Hause hinauf. Keiner tum beiden sagte ein Dort, statt dessen sprachen die Augen. Der Besitzer, der sie vom Fenster aus bemerkt hatte, trat aus dem Haus, augenscheinlich ärgerlich, Hans Mortensson wiederzu- sehen. Er murmelte etwas von Landstreichern und Gesindel, hütete sich jedoch es laut zu äussern. Hans Mortensson lachte verächtlich und schnitt eine Grimasse, worauf der Bauer aufgebracht wieder ins Haus zurückkehrte, dessen Tür er dröhnend zuschlug. „Vergeh er nicht, was ich ihm gesagt Hab"', rief ihm Hans Mortensson nach. „Man soll's im guten versuchen, bevor man mit harter Hand zupackt", erklärte er auf Karins fragenden Blick. Nach einer Weile schlugen sie den Weg nach dem Innern der Insel ein und verfolgten den krummen Pfad durch den Wald bis Hagen , auf dessen Eingangs- tür sie zusteuerten. Hans hielt immer noch das Mädchen um- schlungen, das sich ohne Einwendungen und Fragen willig führen lieh. Petersson, der Besitzer von Hagen , begegnete ihm auf der Treppe. Er sowohl als auch sein Sohn waren ihrer Trunksucht wegen gekannt und gemieden, weshalb sie der unerwartete Besuch doppelt verwunderte. „Hch," begann er, indem er boshaft nach dem Besucher hin- schielte,„suchst Du mich?" Der nickte nur. Er wusste, mit wem er's zu tun hatte und handelte demgemäh. „Setz Dich, Karin!" sagte er phlegmatisch� während er selbst Platz nahm.„Setz Dich, Petersson, dann können wir reden." Der Angeredete blickte scheel den Besucher an. Endlich platzte ex heraus: „Danke schön! Uebrigens ist's meine Bank, wenn Du's noch Nicht weiht." „Eine gute Bank, so viel ich sehen kann. Setz er sich." Ein hässliches bösartiges Lachen antwortete ihm. Hans Mortensson lieh sich jedoch nicht im geringsten stören. „Ich bin hier, um von Geschäften zu reden", begann er. „Sonntags mache ich keine Geschäfte." Ohne eine Miene zu verändern stand Mortensson auf. „Hat Zeit bis morgen", sagte er nur. „Um so besser", meinte Petersson. „Adieu auch!" Damit legte er wieder den Arm um Karins Leib und ging mit kurzem Kopfnicken. Ohne sich umzusehen schritt er über den Hof und begab sich auf den Weg. „Hör!" rief ihm plötzlich Petersson nach. „Morgen", entgegnete Hans und ging weiter. „Die Art muh kurz gehalten werden", flüsterte er Karin zu, die nichts von allem begriff, aber von diesem Tage an ihrem Hans unerschütterliches Vertrauen sckcnkte. Die beiden, die ihr Schicksal miteinander verknüpft hatten, traten gemächlich den Rückweg an. Im Schuppen, wo sich Hans Mortenssons Eigentum befand, ward eine hurtige Inventur vor- genommen und aus einer Kiste ein dunkle Flasche geholt und bei- seite gestellt. „Auf'n Handel!" erklärte Hans, dessen Rede wiederum kurz angebunden war, seitdem er sich nach seiner Meinung für eine lange Zeit ausgesprochen hatte. Karin lachte verständnisvoll. Ihr Mittagsessen bestand aus amerikanischem Speck und einem alten Kommissbrot. Während des Essens beobachtete er Karins Minen, ob sie etwa Verwunderung oder Widerwillen gegen die ihr gebotene Kost zeige. Da er nichts von allem bemerkte, nickte er zufrieden. „Wir werden's schon ausrichten, wir beide," sagte er mit einem Klang der Stimme, den Karin bisher nicht vernommen hatte. Als sie in froher Ueberraschung zu ihm aufblickte, klopfte er schmeichelnd ihren Rücken,' gerade wie der glückliche Besitzer eines starken und guten Lasttiers dasselbe bisweilen nach gut verrichteter Tagesarbeit liebkost. Stolz und gerührt trocknete sie ihr Auge. Obgleich Karin einige, wenngleich schwache Einwendungen vcr- suchte, brachten beide die Nacht in der Waldhütte zu. Dort gab sie sich gedankenlos, aber ohne Rückhalt dem Mann hin, dessen un- erschütterliche Ruhe über alle ihre Bedenken siegte. In der Frühe des folgenden Morgens stand Hans Mortensson auf Peterssons Treppe. Als der verscklafen und übelgelaunt her- austrat und mürrisch fragte, was zum Teufel er wolle, präsentierte Hans die Literflasche. Sofort klärte sich die Miene des Bauern auf und sein Benehmen wurde höflicher. „Bring Gläser!" befahl Hans, der die folgende Unterhandlung zu leiten entschlossen war. Sobald die Gläser gebracht wurden, wies er sie mit geringschätzigem Achselzucken zurück:„Fingerhüte! Hast Du nicht grössere?" (Fortsetzung folgt.) Ein poUtileKer Charakter. (Zu I. G. S e u m e s 150. Geburtstag. 29. Iamtnr 1913.) Die politischen Charaktere, die seinen besten Stolz bildeten in seiner besseren Vergangenheit, sind heute nicht mehr beliebt beim Bürgertum. Ts hat nun schon seit zwei Generationen auch politisch sein Heil in Kompromisse und Handelsgeschäft« gesetzt. Da» hat sein Verständnis für diese Männer, die weder mit sich noch mit Prinzipien Handel treiben konnten, nickt erleuchtet. Sie sind ihm unbequeme Mahner, Nietz'chesch gesprochen, doch in anderem Sinne, ein Gelächter und eine Scham. Es gedenkt ihrer am besten,— indem es sie vergisst. Die Aufgabe, die Erinnerung ihre? Seins und ihrer Taten wachzuhalten, ist längst in anoere Hände übergegangen. DaS Proletariat, das ihren Kampf weiter führt, steht auch als Hüter an ihrer Urne. Die Werke I. G. Seumes, die nur noch in wenigen Einzel« drucken zu haben waren, in einer gut ausgewählten Sammlung den Massen wieder zugänglich gemacht zu haben, ist das nicht geringe Verdienst Wilhelm Hausensteins.(Leipziger Buchdruckerei-A.-G. 560 Seiten. 3,50 M.) Diesem Seume, einem Altersgenossen Schillers, dessen Lebensjahre er um ein geringes übertraf, wurde alles zu Politik.„Ich glaube," sagte er in einer seiner Vorreden,„jedes gute Buch müsse näher oder ent- fernter politisch sein. Ein Bück, das dieses nicht ist, ist seh« überflüssig oder gar schlecht." So gab es in der Lyrik Politik, in der Idylle Politik, Politik in der Reiseschilderung wie in der Selbstbiographie oder in der philosophischen Reflexion, politisch war sein einziger dramatischer Versuch und wurde ihm sogar die über alles geliebte klassische Philologie. Seume war kein„deutscher Phantast," wie die Reaktion sich zum bequemen Gebrauch den Radikalismus zurecht gemacht hat: er war ein durchaus praktischer Mensch mit dem klarsten Blick ins Leben, genügsam bis zur Askese» ein Mann, der jeder Lage seiner bunt verworrenen Existenz gewachsen war, der sich ebensogut in der aufgezungenen englischen Uniform— er war von jenem edelcn hessiichen Fürsten mit Hunderten von Leidensgefährten nach Amerika verschachert worden—, als Gemeiner unter der preußischen Fuchtel wie als Offizier in russischen Diensten zurecht zu finden mutzte. Bei seiner männlichen Vorliebe für körperliche Leistung mag er sich manchmal im Lager so wohl gefühlt haben wie später nicht als ehrsamer Magister (Dozent) und Korrektor in Leipzig . Wie er, eines mühsam kämpfenden und in der harten Fronarbeit sich zu Grunde rackernden Kleinbauern Sohn, dem Volke entstammte, hat er sich allzeit am liebsten zu ihm gehalten, und nie die Berührung mit ihm verloren. SeumeS berühmte Fussreisen, durch eilt tiefes Bedürfnis, sich einmal dem ihn bedrängenden Bücherwesen zu entziehen, veranlasst, haben nicht zum wenigsten auch dielen Zweck deS scharfäugigen Betrachters aller mensch» lichen und politischen Zustände erfüllt.„Sowie man im Wagen sitzt, hatZman sich sogleich einige Grade von der ursprünglichen Humanität entfernt". Wie fern ihm aber allessabstrokte Gelehrtentum, das in seinen vier Wänden selig wird, zu allen Zeiten lag, beweist der folgende Ausspruch aus seinem letzten Lebensjahr:„Würden die Zeitverhältnissa einem Bürger heutzutage Gelegenbeit geben, auf ehrenvolle Art praktische politische Arbeit zutun, so bätte ich mich wahrlich nicht dazu verstehen können, mich mit Lesen und Schreiben zu begnügen". Seine ganze Schriftstellerei ist ihm also nur Ausdruck einer zentralen politischen Idee. Seine Lyrik, in ihrem hochgestimmteir Pathos Elemente der Schillerscken Jugenddichtung weiterbildend, richtet sich gegen das Pasckatum der deutschen Kleinsürsten und gegen die Land und Volk ruinierenden soziale» und politischen Privilegren des deutschen Adels. Auch seine übrigen Schriften, bis herab zu einer lateinischen Einleitung zu einer Dissertation über den Plutarch, stehen ganz im Dienst solcher Zwecke: Seume war vielleicht der konsequen» teste Demokrat unter den deutschen Literaten seiner Zeit. Er war ein guter Hasser, der sich nicht durch gesellschaftliche» Entgegenkommen bestechen lieh.„Wer die Privilegien tötete, wäre der Weltheiland", lautet einer seiner politischen Aphorismen, und über die deutsche Geschichte resümiert er, warnend das Beispiel der durch die Raffgier der polnischen Junker vernichteten„Adelsrepublik" zitierend: „Bei uns zerstörten die Freiheiten die Freiheit, die Gerechtigkeiten die Gerechtigkeit." Aber er sieht auch, und hier vereinigt sich seine militärische Liebhaberei mit seinen» politischen Sinn, dass von Grund auf gebaut werden inuss, soll das HauS wirklich erneuert werden. „Wo man anfängt, den Krieger von dem Bürger zu trennen, ist die Sache der Freiheit und Gerechtigkeit schon halb verloren." Zkur durch solche Neuordnung wird der Deutiche auch seine Nationallaster, ihm von der Geschichte eingepflanzt, ablegen, gegen die Seume nicht genug wettern kann: Denun und Geduld:„Demut— Mut zu dienen. Demut ist der erste Schritt zur Niederträchtigkeit." Dieser Schriftsteller, der eine Art Nationalpädagog war in einer Zeit, wo die Nation nur erst ein theoretisches Problem war, steht natürlich ganz im Bann der individualistischen Ideen der Aus- klärungSzeit. Auch er will den einzelnen ändern, um so die Gesamt- heit zu reformieren. Aber dunkel ahnr er doch die Grenzen dieses Individualismus, ohne ihn schon prinzipiell kritisieren zu können, wenn er etwa sagt:„Wo ein einziger Mann den Staat erhalten kann, ist der Stank in seiner Fäulnis kaum der Erhaltung wert." Während sich die denrschen Intellektuellen fast ausnahmslos von der anfangs freudig bcgrühten Revolution abgeivandt hatten, wurde Seume nicht wankend in seinen Ideen. Ja, in folgenden Worten scheint fast eine Maxime der Revolution formuliert zu sein:„Alles würde in der Welt am besten mit Negativen gehen. Die Weg- schaffiing des Schlimmen wird schon das Gute bringen." Auch hierin zeigt sich jener feste Glaube an die Demokratie, der alle seine Schriften beseelte. Wenn aus seinein Werk tl's aus seinem.Lebe«,
Ausgabe
30 (29.1.1913) 20
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