknochen verfertigt war. Ungefähr 28 Zentimeter lang, ist der Knochen sowohl an den Seiten als auch an der Basis geschliffen, so daß eine Schiene von etwa 3 Millimeter Breite und 25 Zentimeter Länge der Unterlage aufsteht. Der Fund erregte seinerzeit gerechtes Aufsehen. Zuerst zweifelte man wohl, es hier mit dem Ur- Schlittschuh zu tun zu haben. Da kam aus Schweden die Kunde von einem ganz ähnlichen Fund. Der schwedische Schlittschuh zeigte nicht nur ausgeschliffene Kanten, die dem Fuß Halt verliehen, sondern an der Spitze des Knochens befand sich auch eine Oeffnung und am entgegengesezten Ende eine Kerbe, durch die wahrscheinlich ein Riemen gezogen wurde. Solche Schlittschuhe, deren Alter man beiläufig auf 3000 Jahren schäßt, hat man auch im Spreebett bei Berlin und Spandau , in den Gegenden von Moorfield und Finsbury in England, wie auf der
ganzen Linie von Nucwegen Lis Ungarn gefunden. Merkvliy aber ist, daß der Knochenschlittschuh aus der Pfahlbauzeit bis ins frühe Mittelalter hinein sich in seiner Gestalt erhalten hat. So era zählt der Londoner Chronist Frizz Stephan aus dem 13. Jahrhundert ausdrücklich, daß die Londoner Jugend„ Knochen" unter die Füße binde und mittels dieser schnell über das Eis dahin gleite. Theodor Storm gibt in seiner Novelle" Auf der Universität" eine originelle Schilderung des Eisbahnbergnügens und jagt u. a.:„ Von alt und jung auf zweien und auf einem Schlittschuh, sogar auf einem untergebundenen Kalbsknöchlein wurde die edle Kunst des Eislaufens geübt."
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die allmähliche Ver vollkommnung des Schlittschuhs verfolgen zu wollen. Erwähnt ſei nur, daß por etwa einem halben Jahrtausend in. Holland der erste hölzerne mit einer Eisenschiene versehene Schlittschuh auftauchte. Heute wird namentlich in Amerika und Rußland ein großer Lurus in Schlittschuhen entfaltet. Schlittschuhe aus Gold und Silber, die das Sümmchen von 20 000 Mark kosten, sind durchaus nichts Ungewöhnliches.
Die Kunst des Schlittschuhlaufens hat nctürlich auch ihre eigene Literatur. Ihr Beginn kann bis in die tiefste Vorzeit zurüdgeführt werden. Eine sachliche und technische Literatur dieses Sports beginnt aber erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Hauptverdienst in dieser Hinsicht gebührt Klop stock. Wie durch sein echt deutsches Lied, so gewann er auch durch sein Interesse für den Eislauf die Herzen der Jugend. Es schien ihr fast unvereinbar mit der Pietät für den Dichter des„ Messias ", nicht auch dem Eislauf zu huldigen wie er. Am liebsten pflegte Klopstock diesen Sport in den Mondscheinnächten:„ Nur ein Gesetz! Wir verlassen nicht eh' den Strom, bis der Mond am Himmel fintt!" Die vielfachen Spöttereien über diese, angeblich seinem Alter nicht angemessene Liebhaberei störten den Dichter nicht im geringsten. Er war von dem hohen Wert des Eissports fest überzeugt und teilte die Ansicht der Pädagogen des 16. und 17. Jahrhunderts nicht, die eine entschiedende Abneigung gegen das Schlittschuhlaufen bekundeten, da es ihnen zu gefährlich, ja zu wild dünkte. Selbst seine Poesie stellte Klopstock in den Dienst des geliebten Sportes, so u. a. in den herrlichen Oden„ Der Eislauf"( 1764) und„ Die Kunst Tialfe"( 1767), wie auch in den Winterfreuden". In dem zuletzt genannten Gedicht bedauert der Dreiundsiebzigjährige schmerzlich, nunmehr dem Kristall der Flüsse Ade sagen zu müssen. Mannesalter die Kunst des Schlittschuhsports zu erlernen. Ueber Selbst Goethe wurde durch solche Motive bewogen, noch im diese Episode seines Lebens sagt er u. a.: Bei eintretendem Winter tat sich eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhkaufen, das ich vorher nicht versucht hatte, rasch entschloß. Diese neue frohe Tätigkeit waren wir Klopstod schuldig, seiner Begeiste= dag an einem heiteren Frühmorgen ich, aus den Bette springend, rung für diese glückliche Bewegung. Ich erinnere mich ganz genau, mit verschiedene Stellen aus Klopstocs de gurief. Mein zaudernder, schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich flog stredlings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Uebungen vornehmen kann." Nicht nur den Tag verbrachte Goethe mit seinen Genoffen auf dem Eise, sondern bis in die Nacht wurde diese herrliche Bewegung fortgesett und zu Ehren Klopstocks diese oder jene Eislauf- Ode in deklamatorischem Halbgesang rezitiert. Wenn wir uns im Dämmerlicht zusammenfanden," fährt Goethe fort;" erscholl das ungeheuchelte Lob des Stifters unserer Freuden. Solchen Dank verdient sich ein Mann, der irgendein irdisches Tun durch geistige Anregung zu beredeln und würdig zu verbreiten weiß." Auch Goethe hat den Eislauf poetisch verherrlicht und sobald er mit Klopstod zusammentraf, unterhielten sich beide nicht über Kunst und Poesie, sondern schwärmten vom Eislauf. Seitdem der Schlittschuhsport, der bisher nur als ein Knabenspiel angesehen wurde, solche Protektoren gefunden hatte, erscheinen bis zur Gegenwart in den Zeitungen und Zeitschriften nicht nur Auffäße und Abhandlungen, sondern auch Werke über diesen Sport, wie sich die Fachzeitschriften in seinen Dienst stellen. Medizinische Autoritäten, wie Hygieniker und Männer des Turnwesens weisen auf den gesundheitlichen Wert dieser Leibesübung hin, und zahlreiche Jugendschriften besprechen und empfehlen die Pflege dieses Sports.
Wie die Holländer die ersten Schlittschuhe mit einer Eisenschiene bauten, so haben sie auch die ersten Schlittschuhe aus Stahl fabriziert; sie waren auch die ersten, die den Eislauf zu einer Kunst gestalteten sie schlugen nämlich zuerst Bogen". Im allgemeinera gehört der Schlittschuh im Lande der Kanäle zu den Notwendig= keiten des Lebens. Oft bildet dort da3 fis den einzigen Verkehrs weg. Da muß denn Groß und klein, Alt und Jung, Männlei wie Weiblein die Kunst des Eislaufs wohl verstehen. Daher kommt es auch, daß man dortlands das möglichst schnelle Laufen zu be herrschen trachtet. In Holland gibt es feit langem Schlittschuh Wettläufe. Zu diesen treten die Männer in Sweater und Kniehosen an und die Frauen in Röcken, die im Schnitt den Balletteusenleidern einigermaßen ähneln. Von Holland aus gelangte der Sport nach England, wo er bereits zu Zeit ber Königin Elisabeth gepflegt wurde. Den Stahlschlittschuh scheint england zur Zeit Karls des Zweiten kennen gelernt zu haben, denn 1662 wird seiner zum erstenmal Erwähnung getan. Wie sehr die Engländer den Gissport lieben, beweist die Tatsache, daß man dort weite Reisen unternimmt, um ihm huldigen zu können.