Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 65.
4]
Freitag den 4. April.
Die Bauern von Steig.
1918
alles, was der Schneider Enz über meine Anlagen vorbrachte, Larifarizeug. Der Endzweck eines jeden seiner Besuche wat der, etwas vom Kostgeld abzumarkten mit der Drohung, man werde mich anderswo unterbringen, es feien Offertent genug da. Zum Beispiel fönnte er selber jetzt so einen fräftigen. Buben auf seinem Gewerb ganz gut brauchen.
Der Schneider wehrte sich und sperrte sich nach seiner Art, wobei er unflugerweise immer wieder mein Talent und seine hohen Pläne ins Feld führte. Er konnte doch wohl wissen, daß das beim Armenpfleger Stoder nicht verfing. Wenn ihm dann das Wasser bis an den Hals ging, trat der Nebenkammer. Was denn auch so ein Büebli, das noch Tag für Tag zur Schule müsse, zu rechnen sei? Nichts, fauber nichts! Und dabei möge ich effen, ja, das fönne sie einem jagen, da würde sich einer noch verwundern! Wenn der Jakob nicht so den Narren an mir gefressen hätte, so wäre längst gekündet worden. Denn man verdiene sowieso nicht das falte Wasser an mir.
Roman von Alfred Huggenberger . Und an einem Sonntagabend konnte ich ihn selber in der Wirtsstube zur Ilge vor allen Gästen prahlen hören: Ja, man müsse nicht glauben, daß aus einem Bauernnest, wie die Steig, fein berühmiter Mann hervorgehen könne. Man werde das erleben! Alle berühmten Männer hätten Flein und niedrig anfangen müssen, wui! Solle einer mit ihm heimtommen und das Buch vom Kunstmaler Heinrich Strinde lesen, der für ein einziges Bild, nicht größer als eine Land- regelmäßig Frau Rife- Scholiette als tapfere Reserve aus farte, zweitausend, fage zweitausend Kronen gelöst habe, und den er selber in Wien ein Glas Bier habe trinken sehen!- Wenn ich auch gegen die Prahlereien des Schneiders Enz von Anfang an eine starke Abneigung empfand, die Idee ging ganz unvermerkt doch auf mich über und schlug Wurzeln. Nicht daß ich mich zu dem Glauben verstiegen hätte, die andern Knaben in meinem Alter könnten bei gleichem Fleiß und gleichem Eifer nicht ebensogut, wie ich, Störche, Hafen, Käfer und alles mögliche auf die Schiefertafel hinzeichnen. Das Wollen machte alles aus: und eben barin wollte ich alle, aber auch alle, hinter mir lassen. In diesem Vorsatz bestärkte mich vor allem die Geschichte des Malers Strinde, der sich selber unausgesetzt vorwarf, er fönne nicht besser zeichnen als jeder Holzhacker, der Kopf müsse die ganze Arbeit allein tun. Meine Neugier war nämlich längst Meister geworden: bei jeder günstigen Gelegenheit stahl ich mir das Malerbuch aus dem Modellkasten und las darin: es war meine Bibel und mein Vermächtnis. Im Anfang zator war ich ein wenig enttäuscht, weil der Held auch gar 31 lange mit Hunger, Entbehrungen und Mißerfolgen zu ringen hatte. Aber als er dann einen König malen durfte, ja als er für ein einziges Bild mehr bekam, als unser Haus, der Stelzenhof, samt Hofstatt auf der Gant gegolten hatte, da fand ich es ganz am Platz, daß man einen solchen Mann mit einem fteinernen Denkmal ehren mußte.
Ich meinerseits wollte felbstverständlich weit rascher und müheloser ans Biel gelangen. Zwar vergaß ich auf der Schulbank oder bei geselligen Spielen meine ehrgeizigen Pläne ganz, oder wenn ich flüchtig daran dachte, so kam mir aus der Ferne alles nur wie ein blasser Traum vor. Dieser Traum nahm aber sogleich wieder feste Gestalt an, wenn ich allein war und meinen Gedanken nachhängen konnte. Und wenn ich mit meinem Malerbuch im Wipfel des mächtigen Nußbaumes saß, an den sich unser Häuschen gleichsam anlehnte, dann war ich Herr über ein großes sonniges Reich. Irgendwo stand da ein Haus mit grünen Fensterläden und einer hellen Malerstube darin, deren Wände ganz mit Bildern bedeckt waren. Das schönste, größte davon stellte das Dorf Steig dar mit den Aeckern und Baumgärten ringsum; und es war fein Dach und kein Schornstein vergessen, auch nicht die vier Pappeln beim Steinernen Platz oder die kleine rote Wetterfahne auf dem Wirtshause zur Ilge.-
Ich wäre in jener Zeit sehr glücklich gewesen, wenn der Armenpfleger Stocker nicht hin und wieder seine schwere Hand auf mein Dasein gelegt hätte. Wenn ich an ihm vorbei mußte oder wenn ich ihn von weitem neben seinen Stieren einhertrotten fah, so war es mir zumute, als sei ein großer dunkler Schatten auf meinen Lebensgarten gefallen. Und wenn der Stocker, was je und je geschah, von der Straße aus nach unserer Haustüre einbog, den Kopf etwas gesenkt und die Augen schräg vor sich hin auf den Boden gerichtet, dann flüchtete ich mich in die Küche, verbarg mich zwischen Türe und Küchenschrank und lauschte bänglich, was über mich beschlossen wurde. Vor dem trockenen Zon seiner Stimme santen meine Luftschlösser in sich zusammen, mein herrliches Bild von der Steig verblich zum Schatten und schwand. Und statt des Malers im schwarzen Sammetwams, der seine Dorfgenoffen großartig mit Wein und Räse trattierte, faß ein gedrücktes Bauernknechtlein am Wirtstisch in der lge, das ein Glas Most zwischen seinen frummgewerkten Fingern hielt.
Denn der Stocker war hart und unerbittlich, er nannte
liche Entrüstung fam wie auf Stommando über ihn und er Auf dieses war aber der Stoder schon gefaßt. Die sitt jagte mit Nachdruck, die armen Waisenkinder seien doch wohl erwerben könne, so dürfe er das auch etivas rechnen. Uebernicht zum Verdienen da! Wenn sich einer einen Gotteslohn erwerben könne, so dürfe er das auch etwas rechnen. Ueberhaupt, wenn mehr Religion wäre, so brauchte man gar keine Armenpflege!
Das Endresultat des Kampfes bedeutete jedesmal einen unbedingten Sieg der Minderheit. Der Armenpfleger Stocker baute nicht umsonst auf die Idee" meines Pflegevaters. Wenat er erst gewußt hätte, daß dieser oft heimlich von der Base atmete jedesmal auf, wenn der Kelch wieder an mir vorbeiRäther kleine Zuschüsse zum Kostgeld bekam! Ich meinerseits gegangen war. Ich gab mir während der nächsten Tage alle Mühe, mich der etwas mürrischen Pflegemutter durch Zutragen von Holzscheitern und Wasser recht niglich zu machen. Aus der pflichtmäßigen Bürde Leseholz, die ich an den schulfreien Nachmittagen einzubringen hatte, wurden mitunter zwei, bis alles zulegt wieder im rechten Geleise war, und der Schneider Enz jedem seiner Kunden feierlich erflärte, er wolle trop der großen Opfer, die er tatsächlich bringen müsse, unter allen Umständen an seinem Malerplan festhalten. Denn an meinem Talent könne fein Advokat und kein Armenpfleger
rütteln. Wuil
Erstes Kunstwerk.
So gläubig wie Jakob Enz waren nun freilich nicht alle Reute auf der Steig, auch meine Altersgenossen nicht. Sie mochten zu Hause den Schneider Wui und sein närrisches Wesen oft bekritteln hören. So rief mir inspergers Hans einmal vor allen Schulfindern nach, ich gebe so wenig ein Maler, als ihr Stallfnecht daheim. Ich habe ja lekthin nicht einmal die leichte Vorlage von der Wandtafel abzeichnen fönnen! Nur Käfer und Geißen bringe ich fertig. Der Mäd Mäck- Schneider, der Wui, könne prablen so viel er wolle.
Diese Spottworte bedeuteten für mich eine arge Kränfung, ja es famen Tage schweren Zweifels für mich, den selbst das erneute Studium des Malerbuches nicht zu beseitigen vermochte. Wenn Hans recht hatte, wenn ich kein Maler werden konnte? Denn wirklich, in der Zeichenstunde war ich feiner von den ersten. Die einfältigsten Ornamente machten mir oft schwere Mühe. Spielend zeichnete ich das Wahrzeichen des Wirtshauses zur Ilge, den Aushängeschild mit den drei langgestielten Narzissen auf jeden Papierstreifen, der mir in die Hände fam. Aber eine einfache Schülervorlage, die auf Steifpapier gedruckt vor uns am Bählrahmen hing und die zwei schmeckenförmig ineinander verschlungene Linien darstellte, wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden. MTs der Lehrer meinen Entwurf betrachtete, sagte er allen Ernstes: Du, Gideon, wenns mit dir nicht bessert, mußt du im Beichnen wieder mit der vierten Klasse machen." In diesem entseglichen Augenblick nahm ich mir vor, die Malerpläne gänzlich fahren zu lassen.
11
Aber mein Pflegevater, dem ich mich in der höchsten Nok anvertraute, hatte wenig Mühe, mich wieder auf andere Ge danken zu bringen. Wer es den Schulmeistern recht machen