jeden Mittwoch regelmäßig besuchte. Meistens hatte er verspielt, und so trat er denn fast jedesmal herein, um seinen Aerger erst irgendwo auszulassen, ehe er sich hinauf zur Meisterin in das Ehebett begab. Ich war aN sein unvermutetes Erscheinen bereits so gewöhnt. daß ich laum noch aus ihn achtete. Wenn er mich sah, kniss er seine Augen zusammen, tückisch und boshaft, und ließ fie in der Backstube scharf spähend umherschweifen, um einen Anlaß zu finden, mir eins auszuwischen. Ich bewohne aber meine kalte Ruhe und fing diesmal, um ihn noch etwas mehr zu ärgern, zu pfeifen an, während ich die Strcußelkuchen fertig machte. Ich tat da-Z sonst nie. Aber heute schien— im ersten Augenblick wenigstens— alles in Ordnung zu sein: trotzdem ließ seine schlechte Laune keineswegs nach. Mit beiden Händen faßte er in alle Teige, die auf der Mulde und auf dem schmutzigen Erdboden, in leere Mehlsäcke ge- hüllt, lagen. Er prüfte fie aus ihre Festigkeit hin, mit weit aus- einandergespreizten Fingern, wie mit Krallen eines Raubvogels, an den seine ganze kleine, gcduckr-lauernde Gestalt lebhaft erinnerte. Dann richtete er sich langsam wieder hoch und warf mir einen kurzen, wütenden Blick von der Seite zu. „Der Schrippcnteig könnte auch etwas weicher sein. Der ist viel zu fest.... Sie scheinen wohl gar nicht daran zu denken, daß das Mehl Geld kostet.... Mein Geld I Ich muß es vorher auch verdienen... und sehr sauer verdiene ich's!" Ich belegte ihn im stillen mit einigen zärtlichen Kosenamen und schwieg. Er aber fuhr weiter fort in seiner Litanei, die ich schon kannte, da ich fie fast täglich zu hören bekam: „Ach I— wie schwer»st es, lein Geschäft zu führen I Sie haben keine Ahnung... nicht einen Schimmer verstehen Sie davon, gar nichts verstehen Siel... Ja. und da plagt und plagt man sich und setzt fast noch dabei Geld zu— und obendrein soll man sich dann noch ärgern I Das ist die ganze Sache kaum wert.. Ich pflichtete ihm in Gedanken bei. Aber plötzlich bemerkte er die Spinne, die wahrscheinlich von irgendeinem Winkel zurückkehrte und ahnungslos über die Wand kroch nach ihrem Netz hin. Er brach ab und mit der Hand weit ausholend, schlug er sie mit lautem Klatschen an der Wand breit. „Diese ekelhasten gemeinen Biester I Ich möchte nur wissen, wo das Aeug bloß herkommt. Ueberall sind sie, kriechen überall herum und steigen überall hinein. Hol der Teufel die Luders 1" Er wischte sich die Hand an seiner Hose ab und schwieg eine Weile. Dann schien ihm aber noch etwas einzufallen, und er wandte sich wieder zu mir: „Besser aufpassen könnten Sie auch. Das wollte ich Ihnen noch sagen. Gestern war die Nachbarin, die Petscholde, da und zeigte mir einen schwarzen Käfer, den fie im Brot gefunden hätte I... Zu was sind Sie denn da?... Glauben Sie vielleicht, ich zahle Ihnen umsonst mein schönes Geld?.,.* Bisher hatte ich geschwiegen, da ich mich nur ungern austegte. Aber die letzten Worte, die ganz seiner schmutzigen Gesinnung entsprachen,' brachten mich doch auf und versetzten mich in äußersten Zorn. Kaum fähig, mich noch einigennaßen zu beherrschen, lief ich auf ihn zu, faßte ihn am Kragen und wies nach der Tür. „Jetzt machen Sie aber, daß Sie schleunigst hinauskommen und lasse» Sie micb in Ruh! Haben Sie micb verstanden?" Er duckte sich zusammen, ganz erschreckt, und verhielt sich Plötz- lich mäuschenstill. Dann richtete- er sich auf und rannte mit einem schnellen Satz hinaus— bis zu der allen, morschen Treppe, die nach dem Laden führte. Dort fühlte er sich etwas sicherer und begann, zum erstenmal in seiner wahren, erbärmlichen Feigheit sich zeigend. erst seinem Herzen in einer Flut von wüsten Schimpfworten Luft zu machen, ehe er sich ganz davonschlich. Ich war nach diesem Ereignis willens, schon den andern Tag zu gehen. Aber als ob der Meister dies geahnt hätte, hielt er sich verborgen und ließ sich den ganzen Tag nicht sehen. Ich verschob es, zumal meine Erregung nach und nach abflaute, auf ein anderes �mal. Doch hatte mich eine plötzliche Unlust zur Arbeit ergrifien, eine wilde Unruhe und Nervosität, die mir sonst fremd war. Von Tag zu Tag ging ich mit größerem Widerwillen an die Arbeit heran, die mir mit einemmal verhaßt war. Die Langeweile beschlich mich wieder, aber fie war hundertmal größer und erdrückender als wie im Anfang. ES fehlte mir etwas... was, wußte ich nicht genau... das heißt, ich wollte es mir nicht eingestehen... die Spinne I... So ttef hatte sich dieser kleine Kobold in mein Herz eingeschlichen I... Sie fehlte mir wirllich, und waö fie für mich war, entdeckte ich erst jetzt. Ein Ueiner. runder, brauner Schmutzfleck an der Wand, der allniälig zu verblassen anfing, war alles, was von ihr noch übrig blieb. Ost blickte ich unwillkürlich auf und sah nach dem Netz, als ob sie da noch hinge oder jeden Augenblick hervorkommen könnte. Ich schämte mich beinahe vor mir selbst, wenn ich mich in Gedanken an sie ertappte; und um nicht fortwährend an fie erinnert zu werden, riß ich das Netz ganz herunter, das feine, zarte Gewebe, das kaum eine Spur an meinen Fingern zurückließ. Aber trotzdem sehe ich noch öfters nach jener leeren Stelle hin. wo fie damals gehangen hatte: Jetzt gähnte mich wieder das schwarze düstere Loch an. Ich faßte einen kurzen Entschluß und kehrte einige Tage später diesem Schmutzwinkel von Bäckerei den Rücken, in dem ich drei Monate lang täglich fünfzehn Stunden zugebracht hatte. Die Gcrdricbtc der 8üdpolar- forfckung. Zum ersten Male in der Geschichte der antarltischen Forschung haben jetzt kühne Pioniere der Wissenschaft in der Eiswüste des Südpolargebiets ihr Leben lassen müssen, und während die Eni» deckung der Nordpolarländer in allen Jahrhunderten reiche Opfer an Menschenleben erforderte, waren bis zum Untergänge des Kapitäns Scott und seiner vier Begleiter alle Südpolareppeditionen glücklich zurückgekehrt, wenngleich auch hier einzelne Teilnehmer, allerdings stets nur infolge von Krankheilen, den Tod gefunden hatten. Freilich wat die Zahl der Forscher, die die Geheimnisse der AntarkliS zw lüften versuchten, weitaus geringer als die der Nordpolarfahrer, wie überhaupt die Geschichte der antarktischen Forschung viel jüngeren Datums ist. Sie beginnt erst mit dem Jahre 1773. in dem James Cook , der berühmte Seefahrer, der Neuseeland entdeckte, zun: ersten Male einen Vorstoß nach dem äußersten Süden des Erdballes unternahm. Es war am 17. Januar 1773, kurz vor Mittag, als Kavitän Cook zum ersten Male den südlichen Polarkreis mit seinem Schiffe kreuzte. Er war also noch rund 2400 Kilometer vom Südpol entfernt. Die nächste große Südpolarexpedition war die russische unter Leitung des Admirals Bellinghauien, die ISIS von Portsmoulh ausfuhr. Sie gelangte bis zu 69 Gr. 2 Min. südlicher Breite, wo sie durch die große Eisbarriere aufgehalten wurde. Viel weiter gelangte im Jahr- 1822 Kapitän James Wedelt von der englischen Marine, der dem Südpol bis auf etwa 1300 Kilometer nahe kam. Im Jahre daraus weilte der Amerilaner Benjamin Morrell in der Antarktis . Er erklärte, daß auf 70 Gr. 14 Min. der Weg zum Pol offen vor ihm gelegen habe, daß er aber durch Mangel an Heiz- Material und Nahrungsmitteln an der Weiterreise gebindert Wörde» sei. Seine Berichte begegneten freilich starken Zweifeln an ihrer Glaubwürdigkeit. Im Jahre 1837 erforschte� eine französische Expedition unter Du Mont d' Urville die südlichen«Heilands- Inseln, konnte aber angesichts der massiven Eisbarricre nicht weiter vordringen. 1838 entdeckte der amerikanische Kapitän Charles W i l k e S weite Landstrecken in der Südpolarzvne, die nach ihm WilkeS-Land genannt wurde», und die er kartographisch austtahm. Auf ihn folgte der er- folgreichste unter den älteren antarktischen Forschern, JameS Clark Roß , der 1841 bis zu 78 Gr. 10 Mi», südlicher Breite vordrang und die Küste von Viktoria-Land befuhr. Von hier� auS sind, wie man weiß, während der letzten fünfzehn Jahre die erfolgreichen Ber - suche ausgegangen, die schließlich zur Erreichung des Südpols ge- führt haben. Der jüngere Roß entdeckte 1841 auch die beiden ge» walttgen Vulkane von Viktoria-Land. die später, nach dem Unter- gange der Franklinschen Nordpolexpedition, zur Erinnerung an dessen beide Schiffe„ErebuS " und„Terror" genannt wurden. Nun dauerte es rund 60 Jahre, b»s es wieder gelang, weiter nach Süden als Roß vorzudringen, und die in der Zivischenzeit unternommenen Expeditionen waren nicht sonderlich vom Glück be- günstigt. So kam im Jahre 1373 Sir Georges RareS nur bis zu 66 Gr. 42 Min., wo er als Führer der ersten Dampferexpedition durch dickes Packeis zur Umkehr gezwungen wurde. 1894 kam der skandinavische Kapitän Larsen bis zu 68 Gr. 10 Min. südl. Br. Bessere Erfolge erzielte erst die.Velgica"-Expedition von Adrien de Berlache, die im Jahre 1897 erfolgreiche Wissenschaft- liche Untersuchungen unter 71 Gr. 35 Min. durchführte. Es war die erste Expeditton, die während des SüdwinterS in der 2'/, monatigen antarktischen Nacht überwinterte. Erst Carsten Borchgrevink , der norwegische Führer einer aus zehn Personen bestehenden englischen Expedition, drang um die Jahr- hundertwende um 40 Min. weiter nach Süden vor als 1841 der jüngere Roß: Borchgrevink landete im Viktorialand bei Kap Andare und gelangte bis zu 78 Gr. 50 Min. südl. Br. Nun folge in den Jahren von 1901 biö 1904 Kapitän Scotts erste große ForschungS - reise, die sogenannte Discovery- Expedition, die den eigentlichen Unter» grund für dte späteren Vorstöße zum Pol legte. Scott, der dem Pol bereits bis auf 550 Kilometer nahe kam, machte wichtige geologische Entdeckungen und wies das Vorhandensein des antarktischen Kontinents unzweifelhaft nach. Erwähnt werden muß außerdem noch die deutsche Südpolarexpedition unter Erich v. D r y g a l S k i, die um die Jahrhundertwende vor allem wichtige ozeanographische Fest- stellungen machte, die aber nicht sonderlich weil nach Süden gelangte. Im Jahre 1903 gelangen auch dem Schotten Dr. Bruce bedeutsame wissenschaftliche Feststellungen in der Antarktis . Run folgt die letzte Etappe im Kampfe um die Südpolttophäe. Am 9. Januar 1909 gelangte Ernest S h a ck l e t o n bis zu 88 Grad 23 Min. südlicher Breite. und er hätte gewiß schon damals die noch sehlenden 170 Kilometer bis zum Pol zurückgelegt, wenn ihn nicht Mangel an Lebensmitteln zur Umkehr genötigt hätte. So blieb es dem Begleiter Scotts auf der DiScovery-Expedition verwehrt, den endgültigen Sieg davon- zutragen, der am 14. Dezember 1911 dem Norweger Roald Amundsen zufiel. Er Pflanzte auf dem 90. Breilegrad die
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