Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 30.
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Mittwoch, den 12. Februar.
Gefchichte einer Bombe.
Von Andreas Strug.
Sieh da! Hast Du Dich wieder aufs Studieren geworfen?" fragte Gryziak, indem er auf das Bücherbrett zeigte.
Du weißt, ich habe die Bildung immer geliebt. Das verstehst Du nicht, aber ich habe das Gymnasium absolviert! Diese Bücher hier, die stehen nur für die„ Genossen" da, die mich oft besuchen. Die revolutionäre russische Literatur habe ich von der Ochrana bekommen. Ich verleihe sie manchmal an die„ Genossen"."
Was sind das für Leute?"
" Komische Figuren. Diese dioten bilden sich ein, daß fie die Welt umgestalten werden. Was für Grimassen! Welche Tugend! Und einer immer dümmer als der andere. Die tun gerade so viel in der Revolution, daß sie kluge Bücher über die Einrichtung der Welt lesen und ihre Tugend pflegen. Darum greift man sie auch einen nach dem anderen mit der bloßen Hand an dieser Tugend, bevor einer noch irgendwas getan hat! Prinzipien!" Jm Grunde sind es Feiglinge. Dazu gehört eine ganz andere Sorte von Leuten. Solche tüchtige Burschen, wie sie bei uns find, habe ich da nicht gefunden.
"
Wie bist Du da hineingekommen? Vertraut man Dir? Fürchtest Du Dich nicht? Schon manchen haben die Leute von der Partei hingestreckt."
Aber Mensch! Mich hat doch ihr eigener Hauptmacher aus Moskau eingeführt. Ein großes Tier! Ich bin dort sicher bis ans Ende der Welt!"
"
,, Wie hast Du den bekommen? Womit?" „ Er dient ebenfalls in der Ochrana und, stell' Dir blok vor, schon seit neun Jahren! Das ist ein Kerl! Tausend und, was die Rubel im Monat, Reisekosten, Prämien und, was die Hauptsache ist, dieses tägliche, stündliche Vergnügen an der schweren menschlichen Dummheit!"
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" Ja, es muß amüsant sein! Hast Du nicht auch Beziehungen zu der PPS. hier in Warschau ? Ich hätte ein Geschäft...
" Ja, siehst Du, das sind heikle Dinge. Ich hatte dort früher Bekannte und fürchte, daß man mich erkennt. Sie würden mir meine Geschäfte verderben. Denn dort weiß man von verschiedenen meiner kleinen Affären. Was wolltest Du?"
Ich habe einen Brief von einem Kampfgenossen, der morgen gehenkt wird."
Gib her, laß uns lesen! Das muß luftig sein, was so ein Ritter an die Nachkommen schreibt.
,, Nein, es ist ein ganz gewöhnlicher, ehrlicher, dummer Bauer. Ich habe ihm übrigens versprochen, den Brief nicht zu lesen."
Liegt Dir so viel daran, daß der Brief ankommt?" „ Einerlei, ob mir daran gelegen ist oder nicht. Ich pflege zu halten, was ich verspreche. Und habe ich jemand Prügel zugesagt, so fann er bestimmt darauf rechnen." Was hast Du hier im Bündel?"
Zwei Würste. Der arme Kerl gab sie mir gern. selbst hätte keine Zeit mehr gefunden, sie zu essen."
Er
Sicher so eine Landwurst mit Knoblauch und Pfeffer, daß es einem im Bauch wohl tut. Gryziat, lieber Freund, sei nett und gib mir eine. Ich lechze nach einer trockenen Landwurst!"
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Da hast Du! Du könntest mir dafür diese Maschine hier schenken. Ich bin nicht gewohnt, mit leeren Händen herumzugehen..
"
Bedaure. Ich kann nicht. Eine treffliche Waffe übrigens!"
So gib mir wenigstens fünfundzwanzig Rubel, denn ich muß sofort eine Waffe haben. Und auf Wiedersehen!" Ich hab's nicht! Kauf Dir für das andere!"
Na, weißt Du...
sch habe noch etwas, aber es ist Parteigeld. Nachher fordern sie es, und das könnte mich kompromittieren." „ Her damit!"
1913
Zwanzig! Mehr kann ich nicht! Für das Geld bekommst Du bei Kapton schon eine gute Waffe mit Magazin und Ladung."
,, Handelt der alte Kapton noch immer mit Waffen? Und noch am gleichen Ort?"
" Ja. Im selben Haus. Franziskanergasse." Auf Wiedersehen! Daß mir das Geld in einem
Monat bereit liegt!"
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„ Schon gut. Daß Du mir aber auch kommst! Nimm Dich in acht, mein Junge, jetzt ist es schwierig. Andere Zeiten!" Mir wird es immer leicht sein.
Als er hinausging, traf er auf der Treppe mit einem jungen hellhaarigen Menschen zusammen, der mit Mühe zwei Körbe schleppte. Er blieb stehen, um ihn vorbeizulassen. Der Unbekannte blickte ihn mit einem guten offenen Blick an und lächelte freundlich.
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,, Grüß Gott, Jwan Arkadiewitsch!" begrüßte ihn der Schwarze. Wie gut, daß Sie kommen! Sie sind sicher hungrig vom weiten Weg, wie immer, und ich habe da gerade eine feine polnische Wurst! Es gibt einen guten Imbiß!- Auf Wiedersehen, lieber Junge!" wandte er sich an Gryziak, und als der neue Gast schon in der Tür war mit seinen Körben, zwinkerte der Schwarze Gryziak zu und schnitt nach Bubenart eine Grimasse hinter dem eintretenden Genossen, als wollte er fagen: Da hast Du das Hornvieh! d Gryziak stürzte sich in die Franziskanergasse, und in einem der riesigen Häuser, irgendwo tief in geheimnisvollen Höfen, fand er seinen alten Lieferanten. Er wählte sich eine entsprechende Waffe aus, lud sie und begab sich in die Rich tung der Stadt.
Als er den Krasinskigarten passierte, stand plötzlich der freundliche Blick des Genossen, wie er die schweren Störbe mit der verbotenen Literatur die Treppe heraufschleppte, vor seinen Augen. Er lächelte und kehrte um.
Als er anklopfte, öffnete der Freund, den Mund noch voll Wurst, gerötet und belebt. Offenbar hatte er schon etwas hinter die Binde gegossen. Der Schwarze machte ein unzufriedenes, verwundertes Gesicht. In dies verwunderte Gesicht schoß Gryziak einmal und noch einmal und ging dann ruhig die Treppe hinunter. Er war befriedigt.
„ Schießt gut. Eine eingeschossene Waffe!" dachte er, indem er sie unter den Hosengurt steckte und die Jacke darüber fest zuknöpfte. Er ging über den Hof, trat auf die Straße und tauchte in der Menge unter.
Jetzt erst fühlte er, daß er in Wirklichkeit frei war. Das bewegte Leben der Straße wehte ihn an. Der Lärm, das Rollen der Wagen und Droschten betäubte ihn und erfüllte ihn mit Glück. Er hätte am liebsten gesungen, gelacht und viel geredet. Aber er hatte niemand. lobiumblo Dia
Da tat es ihm zum erstenmal um seine Kameraden leid. Jetzt erst fühlte er, daß sie nicht mehr waren. Die Eindrücke der letzten Tage hatten ihn betäubt. Vorgestern erst beim Morgengrauen hatte man sie hinausgeführt. Sie gingen tapfer, heiter, mit einer Zigarette zwischen den Lippen in den Tod. Sie gingen, und er wird sie nie wiedersehen. Solche wie sie wird er nicht mehr haben zwei solche Kerle wird er nicht mehr finden!...
Sie waren ihrer drei, aber sie bildeten gleichsam einen Menschen. Jeder von ihnen hatte eine Eigenschaft, die für die ganze Kompagnie von größtem Nußen war. Das„ Schaf" war ein Athlet und verstand es, mit Bauern und Juden zu reden, der Freier" fonnte die Rolle eines Gebildeten spielen, kannte gründlich das Parteileben, verstand es, sich in einen eleganten Anzug zu schicken und mit der bourgeoisen Gesellschaft auf gleichem Fuß zu verkehren. Er war in allen Sätteln gerecht, ein hübscher Kerl, und hätte ein reichliches Auskommen haben können allein von den Beiträgen für revolutionäre Swede, für Wahlen, für die Selbstverteidigung, für die nationale Demokratie, für patriotische Fonds und für neue Kirchenbauten. Er hatte seinerzeit alles mögliche durchgemacht, war dabei doch nicht bequem geworden und hatte stets nach der Wahrheit gestrebt. Als sie bei irgendeiner Ge legenheit zu dritt sich trafen, wuchsen sie sofort zusammen,