UnterhaltungsSlatt des Vorwärts Nr. 33. Sonnabend� oen 13. Februar. 1913 CS] Gerdricbte einer Bombe. Von AndreasStrug. Uni mit beiden Händen an den Kopf sich fassend, be- gann er zu klagen: Ich bin verloren! Ich bin hin! Ich bin in eine Falle geraten! Ich gehe mit meiner ganzen Familie zugrunde! Ach Gott, ach Gott, ach Gott, ach Gott  !" Der betroffene Knabe nahm den Zettel wieder an sich und wartete auf eine Aufklärung. Aber der Vetter rief den Hausknecht, einen kräftigen Kerl, und befahl ihm im Tone xmes Chefs: Jetzt hör', Benzion, was ich Dir sage! Nimm diesen mir ganz fremden Buben und fi'hre! ihn zum Tor hinaus. Sag' ihm. wenn er sich noch einmal sehen läßt, laß ich ihn arretieren! Du, Benzion, wirst, wenn es dazu kommen sollte, was Gott   verhüten möge bezeugen, daß ich ihn nicht kannte und hinausgeworfen habe. Hinaus mit Dir!" Der Knabe war über diese Wendung der Dinge sehr ge- kränkt. Um so größer wurde seine Neugierde, das Ge beimnis des Dokuments zu erforschen. Gleich am nächsten Tag begab er sich aufs neue auf die Suche nach einem ver trauenswürdigen Menschen, der Polnisch   verstand. Nach langen Bemühungen fand er ihn endlich. Es war dies ein geheimnisvoller Mann, auf den er von einem Kaufmann hin- gewiesen worden war(der Kaufmann trug seinen ganzen Laden in einem Korb mit sich!), und der auf dem Markt in der Gänsegasse stand und nichts tat, als sich lustig mit allen Leuten zu unterhalten, mit welchen er Geschäfte hatte. Sie bestanden im wesentlichen darin, daß die Krämer, die Schlächter, die Bäcker ihm zu bestimmten Terminen kleine Sümmchen bezahlten. Zu diesem geh," wurde ihm gesagt.Dieser verteufelte Kerl kann alles! Er ist von derPartei" er wird Dich nicht verraten." Der höflich aufgeforderte Vagabund nahm den Zettel. verlangte sechs Groschen für das Lesen, und als der Knabe darauf erwiderte, er hätte kein Geld, wallte er ihn schon zurückgeben. Als jedoch sein Auge eine Zeile gestreift hatte. vertiefte er sich in den Inhalt. Er las lange und mit großer Aufmerksamkeit. Darauf zündete er sich eine Zigarette an, steckte das Papier in die Tasche und entfernte sich gleichmütig. Bitte, gib mir mein Papier zurück! Ich habe es sehr nötig!" Mach, daß Du fortkommst. Du Lump  ! Solang Du heil bist!" Und als der Knabe laut zu rufen anfing und den Eni- eigner festzuhalten suchte, nahm ihn der Kerl mit zwei Fingern beim Ohr und zog dermaßen an, daß dem armen Buben Funken vor den Augen tanzten. Der Junge brach in Tränen aus und entfloh schreiend. Am Abend dieses Tages fand im Hintergebäude eines Hauses im ärmlichsten Viertel der Stadt die Wochensitzung desKomitees der Hand der Gerechtigkeit" statt. Jedes der anwesenden Mitglieder gab Rechenschaft von seiner Tätigkeit. DerDraht" beklagte sich, daß er in seinem Revier keine Sammlung mehr zustande bringen könne; die Händler streikten und erklärten, die Revolution sei zu Ende, und sie wollen nicht mehr zahlen. DieNadel" berichtete von elf Besuchen bei reichen Leuten, die zusammen nicht mehr als acht Rubel ergaben. Warum hast Du genommen? Du hättest nicht nehmen sollen, nur ein Gesicht machen und so tun, als wolltest Du gehen. So wurde es immer gemacht. Dann pflegten sie noch zu bitten, daß man's von ihnen nimmt. Und haben oft hundert Rubel gegeben." Ja, wann war das? Jetzt sind andere Zeiten!" DasBriefchen" berichtete die traurige Neuigkeit von der Verhaftung des GenossenHaus" mit Waffen in der Hand. DasBrieschen" hatte Tränen in den Augen, als es den Vorfall erzählte: ».Sie haben ihn mit den Bajonetten blutig geschlagen, und als ich zu unserem Reviervorsteher ging, wollte der Schuft nicht einmal davon reden, obwohl ich ihm erst fünf» zehn Rubel, dann fünfzig und schließlich sogar hundert bot! Auch mir tut er leid," hat er gesagt,aber ich kann jetzt nichts tun. Andere Zeiten!" sagte er." Ach schlimm, ach schlimm! UnserHaus" ist verloren! Wo sitzt er?" fragteRichter". Schon dort!" Der Richter machte eine resignierte Bewegung mit der Hand. Alle seufzten tief über den Verlust des guten Kameraden und berieten weiter. Der Vorsitzende, der Kerl vom Markt in der Gänscgasse, schimpfte die Genossen wegen ihrer Un» fähigkeit aus, denn bei der Teilung fielen nicht ganz fünf Rubel auf jeden. Ist das erhört? Habt Ihr ein Gewissen? Lumpen seid Ihr und nicht Kommunisten! Was macht Ihr denn eigent- lich so in einer ganzen Woche? Ihr seid nicht wert, einer anständigen Organisation anzugehören!" Sei nicht böse,Richter", sondern begreife, daß jetzt andere Zeiten gekommen sind. Jetzt kannst Du nicht mehr ein Geschäft von fünfhundert Rubeln machen und Dich dazu für den nächsten Tag bei demselben Bourgeois zu Mittag mit Gänsebraten selbst einladen, und darauf noch ein Tänzchen machen. Versuch's doch selber! Für dergleichen ist es zu spät!" Ich verlange von Euch keine großen Transaktionen von fünfhundert Rubeln. Nur, daß Ihr Eure kleinen Geschäfte pflegt. Das muß gehen wie eine Uhr!" Ja, eine Uhr muß zuweilen auch aufgezogen werden," sagte derSchutzmann". Ein kluges Wort!" lobte derSchneider". Ein kluger Rat!" bemerkte dieNadel".Aber wer soll sie aufziehen? Waffen haben wir keine. Leute zum Tot- schießen auch nicht. Dazu haben sie auch noch dasHaus" verhaftet in diesen dreckigen Zeiten! DasHaus", ja, der hätt's gekonnt! Das war ein an- ständiger Kampfgenosse, einer von den Alten!... Uüs aber fürchtet man immer weniger. Sagen wir uns die reine Wahr- heit: uns fürchtet man schon gar nicht mehr. Es kann sich eben nicht ein jeder so hinstellen wie derNichter"."' Bei mir, in meinem Viertel sagen die Leute ganz offen: warum sollen wir Steuern zahlen, wenn sechs Wochen ohne das geringste Attentat vergangen sind! Sie sagen: aus mit der Revolution! Sie sind alle aus einmal zur Vernunft ge­kommen." Der bisher schweigsameKanarienvogel" brachte eine» formalen Antrag ein: Man möchte in den nächsten Tagen eine Reihe von Ucberfällcn in verschiedenen Gegenden des jüdischen Viertels arrangieren, um das daniederliegende Ge- schäft zu beleben. Die Waffen könnte man mieten. Aber niemand hatte rechte Lust dazu. Es lag an der Zeit. Endlich ergriff derRichter" selbst das Wort. Er schrie mehr als er sprach, so daß die Kinder, die hinter der Wand schliefen, erwachten und zu weinen begannen, so daß die ge- lähmte und seit zehn Jahren in den letzten Zügen liegende Mutter desSchneiders", in dessen Wohnung die Beratung stattfand, ,u stöhnen und mit Grabesstimme ein unheilvolles Geschrei zu vollführen begann: Ach. Ihr Diebe! Ihr Räuber! Daß Euch noch der Donner nicht erschlagen hat! Daß Gott   mir Unglücklichen Hände und Füße benommen hat! Daß ich Unselige nicht aufstehen kann und Euch der Polizei auslieferu! Daß man Euch alle endlich einmal aufhängt! Diebe! Räuber!" Die Beratenden ließen die Augen sinken und und saßen still, beschämt die schrecklichen Wahrheiten hörend, mit denen der Vorsitzende sie nicht verschonte: .. Was seid Ihr für Leute! Armenhäusler! Feig­linge! Kombinatoren I Der gemeinste Dieb hat mehr Mut und Ehre im Leibe als jeder von Euch! Schande häuft Ihr auf die große Sache! Schmach auf die alte Organisation derHand der Gerechtigkeit", deren Gründung so viel Blut und Opfer gekostet hat. Sind dafür unsere Tapfersten den Heldentod gestorben und unser großer Gründer, der Held der