Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 69.
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Donnerstag den 10. April.
Die Bauern von Steig.
Roman von Alfred Huggenberger . Das Angebinde.
Am anderen Morgen war mein erster Gedanke das Buchzeichen. Und merkwürdigerweise war es mir jetzt ganz klar, daß ich Hans die Buchstaben nicht geben würde. Ich konnte ihm ja andere, weniger hübsche machen. Die wiederholte Befichtigung des Kunstwerkes befestigte in mir ein bestimmtes Vorhaben.
In der Schule konnte ich kaum die Zeit der Vormittagspause erwarten. Während die anderen Schüler hinaus stürmten, machte ich mir mit meinen Schulsachen zu schaffen. Sobald ich allein war, schlich ich behend wie ein Dieb nach Margrittens Bank hinüber, langte ein Buch hervor und steckte mein Angebinde zwischen die Blätter, jedoch so, daß es ein wenig hervorguckte.
1913
„ Sieh mich doch an!" Der gütige Ton, mit dem der Lehrer das sagte, ermutigte mich ein wenig. Ich strengte mich aufs äußerste an, meine Armensündermiene los zu wetden, hatte aber das Gefühl, es wolle mir das nur halb gelingen. Denn ich erwartete gar nichts anderes als eint Strafgericht wegen der Farbenschachtel.
„ Du hättest Lust, in die Sekundarschule zu gehen, Gideon? it's nicht so?"
Ich bejahte unsicher. Die Tränen wollten mir in die Augen kommen.
,, Gut, so will ich mit dem Herrn Pfleger reden. Vielleicht geht's, vielleicht nicht. Die Hauptsache ist: brav lernen." Nach diesen vielsagenden Worten entließ mich der Lehrer. mit einer leichten Handbewegung. Ich taumelte an meinen Blab zurück, ohne ein Auge zu erheben.
Da rief er mich noch einmal zu sich.
Ich habe noch etwas vergessen. Die Frau Gemeinderat Kinsperger hat sich über Dich beklagt, Du habest dem Hans dort seine Farbenschachtel stehlen wollen. Ich will's nicht hoffen".
Die heimliche Schenkung hatte vorläufig noch keine Folgen, wie oft ich auf Margrittens Gesicht verstohlen Muste„ Das ist ein Lug!" beteuerte ich schnell. Der Hans hat rung hielt. Aber etwas anderes geschah an diesem Morgen, sie mir ja geliehen, ich muß sie ihm wieder zurückgeben." was mein Herz mit Stolz und Wonne erfüllte: Margritte Sch wunderte mich selber, wo ich den Trop hernahm. Aber schob mir durch eine Mitschülerin ihren Aufsatz zum forri- dort drüben in der vierten Bank saß ja Margritte, ich wußte, gieren herüber. Es lag ein Papierstreifen zwischen den Heft- daß ihre hellen braunen Augen jezt auf mich gerichtet waren. feiten, darauf hatte sie mit Bleistift geschrieben:„ Wenn Du fragend, staunend: ist das möglich ein Schelm wärest Du? alle Fehler findest, ein Apfel." Und nun hatte ich das Gefühl, sie komme näher und näher und siße jetzt dicht hinter mir.
Der Apfel ärgerte mich zwar zuerst ein wenig. Aber das war bald vergessen. Ich durchlas das sauber geschriebene Auffäßchen, indem ich jedes Wort mit ängstlicher Genauigkeit prüfte. Die zwei Fehler, die ich fand, verbesserte ich leicht mit Bleistift. Dann schrieb ich auf den Papierstreifen:„ Den Apfel will ich nicht", und ließ das Heft wieder an seine Eigentümerin zurückgehen. Hans Kinsperger, der gerade hinter mir saß, zupfte mich verstohlen und fragte, was auf dem Bettel gestanden habe.
,, Nichts Wichtiges," erklärte ich ausweichend. Für mich dachte ich: Gelt, wenn Du auch korrigieren könntest!
Nach der Schule fragte Hans nach den Buchstaben. Ich versuchte, unbefangen in seine Augen zu sehen, aber es wollte mir nicht gelingen. Heut abend werden sie fertig, oder dann morgen mittag."
,, Aber recht schön machen, gelt!"
In drei Farben. Sie sind schon vorgezeichnet," log ich frech hinzu. Das ist ja das Schwerste."
" 1
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Der Lehrer schaute sich nach Hans um. Was sagst Dut dazu, Kinsperger? Hat nun die Mutter recht oder der Gideon?"
Hans besann sich ein wenig. Mir erschien dieser Augenblick schrecklich lange. Wenn ich so dastehen müßte wie Schors Schwengeler, dann dann konnte ich nachher nicht mehr leben. Dieser Gedanke stand klar und fest vor meiner Seele.
Da erklärte Sans unsicher: ja, es sei so, die Mutter habe es nur gemeint, er habe mir die Schachtel geliehen und ich müsse sie ihm wieder zurückgeben.
Desto besser," sagte der Lehrer. Du kannst jebt an Deinen Plak."
Ich sah Hans mit einem heißen Blick an. Das will ich Dir nie vergessen!" klang es in meinem Herzen.
Was hätte ich jetzt darum gegeben, wenn ich die zwei Buchstaben aus Margrittens Buch hätte zurücknehmen können! Ja, während der Bause wollte ich das ganz gewiß fun- wenn's dann nicht zu spät war!
Dann will ich sie mir nach dem Essen schnell ansehen." Ich war wieder in der Klemme. Das geht nicht," sagte Als ich nach einer Weile einen unsicheren Blick zu Marich ganz bestimmt. Dann warf ich den Kopf etwas zurück. gritte hinübergleiten ließ, gewahrte ich mit Schrecken, wie ch lasse teine Zeichnung sehen, bis sie ganz fertig ist". Mina Stürler, in ihrem Schulbuch blätternd, ein fein ausGern wäre ich weiter gegangen, denn ich meinte immer, gezacktes Buchzeichen in die Hände bekam, das sie mit freuHans müsse es mir ansehen, daß ich ihn betrogen habe. Aber diger Bewunderung von allen Seiten betrachtete. Jeßt ließ er gab mich nicht frei. Vorsichtig blickte er sich um und sagte sich auch Margritte das kleine Kunstwerk zeigen, das sich in dann in befehlendem Tone:„ Du, Gideon es darf dann ihren zierlichen Fingern allerliebst ausnahm. Sie schaute aber niemand wissen, wer die Buchstaben gemacht hat! wie fragend auf mich, ich mußte ihrem Blicke ausweichen. So Sonst.
"
Ich schaute ihn wieder unsicheren Blickes an. ,, Wenn fie es aber doch merkt?"
Wer, sie?"
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,, Häich denke, Du wirst doch die Buchstaben einem Mädchen schenken wollen."
" Ich kann damit machen, was ich will. Dich jemand fragt, so sagst Du, Du wissest Buchstaben gemacht habe."
Einfach, wenn nicht, wer die
Ich befann mich eine Weile und sagte dann mit wenig Sicherheit: Nun freilich das kann ich schon versprechen!" ,, Also. Aber Wort halten!"
,, Du auch!"
Damit ging jeder seines Weges. Ich konnte nicht froh werden über das, was ich getan. Das konnte kein gutes Ende nehmen. Ich wünschte das Bildchen sehnlich in meine Hand zurück, dann wollte ich mir noch einmal alles gründlich überTegen....
Am Mittag war Schulbeginn, als schon fast alle Kinder da waren, rief mich der Lehrer zu sich an das Bult. Kam nun das Schreckliche doch?
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der malst Du Buchstaben?...
Das Bildchen ging nun bei den Mädchen der Klasse von Hand zu Hand, bis der Lehrer auf die Störung aufmerksam wurde. Es gab ein strenges Verhör, das damit endete, daß Mina Stürler mit unsicherer Stimme gestand, es habe ihr jemand das Blättchen hinterrücs ins Buch gelegt. Dabei ließ sie einen verlorenen Blick zu mir herübergleiten.
Der Lehrer betrachtete meine Arbeit übelwollend. ,, Natürlich, das ist wieder etwas vom Maler! Hast Du die Farbenschachtel deshalb entlehnen müssen? Besser wäre, Du ließest derlei Firlefanz für immer bleiben und würdest dafür die Zeichnungen, die ich Dir aufgebe, besser machen. Ganz abgesehen von dem sträflichen Unfug" und nun hatte er sich schon in Hize geredet von dem sträflichen Unfug, den ich ein für allemal nicht leiden will in meiner Schule! Merk Dir das! Das ist der Anfang vom Ende, wenn solche Schlingel schon in diesem Alter zu liebeln anfangen!"
Damit warf er das Blättchen zu seinen Sachen auf den Tisch. Du bleibst dann nach der Schule da," sagte er streng, doch immerhin etwas ruhiger. Ich will einmal mit Dir allein egerzieren."