- 260-tun kann. Auch er lief von Wagner aus(Rubin, Gemot, Ghismonda). Die Erfolge waren vorläufig nur Achtungserfolge, die manwillig dem Titanen des Flügels zollte, es waren keine künstlerischenSiege einer zwingenden Persönlichkeil. Nun vollzog d'Albert denersten Frontwechsel vom Pathos zum muflkalischen Biedermeierwm.Das fiel in eine Zeit, wo sowohl der italienische Verismuswie das von Papa Humperdinck erweckte deutsche musikanscheMärchen am Abwirtschaften waren. In diese fiir jedeneue musikalische Stilfönn von vornherein dankbare Zeit fiel d'AlbertS„Ahrene". der bewühte oder instinkte Versuch einer BeschränkungdeS Ausdrucks, der Form, der Idee, der Instrumentation, das be-wußte Zurückgreifen auf die faßbare, geschlosiene Melodie graziösenCharakter?. Der Sieg der.Abreise' loar überraschend und glänzend.ES war wie eine Erlösung vom Druck WagnerS, von dem Blutdurstder Italiener. Fast alle größeren Bühnen haben um die Wende desJahrhunderts da-Z feinmufikalische Scherz- und Neckspiel zweier ehelichLiebender in Großvätertracht aufgeführt, daS weniger absolut wieprogrammatisch in der Opernenttvickelung etlvaS bedeuten sollte, in«dem eS einen Genesungsprozeß, einleitete und den Willen zur an«mutigen Heiterkeit ausdrückte. Auch mit den in Berlin zuerst auSder Taufe gehobenen Musillustspielen:„Der Improvisator"und„Flauto solo"(daS Milieu des flöteblasenden„JungenFritz" nach einem hübschen Stoff von Ernst v. Wolzogen) hatted'Albert Erfolg. Leider blieb er nicht auf diesem Höhenweg. ESzog ihn ins Tiefland. Mt dem Tiefland-Schaucrdrama, diesemscharf paprikierten Ragout aiiS Erotik, Sinnlichkeit, Mystik,Alpenglühen, Wolfsjägerromantik, Sentimentalität und Grau-samkeit holte. er sich daS goldene Glück von PublikumsGnaden. Stber der Künstler d'Albert nahm dabei Schaden an seinerSeele.Mit der„Abreise" wurde das Biedermeiern, da? schon in denbürgerlichen Wohnstuben deS Maschinenzeitalters die altväterischeBehaglichkeit der Postkutschenzeit vorzutäuschen suchte, auch in derOper ein sehr beliebtes Milieu. Eine ganze Reihe Biedermeier-opern entstand und—. verschwand, weil eS meist nur Kostüm-schwanke mit Musik waren. Eine Zeitlang halten konnten sichAlexander ZemlinSkyS, des begabten Wiener Kapell«meisterS und TonsetzerS:„Kleider machen Leute"(einerNovelle aus Kellers„Leuten von Seldwyle" entnommen), Waldemar Wendlands:„DaS vergangene Ich"(aiph seineBurleSke:„Das kluge Felleisen" gehört hierher) und namentlichLeo Blocks raffiniert gemachte Raupachiade:„Versiegelt",in der nur die bewußt artistische Mache der modernen Orchesteroperzu sehr abstach von dem naiven Stoff.Die eigentlichen Proble der modernen Lustspieloper, also etwaWahrung und Ausbildung deS leichtflüssigen Konversationstones,Zurückhaltmig des nur stützenden Orchesters, andererseits diePsychologie und Technik des modernen Dialog-LustspiclS, dazuhumorvolle Themen von zeitgenössischem Jntereffe, lustspiclechteCharaktere aus der Bühne in allerhand ränkevollem Spiel undGegenspiel, endlich Logik der Handlung, keine operettenhasten Purzel-bäume: alle diese Forderungen zu gcschlosienem Kreis zu verwirk-lichen, hat mit Glück Ermanno Wolf-Ferrari versucht. DaSSchicksal hats wohl sonderbar vor mit dem heute llö jährigen Deutsch-Italiener, der den Deutschen die seit den Meistersingern verloren ge«gangene Melodie wieder schenkt, der uns eine komische Oper von Be«deutung nach der andern schenkt und der doch gleichsam zwischen zweiStühlen sitzt. Denn den Deutschen ist er zu leicht, den Jtalienemzu tief. Merkwürdiger Fall!Die glücklichste Blutmischung war dem Venezianer, der väterlicher«seitS deutscher Abstammung ist, beschieden. Auch in seiner Kunst: Heiterkeit,Melodienstrom, Temperament, glutvolle Leidenschaft, rassige Rhythmikals Erbe Rossinis und Verdis: Gründlichkeit, Gemüt. Idealismus, Ernstund Keuschheit der Kunstansckauung als germanischer Besitzteil! Mitdiesen Naturgabcn ausgerüstet, konnte eS dem jungen Wolfnicht schwer sollen, zu einer Feit schon in den sichern Besitz allertechnischen, stilistischen und geistigen Ausdrucksmittcl der musikalischenKomposition zu gelangen, wo normale deutsche Mufikzöglinge ebenihre ersten schüchternen Lieder vom Verleger zurückbekommen. Wolf«Ferraris heller Leitstern bleibt immer Bach. Aus Bach schöpft ersich seine Architektonik: reinliche Linienführung, breite Melodiebvgen,geschlossener Szenenaufbau. Seine melodiebildende Phantasie aberwurde befruchtet durch Mozart und die beiden großen ItalienerRossini und Verdi. Viele Partien aus Wolfs musikalischen Lust«spielen muten ganz Mozartisch an. Natürlich kein schwächliches Nach«empfinden, sondern ein selbständige? Weiterbauen aus dem sinnlichheitern und starkblütigen Grunde Mozartscher Kantilene. Niemalshat man bei diesem elementaren Musiker daS zwiespältige Gefühl:daS könnte ebenso gut auch anders heißen. Alles ist notwendigunter dem kräftigen Naturzwang einer immer melodisch empfindendenPhantasie von' reiner Keuschheit deS Empfindens entstandenDieser mit elementarer— der Komponist selbst nennt esweit drastischer: exkrementaler I— Kraft sich äußernde musi«kalische Naturtrieb leitet seine Hand in allen Formen, Tech-niken und Stilarten mit unfehlbarer Sicherheit. Wolf-Ferrarismit Klarheit erfaßte und mit Bewußtsein gelöste künstlerische Lebens-aufgäbe ist die Reformierung der komischen Oper durch die Wieder«erweckung Mozartscher Schönheit und Melodienfreudigkeit imromanischen Musiklustspiel. Es war nützlich, daß die großen, tiefempfundenen Chorwerke„Sulamith" imb ,.Vita nuova", die seinenKammermusiksachen seinen kölnischen Opern vorangingen. Mankonnte damit die Hämischen, die den geistvollen, heiter lächelndenSchöpfer der„Neugierigen Frauen", der„Bier Gro-biane' und„Susannes Geheimnis' Emst, Tiefe, Gemüt,Können, Größe und wer weiß was noch alles abspracheil, bündigzum Schweigen bringen.Mt der Parole: Zurück zu Mozart! war die Sehnsuchtaller gesund gebliebenen Musiker unter Wolf-Ferraris Führungebenso klar ausgedrückt, wie der Kampfruf: Los von Wagner!die Notwendigkeit für alle wurde, die erkannt hatten, daß die Nach-wagnersche kakophonische, die Singstimme brutal vergewaltigende'ZukunftS-Orchesteroper schon Vergangenheitsnmstk geworden war.Zurück zu Mozart! ist irrtümlich als reaktionäre Parole ver«standen worden. DaS ist natürlich falsch. Di» Entwickelungstrebt vielmehr(als Reaktion auf Wagner) zu einem Neu-schaffen in der Art Mozart?, aber aus dem Geist unsererZeit heraus. Also mit Verwertung aller der herrlichen, Wagner—Berlioz— Liszt zu verdankenden Ermngenschaften in Harmonik, Farbe,Ausdrncksfähigkeit der Deklamation, Bereichenrng der Rhythmik, Individualisierung der Orchesterinstmmente, Vertiestmg der dramatischenLogik und Charakteristik usw. In Wols-FerrariS italienischen Gol-doni-Opem findet man alles dies bestätigt. Hier ist MozartscherWein auf neue Schläuche gezogen und die deutschen, durch Wagnernoch nicht verdorbenen Sänger finden hier natürlichere und edlereAufgaben im Stil der echten alt-italienischen Gesangskunst(Kol canto),als in den sogenannten Musikkomödien ,.R o s e n k a v a l i e r" und„Ariadne auf NaroS", mit denen der größte Techniker und„Artist"der modernen Musik Richard Strauß nichts weiter bewiesenhat, al» daß mich er die Notloendigkeit der Opementwickelung zumMusiklustspiel hin begriffen und sich daran beteiligt hat gemäß seinertechnischen Meisterschaft, die ihn zwar leinen eigenen persönlichenStil finden ließ, ihn aber befähigt, in allen musikalischen Stilsättelnsicher zu reiten. W. M.Kleines Feuilleton.Psychologisches.Versuchsträume. In das Dunkel des TrauincS, jenesSeelenzustandeS, der mehr als ein Drittel der Dauer jedes Menschen-lebenS beherrscht, bahnen sich zwei Wege. Auf dem einen sucht mandie Erlebnisse deS Traumes zu analysieren, d. h. nach ihrer Be-deutung für daS seelische Individuum zu forschen. Diese Richtungunter Führung deS Wiener Neurologen Prof. Fpeud hat uns über-raschende Aufschlüsse— die allerdings zum Teil angefochten wordensind— über den Sinn des scheinbar so Unsinnigen, über seine Zu-sammenhänge mit den Wünschen, die in der Seele schlummern,gebracht.Zu weniger umfassenderen, aber dafür umso objektiveren Aus-schlüffen bringt uns die Einführung deS Experimentes in die Unter-suchung des Traumlebens. Ein jeder von uns hat lvohl unbeabsichtigtsich einem solchen Versuch unterzogen, und seine Erfahrungen in demResümee vereinigt:„DaS Träumen kommt vom Magen." Wenn er nämlichvor dem Schlafengehen schwer verdauliche Speisen genossen hatteund diese während des Schlafes irgendwelche Sensationen aus«lösten, die von dem Traumbewußtsein falsch ausgedeutet zu ängst-lichen Träumen Anlaß gaben. Es ist ohne weiteres ersichtlich, wieman derartige Erfahrungen zum Ausbau einer experimentellenPsychologie deS Traumes benutzen kann. Man offeriert einemSchläfer gewisse Reize und stellt fest, zu welchen Traumbildern sieAnlaß gegeben haben. Dann kann man jene als bedingte Ursachedieser auffassen und schließen, daß in ähnlichen Fällen deSspontanen TranmeS die Folgen die Wirkungen gleicher Ursachenfind. Der amerikanische Psychologe Mourley Bold hatin dreißigjähriger Selbstbeobachtung eine derartige Methodik ge-schaffen, deren intereffante Resultate jetzt in einer deutschen Bear-beitung deS Leipziger Privatdozenten Dr. Klemm vorliegen. Boldprüfte die Wirkungen von Haut- und Muskelreizen auf den Traum.indem er einzelne Körperteile, z. B. Arme oder Beine mit Bindenumwickelte. Offensichtlich beeinflußten diese Reizungen den Traum«inhalt, der sie mit Erlebniffen des Tage? zusammenbrachte.Vor allem waren eS Bewegungsvorstellungen, dieauf diese Weise erzeugt wurden. Reizung der Hände gab häufigVorstellungen, die mit der Beschäftigung, also mit den Manipulationenin des Wortes eigenster Bedeutung zusammenhingen. Auch die Schwebe«und Fallträume' bängen nach Bold mit Körpersensationen zusammen.Er halt für ihr Znstandekommen notwendig, daß die Fußsohlen nichtunterstützt sind. Allein es konkurrieren dabei noch andere Empfin-düngen. So setzen Schwebcträume leichte? und angenehmes Almenvorau». Das wichtigste ist aber hierbei eine vibrierende Bewegungdes Rumpfes, die eine sexuelle Bedeutung hat, was auch der Freud-scheu Erklärung der Schwebeträume entspricht.Alle« dies Iveist mit Deutlichkeit darauf hin, daß wir auch inscheinbar festem Schlafe durchaus von den Reizen der Außenwelt—wenn auch nicht in gleichem Maße wie am Tage— abhängig sind.Natürlich sagt uns eine derartige Betrachtung der Traumwelt, umeS zu wiederholen, nur über eine Bedingung der Entstehung deSTraumes etwas aus. Die Bedeutung der seelischen Inhalte freilichWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWWM ist auf diesem Wege nicht zu ermitteln.__Berantw. Redakteur: Alfred Wielepp, Neukölln.— Druck u. Verlag: Vorwärts Buchdruckerei u.BerlagSanstaltPmil Singer&(So., Berlin SW.