Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 7S. Sonnabend 0en 19. AprU 1918 15] Die Bauern von Steig. Romon von AlfredHuggenberger. Bauernfrühling. Ja wenn der Frühling nur endlich hätte kommer. wollen! Ich fing an. ernstlich mit der Möglichkeit zu rechnen. daß er dieS Jahr gänzlich ausbleiben könnte. Ein schwerer Februarschnee hatte sich auf die Wiesen und Weg« gelegt. der sich tief in den März hinein hiett und auch da noch keinerlei Miene machte, daS Feld zu räumen. Wo zwei Bauern einander trafen, fingen sie von den Heustöcken zu reden an. die bei dieser anhaltenden Kälte gleichsam die Aus- zehrung bekämen, besonders da man im Herbst so früh mit dem Dürren habe anfangen müssen. Der Zeigerhaniß war fast der einzige, der noch gelassen blieb. Es sei noch alleinal wieder Tag geworden, sagte er; und die frühen Frühling« feien noch nie die besten gewesen. Daheim vermochte er seine Besorgnis doch auch nicht ganz zu verbergen. Fast jeden Tag fing er vom Roggen in der obern Breite an, der im Herbst etwas zu stark geworden sei und der nun. besonders dem Rain entlang, unter dem unvernünftigen Schnee Schoden nehmen könnte. Aber am Ende kam die Erlösung doch. Eines Abends sagte der Zeigerbaniß beim Essen, er habe jevt im Sinn, noch zum Rechenmacher-Felix hinüber zu gehen, der sich ein wenig auf die Kunst deS Barbierens verstand. Frau Esther sah ihn verwundert von der Seite her an. Es sei ihr jetzt wirklich an der Witterung nichts aufgefallen. Was er denn eigentlich meine? Er habe da so ein späsfiges(sonderbares) Windlein ge- merkt beim Bulcheln oben im Wäldiholz. berichtete der Haniß. Und eineweg sei jetzt die Zeit da, letztes Jahr habe er die Aenderung schon nach Lichtmetz vorgenommen. Als er wieder zurück kam, sah sein Bart aus wie eine Hecke, die ein schlechter Gärtner in einer unguten Stunde mit ungutem Willen zurückgestutzt hat. Merkwürdigerweise schien aber das Wetter nur auf dieses Zeichen gewartet zu haben. Schon während der Nacht kam es leise über die Dächer daher und unversehens fetzt« ein schwerer, lauer Wind ein, dem kein Gätzchen zu eng und keine Luke zu verborgen tvar. Am Morgen regnet«, es, mit Schrecken besah der Winter sein kläglich zugerichtetes Gewand von dem wahrhaftig nach wenigen Tagen nur noch ein paar schmutzige Fetzen übrig blieben. Und damit war der März noch nicht zufrieden. Er ver- sprach der Sonne einen höheren Wochenlohn, und wie die denn von jeher eine willwänkische und keineswegs ganz einwand­freie Dame war, fiel sie ohne weiteres vom Winler ab. Sie lief gleich am hellichten Tag mit jedem hergelaufenen Fant von Walb- und Wiesenwind spazieren und guckte an Rain und Hecken in die verborgensten Winkel hinein. Ob dieser Untreue und neugierigen Zudringlichkeit bekam der Winter eine Herz- schwäche. Er saß dem ersten besten bergwärtsfahrenden Eisen- bahnzuge hinbenouf und wäre ohne Zweifel gänzlich verduftet, wenn nicht weit droben im Gebtrge ein vorwitziger Schaffner seine Anwesenheit bemerkt und ihm die Fahrkarte abverlangt hätte. Nun machte er sich dünn, richtete sich in einem ver- lorenen Seitental als Verbannter so gut es gehen wollte ein und ersann ein Gedicht auf den Unbestand und die Wandelbar- keit aller irdischen und himmlischen Dinge. Auf der Steig aber war eitel Herrlichkeit und Frohlocken. ?;m Pfarrgarten blühte der(jelbe Krokus. Die zähen Schlüssel- lumenstöcke, mit denen dw kleinen Blumenbeete vor den Häusern im Oberdorf eingesatzt sind, hatten es sehr eilig, ihre blatzroten Blütenkelche zu öffnen. Frieda lief jeden Tag ein paar mal hinau«, um mit inniger Neugier nach den Tulpen und Narzissen zu sehen, deren erste blaugrüne Blattspitzen aus der feuchtbraunen Erde hervorstachen. Im Uebrigen be- hauptete sie, datz die Welt nun wirklich noch nie so schön ge- Wesen, und daß die Primeln und Anemonen beim Mesnrer- Hölzchen noch in keinem Frühling in solcher Menge geblüht hätten, was die Mutter freilich nur mit der Bemerkung gelten ließ, sie habe das noch jede? Jahr gemeint, und sie müßte auch gar nichts vom Vater geerbt haben, um nicht ein kleines Früh- lingsnärrchen zu sein. Ueber die Bauern von Steiy war jeht unversehens ei» richtiges Fieber gekommen. Sie gingen aneinander vorbei wi« abwesend: kaum, datz sie sich den üblichen kurzen Gruß oder ein hasttges Wort gönnten. Die Arbeit! Die Arbeit! DieS- mal kam sie gleich auf allen Vieren daher! Am Examen, daß just in diese bewegten Tage fiel, hatten die Schulvorsteher die halbe Zeit am Fenster gestanden und über die unnütz ver- lorenen Stunden gejammert. Und nun lag wirklich der erste Märzenstaub auf den Straßen. Die schweren Düngerfuhrwerke knarrten dorfauf und dorfab, ja der Steinli-Nöggel, der nie die rechte Zeit ab- warten konnte, fuhr bereits mit dem aufgeschienten Pflug durchs Oberdorf hinaus. Vor allen Häusern lagen die sauber gespitzten Rebstecken in luftigen Beigen zum Trocknen aufge- schichtet. Einzig der Elfibauer war noch nicht so weit. Er hatte seinen Zunahmen deshalb, weil er selten vor dem Elf- uhrläuten ausrückte und mit jeder Arbeit vierzehn Tage oder drei Wochen hinter den andern drein kam. Während jetzt an der sonnigen Rebenhalde schon die Scheren klapperten, lud er mit verdrießlicher Miene die ungeschälten Rebstöckenhölzer auf den Wagen, um damit nach der kleinen Säge in Untersteig zu fahren. Nun sei schon die ganze Welt verrückt, weil eS drei Stunden lang nicht geschneit habe, schimpfte er. Wenn man die nächste Woche nur nicht schon mit Heuen anfangen wolle! Der Schuhmacher Napf hatte es auch bereits in den Gliedern. Er behauptete, immer, wenn die Sonne zwei oder drei Tage nacheinander in die Butik hereinscheine, bekomme er es in den Gliedern. So etwas könne man ganz gut für ein Zeichen nehmen. Er hatte in seiner Tenne emen Haufen Holz­asche, Ruß und Torferde aufgeschichtet, den rr nun eifrig um- schaufelte und von Lage zu Lage etwas Schwefelsäure und andere Flüssigkelten zuschüttete.Wenn diese Mischung ge­lingt, brauche ich nicht mehr Schuhe zu flicken", sagte er.Auf die Studierten ist kein Verlaß, die wichtigsten Fragen müssen in der Praxis gelöst werden. Es ist nun ziemlich gewiß, daß die Landökonomie einer ganz neuen Zeit entgegengeht. Der Zeigerhaniß war etwa auch nicht faul in diesen Tagen. Gleich nach der Schneeschmelze waren wir an einem Sonntagnachmittag miteinander durch den ganzen Bann ge- gangen, er hatte mir sein und anderer Leute Land gezeigt, dabei nach der Saat und nach den jungen Bäumen gesehen und alles gut angetroffen.Man sieht halt dock Ivieder gern den aperen Boden," hatte er mehr als ein Mal gesagt.Man freut sich, wenn jedes Stücklcin Land wieder daliegt, wie man im Herbst von ihm weggegangen ist. nur ein wenig erschrocken, wie wenn es nach der langen Dunkelheit die Augen iwch nicht recht auftun könnte." Während ich um jene Zeit in den Zeislerreben die abge­schnittenen Schosie zusammenlas, machte ich mir im Stillen etwa meine Gedanken darüber, wie es jetzt wohl um mich stände, wenn ich den Fehler nicht gemacht hätte? Von der Sekundärschule hatte niemand mehr ein Wort gesprochen; und ich hatte es auch nicht erwartet. Aber e? ist ein liebes Geschenk der Jugend, datz sie uns neben einem verwehrten Pfade nnndert neue zeigt, die alle in ein reiches Leben führen müssen. Als& nun so richtig Frühling war und die Wiesen und Grasgärten schon ein ganz merkwürdiges Grün trugen, wie ich es vorher nie gesehen zu haben glaubte, war ich der vergnügteste und arbeitsfreudigste Güterbub, der jemals mit einem wohlgemachten Bauernfuhr- werk dorfein und dorfaus fahren und mit der Peitsche knallen durfte. Es dauerte wenige Wochen, so kannte ich den letzten Karr- weg im Dorfbann: fast von jedem Streifen Landes wußte ich, wem er gehörte, und so bekam die Steig für mich unvermern ein ganz neues Anllitz. Die Aecker und Matten sahen mich� ohne daß ich etwas dazu tat, jeder mit den Augen seines B� sitzers an: Präsident Stamm's Talerwiese mit den zwölf mäch- tigen Kugelbirnbäumen, die wie an einer Schnur in der Reih« standen, hätte einfach keinem andern im Dorfe gehören können: und ein schmales Kornäckerlein, daS an den Helttgen- ioald hinaufstietz, erzählte mit seiner ungleichmäßigen, lacken- haften Saat über da? ganze Tälchen hinaus davon, daß d«!