To erstarrt, so regelhast geworden, datz man suhlte, es eilt, best wir unS davon befreien, ehe noch mehr junge Seelen davon zerquetscht werden. Die biSberige pädagogische Anschauung hat trotz allem, trotz Montaigne. Rousseau . Pestalozzi , im Kind eine Art Tier ge- sehen, etwas Dummes, da» wir, die Erwachsenen, zu uns„empor ziehen müstten*. Dagegen hatte Jesus schon die höhere Anschauung vom Kind, da er dag Kindsein als Vorbild der Erwachsenen hin- stellte. Wir find heute daran, diese Anschauung auszubauen, sie im einzelnen zu verdeutlichen, indem wir das Kind nicht zu uns empor zu ziehen trachten, sondern seinen in ihm liegenden Bedingungen gemäß es wachsen lassen und nur dafür sorgen, daß es seinen geistigen Hunger stillen kann— nicht mit geistiger Kost, die zu bestimmten Tendenzen und Zwecken ausgesucht ist, sondern die sich allein nach den seelischen Wachstumsbedinglingen und- m ö g- lichkeiten des Kindes richtet. Nun die Sprache. Eine wesentliche frühere Meinung war: die Sprache sei ein Geschenk Gottes an den Menschen, ihn» gegeben in Ansehung seiner Not, da er sonst hilflos geloesen sei. Eine andere Auffassung war die der Erfindung. Der Mensch hätte sich die Sprache „erfunden", so wie er sich in der Wildnis, in der Ungeinütlichkeit des ersten Seins andere Dinge erfunden hätte, Dinge des Ge- brauchs, der Bequemlichkeit. Auch diese Auffassung ist auf die Dauer unhaltbar. Denn sie setzt ein Denken und einen Geist voraus, wie er vor der Sprache noch nicht da sein konnte. Nach all' unserer Erfahrung steht die Sprache in engster Beziehung und Wechselwirkung zum Denken. Es ist innigster Kontakt da und man kann sagen, daß ohne dauernde Sprachentwickelung, Sprachwandlung auch eine geistige Entwickelung kaum möglich ist. Diesen An- schauungcn hat der Sprachforscher und-Philosoph Steinthal in seiner„Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft" die dritte Anschauung gegenübergestellt: daß die Sprache von Anfang an in der Tendenz im Menschen gelegen hat und gleichzeitig mit oll' seinen Fähigkeiten gewachsen ist. Gemeinhin steht ja nun der heulige Gebildete dem Kind gegenüber so da, daß er ohne weiteres annimmt, das Kind lernt Sprache durch Nachahmung. Aber selbst, wenn man annähme, daß das so wäre, so müßte man zurück- gehend in den Jahrhunderten und Jahrtausenden der Geschichte einmal zu Menschen kommen, die Sprache nicht durch Stach- ahmung lernten, weil vor ihnen noch keine Menschen waren, voir denen sie hätten lernen können.— Also kurz und gut, die Sprache wächst im Menschen, wie alles andere an ihm wächst, falls man ihm die Wachstumsbedingungen nicht abschneidet. Und wirkliche Wiffen- schast und Forschung würde es sein, wenn man zu erkennen suchte. w i e das zugeht. Steinthal war ein solcher Forscher im besten Sinne. Und er hat manches zu dem Problem sagen können. Um zu einem möglichst klaren Bild über das Entstehen der Sprache zu kommen, ging er nicht in eine nebelhafte Urzeit zurück, von der er wußte, daß er sie niemals genau rekonstruieren könnte, sondern er suchte den Urmenschen unserer Tage auf: das Kind. Was er da ge- fundcn hat, steht in dem genannten Buch. Auf ähnlichem Boden steht Berthold Otto , der allerdings von der pädagogische» Seite herkam, und fand: daß Kinder in den verschiedene» Jahren ganz verschiedene„Mundarten" sprächen, und daß es darum für den psychologisch gebildeten und inter - essierten Pädagogen wichtig sei, hierüber orientiert zu sein, um dadurch das ttutcrrichtswerk zu erleichtern. Das ist nun keineswegs so dumm, wie anfängliche Gegner der Ansicht glauben machen wollten. Denn es handelt sich nicht im mindesten um ein Aufhalten der Sprachentwickelung, sondern um eine pädagogische Möglichkeit der Verständigung zwischen Erwachsenen und Kind. Es ist eine ganz bekannte Tatsache, daß die Mehrzahl unserer Bücher in den Schulen in einer Sprache geschrieben sind, die für das Kind absolut unzugän'glich ist, so daß in den Schulen meist noch weiter nichts geschrieben wird, als Nomenklatur,— d. h. eine Holz- Hackerische V e r- und B e arbeitung von Sprache und Erklärung von Gelesenem, weil die Sprache eben dem Kinde fremd ist. Daß dabei die Ausbildung der Geisteskräfte des Kindes leiden muß, ist klar. Denn die meiste Zeit wird damit verbracht, die Sprach� der Schulbücher dem Kinde in den Lehrstunden zu verdeutlichen, soweit das möglich ist.— Notgedrungen kommt dabei auch das zu kurz, was an eigenem im Kinde ohne weiteres drin liegt, sein Fühlen, seine Seele, seine Sehnsucht nach den Erkenntnissen, die ihm zunächst ein« mal am nächsten liegen. Nicht dadurch, daß man deni 5kind eine ihm im Grunde fremde Sprache(der Erwachsenen) vorhält, kommt das Kind weiter in der Sprache, sondern, indem man es jeweils d a S aussprechen läßt, was es geistig seelisch beschäftigt— aus- sprechen läßt in seiner Sprache. Die Beweise sind da. Kinder können außerordentlich eigenwüchsig, schön, treffend erzählen. Wer jemals die Schulanfänger unterrichtet hat, weiß das. Sie stecken so voll von Lebe», haben so wundervolle Augen, die beobachten, schaue» und staunen können, und haben eine so offene Seele, eine so der- trauenSselige Hingabe, wenn man ihnen gestattet, mit all dem her- aus zu rücken, was sie beschäftigt. Und wo ist all das nach ein paar Jahren Unterricht geblieben? Ja. wo? Tie Anschauung, Kindersprache sei verhunzte Erwachscneusprache ist Ivohl heute endgültig abgetan. Die Anschauung, Kindersprache sei häßlich, schwindet auch immer mehr, je mehr man sich mit der Sprache des Kindes befaßt. Sonnt ist die Bahn frei gemacht, für Anerkennung deS kindlichen Ausdrucks in der Schule— mündlich und schriftlich.— Die Anerkennung ist freilich vielerorts erst theoretisch nur vorhanden. Und vor allem in de» Büchern, die man Kindern gibt, sowohl in den Schulbüchern, wie auch in de» meisten Jugendschriftcn. steht noch das furchtbarste Schriftdeutsch. Als das Buch vom Arbeiter Karl Fischer erschien, hat die Presse vor allem die Wucht und Macht seiner Sprache hervorgehoben. Das ist schon richtig. Man hätte nur auch das Prinzipielle daran sehen sollen, daß nämlich der Verfasser eine solche machtvolle Sprache schrieb, weil er nicht durch eine Schriftsprache verbildet war. Ich bin geradezu der Ansicht, daß mancher berühmte Schriftsteller sich vor der Sprache des Arbeiters Fischer einfach verkriechen sollte: eine solche suggestive Kraft geht von ihr aus. eine Kraft, die eine mit Bedacht gebaute und gestaltete und Kunstsprache niemals bekommen kann. Otto zur Linde ist einer der ersten gewesen, die dies tief erkannt haben; er prägte den Ausdruck von der„echten'" Sprache, und was er damit meinte, war eine Sprache, die nicht nach Vorbildern<der Literatur usw.) geschaffen sei; sondern die im innigsten Kontakt mit dc.m Erlebnis, mit den, Geschonten usw. entstehen. Er war es auch, der die Kindersprache in dieser neuen Perspektive sah. Er sah, wie das uiwerbildete Kind im innigsten Kontakt mit Erlebnis und Geichautem spricht und dann naturnotwendig den treffenden Ausdruck findet. Wenn die lftikstände günstig sind sdas Kind keine Anleitung zum Schwätzen und Worte» machen bekommen hat) und es sich absichtslos offenbaren kann, macht die Sprache des Kindes den Eindruck von etwas Dichterischem. Auch der Herausgeber einer Kunstzcitschrift schrieb mir vor Jahren, in, Verfolg solcher Ideen, daß in der Tat manche Stücke in der Kinder» spräche auf ihn den Eindruck von Gedichten machten. In der Tat sind zwischen Gedichten und Kindersprache Beziehungen. Freilich das, was als Kindergedicht in der bisherigen Literatur, vor allem in den Lesebüchern da ist, scheidet hier völlig aus. Güll, Hey» Reinick usw., das sind alles gar nicht die Kinderdickter, wie ich sie meine. Auch Trojan, Blüthgen usw. nicht. Ich führe von schlechter Lesebuchdichtung ein paar Beispiele an: „Es blieben einst drei Kinder stehn, Die grad zur Schule sollten geh», Die dachten dies und dachten das. Das Lernen sei ein schlechter Spatz. Und sprachen dann mit leichtem Sinn, Ei, laßt uns doch zum Walde hin, Das Spielen ist der Tierlein Brauch, Laßt spielen uns mit ihnen auch." Und so weiter. Der„geneigte" Leser weiß schon, wie die seine Geschichte weiter gehen wird. Man beachte aber hier die schöne sogenannte„Kindlichkeit" und die schöne Sprache:„die grad zur Schule sollten gehn"—„laßt spielen uns mit ihnen auch" usw. Oder: „Schlägt« deS Morgens halber acht, Spring ich auf von meinem Stuhl, Alles wird zurecht gemacht,� Was ich brauch in meiner schul— Von dem Nagel kommt die Kappe, Umgehängt wird schnell die Mappe, Eingesäckelt Buch und Schrift, Tafel, Lineal und Stift.... Nun ihr Leut, ich will schon heut, Lernen, daß es eine Freud, Daß es eine Lust soll sein, Bis der Abend bricht herein Daß ich auch, wenn ich bin brav. Spielen kann und ruhig schlaf.— Geist, Wesen und Sprache solcher„Dichtung" ist entsetzlich grau» sanr, ledern, moralisch, unglaublich unpsychologisch. Oder Prosa: „A u f d e in H ü h n e r h o s e. Ein gar bewegliches Völkchen ist die Schar der Hühner, die aus dem Hofe umherläuft. Und wie schmuck skönnte eS auch anders heißen? schmuck I! R.) sehen sie auS in ihren bunten Federkleidern und den Hauben und Kämmen an ihren Köpfen. Wer aber schreitet so stolz und kräftig zwischen ihnen hindurch? DaS ist der Hahn, ihr Herr und König!" In diesem furchtbaren Stil geht es nun ein ganzes Lescstiick weiter. Dem allen gegenüber hat die Kindersprache oft musikalische und dichterische Oualitäten. Daß das nicht früher� erkannt wurde, daran ist eben das schlechte Schuldeutsch, die schlechte Lesebuch- spräche schuld. Selbst in Kunsterziehungskreisen wird eS erst langsam erkannt. Denn auch da ist noch oft die Anschauung. die Kinder lernten die Sprache durch Nachahmung. Gott sei dank, das tun sie nicht. Denn sonst müßten sie durch Nachahmung der Schulsprache, der Sckmlbüchersprache längst rettungslos verseucht sein. Auch in manchen Büchern, die die Ausschüsse geprüft haben, ist die Sprache noch mangelhaft und zu„hoch" und„schriftdeutsch". Otto zur Linde hat in einer trefflichen Abhandlung einmal daraus auf- merksam gemacht. Er hat die Sprache von Kräpelins.Naturstudien", von den„Tiergeschichten" und anderen Büchern psychologisch-dichte» risch untersucht und nachgewiesen, daß die Sprache dichterisch unzu- länglich und dem Kinde srcmd sein muß. DaS Kind hat eins mit dem Dichter gemein, und das ist et'vaS Psychologisches; es will im Grunde weder Sprache noch vor all. in Sprachlehre zwischen sich und den Dingen. Es will in allen wesentlichen Fällen neu schaffen, neu benennen. Es will seine Welt überwinden. Dasselbe will der Dichter. Und das sprachichassende Kind und der dichtende Dichter sind zur Zeit des Schaffens die ganz Absichtslosen und Einsamen,
Ausgabe
30 (5.2.1913) 25
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