gegangen. Bei diesen Tieren ist wirklich das Ideal einer Kahren Gemeinschaft verwirklicht:Einer für alle und alle für einen". Hier gibt es keine höheren oder niederen Stände, die miteinander in Rivalität stehen, sondern jeder bestrebt sich, nur nach seine« Fähig- ketten das Beste für die Gesamtheit zu leisten. Haben wir vorher ein vielzelliges Tier, da es sich aus zahl- reichen Elementarorganismen zusammensetzt, als einJndivi- duum zweiter Ordnung" bezeichnet, so müssen wir bei den Staatsquallen oder Siphonophoren gar vonIndividuen dritter Ordnung" sprechen. In der Tat sind hier ja eine AnzahlIndividuen zweiter Ordnung" zu einem einheitlichen Organismus vereinigt. Eine derartige Staatsqualle darf man da- her nicht einem höheren, vielzelligen Tier, etwa einer Biene, gleich- setzen, sondern sie entspricht einem ganzen Bienenstock. Doch bei der Staatsqualle haben die einzelnen Bürger jede Selbständigkeit eingebüßt; einige fressen nur, sie sind zum Mund und Magen ge- worden; andere, zu langen mit Nessclbatterien besetzten Fäden aus- gezogen, dienen der Verteidigung; wieder andere find zu Schwimm- glocken, zu Deckplatten, zu@« schlecht soraa nen umgewandelt. So hat unter den einzelnen Angehörigen der Kolonie eine Arbeits- teilung Platz gegriffen, die man direkt mit der Einteilung unseres Körpers in einzelne Organe in Parallele stellen kann. Von den Staatenbildungen bei den höheren Tieren soll ein andermal ge- sprochen werden. Dr. T. kleines fernllcton* Literarisches. Otto Ludwig als Kritiker Schilleps. In deutscher Sprache ist niemals ein so heftiger Angriff gegen Scbiller und sein Drama gerichtet worden, wie der Otto Ludwigs, dessen hundertster Geburtstag in diesen Tagen festlick, begangen wird. Mit rücksichts- losem«acharffinn hat Ludwig in seinenDramatischen Studien" alle Schwächen deridealistiiiben" Dichtung Schillers aufgedeckt und dafür immer wieder auf Shakespeare als den wirklichen Meister des Theaters hingewiesen. Besonders der. W a l l e n st e i n" war es, der den E nsiedler uuS Eisfeld zu. steter Kritik reizte.Ich kenne keine poetische, namentlich keine dranianiche Gestalt", schreibt er einmal, die in ihrem Entwürfe so zufällig, so krankhaft individuell, in ihrer Ausführung so unwahr wäre als Schillers Wallenstein . Keine aber auch, in welcher diese Unwahrheit und innere Haltlosig- keit mit größerem Geschick versteckt wäre!" Er wägt den Wallen- stein gegen Hamlet ab und findet ihn zu leicht:Was man von dem historischen Wallenstein weiß, wäre in eines Shakespeares Hand zu einem grandiosen Bilde geworden. Der Schillerische, ein Zungen- Held, wie das deutsche Publikum sie gerne hat. spricht Dinge, die meist wundervoll schön find, wenn man sie sich von Schiller selbst gesprochen denkt, und die ihm nicht leicht ein anderer nachsprechen wird; das meiste aber davon ist in Wallenstcins Munde unwahr wie die ganze Gestalt." In derselben Polemik fällt ein tiefes Wort, das uns den ganzen Charakter Ludwigs enthüllt:So schlecht die Wirklichkeit sein möge, es ist mehr wahre Poesie darin, als in der idealen Verklärung der Schwäche, als in einer idealen Schattenwelt." Achnliche Keulenschläge wie auf denWallenstein " sausen auch auf dieMaria Stuart " her- nieder.Ucberall bewußte absichtliche Kunst, aber nicht bloß des Dichters, sondern auch der Personen; ein völliger Mangel an dra- malischer Unmittelbarkeit. Den Leuten ist mehr darum zu tun, ihre Rednerkunst zu zeigen und ihre persönliche Würde zur Darstellung zu bringen, als dem Dichter, uns Menschen zu zeigen. Da ist überall Draperie und Attitüde, aber nirgends eine Spur von un- belauschter Natur." Ludwig war sogar sarkastisch genug, Schiller mit Scribe zu vergleichen:Merkwürdig ist die Aehnlichkeit der Scribeschen historischen Lustspiele in der Technik mit derMaria Stuart ". Die Hauptsache ist, wie immer ein Intrigant den andern überlistet." Von derBraut von Messina " heißt es in Ludwigs Studien, sie bestände anskünstlich belebten Leichen"..Mir war, als sähe ich dem Meere zu; die" endlose Schaukeln, nirgends ein Festes, machte mir zuletzt bei der Auf- fübrung die Empfindung, als wäre auch die Erde unter meinen Füßen nicht mehr fest." De » Abschluß de? Sckiller-Esiays bildet ein blutiger Hohn. Ludwig vergleicht Sophokles ' Produktion mit einer schlanken Palme. Shakespeares mit einer knorrigen Eiche, aber Schillers Produktion mit einem Christbaum! Schiller nahm nach seinem'Urteil aus Shakespeares oder der alten Griechen Garten Senker, entfernte die Wurzeln und pflanzte sie in den seinen.Aus Ungeduld, daß der Baum so lange mit den Früchten zaudert, hängt er welche, von andern Bäumen genommen, daran; um die gesunde Röte der Frucht zu ersetzen und zu überbieten, vergoldet er sie.. Sprachtvissenschaftlichcs. Die alte st e Sprache Europas , wenn man von dem modernen Griechischen absieht und die ausgestorbenen Sprachen über- Haupt außer Betracht läßt, ist das Gälische in Irland . Die Gälen waren ein Volksstamm, der vor etwa tausend Jahren vor Christi Geburt nach der Grünen Insel kam. Sie gaben ihr den Namen Eire. und unter diesem wurde sie auch den Griechen etwa vier- hundert Jahre vor unserer Zeitrechnung bekannt. Wenigstens ein- Nerantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln.=- Druck u. Verlag: einhalb Jahrtausende bewahrten die Gälen. die ein Volk der großen keltischen Familie waren, in Irland ihre Unabhängigkeit unter eigenen Häuptlingen. Sie besaßen schon lange vor Einführung des Christentums ein Alphabet, das Ogum genannt wurde und aus einem System von graden Linien oder Punkten zu beiden Seiten einer Grundlinie bestand, also, wie ein moderner Sprachforscher sich ausgedrückt hat, wie eine Kreuzung zwischen dem Morsealphabet der Telegraphie und der Keil- ichrift aussah. Es wurde namentlich für Inschriften auf Denk- mälern benutzt und erhielt sich bis in das zehnte Jahr- hundert. Dann wurde es durch ein Alphabet von 17 Buchstaben ersetzt, das aus dem Lateinischen hergeleitet war, mit dem das Gäliscke überhaupt viele Beziehungen auftveist. Von den englischen Eroberern bat die gälische Sprache so wenig Rücksicht erfahren, daß es wie ein Wunder erscheint, daß sie sich auch nur in Resten hat er- hallen können. Sie hat sich dann nacb der großen Hungersnot in den Jahren 184S bis 1847 mit dem Strom der Auswanderer nach den Vereinigten Staaten hinübergerettet, wo sie 30 Jahre später als eine berechtigte Sprache anerkannt wurde. Sie hat sogar eine besondere Förderung erfahren, so daß sie beute in 3000 von den vor- handenen 8000 der sogenannten Nationalschulen in den Vereinigten Staaten gelehrt wird, außerdem in einer großen Anzahl von Privat« schulen. Dadurch hat sich auch eine moderne gälische Literatur ent- wickelt. Dem amerikaniscden Einfluß also haben die Iren eS zu verdanken, wenn sie an der in diesem Jahre entstehenden neuen Nationaluniversität die gälische Sprache für die Aufnahme als eine Forderung haben bezeichnen dürfen. Nach der letzten Volkszählung wird das Gälische in Irland noch von fast 600 OVO Bewohnern als Muttersprache gesprochen, in Großbritannien und Amerika wahr- scheinlich von mehr als einer Million. Philosophisches. DaS Problem der Willensfreiheit. Die kaum übersehbare Zahl von Werken über das fast zu Tode abgehetzte Problem der Willensfreiheit vermehrt G. F. Lipps um ein neues sAus Natur und Geisteswelt. Bd. 383. Teubner, 1912. Preis 1,2ö M.). Art und Resultate der Darstellung des Züricher Psychologen werden auch den fesieln, für den der Widerspruch zwischen dem subjektiven Glauben freier Entscheidung und der objektiven Erkenntnis der Gesetzmäßigkeit alles Handelns kein Problem mehr ist. Lipps ent- wickelt dialektisch den in der Geschichte der Philosophie mit stets größerer Schärfe hervortretenden genannten Widerspruch, ohne in eine langweilige rein historische Wiedergabe zu verfallen. Für Lipps löst sich das Problem durch die Unterscheidung des naiven und kritischen Verhaltens: der kritische Beobachter geht bis auf die letzten Bestimmungsgründe unseres Handelns zurück und findet dort keine Möglichkeit andersartiger Ent- scheidung, als sie tatsächlich getroffen wird. Da aber die letzten Gründe im einzelnen nicht erfaßbar sind, bleibt für die naive Be- trachwngswcise. die nur das jeweils Erfaßbare kennt, die Möglichkeit, daß anders gehandelt hätte werden können. Auf Grund dieser Ein- ficht entwickelt Lipps den schönen Gedanken: die Erkenntnis der Unfreiheit bietetnicht die vielleicht sehr erwünschte Loslösung von den Folgen unserer Tat; nicht die vielleicht heiß ersehnte Möglichkeit eines neuen Anfangs, aber doch eine Erlösung, nämlich die Be- freiung von der Selbstanllage und von der vernichte»' en Vorstellung, daß all unser Tun und Lassen auch anders sich hätte gestalten können. Und diese Erlösung befreit uns zugleich von der Selbst- Herrlichkeit unseres Ich, das vermeintlich für sich besteht und von sich aus zu handeln glaubt. Sie führt uns zu der bescheidenen Einordnung in den Zusammenhang der Lebensgemeinschaft, der wir angehören, und in den Zusammenhang mit dem gesamten Weltgescheben." Eine Ergänzung für die psychologische Seite des Problems bietet Narziß Ach (Ueber den Willen", 1. Heft der Untersuchungen zur Psychologie und Philosophie. Quelle und Meyer. 0,80 M.> Das Heft gibt in einer auch für Nicht-Psychologen verständlichen Form die Methode und Ergebnisse psychologischer Experimente über den Willen wieder. Ach sucht zwar die Freiheit der Entscheidung innerhalb gewisser, allerdings sehr enger Grenzen" zu retten, aber gerade diese Ausführungen fußen nicht auf der für jede wissenschaftliche Behauptung von Ach selbst geforderten Erfahrung. Die Arbeit bietet vielmehr einen Beleg für die Möglichkeit, mit systematischen Untersuchungen auch in das komplizierte Getriebe seelischer Kausalität einzudringen. Nicht das Problem der Willensfreiheit allein behandelt A. R i ch e r t in seinerPhilosophie" sdas in 2. Auflage in Teubners Sammlung Aus Natur und Geisteswelt erscheint). Aber der Weg, aus dem er zur Bejahung der Willensfreiheit gelangt, wird erst charakterisiert durch die Behandlung der übrigen philosophischen Probleme. Statt des Bestrebens, die Tatsachen zu begreisen und Abstraktionen nur als gedankliche Abkürzungen von Talsachen zu be- bandeln, wird dem Metaphhsiker die Abstraktion selbst eine von der Wirklichkeit losgelöste Talsächlichkeit. Die philosopischen Probleme der Gegenwart kommen daher bei Richert viel zu kurz. Zur Ein- sührung weit besser geeignet sind die Büchlein der gleichen Teubnerschen Sammlung von Unold, Pctzold, Külpe, Busse, Berworn, Richter. Das Literaturverzeichnis inuß irreführen. Wichtige und leicht verständliche Werke des Empirismus und Posi- tiviSmus fehlen.__ E. M, vorwärtsBuchdruckereiu.VerlagsanstgltPaulStngertCo.kBerlinLVsl.