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Anfelm von Feuerbachs ,, merkwürdige Verbrechen".
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schehen hineinreißt und die Dinge zu lebendiger Wahrheit macht, während der Wissenschaftler uns getrennte Elemente vorlegt und nur unsere Verstandestätigkeit in Anspruch nehmen will. Es wer den hier ganz verschiedene Sphären unserer Psyche in Erregung ge setzt. Durch sein Intere'se schafft Feuerbach aber Material, das dem Dichter hochwillkommen sein muß.
Feuerbach hat abe: wohl schwerlich die Materiallieferung an Dichter im Auge gehabt, als er seine Ausarbeitungen herausgab, und die Bedeutung der merkwürdigen Kriminalfälle liegt ganz wo anders. Frühere Zeiten kannten das Verbrechen nur als vollendete Tat eines frei handelnden bösen Willens und stellten sich bei der Bestrafung auf den Standpunkt einer unnachfichtigen Bergeltungstheorie. Feuerbach steht den Tagen noch nicht fern, da Folter und Rad in Wirksamkeit waren, und er selber beklagt sich, daß humane Ideen, die er in das von ihm entworfene Strafgesetz hatte einfließen lassen, an herrschenden und mächtigen, obschon tüchtig veralteten Vorurteilen scheiterten oder nur in verderbter Form zur Geltung gelangten. Erst die folgenden Zeiten haben mit den Mitteln modernerer Forschung die Kriminalwissenschaft systematisch ausgebildet und zu einem wertvollen Zweig der Lehre vom Menschen gemacht. Feuerbach steht ganz am Anfang, aber er hat den genialen Instinkt, der bei jedem Wert das Wesentliche ist, und er ist mit bedeutendem Wissen und eindringlicher Beobachtungsgabe ausgerüstet.
Wilh. v. Scholz, der bekannte, oder besser: zu wenig bekannte Dichter, veröffentlicht im Verlag Georg Müller in München eine zweibändige Auswahl aus der Sammlung merkwürdiger Kriminalfälle, die der berühmte bayerische Kriminalist Anselm von Feuerbach , her Schöpfer eines neuen bayerischen Strafgesetzbuches, der später in der Angelegenheit des rätselhaften Nürnberger Findlings Kaspar Hauser eine so bedeutende sympathische Rolle spielte, nach attenmäßigem Material, das ihm in seinen amtlichen Stellungen reichlich zur Verfügung stand, zusammenstellte. Den ersten Anstoß zu seinem Wert erhielt Feuerbach, als er als Referent des Justizministeriums folche Straffachen zu bearbeiten hatte, die dem König im Hinblick auf das Begnadigungsrecht vorgelegt werden mußten. In den Jahren 1808 und 1809 erschien seine Arbeit zum erstenmal. Später, als er Präsident des höchsten Gerichtes war, nahm er sie wieder vor und ließ fie 1827 und 1829, um bedeutende Fälle vermehrt, zum zweitenmal in die Welt hinausgehen. Wenn ein Dichter wie Scholz sich bewogen fühlt, ein solches Werk neu herauszugeben, so muß er Qualitäten haben, die ihm einen höheren Wert als nur den einer interessanten juristischen Materialsammlung verleihen. Augenscheinlich ist es mehr die psychologische Vollständigkeit in der Das Prachtstück der Sammlung ist unstreitig die Geschichte von Aufzeichnung der Motive, im Vergegenwärtigen des Werdens einer dem zweifachen Raubmörder Joh. Baul Forster, der in Nürnberg , berbrecherischen Handlung, als etwa die genaue Untersuchung der nachdem er kurz zuvor aus dem Gefängnis gekommen, an einem Umstände, die Feuerbachs scharfsichtigen Geist lockt. Er nimmt Abend einen Wirt und dessen Magd ermordet. Der Täter ist bald nicht, wie es in der Justiz der strengen Vergeltung damals üblich entdeckt und alle Indizien belasten ihn durchaus. Nach den geltenwar, die Tat als ein fertig für sich Bestehendes, sondern geht rück- den Bestimmungen durfte aber nur dann eine Verurteilung zum wärts bis zu den Quellen, die im verbrecherischen Individuum Tode ergehen, wenn der Täter selbst das Faktum eingestanden. Und liegen; zeigt den Punkt, wo Anlage und Konstellation der Verhält- Forster verlegt sich aufs Leugnen. Mit eiserner unerschütterlichnisse zusammenstoßen und die schauerliche Tat gebären. Dieses feit, scheinbar ganz unbewegt, verträgt er die Gegenüberstellung Schürfen und Pochen, diese Bergwerksarbeit in den dunklen Schäch mit seinen Opfern. Und diese undurchdringliche Ruhe bewahrt er ten der menschlichen Seele muß gerade für die Dichter von höchstem auch bei allen Verhören und Verhandlungen. Ganz selten huscht Reiz sein. Sie schweben ja immer um diese unheimlichen Abgründe einmal der kaum merkliche Schatten eines Errötens über sein Gedes Seelenlebens, wo Verhängnis oder Maßlosigkeit oder böser ficht. Nicht ohne Verwunderung, fast hätte ich gesagt: Bewunde Trieb zu dämonischer Macht werden, die das Wesen, das in ihre rung, betrachtet man diese Energie. Und nun sucht Feuerbach nach Gewalt geraten, bis zur Bluttat jagt. Und da bietet ihnen Feuer- gesammeltem Material: nach Zügen, die bei der Untersuchung zu bach durch seine kühnere Durchgründung mehr als der Pitaval, Tage getreten, nach Bekundungen anderer, nach Aufzeichnungen, weil ihm die Geschichte, die er darstellt, an und für sich gleichgültig die Forster im Gefängnis gemacht, das Bild dieses Menschen zu ist gegenüber den psychologischen Momenten, und auch weil er seine zeichnen. Unscheinbare Momente erhalten tragende Bedeutung. Arbeit in deutlicher Beziehung zur Menschen- und Seelenkenntnis Gitelkeit und Hang zu Wollust und Wohlleben erscheinen neben überhaupt vornimmt. Er sieht die Wirkung verbrecherischer Triebe einer gewissen ethischen Widerstandslosigkeit als Grundzüge in auch da, wo sie niemand wegen ihrer Entrücktheit oder ihrer Klein- Forsters Wesen. Schon im Kinde sind Andeutungen hiervon. Das heit beachtet, und wo das Gesetz noch keine Geltung beansprucht geistige Vermögen des Forster ist nichts weniger als minderwertig; oder sie schon verliert. Selbst manche große und kleine Abschnitte aber es scheint beherrscht von seinen Leidenschaften und besonders in den Jahrbüchern der Welt- und Staatsgeschichte," schreibt er, von einem Hang zu sich seibtst hofierender Selbstbespiegelung. Irwerden erst demjenigen ganz verständlich, welcher für den Charak- gendwie spricht auch das soziale Moment mit. Forsters Eltern ge= ker und die Triebfedern mancher ihrer Helden in den Annalen der hören zur allerärmsten Bevölkerungsschicht; aber der scheinbar sehr Kriminalgerichtshöfe den rechten Schlüssel gefunden hat." Und in qutartige Junge fucht, wo er fann, den Umgang, ja nur die lockerste manchen unscheinbaren Handlungen, die aus dem Rahmen der Berührung mit den Herrschaftlichen". Mit Stolz trägt er hernach bürgerlichen Umzäumungen nicht hinausfallen, sieht er den ver- die Bedienten- Livree. Er liest mit Vorliebe Romane, die ihn mit brecherischen Trieb." Vieles liegt", heißt es weiter, im Menschen, Bildern aus der Gesellschaft füllen und ihm allerhand unklare was im gewöhnlichen Gang eines Lebens nicht in Tätigkeit, wenig schwülstige Vorstellungen geben. Immerhin bleibt er der gute, stens nicht zur äußern Erscheinung oder zu seinem Bewußtsein vielleicht etwas duckmäuserige Junge, bis er zum Militär kommt. tommt; aber das im Verbrechen tobende Gemüt gleicht dem Meer, Sier scheinen die üblen Triebe seines Herzens aufgegangen zu sein. das zuweilen, wenn Erdbeben, oder von der Tiefe aufsteigende Vieles muß im Dunklen liegen bleiben. Aber soweit die Mittel es Grundwellen dessen Innerstes aufwühlen, manche Dinge, die viel erlaubten, hat Feuerbach diesen Menschen zu durchhellen versucht, leicht Jahrhunderte auf dem Grunde lagen, gewaltsam in die Höhe und er hat durch geschickte Ergänzung, durch kluge Interpretation treibt und am Gestade auswirft." Feuerbach arbeitet den Interessen ein Bild von sprechender Lebenswahrheit herauszuholen gewußt. des wirklichen Dichters in die Hand, während der Pitaval vielmehr Die beiden Bände, die Scholz ausgelesen, enthalten übergenug als Vorlage für die landläufige Kriminalgeschichte, die auf die des Erschütternden und Furchtbaren. Da ist die Tragödie des spannenden Berwicklungen und Entwicklungen, auf Befriedigung Joseph Auermann, eines achtbaren stillen Mannes, den ein der stoffhungrigen Neugier ausgeht, geeignet sein dürfte, wenn auch Gläubiger so schamlos peinigt und quält, bis er in wilder VerDichter wie E. Th. A. Hoffmann oder Jakob Wassermann ( siehe zweiflung seinen Bedränger umbringt. Dann die düstere Ge das Novellenbuch" Die Schwestern") hier Motive finden, die sich schichte Der Vatermord im Sittentale". In solchen Stüden ist Surch entsprechende Umbildung zu wirklicher Kunst emvorzuheben Feuerbach, der sein Mitempfinden gar nicht verbirgt, nir um vermögen. Denn das ist das Wesentliche für eine wirklich dichte- eine schmale, allerdings wiederum entscheidende Linie vom Dichrische Darstellung des Verbrecherischen, daß sie in der Tat das terischen entfernt. Tief ergreifend ist auch der Beitrag zur Gea Menschliche sichtbar macht, und nicht nur den interessanten all schichte der Seelenkrankheiten" im Fall des Hänslersohnes Johann und seine Entdeckung. Alles Licht muß in die Tiefe der Tat fallen; Georg Sörgel, der, an der fallenden Sucht leidend, in haluzinamuß ein Stück Menschliches in einem lebendigen Sinnbild deutlich torischer Erregung einen Mord begeht; ihn eingesteht; dann aber machen. Die Tat als solche ist nur die Auswirkung eines Kom- nach einigen Tagen, als der traumhafte Zustand, in dem er geplexes seelischer Vorgänge. Solcher Kriminaldichtungen" im höch- handelt, vorüber ist, sich an nichts mehr zu erinnern vermag. Ein ften Sinne haben wir viele. Ich nenne den" Macbeth", nenne Charakter von seltener Scheußlichkeit enthüllt sich in dem MädchenKleists Kohlhaas", Hoffmanns Fräulein von Scudery", Holms mörder Bichel, der sich den Aberglauben armer Bauerndirnen, die Haus an der Veronabrücke", das klassische Werk dieser Gattung: er mit dem Versprechen an sich lockt, ihnen in einem Zauberspiegel den Raskolnikow" usw. Beide Gattungen, sowohl die Detektivae- die Zukunft zu zeigen, zunuze macht, um sie, wenn er sie in schichte wie die tiefareifende Darstellung verbrecherischer Sandlun- seinem Hause hat, zu erschlagen und ihrer armen Habseligkeiten pen, vereinigt der Amerikaner Edgar A. Poe , der der unheimlichste zu berauben. Geiz und fleinliche Habsucht, gepaart mnt: ciner Gestalter seelischer Entartungen und Erkrankungen ist. Feuerbach scheuklichen Gleichgültigkeit gegen fremdes Leben, treiben ihn zu strebt demselben Ziele zu wie diese Dichter, allerdings von anderer der Tat, die mit einer grausamen lustmörderischen Blutgler ausRichtuna. Seine Methode ist die wissenschaftliche, die von außen geführt wird. Am verruchtesten aber von all diesen erscheint der Her durch das Mittel der psichologischen Analyse einzubringen sucht; Franz Salesius Riembauer, bis 1813 Pfarrer zu Nanbelstadt. er löst das Gewebe auf, um die Fäden zu erkennen. Der Dichter Tartuffe als Mörder" nennt ihn der nicht sehr pfaffenfreundliche aber schafft von Innen her. Sein Verfahren ist synthetisch und Verfasser. Riembauer wird zur Last gelegt, daß er eine frühere dadurch dichterisch. Er erlebt das Werden der Dinge vom ersten Haushälterin, die mit ihm ein Kind gehabt und auf Zahlung der Augenblick an und sucht es als einheitliches Leben darzustellen. Verpflegungsgelder drängte, ermordet und in einem Stade be Er ist natürlicherweise dadurch zu stärkerer Wirkung berufen, weil graben habe. Sein ganzes Leben enthüllt sich nach und noch als er fich an unser Gefühl wendet; weil er unser Gefühl in das Ge- eine Kette von Verbrechen, die er so gut unter der Maske feines