Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 20.
20]
Mittwoch den 29. Januar.
Gefchichte einer Bombe.
Bon Andreas Strug.
1913
habe freilich auch privat noch mit keinem von den Euern gesprochen."
So wie ich. Aber ist das vernünftig? Das ist eben das Ungeheuerliche!"
" Im revolutionären Leben gibt es mehr solcher UngeJawohl, Dzifa einundneunzig! Ganz richtig! Höre, heuerlichkeiten, und noch schlimmere. Man muß das herunterSchablon, kein Wort darüber! Laß uns doch einmal wie Menschen miteinander plaudern!"
Gut, gut... Man kann ja zuweilen vergessen. Na Und Dir ist es ja bald geglückt! Sie hätten Dich und fertig. Es war ja auch eine brave, tüchtige
aljo... gehenkt Leistung
11
In Gedanken fügte er hinzu: Bloß, daß man mit solchen Kunststücken nicht Revolution macht! Und er fuhr fort ,, Und wie fühlst Du Dich jekt?"
,, So, so. Man muß sich daran gewöhnen."
" Ich meine umgekehrt, man muß es sich abgewöhnen. Du wirst höllisch gesucht. Besser wäre es für Dich, Du würdest für einige Zeit auf Reisen gehen, ein bißchen über die Grenze." ,, Nein, ich habe keine Luft."
Bernünftiger wäre es schon!... Aber mit der Vernunft bist Du schon immer auf dem Kriegsfuß gestanden.' „ Glücklicherweise..
"
41
,, Erinnerst Du Dich noch an unser Attentat auf den Berrückten. Du warst der erste, der die Kartoffel schmiß.. Aber Du trafft zuerst. Ich weiß noch. Direkt in die Fraße." Buweilen denke ich noch an diesen Kerl. Was war das für eine Figur!... Es war eine gewisse Größe in ihm..." Ach was! Berrückt!"
„ Er wurde verrückt, weil er den Auftrag hatte, sein Leben lang Ertemporalia zu korrigieren. Er hat uns großartige Dinge gesagt, aber niemand hörte. Man machte sich über ihn lustig."
,, Und er rächte sich dafür wie ein Irrfinniger mit„ Genügend" und„ Ganz ungenügend"!"
" Der Steißklopfer quält den Pennäler und dieser ihn! So hat man es uns gelehrt."
Ja, aber jetzt!.
-
schlucken."
Man schluckt natürlich, aber zuweilen möchte man doch auch etwas verstehen!- Uebrigens hat das Leben selbst diesen Deinen modus videndi zunichte gemacht. Die Leute treffen in den Gefängnissen zusammen und müssen lange nebeneinander aushalten, Lag um Lag
Sie tamen schwer vom Fleck. Sie schwiegen lange und sahen sich nur zuweilen an.
"
Glaubst Du das alles wirklich, was Eure Leute über uns schreiben- und Du weiß sehr gut, was sie schreiben- Ich meine nicht vom Programm, nicht von der„ organischen Verkörperung"," Nachgiebigkeit", dem Kriechen vor Ruß land " " Ja, ja, sondern vom Sozialpatriotismus, von der Aristokräßigkeit, von der Räubertaktik, vom Verrat der Arbeitersache..
sondern..."
11
,, Lassen wir das!" „ Lassen wir's!"
Die Erregung wuchs. Es gelang ihnen nicht, die immer wieder aufsteigende Bitterkeit zu unterdrücken. Der Wunsch, einander die Wahrheit zu sagen, war unwiderstehlich. ,, Man sagt bei Euch, wir das seien lauter Juden" ( ich bin ia zufällig getauft und nicht beschnitten), lauter Juden, die nicht polnisch fühlen..
-
" 1
„ Und ihr haltet uns für Nationalisten, für welche der Sozialismus nur ein Vorwand ist, über welchen sie lachen, wenn sie unter sich sind..."
,, Lassen wir's!..
17
Ich sage Dir, Schablon, daß das eine scheußliche Täuschung ist. Wie eine verabredete Komödie! Die Leute sind versessen darauf, sie zu spielen, und spielen sie, daß alle Teufel darüber lachen.
Ja, ja. Es ist viel Lächerliches dran, aber im Grunde, was fönnen wir dafür? Das Leben hat uns und diese unsere Seltsamkeiten so geschaffen!"
Ich hasse diese Art von Problemstellung! Der Mensch, der weiß, was er will, beherrscht das Leben, lenkt es..."
Ja, bis zu einem gewissen Grade und nicht sehr. erheblich. Die Umstände sind entscheidend. Predige, was Du willst, beweise allen, daß sie sich irren trotzdem gibt es keine Verständigung, wenn es nicht sein kann."
-
Ich will ja gar keine Verständigung. Mögen die Parteien sich die Köpfe abreißen! Mögen sie sich totschlagen! Aber Komödie sollen sie nicht spielen. Sollen nicht so tun, als hielten sie einander für Schurken, für Diebe, für Betrüger." ,, Uebertreibung!..."
„ Siehst Du begann Schablondie neuen Schulen." Aber er brach ab, um ein brenzliges Thema zu vermeiden. Sie unterhielten sich scheinbar ungezwungen, aber in Wirklichkeit nahmen sie sich sehr zusammen und fühlten, daß jeder Augenblid sie auf einen heiflen Bunkt führen konnte. Und da solche Stoffe sehr zahlreich waren, so war es wahrhaft anstrengend, sie zu vermeiden. Am meisten bedrückte sie jener erste dumme Augenblick. Man konnte es wohl vermeiden, davon zu sprechen, aber es war unmöglich, daran nicht zu denken. Beide hatten sie große Lust, aufrichtig zu sein. Sie hatten sich einst sehr gern gehabt und liebten sich auch jetzt noch. Sie hätten sich gerne ausgesprochen, auch trieb sie die Neugierde, zu erfahren, wie das bei ihnen" sei, wie der andere über gewisse Angelegenheiten denke, und wie er, un- Ja, aber das ist der Ton unserer Polemiken in den streitig ein anständiger Mensch, solche Schweinereien" er- Beitungen, in den Versammlungen, immer und überall. Was trage freilich lagen die Geschichten schon etwas zurück, ist das für ein verabredeter, schändlicher Stil! Warum wurden jedoch durch neue„ Skandale",„ Gemeinheiten" und glauben die Leute daran? Warum schütteln sie es nicht von andere Ungeheuerlichkeiten immer wieder aufgefrischt. In sich ab wie ekles Gewürm? Ich persönlich glaube nicht, daß jenen Zeiten fannten sich die Gegner fast alle. Man traf sich ihr Schufte seid. Und Du? Glaubst Du es von uns?" in den Versammlungen, und jeder hatte seinen bestimmten Ruf. Von Marek sagte man: zwar ein PPS., aber einer von den Möglicheren, und von Schablon sagte man bei der anderen Partei: scheint ein anständiger Bursch, wenn auch ein SDK. Endlich faßte sich Marek zuerst ein Herz. Er brach das Gespräch ab, und nachdem er eine Weile geschwiegen, begann er folgendermaßen:
-
" P
So sag mir doch aufrichtig, Schablon, und geradeheraus, hat man je gehört, daß erwachsene Menschen, alte Freunde, die einander achten... nein, das ist märchenhaft dumm, so dumm, daß man nicht weiß, wo man anfangen soll! Wie haben wir uns begrüßt! Wie reden wir miteinander, zu allen Teufeln!"
..Dazu hat auch das Leben einen gewissen modus videndi ausgebildet, daß man solche Begegnungen vermeidet. Man läßt sich nicht miteinander ein, und genug. Allerdings bin ich mir noch nie so dumm vorgekommen, wie heute, ich
,, Dumme Frage! Offenbar doch nicht!"
„ Aber dieser Euer Arbeiter in Lodz , der unseren Streifdelegierten erschossen hat, er hat's geglaubt! Und da er es glaubte, hatte er ein Recht, zu töten. Er war ein primitiver Mensch von barbarischer Einfchheit."
„ Erstens war das ein Mensch, der nicht zu unserer Organisation gehört, irgendeiner aus der Masse..."
,, Doch, es war ein SDK.! Und zum Trost will ich Dit bekennen, was ihr vielleicht gar nicht wißt, daß einer von den unsrigen auch einen SDK. getötet hat. Auch der glaubte das. Das ist die mörderische Konsequerz„ Schufte" schlägt man eben tot. Sei getrost! Ez kommt noch mehr dergleichen.
"
Falsch! Die einfachen Arbeiter leben miteinander natürlich und menschlich. Nur wir. Stimmt nicht! Es ist der unmittelbare ehrliche Saß aufgehegter Menschen..."