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jährigen Nistmaterials wurden hurtig aus der runden Oeffnung| funge Sühnchen, auch solche, die von der Brutmaschine gezeitigt herausgeworfen und neue Stoffe, zum Teil aus beträchtlicher Ent­fernung, herbeigetragen, Strohhalme, Graswurzeln, Haare, Wolle, Federn und dergl. Männchen und Weibchen beteiligten sich an Dieser Arbeit; häufig saß aber auch der eine Vogel auf dem Stäb­chen am Häuschen, nahm dem herzufliegenden Gatten den Halm oder das Wolleflöckchen aus dem Schnabel und schlüpfte damit ins dunkle Gemach. Da bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß sich einer der Stare an unserm Frühlingsbeet unnüß machte, indem er von einem Hyazinthenschaft eine der farbigen Glocken abbrach und zu Nefte trug. Dann tam er nochmals und zupfte eins der großen Schneeglöckchen" ab, wie wir die Frühlings­Knotenblume nannten; auch mit dieser Beute verschwand er in Jeinem Kasten.

Später habe ich noch andere Stare gesehen, wie sie ein weißes Beilchen oder ein gelbes Stiefmütterchen abpflückten oder auch eine Primel, ein Leberblümchen und damit in ihre Wohnung flogen; auch reichten sie es wohl einmal der Gattin, die vor dem Häuschen den herbeifliegenden Gemahl mit freudigem Bittern der Flügel und mit erregtem Schnalzen begrüßte, worauf sie dann mit dem Blüm­chen im dunkeln Eingang verschwand. Das war nun feine neue Entdeckung. Schon 1877 wurde in der Zeitschrift eines Tierschutz­vereins auf diese eigentümliche Passion unseres Frühlingsboten hingewiesen; dann erzählte mir auch ein Gärtner, daß er den Star wiederholt bei solchen Blumenräubereien ertappt habe. Fachzeit­schriften für Vogelkunde haben gleichfalls diese Tatsache berichtet, und auch im Neuen Naumann" ist die Bemerkung zu lefen: Manche Pärchen, mitunter auch unbeweibte Männchen, schmücken das Nest mit allerlei bunten Blumen, Schlüsselblumen, Krokus, grünen Blättern aus." Sie schmücken" ihr Nest?, so fragen wir, etwa einem ausgesprochenen Schönheitsgefühl folgend? Und was wollen die unbeweibten Männchen" mit den lieblichen Frühlings­blumen?

Für mich besteht nun gar kein Zweifel, der Star reißt diese Blüten genau so ab und fliegt mit ihnen zum Kasten, wie er Nist­stoffe vom Boden aufnimmt und zu Neste trägt. Wie einen Stroh­halm, eine Feder, so reicht er spielend auch einmal eine bunte Blume dem Weibchen, das ja bekanntlich weniger mit dem Herzu­tragen des Materials als mit dem eigentlichen Nestbau beschäftigt ist. Dabei mag manchmal eine Blüte zu Boden fallen, und wenn bisweilen eine zum Flugloch Herausschaut oder oben auf dem Dach des Kastens liegt, so ist auch nichts Besonderes dabei; mit Salmen und anderen Niststoffen treibt es der Star ja ebenso, Ich will gern zugeben, daß die helleuchtenden Farben der Frühlingsblumen es sind, die den am Boden nach Baumaterial suchenden Star bis­weilen reizen mögen, die Blüten abzubrechen; aber nun gleich von einem hochausgeprägten Schönheitssinn, von einer ästhetischen Paffion bei Freund Starmaß zu sprechen, dazu liegt keine Beran­laffung vor.

Doch es kommt noch weit besser. Man will nämlich auch beob­achtet haben, daß ganz besonders die ehelos gebliebenen Staren­männchen dem ästhetischen Imperativ: Schmüde dein Heim!" hul­digen. Sie glauben, so hat man ganz im Ernst vermutet, eine Schöne um so leichter an ihr Heim feffeln zu können, wenn diese den Blid in eine ausgeschmüdte zukünftige Kinderstube wirft. Der werbende Freier bringt selbst eine fleine Ausstattung mit in die Ghe, und wenn es auch nur Tand und Flitter ist, werkloser Krims­frams, die unerfahrenen Starenfräulein lassen sich dadurch betören, und die Kleinkinderwirtschaft mit all ihren Mühen und Sorgen wird ihnen durch den festlichen Schmuck des Hauses versüßt.

Und wie einfach erklären sich doch diese Tatsachen! Der Star zählt zu feinen näheren oder ferneren Verwandten die Krähens artigen Vögel; manche Naturwissenschaftler stellen ihn unmittelbar neben Elster und Dohle. Diese aber find uns als Diebe von jeher bekannt; das heißt, wir Menschen nennen sie diebische Vögel, weil sie die Gewohnheit haben, allerlei Gegenstände, namentlich solche, die ihnen durch besonderen Glanz in die Augen stechen, zu Neste au tragen. Es kursiert da manche abenteuerliche Geschichte, z. B. die von einem Raben, der auf dem Schloßturm zu Merseburg  horstete; er hatte dem Bischof Thilo v. Trotha einen kostbaren Ring gestohlen, infolgedessen des Bischofs langjähriger Diener in Ver­dacht kam und hingerichtet ward. Noch heute wird zum Andenken an diese Geschichte im Schloßhof zu Merseburg   ein Rabe gefangen gehalten. Was man in einem Elsternhorst an solch fleinen ge­stohlenen Dingen bisweilen finden kann, ist faum zu glauben. Ich dente an einen Horst, der beim Fällen eines Baumes vor ein paar Jahren mit zu Boden kam; er barg folgendes Stilleben: 27 blante Metallfnöpfe, 15 farbige Glasscherben, biele bunte und glänzende Steine, 8 Nickel- und Kupfermünzen, ein Trompetenmundstück und eine Brille! Man wird zugeben, daß sich diese Dinge noch weit weniger zum Nistmaterial eignen, als die bunten Frühlingsblüten, die Freund Starmab abrupft, und es unterliegt gar feinem Zweifel, daß lediglich das Glänzende und Auffallende jener Gegenstände wie dieser Blumen den Vogel veranlaßt, sich mit ihnen zu beschäf­tigen und sie mit nach seiner Behausung zu nehmen. Auch der Star fpielt gern mit hellglänzenden Steinchen, Knöpfen usw., wie mirs ein gefiederter Freund aus meiner Studentenzeit täglich gezeigt hat. Wer darin nun Aeußerungen höherer ästhetischer Gefühle fehen will, dem fann ich nicht abstreiten; meiner Meinung nach handelt es sich lediglich um eine Befriedigung des Spieltriebs. Aber auch andere Vögel interessieren sich für glänzende Dinge;

wurden und ohne Mutterliebe aufwachsen, piden schon in den ersten Tagen nach den glänzenden Quarztörnchen am Boden, nach den glitzernden Wasserperlen am Rande des Trinkgefäßes oder den Tautropfen im Gras. Ja alle Beobachter sind sich darüber einig, daß solche ohne Führung der Eltern aufwachsende Tierchen lediglich durch auffallende Gesichtswahrnehmungen aur Aufnahme von Speise und Trank veranlaßt werden. Die Hühnchen pickten, er zählte Spalding, zunächst bloß auf das Waffer los oder viel mehr auf irgendwelche Bünftchen im Waffer, und Mills fagt: Wenn man jungen Hühnchen Wasser anbietet, so piden sie zunächst nach vereinzelten Tropfen am Rande des Zinngefäßes, in dem das Waffer sich befindet; zufällig gerät ihr Schnabel dabei in Bea rührung mit dem Wasser, und nun erst trinken fie richtig." Ich führe diese Beobachtungen nur deshalb an, weil sie zeigen, daß dem Bogel   ein gewiffes Interesse für alles Glänzende angeboren ist, und daß es deshalb nicht auffallen kann, wenn er auch später noch diese Neigung betätigt; ob er blißendes Metall oder farbenleuch tende Blumen zu Neste trägt, es beruht auf dem gleichen Instinkt. Am wenigsten aber darf man sich darüber wundern, daß über­zählige und daher ehelos gebliebene Starenmännchen dieser Passion huldigen. Auch bei ihnen ist im Frühling der Fortpflanzungstrieb erwacht; er äußert sich zuerst darin, daß der Vogel sein Nest bauen oder in Ordnung bringen möchte. Allerlei Baumaterial trägt er zusammen, oft sogar an verschiedenen Stellen, wie man es z. B. bei unseren Grasmüdenarten im zeitigen Frühjahr besonders häufig beobachten kann. Eine Spielerei scheint es zu sein; denn ein wirklich brauchbares Nest wird niemals daraus. Der Bau­meister fehlt, das Weibchen, das die vom Gatten herbeigebrachten Stoffe fichtet, ordnet und geschickt miteinander verbindet. In dieser Beziehung ist das Männchen ein Stümper, ja es bringt manchmal Dinge herbei, die das Weibchen absolut nicht verwenden kann, und wenn nun eine solche Kontrolle überhaupt mangelt, wenn es mit dem Bau des Nestes gar nicht recht vorwärts gehen will, da wird aus dem Ernst eine Spielerei; das Männchen ergreift nicht mehr Salme und feine Wurzeln, die dem Zweck dienen würden, son dern folche Dinge, die ihm gerade auffallen, bunte Blumen, lenz­grüne Grasspihen und dergleichen. Daß es damit sein Heim schmücken, ja noch mehr, daß es auf solche Weise ein Weibchen anlocken möchte, das ist eine völlig aus der Luft gegriffene Voraus feßung. Sobald ein Weibchen in das Junggesellenheim einzieht, wirft es den ganzen nichtsnutzigen Blunder zum Tempel hinaus. Sehr merkwürdige Lebensgewohnheiten wissen die Reisenden von den Baubenvögeln Australiens   zu erzählen, deren bes tannteste Arten der ungefähr dohlengroße Seidenlaubvogel und der Kragenvogel find. Diese gesellig lebenden Tiere bauen sich aus biegsamen Reisern und Zweigen eine Art Laube, die sie jedoch nicht als Brutstätte, sondern gewissermaßen als Versammlungslotal benußen; auf jeder Seite führt ein Eingang ins Innere. Be­sonderen Schmud", erzählt Gould, erhalten die Lauben da­durch, daß sie mit grellfarbigen Dingen aller Art verziert werden. Man findet hier buntfarbige Schwangfedern verschiedener Bapa­geien, Muschelschalen, Schneckenhäuser, Steinchen, gebleichte Knochen usw. Die Federn werden zwischen die zweige gestedt, die Knochen und Muscheln am Eingang hingelegt. Alle Einwohner kennen diese Liebhaberei der Vögel, glänzende Dinge wegzunehmen, und suchen verlorene Sachen deshalb immer zunächst bei gedachten Lauben." Also Diebe bei uns, die Raben, Elstern und Dohlen, und Diebe bei den Antipoden in der australischen Region. Glän­gende Dinge, ob es nun Edelsteine sind oder eine wertlose farbige Feder, verleiten eben überall zum Diebstahl.

Die Borliebe für weißglänzende Muscheln zeigen übrigens auch manche unserer Regenpfeiferarten. Zwar elegant ausgestattete Salons oder Klublokale bauen sie nicht, wie jene Laubenvögel; doch in der unmittelbaren Nähe ihrer Brutstätten tragen sie nicht felten Muscheln und fleine Steinchen zusammen. Wer diese Gewohnheit kennt, dem wird dadurch das Auffinden der Brutstätte auf der Tiesigen, nur hier und da mit kurzem Graswuchs bestandenen Sand­bant erleichtert, während dem Auge des Neulings die vielen Stein­chen und Muscheln ringsum das ähnlich gefärbte Gelege verber­gen. Um den Ausdruck einer ästhetischen Passion handelt es sich bei den Regenpfeifern feineswegs; wie andere Vögel, die ein wirkliches Nest bauen, so ergreifen fie eben gleichfalls Dinge, die sie an ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort finden, und tragen sie zusammen, und diese Gewohnheit ist entschieden vorteilhaft für die Erhaltung der Art. Wenn wir erst noch genauere Nachrichten über die Bebensweise der australischen Laubenvögel erhalten werden, dann dürfen wir hoffen, auch über die Bedeutung ihrer dekorierten" Versammlungsort ins flare zu kommen.

Wir haben nur an ein paar Beispielen versucht nachzuweisen, wie vorsichtig man bei Beurteilung psychischer Erscheinungen der Tiere sein muß, und wir wollen zum Schluß noch an einen Sat erinnern, den Prof. Wilhelm Wundt   in seinen Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele" ausspricht. Er sagt: Wo der Bügel wissenschaftlicher Kritif fehlt, da schmüdt dann die Phan tafie des Beobachters im besten Glauben mit frei erfundenen Mo­tiben. Mögen auch die berichteten Tatsachen vollkommen wahr sein, durch die Interpretation des Psychologen, die dieser arglos mit seinem Berichte verwebt, erscheinen sie von vornherein in einer falschen Beleuchtung. Die Werke über Tierpsychologie enthalten fast auf jeder Seite die Belege hierfür."