Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 67. him the
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Dienstag den 8. April.
Die Bauern von Steig.
Roman von Alfred Huggenberger . Die Malschachtel.
Von den Knaben im Dorfe hatte meines Wissens nur ein einziger eine Malschachtel: Hans Kinsperger. Doch der war der leztę, den ich jezt um eine Gefälligkeit hätte angehen mögen, denn ich hatte das wegen dem Stallknecht immer noch stark im Gedächtnis. Und zudem hatte mir Hans jüngsthin wegen eines geringfügigen Stortes een liebernaxien„ Mälerli" nachgerufen und mich damit so beleidigt, daß ich mir vorgenommen, vier Wochen lang kein Wort mehr mit ihm zu reden. Aber die Sorge wegen des Spruches trat nach und nach so in den Vordergrund, daß ich mich oft über dem Gedanken er tappte, eine wenn auch nur oberflächliche Versöhnung mit Hans anzubahnen. Manchmal wachte ich nachts aus dem Schlafe auf und grübelte über einen Ausweg nach. Dabei kam ich immer wieder zu dem legten und einzigen Rettungsmittel: ich mußte mich unter allen Umständen in den Besit von Hansens Farbenschachtel jezen.
1913
Wir hatten dieses Lied heute Nachmittag in der Schule singeübt. So oft ich die Weise später hörte oder singen mußte, legte sich die Erinnerung an einen der schwersten Augenblicke meines Lebens mit unmittelbarem Druck auf mein Herz.
Während des Pfeifens drückte ich mich fachte nach dem Fenster zu; auf plößliche Eingebung hin schrie ich, als hätte mich draußen jemand gerufen: Ja, ja! Ich komme gleich!" und wollte mich eiligst hinausmachen.
Aber die Bäuerin vertrat mir den Weg. Sie sah mich bös an, ich wußte augenblicklich, daß ich verraten war. „ He, Du Lümmel! Was hast Du auf dem Gestell zu tun gehabt?"
In meiner Hülflosigkeit versuchte ich zu leugnen.„ Ich? Auf dem Gestell? Hä, nichts."
Unterdessen war auch Hans wieder in die Stube gekommen. Er warf einen Blick nach der leeren Ecke auf dem Gestell und einen zweiten auf mein straff zugefnöpftes Wams, auf dem sich in deutlichen Umrissen die unglückliche Malschachtel abzeichnete.
" So, da haben wir Dich, Schelm!" zeberte er und fing an, mir die Knöpfe aufzureißen, worauf er sein Eigentum triumphierend an sich nahm.
Ohne von meinem heimlichen Groll ganz loszukommen, fing ich mich dem vom Glück bevorzugten Kameraden jachte Ich stand wie erstarrt und merkte es faum, daß mich die zu nähern an, und es schien mir, als ob ihm das selber an- inspergerin links und rechts mit Ohrfeigen bedachte. Ich genehm fei. In wenigen Tagen brachte ich es so weit, daß jah natr den gelben Malkasten in Hansens Händen, der nichts er wieder ganz zutraulich wurde, und eines Abends fand mehr und nichts weniger als meinen Untergang bedeutete. hinter Kinspergers Rebsteckenbeige, wo wir uns beim Ver- a, ich jah ihn noch, als ich von der Bäuerin längst unter steckenspiel verborgen hielten, die Versöhnung ihren feierlichen ein Flut von Scheltwörtern zur Türe hinaus bugsiert Abschluß. Hans versicherte, daß es ihm garnicht recht gewesen worden war. sei nachher, als er mich damals erzürnt habe und daß er mir ganz gewiß nicht ein einziges Mal mehr„ Mälerli" nach rufen werde. Ich dagegen versprach großmütig, alles zu vergessen, wie wenn nichts gewesen wäre. So famen wir als die alten guten Freunde hinter der Beige hervor.
Ich sah mich am Ziel meiner Wünsche. Ich half Hans an diesem Abend die Rübenschneidmaschine treiben und ließ mich sogar von ihm einladen, noch schnell in die Stube zu kommen, denn er hatte von seiner Mutter auf Weihnachten einen Schultornister bekommen, den wollte er mir zeigen. Und im Frühling dürfe er nach Trüb hinab in die Sekundarschule, wußte er leutselig zu berichten.
Nur mit halbem Ohr hörte ich auf seine Mitteilungen. Ich schielte nach dem Gestell hinauf- dort lag in einem Winkel hinter den zahlreichen grünglasierten Milchtöpfen ganz verachtet die heißbegehrte Malschachtel
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Da stand ich nun im falten Hausgang, zerschmettert, vernichtet. Ich hörte, wie die Stinspergerin drinnen noch immer. geiferte: Untersteh Dich, Bub, und bring mir noch einmal von dem Schelmenpack ins Haus! Ich will Dirs raten!"
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Ich hätte am liebsten sterben mögen. Für mich war ja nun doch alles aus. Wenn mich Hans verriet, so ging es mir wie dem Schors Schwengeler, der seinem Vater Geld genommen, um ein Pistölchen daraus zu kaufen. Der Lehrer hatte ihm vor allen Schülern eine große Standrede gehalten; wie das Stehlen eine so schnvere Sünde sei, und wie diejenigen, die nicht davon lassen könnten, nirgends anders als im Zuchthaus enden würden. Und alle Kinder hatten während der feierlichen Strafpredigt neugierig oder mitleidig auf den armen Uebeltäter gesehen, der in unsern Augen nun schon zum heimlich in den Tisch hineingelacht und sogar nachher laut fünftigen Zuchthäusler gestempelt war. Aber Schors hatte geprahlt: wenn er gern ein Schelm werden wollte, so ginge das den Lehrer gar nichts an! Er hätte wegen der dreißig Stappen auch nicht so eine Brühe machen müssen. Er, Schors, habe es auch gesehen, wie der Lehrer die Flgenwirtin gestern Abend vor der Haustüre in die Wange gekniffen habe. Schors. Und wenn mir alle Schelm" nachrufen würden Jch nahm mir fest vor, dann auch troßig zu sein, wie der was machte das? Mit Margritte war es nun ja doch vorbei. Ich lief einfach weg, weit weg, ja bis in ein anderes Land, wo mich niemand kannte.
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Sollte ich Hans schon heute um diese bitten? Ich überlegte schnell, ob ich das übers Herz bringen würde. Nein. Um alles andere eher als um diese Malschachtel. Wenigstens eine Woche mußte ich warten, sonst würde Hans ganz bestimmt merken, warum ich wieder gut mit ihm geworden Aber eine Woche fieben Tage! Nunes ging ja vielleicht auch mit fünfen!- Da fuhr mir, während Hans seinen Tornister in der Nebenstube versorgte, wie ein Blitz der Gedanke durch den Kopf: Wenn ich die Schachtel jetzt schnell an mich nähme! Es würde niemand ihr Fehlen bemerken. Und in ein paar Da öffnete sich die Stubentür ein wenig. Hans, der Tagen könnte ich sie wieder heimlich hinlegen.. noch immer die Farbenschachtel in der Hand hielt, sah mich schwer Gedemütigten einen Augenblick mitleidig an, dann kam er in den halbdunklen Gang heraus und schloß die Türe hinter fich zu.
Mit schnellem Entschlusse setzte ich einen Fuß auf die breite Wandbank, über der sich das Milchgestell hinzog. Ein Schwung, ein Griff und das Kleinod war in meinen zitternden Händen. Blizschnell kehrte ich mich gegen den grünen Rachelofen und ließ die Schachtel in der inneren Tasche meines Bamses verschwinden, das ich dann sorgfältig zuknöpfte. Als ich mit schlechtem Gewissen Umschau hielt, sah ich, daß Hansens Mutter in der halbgeöffneten Küchentüre stand.
Ein lähmender Schreck legte sich auf meine Glieder. Aber nur für eine Sekunde, dann hatte ich mich schon ein wenig gefakt. Noch war es ja nicht ganz gewiß, daß sie mich beobachtet hatte. Ich versuchte gleichgültig zu tun und pfiff die Berje vor mich hin:
Wo Berge sich erheben
Zum hohen Himmelszelt..r Da ist ein freies Leben, Da ist die Alpenwelt
Warum hast Du mir denn die Malschachtel stehlen wollen? Du bist doch sonst nicht so einer?"
Diese Worte flossen wie Balsam auf meine verwundete Seele. Während ich unbeweglich stand und die Tränen hilflos über meine Wangen rinnen ließ, wiederholte er ganz freundlich:„ So red' doch auch!"
Ich habe sie Dir ja gar nicht nehmen wollen!" brachte ich endlich mühsam heraus. Ich hätte sie Dir wiedergebracht. Beim Gid!" beteuerte ich noch, während ich vor Schluchzen fast erstate.
Aber warum hast Du denn nichts zu mir sagen können? Ich hätte Dir die Schachtel ja schon für ein paar Tage geliehen."
Ich zog mein zerknittertes Nastuch heraus und trocknetbe