Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 49.
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Dienstag, den 11. März.
Gefchichte einer Bombe.
Von Andreas Strug.
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1918
Glaube und fede Lust in den Leuten erstorben waren. Es blieb nur das alte Elend und die Bitterkeit und der Wunsch nach Rache am Barentum, am Kapital und an den Sozialisten. Batschka erkannte ,. daß das Jarentum noch viel zu stark war, um ungestraft mit ihm anzubinden, daß das Kapital der In einem alten Hause in der Nowinirskagaffe unter Teufel selbst war, daß es keinen Gott gab, und daß die Sodem Dach wohnte das Ehepaar, bei welchem Rewilak die zialisten lauter Betrüger waren, die einen unschuldigen Menletzten Wochen eine Schlafstelle inne hatte. In der geräumi- schen nur ins Elend bringen; die, wenn es ihnen nötig er gen, doch niedrigen und dunklen Stube knurrte vom frühen scheint, durch Tür und Fenster gefrochen kommen, am Genid Morgen bis in die späte Nacht die Nähmaschine. Thomas zu Verschwörungen und Streiks schleppen, drohen, zu allem Batschka , ein alter schwindsüchtiger Mann, von dem Sißen an bereit sind, wenn es aber ganz bös wird, dann ist der Maschine zusammengekrümmt, nähte zusammen mit seiner niemand dal Frau Westen für ein Kleidergeschäft, und wenn sie vom Morgen bis in die Nacht und in der Saison Tag und Nacht arbeiteten, verdienten sie gerade noch zum Leben. Durch das schiefe Dachfenster sah man auf die Türme der Kathedrale, an den Wänden waren Heiligenbilder, und am Fenster hing jener Bauer mit dem Kanarienvogel, den der Dichter der Altstadt so genial bemerkt hatte. Doch fehlte im Hause des Ehepaares, Batschka der patriarchalische Anstrich inneren Gleichgewichts und stiller Freude am Leben, welche die Figuren atmen, die jener Dichter hervorgezaubert hat. Vielleicht gab es das alles früher aber die Revolution, die bis in die Wälle und Türme der Altstadt vorgedrungen war, hatte es zerstört und für immer vernichtet. Freilich hingen noch die alten Heiligenbilder an der Wand, aber Thomas Batschka und seine Frau beteten schon lange zu anderen Göttern. Und nicht einmal diese halfen..
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Die Revolution tam näher, geriet ins Laufen und fuhr mit Tosen, Gewitter und Sturm vorbei. Um diese Zeit war fie schon weit fort. Während des Sturmes hatte ein jeder etwas verdient oder was wegbekommen. Für drei Tage verdient und, an das Gute nicht gewöhnt, verlor einer das, was hinzugekommen war mit dem, was er früher schon hatte. Ein anderer hatte etwas mehr behalten als er verlor, einem Dritten gelang es nicht, alles abzunehmen, oder es kam zufällig nicht dazu. So war es verschieden unter den Menschen, auf jedem Gebiete anders. Bei den Schneidern, die zu Hause arbeiteten, war jedoch das alte Elend verblieben.
Den Leuten wurde Appetit gemacht. Der arme Teufel wurde wild. Es wurde geschossen, Bomben wurden geschmissen, man machte Demonstrationen, hielt Reden in den Versammlungen, befahl zu streifen, sich zu halten...
Batschka streifte, hielt sich doch durchzuhalten wurde den armen Häuslern schwer.
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Mit dem Abwaschwasser werde ich ihn hinausgießen," schrie Frau Batschka dazu.
Aber weder die Sozialisten noch die anderen Parteien fühlten sich durch diese Drohungen berührt, denn sie saßen alle hinter Schloß und Riegel, in völliger Sicherheit vor der Nache des verführten Volfes".
Die Leute versuchten auch durch Demut zu wirken, freilich nicht mit der wahren, die zwei Mütter nährt, sondern mit jener falschen, erzwungenen, hinter welcher sich eine wütende unchriftliche Auflehnung verbirgt. Es demütigten sich die Schneider der Heimarbeit, winselten, füßten ihren Herren die Füße.
Herr Bolopowicz, der Eigentümer eines großen Bekletdungsgeschäfts für Herren, wußte aber sehr wohl, daß dies nicht die wahre Demut war, die durch alle Himmel dringt, und ließ sich nicht erweichen.
,, Stehst Du, mein lieber Batschka ," sprach er ,,, man hätte eben nicht Revolution machen müssen! Man hätte sich nicht auf diese Dummheit einlassen sollen. Was habe ich gesprochen, gewarnt, gefleht, aber hr, einer wie der andere, habt es borgezogen, auf jenen Juden zu hören, den die jüdischen Großhändler zum Verderben der polnischen Sache und der polnischen Industrie ausgeschickt haben, statt mich zu hören, Deinen Freund und Vater. Bist Du ein Christ, Herr Batschka ?"
,, Ein Christ, Herr, gewiß. Der Mensch ist sündig, gnädiger Herr."
,, Auch ich bin ein Christ. Warum hast Du also nicht zu mir, nicht zur polnischen Sache gestanden?"
Jetzt bin ich für alle Ewigkeit bekehrt, gnädiger Herr. Aber ich schwöre bei Gott, und so wahr ich ein freies Polen herbeisehne, man kann bei diesen Preisen nicht existieren. So wahr ich mir alles Glück wünsche man kann nicht. Es geht nicht, daß ein Mensch sich zu Tode plagt, nachts nicht schläft das ist unmöglich. Ganz und gar unmöglich. Früher bekamen wir für eine Weste.
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Lieber Batschka , sprechen wir nicht von dem, was war. Früher war Ordnung, war ein Geschäft, war Kredit. Der Mensch war seines Lebens und seiner Habe sicher. Aber was ist jetzt? hr habt alles von unterst zu oberst gekehrt. Ihr habt die Industrie ruiniert, habt mich ruiniert. Und jetzt verlangst Du denselben Preis für eine Weste? Ich kann nicht. Bist Du ein Christ?"
Es gab Aufrufe, man wußte, was man fordern wollte, alle Schneider wollten dasselbe, berieten sich, hielten sich, ließen fich haufenweise ins Gefängnis steden, berpfändeten fich, starben Hungers- aber der Kleiderhändler blieb ihnen über. Thomas Batschka hatte in den Reihen verschiedener Parteien gekämpft. Er hatte seinerzeit Unabhängigkeit und die Konstituante für Warschau auf so vielen Volfsverfammlungen gefordert, daß er es schließlich gelernt hatte, selbst dieses schwierige Wort auszusprechen. Kam die Rede auf die Wahlen, so rief er: Fort mit der Schmach! Nieder mit der zarischen, schuftigen, fosakischen Dumal Doch überwanden diese Feldrufe den Kleiderhändler nicht. Der erste ,, Ein Christ, gnädiger Herr." Streit war erfolglos, und das hatte offenbar die Partei ver- Auch ich bin ein Christ, habe ein Herz und Erbarmen schuldet. Er ließ also mit den anderen Schneidern die Partei im Herzen. Doch was nicht möglich ist, ist nicht möglich. im Stich, verwarf den Terrorismus und sämtliche Kampf- Willst Du, daß in Warschau lauter Juden mit fertigen Anaktionen, forderte die allgemeine russische Republik und die zügen handeln? Nicht wahr, Du willst nicht? Schön. Dann Selbstverwaltung für Polen . An den Wahlen zur zweiten fannst Du aber auch Deinen Landsmann nicht schinden. VerDuma nahm er wärmsten Anteil. Die Emissäre der fort- such's doch geh zu den Juden. Vielleicht geht's Dir dort Schrittlichen Demokratie nahmen ihm auf der Straße die besser." Wahlaufrufe ab, und nach einer Stunde wurde er vor dem Wahllokal von den Agitatoren der nationalen Partei tüchtig berprügelt, weshalb ihn auch die Polizei sofort verhaftete. Der neue Streik mißlang ebenfalls. Nicht besser erging es den schiedsrichterlichen Verhandlungen, welche von dem Pfarrer Oremus und dem Pfarrer Amen unter Anrufung des Batrons der Schneider und unter dem Protektorat der allerheiligsten Jungfrau, der Königin von Polen , im Namen der Schneider, die von dem brudermörderischen Klassenfampf angeblich genug hatten, geführt wurden.
Alles hatten die Schneider schon versucht. Bis jeder
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Batschka ging zu den Juden. Aber auch das half nichts. Die Situation war bös. Herr Bolopowicz fonnte nicht, aber Batschka konnte schon längst nicht mehr. Herr Bolopowicz war ein biederer Meister und konnte nicht, Batschka war ein sehr fleißiger Schneider, aber nur ging es doch nicht mehr. Herr Bolopowicz hatte den einen unumstößlichen Gedanchen, einen mächtigen polnisch- katholischen Handel mit fertigen Kleidern zu schaffen, Batschka hatte ebenfalls eine ganz unumstößliche, fundamentale Idee, nämlich: zu leben auf welche Weise immer, nur leben! Die Situation war schwierig. Doch das Leben weiß sich überall zu helfen. Es