Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 51.

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Donnerstag, den 13. März.

Gefchichte einer Bombe.

Bon Andreas Strug.

( Schluß.)

Batschka   befand sich immer schlechter. Er war schwer frank und lag eine Woche im Fieber, ohne etwas von der Welt zu wissen. Als er wieder zu sich kam, fühlte er einen gewaltigen Bustrom von Leben und Kraft. Er sprach sehr laut, schimpfte mit der Frau, führte drohende Reden.

Indessen mißlang der Streit. Eine Masse Leute wurde wieder verhaftet, und der Rest bettelte bei den Meistern um Arbeit, indem sie sich auf Gnade und Ungnade ergaben. Batschta verlangte nach der Arbeit zu essen, aber im Hause war nichts da.

Ich habe gewartet, bis Du aufstehst, damit ich die Kissen in die Pfandleihe bringen kann. Es wird für einige Tage reichen."

Und hast nichts getan?"

Was sollte ich tun? Dreimal war ich bei unserem Brin­zipal. Er hat mich jedesmal hinausgejagt. Für mich, sagte er, arbeiten jetzt nur neue Leute ich habe genug Schererei mit Euch gehabt. Daß ihn die Best..."

Und sonstwo?"

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Demut um Berzeihung und um Arbeit. Endlich blickte der Brinzipal gutmütig auf und sagte:

Nein, lieber Batschka  , jetzt ist's genug. Ich habe Eures­gleichen schon so weit

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Wir sterben vor Hunger, Herr..

,, Was kann ich dafür? Geh zu den Sozialisten und las Dir Arbeit geben. Geh, geh mit Gott  !"

Batschka   stand da, als wollte er noch etwas sagen. Man mußte ja unbedingt etwas sagen, und wären es auch nur drei Worte. Man mußte in diesem Augenblick etwas Bassen­des ausrufen. Aber die Kiefer klappten ihm zusammen, und eine große Schwäche erfaßte ihn vom Kopf bis zu den Füßen. Rasch nahm er die Büchse aus der Tasche seines Paletots, stürzte zum Kontor, und ohne ein Wort zu sagen, schmetterte er die Bombe dem Prinzipal direkt vor die Füße. Herr Bolo­powicz fuhr mit den Händen in die Höhe, brüllte und stürzte von seinem hohen Stühlchen herab. Und Batschka  , vor An­strengung und Aufregung bewußtlos, stürzte neben ihn hin und fiel in Ohnmacht.

*

*

Die Geduld des toten Werkzeugs hatte sich erschöpff. Das hatten die achtlos lebenden Menschen nicht berechnet. Thomas Batschka fannte die Geschichte der Bombe nicht, wußte nichts von ihrer langen Wanderung.

Ueberall wird man fortgejagt. Sie lachen einen nur Schale. Bor Erschütterung bewahrte sie die menschliche Vor­aus. Die Welt geht unter."

,, Und bei den Juden warst Du?"

,, Ueberall dasselbe. Hängen wir uns auf, Thomas. Wir verseßen das Kissen, kaufen uns Schnaps, trinken jeder eine Flasche, und dann mag uns der Teufel..."

Du bist dumm! So ohne weiteres gehe ich nicht aus der Welt."

-

Wenn Du klüger bist nun, so sieh doch zu!" Die Alte trug das Bolster ins Versazamt; Batschka   blieb zurück und dachte nach". Er dachte auch darüber nach, wohin bloß Rewilaf verschwunden sein mochte. Im Fieber fühlte er fich sehr fräftig, fonnte aber faum ein Bein bewegen. Er wusch sich, zog sich an, wobei er fortwährend vor sich hin brummte. Er ging eine Viertelstunde lang im Simmer hin und her, blieb schwer aufhustend stehen. Er stand lange da und blickte durchs Fenster auf die Türme der Kathedrale und auf die Dächer. In den Augen brannte das Fieber, und un­Flare Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Er wußte was er wollte, jedoch nicht, was er zu tun hatte. Von Zeit zu Zeit wurde er schwach. Er sah aufs Bett und bekam Lust, sich wieder hinzulegen, sich nach der Wand zu drehen, sich die Decke über den Kopf zu ziehen, mochte dann geschehen, was wollte.... Aber er wußte, daß, sobald er sich wieder hinlegte, er nie mehr aufstehen würde. Er fürchtete den Tod, obwohl er ihn inbrünstig herbeisehnte. Dann stand er vor dem zer­schlagenen Spiegelchen und kämmte noch einmal seine grauen Strähnen. Darauf goß er dem Kanarienvogel etwas Wasser zu, kniete vor den Heiligenbildern, befreuzigte sich und be­gann zu beten. Doch kaum war er zum Ave- Maria gelangt, als er sich erhob und das Fenster öffnete, denn die schlechte Luft preßte ihm die Brust zusammen. Er wußte, daß er noch etwas sehr wichtiges zu tun hatte, das er nicht so sehr ver­gaß, vielmehr immer wieder verschob. Aber erinnerte er sich, daß die Frau jeden Augenblick zurückommen konnte, beeilte sich deshalb und verließ die Wohnung.

Vor Feuchtigkeit und Kälte schütte sie ihre dice eiserne sicht. Man versteckte sie, hütete sie, daß sie nicht in feindliche Hände gerate. Man tat alles was man konnte.

Eins aber wußten und konnten die alles vermögenden Menschen nicht erraten und nicht wissen, nämlich: was da int Innern geschah, in diesem geheimnisvollen Innern, wo der zerschmetternde Tod lauerte, wo auf einem wie ein Haar dünnen Faden tückisch die ungeheuerliche Explosion aufge­hängt war, damit sie jeden Augenblick drohe und zur be­stimmten Stunde vernichte, was dem Menschen auf seinent Wege ein Hindernis bereitete. Thomas Batschka, der sich für das ganze benachteiligte Schneidervolt einseite, wußte nicht, daß er gleichsam nur mit einem schweshen Stein in der Hand gegen einen mächtigen Feind losgezogen war. Es wußte es auch nicht der fromme biedere Pole, der Herr und Meister Bolopowicz, als er ganz unnüß eine feierliche und teure Botivtafel zum Dank für die wunderbare Errettung stiftete. Es war durchaus kein Wunder. Das geheimnisvolle Leben der Naturkräfte, das seine Bahn ging, bis es seine Auf­gabe vollbrachte, hatte die Gewalt der Bombe gebrochen. Es gingen ihre Bahnen die menschlichen Schicksale, die Zeit ver­zehrend, die Seelen mordend, Leben vernichtend, Lebent schaffend. Es starb die Revolution, es starb die Kraft in der Bombe. Die seelischen Kräfte waren erlahmt, die Waffe fiel aus der Hand. Das war es.

Man brachte den zerschlagenen blutenden Thomas Batschka zur strengen Untersuchung auf die Ochrana  . Man holte die Bombe in einem speziellen gepanzerten Fuhrwerk ab und brachte sie vorsichtig fort. In den Artilleriewerk­stätten auf Braga   betrachteten sie die Sachverständigen, be­trachteten sie mit Neugierde die Offiziere.

Alle hätten gern in das geheimnisvolle Innere hinein­geblickt. Es wurde lange hin und her geraten, was zu tun sei, um sich auf die sicherste Weise von allem zu überzeugen. Wer fann wissen, was sie erwarteten! Wollten sie das Geheimnis der Revolution herausstehlen und sich aneignen? Oder schien es ihnen, daß in dieser eisernen Schale ein nn­gewöhnliches Rätsel eingeschlossen sei, alles übertreffend, was sie in diesen Zeiten errieten und was ihnen zu überwinden gelungen war?

Zusammengekrümmt, bleich wie ein Schatten, schleppte er sich durch die Gassen. Er blieb oft stehen, lehnte sich an eine Mauer und ruhte, schwer atmend, aus. Einige Male pacte ihn der Husten so arg, daß er fast die Seele aushauchte. Endlich gelangte er an seinen Bestimmungsort. Im Magazin Es wurde befohlen, die Bombe zu wiegen, zu messen, des Herrn Zolopowicz wurden gerade neue Scheiben einge- zu öffnen, auseinanderzunehmen und alles genau zu be­feßt. Die Glaser schleppten mit Mühe die großen Glastafeln schreiben. Der Haufe der Offiziere sah geringschäßig auf herbei, und Leute standen da und gafften. Batschka   öffnete die Schneider" arbeit, lachte, rauchte sorglos Zigaretten in vorsichtig die Tür, zog demütig die Müße ab und blieb mit der Nähe der Bombe, welche versagt hatte und nicht explodiert einem flehenden Blick auf der Schwelle stehen. Der Prinzipal war. Das machte die militärischen Meister kühn. Man sette saß hinter seinem Kontortisch und schrieb. Die Gehilfen ver die Bombe in einen Schraubstock und fing an, langsam den suchten den Läftigen hinauszujagen, während Herr Zolopo- Deckel abzudrehen. Er widerstand sehr lange, bis nach vielen wicz von unten her einen Blick hinwarf, ohne sich im Schrei- Anstrengungen die Schraube endlich nachzugeben begann. Der ben zu unterbrechen. Batschka   wehrte sich und bat in tiefster Deckel machte nur eine ganz geringe Drehung, und im gleichen

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