„Na— tmb Jina?' begann er schücktern.HcinS flieg einen Fluch aus, daß es durch den Wald schallte.„Ja, siehst Du. die Stadt... ja. die Stadl,'* seufzte derBruder resigniert, jedoch mit einem Anflug von Billerkeil.„Die ist gut genug, aber..."Da Hans schwieg, fiel der ältere nach einigem Zögern ein l„Das Land ist besser."„Gehauen wie gestochen," bemerkte Hans.„Soviel ist gewiß, daß Schwester Elna nicht dorthin kommt,"versicherte der Bruder, indem er seine sehnige Faust ballte, als wolleer zubauen.„Klug." entschied Hans.Mit flüchtigem Kopfnicken, ohne Wort und Händedruck trenntensich die Brüder.Als Hans drei Jahre später wieder im Elternhaus stand, truger keine Uniform.„So— o?" sagte der Vater gedehnt.„Ging zu langsam," erklärte Han-Z.Er hatte bereits bemerkt, daß es daheim ärmlicher denn je zu-vor aussah.„Krank?" fragte er.„Mutter und ich." entgegnete der Vater,„haben beide fast nganzen Winter gelegen."Darüber war nichts zu sagen, weshalb Hans schwieg. Aber eShatte den Anschein, als fühle er sich nicht so heimisch wie früher.EtwaS freu, der, etwas, das ihn peinigte, schien in der Lust zuliegen. Wie gewöhnlich ging er umher, streichelte die Kühe, unter-suchte die Gerätschaften und schüttelte bisweilen mißmutig denKopf.Diesmal begleitete ihn der Bruder nicht zum Schiff, sondernblieb am Gehege stehen.„Schulden?" fragte Hans.Der andere nickte müde. Daß er seit dem letzten Besuch be-denklich gealtert war. war Hans nicht entgangen und er schüttelteabermals den Kopf.„Kann nicht helfen," waren seine letzten Worte, bevor er ging.Stumm blickte der Bruder zur Seite.—Im Herbst desselben Jahres wiederholte HanS seinen Besuch.AlS er bemerkte, daß die Schwäche der Eltern zugenommen halte,eine Kuh verkauft war und allerwegen Schmutz und Unordnungherrschte, schien er niedergeschlagen..Berkehrt", murmelte er. zum Bruder gewandt, der ihm aufSchritt und Tritt folgte.Der nickte still. Er machte den Eindruck eineS geschlagenenMannes, und Hans, der nicht begriff, was ihm fehlen könne, fühltesich satt verletzt.„Viele Schulden?" fragte er nach einer Weile.„Die Zinsen allein fressen das Geschäft."„Wie viel?"Der ältere nannte eine Summe, worauf Hau? in Rachdenkenversank. Nach einer langen Pause, während der er im Kops zurechnen schien, spie er ärgerlich zur Seite und murmelte:„Kann nicht helfen."Das hatte der Bruder auch nicht erwartet, weshalb er keinerleiEuttäuschung zeigte.(Fortsetzung folgt.)Collis Conntb»(Zur Ausstellung in der Sezession.)Es ist ohne Zweifel interessant, das Lebenswerk eines Malersübersehen zu können; man wandert von Bild zu Bild und spürt,wie der Künstler wurde, woher er kam und wie cr sich entwickelte.Dabei kann eS mm geschehen, daß das so enthüllte Geheimnis denRuhm, den der Maler bisher durch einzelne Werke sich erwarb, arggefährdet: eS zeigen sich die Lücken, die Brüche, die Anlehnungen.Es ist fast die Regel, daß große Kollektivausstellungen das Urteilüber einen Künstler ungünstig beeinflussen. jMan braucht nur nachder Akademie zu gehen und das Lebenswerk Albert Hertels anzu-sehen.) Es spricht entschieden für die Poien� und die LualitäiEorinthS, daß die 228 Werke, die in den Räumen der Sezeiponbeieinander hängen, die Persönlichkeit dieses Künstlers stärker alsdieS je zuvor geschah, zur Erscheinung bringen. Gewiß, eS wirdzuviel gezeigt, es hängen auch die Arbeiten der verschiedenen Jährezu sehr durcheinander; es hätte eine vorsichtigere Auswahl ge-troffen werden können. Dennoch: wir erleben in dieser Corinth-auSstellung das Seltene, das auch das Zuviel einen Wert verbirgt.Tie Fülle, das Rastlose, eine hitzige Arbeitswut, das sind geradezueutscheidende Merkmale für die Kunst dieses robusten Ostpreußen.der das Malen wie einen Kampf betreib!, als ein Herumschlagenmit der Natur und mit der Farbe. Dieser zügellose Lebensdrangist vielleicht die eigentliche Ursache unserer Liebe zu Corinih, dessenArt im übrigen, wie diese Generalvorführuitg nur neu bestätigt,mit uns recht wenig zu tun hat. Corinth ist kein moderner Mensch,aber ein großer Maler. Corinth ist ein Spätling des Rubens,ein Fortsetzer des Blamen; wobei freilich nicht vergessen werdendarf, daß Rubens bereits durch Daumier überwältigt wurde. Wieein letztes, heroisches Zeugnis des Barock steht Corinth inmitteneiner Welt, der cr nichts anderes zu geben vermag als das Tempoeiner leidenschaftlichen Regsamkeit. Es find nicht unsere Sinne.aus denen diese Kunst strömt; es ist nicht unser Rhythmus.von dem dieser Künstler beherrscht wird. Aber: die Sinnlichkeit.die sich in diesen Bildern cirtladet, ist so überwältigend, und derRhythmus, der sie durchpulst, ist so hochgespannt, daß wir sie fastals Dokument der Gegenwart hinnehmen.»Eines der ersten Bilder ist das„Komplott" von 188-t. Damalswar Corinth Schüler von Löfftz; das Münchener Genre, Dunkelheit,durch Lichtefsekte theatralisiert. ist deutlich zu merken. Auch die„Picta" von 89 gehört noch ganz dem Atelier, in dem man sichdie Szenen zurechtstellt. Dabei erinnert der stark verkürzte Körperdes Christus an Trübncr. Im übrigen läßt sich in den Arbeitendieser Anfangszeit Lcibl und Habermann nachweisen; danebenaber auch ein Blond, das von Paris, wo Corinth drei Jahre war»zu kommen scheint. Es sollte noch lange dauern, bis dieser Maler,der seine starke Begabuna nur hier und da, so durch das gesundund nüchtern gemachte Bildnis seines Vaters zeigte, sich selberfand. Vorläufig suchte cr noch mamherlei Anschluß. TaS Bilddes Frühlings von 95 läßt sogar präraphaelitische Anklänge wirk-sam werden; und die„Geburt der Venus" kommt direkt von Böckliw.Aull» das Sclbstporträt mit dem Skelett erinnert unfehlbar anBöcklins Eigenbildnis mit dem siedelnden Tod. Wobei man viel-leicht sagen könnte, daß CorinthS Auffassung weniger sentimentalist und bereits etwas von der Derbheit seiner Fleischesphilosophieahnen läßt. Tatsächlich sind es nur zwei Bilder dieser Periode,in denen der künftige Corinth sich halbwegs ankündct. Auf demeinen, den, stark unter Habermanns Einfluß stehenden„Hexen"sehen wir Akte in einer lachend derben Situation. Das anderszeigt uns das Innere eines Fleischerladens: das ist es. woranCorinth seine Bestimmung erkannte! Vorläufig freilich bleibt ernoch tastend. Das Hauptmannporträt von 1900 ist redlich gemalt.aber erschreckend dünn; und auch die Selbstbildnisse sind trotzmancher frechen Eiusälle noch rech; trocken und unsicher. Erst dasneue Jahrhundert brachte die Erlösung.1902 erscheint das Mädchen, da.- an einem Rosalwnd den Stiernasführt. Einigermaßen ein kitschiges Tlicma; aber ein echterCorinth. Es will beachtet sein, daß diese Motive, die fleischlichen,leicht brutalisierten, nicht wenig dazu beitrugen, den Maler inCorinth zur Klarheit zu führen. Man mag getrost sagen, daßer um diese Zeit auch das Bildnis, das Stilleben und die Land-schast mit verjüngter Kraft zu malen begann; es bleibt doch dabei,daß Corinth am Akt und dessen Enthüllung den doppelten Kampfdes Malers mii der Natur und mit der Farbe gewann. Wohlvermag er jetzt im Bildnis so komplizierten Kopien, wie denendes Musikers Ansorge, des Dichters Peter Hille, des NovellistenKeyserling"und des Kritikers Kerr gerecht zu werden; er weißdabei sogar den zartesten psychologischen Zwischentöneni einenmalerischen Ausdruck zu gewinnen. Aber die eigentliche Lust desMalens, die Leidenschaft des Schaffens, packt ihn doch erst, wennes Fanfaren zu gestalten gilt, wi: das„Strumpfband", dielenFlammentanz deS seidenen Geräusches, oder die ganze Liste derAkte, die bald als Simson sich bäumen, bald als Bathseba fichrekeln oder als zivile Mutter von Kindern umilettert werden. Nunschwelgt er im Fleisch und weiß es leuchtender und elastischerzu machen als irgend wer vor ihm. Diese Akte find es vor allem,die uns zwingen. Corinth einen Fortsetzer deS Rubens zu nennen.llnd auch die großen Kompositionen, mit denen er sich jetzt herum-balgt, folgen den Spuren des barocken Herkules. Wie Rubensso wählt auch Corinth seine Themen aus den Abenteuern derolympischen Götter; nur, daß er darüber vergißt, wie gründlichschon Offenbach den Jupiter und die VcnuS geplündert hat. ESist etwas Sterbliches in diesen Mythologien; so derb und so dreist-blutig sie sich auch gebärden, so gehören sie doch einer Akademiean, die in der antiken Kompositionsaufgabe einen besonderen Gradder Künstlerschaft sieht. Was alles freilich nicht hindert, daßäußerst amüsante Szenen ersonnen werden. So das„homerische-Gelächter", bei dem man wirklich alle Unsterblichen lachen hört.Nicht viel anders steht es um die biblischen Motive, die Corinthin diesen Zeiten seines Reifwerdeus zu malen beginnt. Auchda macht er eigentlich leinen Christus, wie ihn Dostojewski oderTolstoi erfühlte; er halt sich mehr au Grünwald. Und so grausigseine biblischen Szenen auch aufzuschreien scheinen, so pietätlossie auch zuweilen mit den Heiligen umspringen, letzte» Sinnessind sie doch aus der Empsindungsart eines harmlos Glaubenden.eines fast altmodischen Purtianers geschöpft. Das macht sie unsein wenig fremd; wir wissen nicht recht, ob diese Bilder nichtbereits früher einmal so gemalt worden sind. Mitunter möchteman beinahe fürchten, daß künftige Oleschichtsschreiber den Corinthgar nicht unserer Zeit zurechnen werden. Er ist nicht wie Lieber-mann der Vollender einer langen Entwickelunßsreihe, noch hater irgend etwas gemein mit einem Revolutionär. Er steht aufeinem längst«üi gezogenen Posten, allerdings prachtvoll gerüstetund umstrahlt. Corinth ist selber so ein schwarzer Florian, tvieer ihn gemalt hat. ein berstendes Ungewitter und doch ein Besiegter. Auch der Simson, den er 1912. nach einer Spanne schwererKrankheit uraltc, könnte dem Künstler ein Symbol sein, diesergesesselte, in ohnmächtiger Wut aufbrüllende, blutvesleckte Riese.So ist Corinth; cmschlosscn, ein Aeußerstes zu wagen, und dochverdammt, in den Fesseln einer überwundenen Art zu beharre»,