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Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 66.

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Sonnabend den 5. April.

Die Bauern von Steig.

Roman von Alfred Huggenberger . Zu meiner Verwunderung fam er schon nach einer Bier­telstunde mit dem Blatt zurück. Er legte es hin und setzte sich auf einen Stuhl, tat zwar immer noch ernst und großartig, schwieg aber beharrlich.

Ich wagte keine Frage aus Furcht, er würde aufbrausen. Das machte ihn nun aber eben zornig. Nachdem er einige Minuten steif dagesessen, fuhr er mich heftig an: Bub geht Dich das nichts an??"

Ich stand am Ofen und wußte nicht, was ich sagen sollte. Endlich fragte ich zaghaft: Habt Ihr die Zeichnung dem Leherer gezeigt?"

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Ein verächtlicher Bug legte sich um seinen Mund. Mit dem habe ich das letzte Wort geredet deinettegen! Der kann das Einmaleins auswendig, aber von Kunst ver­steht er nicht mehr, als eine Kuh von der französischen Gram­matif. Es sei nicht perspektivisch richtig..." Solche Aus­brücke zu gebrauchen einem jungen Anfänger gegenüber! Als Und ob denn so etwas perspektivisch richtig sein müßte!- Dann plapperte er noch etwas von Brotberuf", und daß die Kunst immer betteln gehen müsse! Als ob ich nicht mit eigenen Augen gesehen und mit eigeren Ohren gehört hätte, wie ein Kleines Bild für fünfhundert Franken, sage und schreibe: für fünfhundert Franken vergantet wurde! Ein Bild, nicht größer als dieses Blatt! Was gelten dann Bilder, die so groß find wie ein Tisch? Oder wie diese Wand hier??"

Damit war seine Anteilnahme an meinem ersten Kunst werk für immer erloschen; es fümmerte sich auch sonst kein Mensch darum. Die Zeichnung meinen Mitschülern vorzu­zeigen, unterließ ich wohlweislich. Doch setzte ich meine Ver­fuche als Landschafter in der nächsten Zeit fleißig fort, wenn auch nicht mit dem gewünschten Erfolg.

Knabenliebe.

Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, berliebte ich mich in Margritte Stamm. Das kam ganz unvermittelt, ich fann mich nicht erinnern, daß ich mir vorher mehr als aus andern Mädchen aus ihr gemacht hätte. Da fragte sie einmal, wäh­rend wir zufällig allein nebeneinander die schmale Treppe zum Schulzimmer emporstiegen, ganz wie nebenbei, ohne sich nach mir umzudrehen:" Du, Gideon, hast Du aber genug Geld, um Maler zu lernen?"

Halb geschmeichelt, halb berlebt gab ich ziemlich selbst bewußt zurüd: Ich fann es mir vorher mit Schaffen ver­dienen."

Da blieb sie stehen und wandte den Kopf schräg nach mir hin. Sie musterte mich scharf, ein wenig von oben herab, nicht nur weil ich um eine Stufe tiefer stand als sie.

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,, Vielleicht ich weiß es jetzt noch nicht-bielleicht geb' ich Dir dann etwas von meinem Spargeld. Halt für Kleider, damit Du ein bißchen besser aussiehst. Dafür mußt Du mir aber ein Bild machen, wenn Du erst etwas kannst."

Ich warf mich ein wenig auf, ihre fühle Sicherheit nach­ahmend. Das versteht sich doch von selbst. Zum Beispiel Euer Haus, den Steinernen Platz"." Also."

Damit ging sie hinein, schien aber im Schulzimmer gleich alles wieder vergessen zu haben. Denn sie blickte geradeaus und auf ihre Arbeit, ich schien für sie nicht mehr vorhanden zu sein. Um so eifriger fing ich meinerseits an, heimlich nach ihrer Bank hinüber zu schielen. Ich bemerkte, daß sie schöne braune Augen hatte und daß ihr bewußtes, doch nicht herri­sches Wesen ihr sehr gut stand. Es schmeichelte mir, daß so ein ernsthaftes, feines Mädchen sich heimlich mit mir be­schäftigte, und ich baute ihr dafür einen Danfaltar in meinem Herzen. Sie war mit einem Schlage meine Verbündete und unbedingte Anteilhaberin an allem Schönen und Großen, das mir die Zukunft bringen mußte.

1913

Traumland bekam unversehens ein fleines Seitentürmchen mit einer hübschen Altane, wo Margritte nach Herzenslust schöne fremde Blumen ziehen und wo sie an Sommerabenden furzweilige Bücher lesen konnte.

Ich ging am Sonntag nie zur Rinderlehre, bevor Mar­gritte an unserem Haus vorbei war, und wenn ich eine ganze Biertelstunde hinter dem wurmstichigen Scheunentörchen durch ein Astloch nach ihr ausgucken mußte. Sie hatte damals ein schönes hellgrünes Kleid mit weißen Bändern, das stand ihr so gut, daß ich mich nie an ihr satt sehen konnte. Dabei war ich aber sehr ängstlich und fürchtete immer, von den andern Knaben heimlich beobachtet zu werden. Ich tat mir viel Ge­walt an, denn keiner durfte eine Ahnung davon haben, wie gern ich Margritte sah.

Während der Schulstunden ertappte ich mich zwar oft darüber, daß ich, meine besten Vorsäge vergessend, mich ganz mit meiner stillen Mitschülerin beschäftigte, so zwar, daß die Blicke, mit denen ich sie in ihrem Tun und Lassen mit großem Wohlgefallen betrachtete, nicht einmal etwas verstohlenes an sich hatten. Aber dann gab ich mir jedesmal einen Ruck und ließ mich eine Zeitlang von feiner Versuchung anfechten. Auch auf dem Spielplatz drunten hielt ich mich absichtlich von ihr fern. Wenn ich bei dem beliebten Kettenfangspiel, das Mädchen und Knaben gemeinschaftlich zu machen pflegten, durch Zufall neben Margritte zu stehen kam, dann wagte ich es faum, ihre kleine weiche Hand mit der meinigen zu um­schließen. Es floß aus diesem Händchen ein geheimnisvoller Strom bis zu meinem Herzen, ich lief und stand neben ihr wie im Traum und war der Glücklichste in der Kette der Ge­fangenen.

In jener Zeit war mein ganzes Denken und Trachten darauf gerichtet, von Margritte beachtet zu werden und vor ihr zu glänzen. Verächtlich schlug ich den Fünfer aus, den mir der Lehrer einmal beim Turnen als Preis für die beste Leistung im Wettlaufen geben wollte. Ich hatte dreimal nacheinander das Ziel zuerst erreicht. Aber nicht wegen des in Aussicht stehenden Fünfrappenstückes hatte ich meine Kraft aufs äußerste gespannt, sondern weil ich Margritte nach dem zweiten Gang hinter mir hatte sagen hören: Das dritte mal gewinnt aber der Hans Kinsperger."

Eines Winterabends stand ich, die Hände in die Hofen­taschen gesteckt, vor dem Hause zum Steinernen Platz und schaute mir den Spruch an, der in altväterisch verschnörkelten Buchstaben auf das weiße Riegelwerk unterm Vordach hin­gemalt war:

Laß Neider neiden, Haffer hassen,

Was Gott mir gibt, muß man mir lassen." ,, Kannst Du den Spruch jetzt bald auswendig?" sagte Margritte, die unter die Haustüre getreten war. Gelt, wenn Du so etwas abzeichnen könntest!" fügte sie dann herausfor­dernd bei.

Ich?-Aha, Du meinst wohl, das machte mir Mühe!" Mit diesen Worten ging ich scheinbar beleidigt meiner Wege.

Während der nächsten Abende machte ich in meiner Sam­mer mehrere Versuche, den Spruch aus dem Gedächtnis nach­zubilden. Trotz der Stälte hielt ich es oft bis um elf Uhr aus, das heißt, wenn es mir Tags zuvor gelungen war, mein Be­troleumlämpchen heimlich in der Küche nachzufüllen. Mein heißes Ringen war anfänglich nicht mit Erfolg gekrönt. Ich mußte mer die Buchstaben noch viel besser einprägen, zu welchem Zwecke ich mich so oft es ging und so ungesehen als möglich zu allen Tageszeiten am Steinernen Blat vorbeischlich.

Nach diesen Vorstudien zeichnete ich den Spruch auf die Rückseite eines meiner Zeichnungsblätter, und zwar so genau, daß nach meinem Dafürhalten der größte Stenner nichts daran hätte aussehen können.

Aber nun trat eine schwere Frage an mich heran: we sollte ich die rote Farbe auftreiben, mit der ich die großen Anfangsbuchstaben bemalen mußte? Für die kleinen Buch staben konnte man sich ganz gut mit scavarzer Tinte behelfen; Ich nahm mir fest vor, nie ein anderes Mädchen gern zu aber um die kunstreich nach den rotbemalten Vorbildern ge­haben und gang bestimmt feine andere zu heiraten, als Mar- zeichneten L, N, Hund& wäre es doch jammerschade gewesen! Würde mir mein Pflegebater nicht endlich eine Farben­gritte, auch wenn mich eine Grafentochter habea wollte, wie mein Vorbild, den Maler Heinrich Strinde. Mein Haus in schachtel faufen, wenn ich ihn geradeheraus barum bitten