vielleicht auch nicht. Lebt wohl, Mutter! Also, tvas ist da viel zu reden I Ach was! So viele sind zugrunde gegangen, warum denn ich nicht?... Und ich komme wieder. Ach was..." Er umarmte sie. Sie hielt ihn mit aller Kraft fest: «Gut, mein Sohn, gut! Eins nur habe ich Dumme Dir nicht gesagt, was ich gleich hätte sagen müssen: Gib's mir und führe mich zu dem Ort hin. Zeig mit dem Finger und lauf davon! Und ich werde werfen, auf wen mir gezeigt wird. Ich kann's! Auf mich achtet kein Spitzel. Zu solchen Arbeiten muß man die Alten schicken! Sollen die Alten werfen! Um die Jungen ist es doch zu schade. Schade für die Partei. Spreche ich nicht richtig? Jeder wird's mir zu- geben! Was, Stasiek?" Hier wurde die Alte schwach. Es sauste ihr in den Ohren, und sie blieb bewußtlos im Arm des Sohnes hängen. Stasiek legte sie aufs Bett, küßte ihr die Hand, warf noch einen Blick auf sie und nahm die Büchse vom Tisch. Auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen, wandte sich um und ging. Unten klopfte er an die Türe einer Bekannten, steckte den Kopf durch und sprach: „Ach, seien Sie so gut und sehen Sie einen Augenblick zu meiner Mutter hinauf. Es ist ihr übel geworden. Ich habe eine sehr wichtige Parteiangelegenheit und kann mich keinen Augenblick länger aufhalten. Bitte, meine gute Frau Krause! Bleiben Sie nur eine Weile bei ihr. bis es vor- über ist!" Als er sah, wie die Frau die Treppe hinauflief, wandte er sich und ging in die Stadt. Drei Stunden später kam die Nachricht, Stasiek sei in einem Hause auf der Piotrkowska, bei einer Haussuchung nach Bomben verhaftet worden. Ob was gefunden wurde, wußte niemand. Doch sagten die einen, es sei ein Attentat auf den Militärgouverneur geplant gewesen, andere meinten, aus Poznanski„selbst", und daß Stasiek vor das Feldgericht komme. Und noch andere Gerüchte. Im ganzen Hause wurde die Mutter bedauert. Aber selbst ihre nächste Bekannte, die Frau Krause, weigerte sich, der Alten diese Neuigkeit hu überbringen. „Mag sie doch noch diese eine Nacht ruhig schlafen!" sprach sie.„Sie ist krank. Ich habe sie ins Bett gebracht. Zeit genug, wenn sie es morgen erfährt. Was ist es denn so eilig? Ach, du barmherziger Gott! Was geht hier vor in dieser Stadt Lodz !" Lange wartete die Alte auf die Rückkehr des Sohnes. Bis ihre Seele ermattete, und sie in einen tiefen Schlaf der- fiel. Weder die schreckliche Nachricht wird die zertrümmerte, verirrte Seele aus diesem Schlaf erwecken, auch nicht, wenn ein Wunder geschähe und der böse Sohn wiederkehren würde. lLortsetzung folgt.r 2] Hn die Scholle gebunden. Bon GustafJanson. Den ganzen Tag stöberte Hans in Ecken und Winkeln umher, durchmah die Felder und beflchtigte die geringste Kleinigkeit, als spekuliere er aus's GeHöst. Er zählte an den Fingern ab, und da es augenscheinlich nicht zu stimmen schien, schrieb er mit einem stumpsen Bleistift die Zahlen auf die Stalltür. Eine volle Stunde betrachtete er seine Krähentütze. ohne daß eine Muskel in seinem Antlitz zuckte oder eine Miene verriet, was in ihm vorging. Schließlich schüttelte er fich wie ein nasser Hund und sagte verdrossen: „Geht nicht." Dann trat er ins Hau?, um von den Eltern Abschied zu nehmen! Die Mutter lag zu Bett, und der Vater saß in einer Ecke und starrte, ohne etwas zi. sehen, vor sich hin. ES waren zwei müde Menschen. Nachdem HanS sie einige Augenblicke be- trachtet hatte, schüttelte er sich abermals und sagte endlich düster: „Ja, adieu auch!" Die beiden Allen blickten auf und nickten stumm zum Abschied. Zufällig waren die Geschwister nicht zugegen und HanS vergaß völlig nach ihnen zu fragen. Der Anblick der stillen und ab- gearbeiteten Eltern hatte ihm einen unauslöschlichen Eindruck hinter- lassen. Unterwegs stieß er wiederholentlich laute Flüche aus. Seine Augen schössen drohende Blitze und seine Fäuste ballten sich. Einige Leute, die er auf dem Wege traf, blieben stehen und blickten der untersetzten Gestalt nach, die mit langen Schritten vorwärts strebte und mitten durch alle, vom gestrigen Negen hinterlnssenen Pfützen trabte. Als« das nächste Ziel seiner Wanderung erreichte, waren seine Füße durchnäßt, ohne daß er'S merkte, in seinem Gehirn sproßte ein großer, herrlicher Gedanke, der zwar dort im voraus gekeimt hatte, aber wohl nie zum Wachstum gediehen wäre, hätten ihm nicht die Erfahrungen des heutigen TageS Lebenskraft der- liehen. Kein Laut entschlüpfte ihm, und keine Miene verriet, was in ihm vorging. Er preßte nur die Lippen fester aufeinander als ge- wöhnlich. Er schien sich zu einem Sprung vorzubereiten und jede Muskel anzuspannen, daß fie nicht nachgebe, wenn der rechte Augen- gekommen sei.— Eine lange Zeit verstrich, bis sich HanS Mortensson wieder auf der Insel blicken ließ. Als er endlich kam. war er ein Mann von vierzig Jahren, der bedächtiger auftrat als zuvor. Er blickte mit einer Miene umher, die schwer zu deuten war. Sie konnte drohend und trotzig genannt werden, war aber jedenfalls die eines durch das Leben gestählten Mannes mit zielbewußter Willenskraft. Neben ihn, wurden einige Kisten. Ackergeräte und einfache Möbel abgeladen. Fast zärtlich musterte er die Sachen und nickte jedem einzelnen Gegen- stand wie zum Willkommen zu. AIS das Schiff nach Backbord in den Strom glitt, lachte er den gewaltigen Wald und die kahlen Felsen an, indem er bei sich selbst murmelte: „Ja, nun bin ich wieder hier, woll'n seh'n, wie's geht." Sein erster Besuch galt dem Kausinann. „Jh du mein Himmel! Ich glaube gar,'S ist Mortensson I" brach Bolen aus, der selbst im Laden stand. Der Angeredete nickte und frug, ob er nicht über Nacht und vielleicht auch ein paar Tage seine Habseligkeiten im Schuppen unterbringen könne. Da der Krämer einen Kunden in dem Ankömmling witterte, willigte er ein und mit kurzem Dank lieh Hans einen Schubkarren, um sein Eigentum hinauszuschaffen. Im Lauf einer halben Stunde war alles unter Dach. „Das muß ich sagen... Kräfte hat er!" äußerte Bolön, der draußen aus der Treppe stand. Seine Bewunderung war aufrichtig, denn solche Lasten, wie Hans Mortensson sie die steile Anhöhe hin- aufkarrte, hätte kein anderer bewältigt. „Ist auch nötig," lautete die kurz angebundene Antwort, worauf HanS, um einen Gruß anzudeuten, au die Hutkrempe griff und sich auf den Weg nach dem Inneren der Insel machte. Sein Ziel war das Elternhaus, jedoch blieb er diesmal unten am Wege stehen. Er wußte, daß die Alten nicht mehr am Leben waren und daß der Bruder die Insel verlassen hatte und als Häusler in den inneren Schären sein Brot verdiente. Es war keine Ursache vorhanden, sich deshalb zu grämen und Hans Mortensson empfand auch keinen Kummer. Seine Eltern waren nicht zu beklagen, nun fie draußen auf dem Kirchhof friedlich schlummerten und nicht mehr über Hypotheken und Zinsen zu grübeln brauchten. Nicht so gut erging es dem Bruder. Er hatte ein armes Mädchen geheiratet, das Ge- höft mit der Schuldenlast geerbt und war, noch jung an Jahren, ein müder Mann. Etliche Male hatte er an Hans geschrieben und ihm seine Not geklagt. Die Frau war beständig krank, die Kinderschar zahlreich und Schicksalsschläge folgten nacheinander. Nichts glückte »hm, und als er. verzweifelnd, den Kampf aufgab, wurde das Ge- höft zwangsweise an den Meistbietenden verkauft. Das alles ging Hans im Kopf herum, als er unten an, Wege stand und das Haus, in dem er geboren war, betrachtete. Dabei empfand er weder Bitterkeit noch Wehmut. Zwar ungewohnt und langsam arbeitete sein Gehirn auf ein bestimmtes Ziel los. So stand er den ganzen Abend und starrte nach dem alten Heim. Während seiner Abwesenheit war nichts verändert worden. Im Dach des Hauses fehlten einige Ziegel und die losgebröckelten Steine im Schornstein waren noch nicht ersetzt. Die Scheune trug noch immer ihr kreuzlahmes Strohdach und der Schweinestall dahinter zeigte wie ehedem die Neigung zusammenzufallen. Der jetzige Eigentümer trat aus dem HauS, um zu sehen, was die unbewegliche Gestalt am Wege vorhatte. Die Frau folgte nach, und beide tauschten flüsternd ihre Vermutung auS. HanS Mortensson rührte sich nicht von der Stelle, sondern lächelte sttll vor sich hin. Er sah, wie schließlich der Bauer wieder ins Haus trat, auch hörte er, wie jener hinter sich die Tür sorgfältig verschloß. Darüber lachte Hans, wahrscheinlich würde er das nämliche getan haben. Erst als die Nacht hereinbrach, ging er seines Wegs und suchte eine alte Wald- scheune auf, deren er sich aus seiner Kindheit erinnerte. Am folgenden Morgen stand er in BolenS Laden und plauderte mit dem Krämer. Planlos, jedoch einer angeborenen Vorsicht folgend, fragte er nach allem möglichen, nur nicht nach dem, was er am liebsten gewußt hätte. Er brachte die Rede aus gemeinsame Bekannte, seine Eltern und Geschwister, sowie auf Personen, die nach der Insel gezogen waren oder dieselbe verlaffen hatten. Dabei überwand er seine natürliche Wortkargheit und zwang sich zu einer Redseligkeit, die ihm unerhörte Anstrengungen kostete. Bolen be- griff nicht, wo Hans hinauswollte, und trotz aller Schlauheit ver- mochte er nichts aus ihm herauszulocken. Als sie sich trennten, erheiterte ein kaum bemerkliches Lächeln Hans Mortenssons grobe Züge. Am Zaun blieb er stehen, indes seine Augen mit unver- bohlencr Bewunderung eistem jungen Mädchen folgten, das an einem Joch über den Schultern zwei mit Wasser gefüllte Eimer trug. Nie zuvor war ihm ein so kräftig gebautes Weib begegnet, mit einem Rücken, so brett wie der seinige, und ein paar Hüsten, die jedwede Last zu bewältigen geschaffen schienen. Zufrieden schnalzte er mit der Zc r-je und nickte im Takt mit ifai Gange der
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30 (24.1.1913) 17
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