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gochverehrter Stephan Tarrassowitsch!" schrieb der kleine und Klang gewordene Poesie. Wir sind nach 100 Jahren Wagner Mensch sorgfältig auf einen Bogen Briefpapier. nun endlich so weit, zu erkennen, was von der kosmopolitischen Bu funftsmufit bereits deutsche Vergangenheitsmusik geworden ist.
Und einem solchen Klotz
in der Brust des Großen.
diese Ehre?" tochte es unterdessen Der Kleine, den Kopf zur Seite geneigt, führte jeden Buchstaben sorgfältig aus, da Koldobin, an den der Brief adressiert war, ein Freund der Kalligraphie war. Nehmen Sie den Ausdruck meiner tiefen Verehrung und Herzlichen Ergebenheit entgegen.. Der Kleine Mensch fragte sich mit der Federspite die Nase, dachte nach und schrieb weiter: Auch den Ausdruck meiner aufrichtigen Liebe zu ihnen." Dann unterschrieb er seinen Namen und blieb bei dem Gedanken: ob er den gewohnten Strich machen solle oder nicht, stehen. Vielleicht ist es ohne Strich besser?"
Der große Mensch sträubte sich, der Kleine aber versiegelte schon den Brief und schrieb mit großen, schönen Buchstaben die Adresse: Seiner Hochwohlgeboren Herrn Stephan Tarrassowitsch Koldobin". In diesem Brief bat der kleine Mensch um die Hand der Tochter Koldobins, Anastasia. Beide der Kleine und der Große liebten diese Anastasia, beide zusammen wollten sie heiraten, und beiden erschien es ganz selbstverständlich, daß sie immer und in allem unzertrennlich blieben. Und so verlobten fie sich beide.
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Der fleine Mensch parfümierte sich mit Kölner Wasser, schenkte der Braut Bonbons, sagte dem zukünftigen Schwiegervater Liebenswürdigkeiten, und seine ganze Gestalt hatte ein steif- festliches Ausfehen. Der Große wand sich wie einer, dem die Kleider unter den Armen zu eng sind, und als er von seiner Braut auf die Straße hinausging, seufzte er stürmisch und hieb zornig mit dem Stock durch die Luft. Zu Hause dachte der kleine Mensch lange darüber nach, was für Veränderungen in Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit in der Wohnung vorzunehmen wären, was er taufen müßte und wieviel alles kosten würde. Er nahm einen Bleistift, Papier rechnete, addierte, multiplizierte; den Bleistift mechanisch hinter das Ohr steckend, dachte er über die Verwickelungen und Unbequemlichkeiten nach, die durch die Verheiratung entstehen mußten, und sein Gesicht verzerrte sich, und seine Augen blinzelten unruhig und unbeholfen.
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Der große Mensch rechnete nicht, erwog nicht. Es schien ihm, daß im Herzen seiner Braut dasselbe große Gefühl wie in ihm lebte, und vor diesem Gefühl verschwanden alle Bedenken, Zweifel und Fragen wie die Sterne vor der Sonne. Dieses Gefühl mußte alles verdrängen, rechtfertigen, verschönen!
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Und er lief zu seiner Braut, von dem Wunsch, mit ihr über dieses große, neue Gefühl zu sprechen, beseelt; natürlich lief auch der fleine Mensch mit ihm weil das Schicksal die beiden für
immer verbunden hatte.
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( Schluß folgt.)
erlöst. Von der nach Mozart und Weber versimpelten und total Wagner hat uns Deutsche und die ganze Kunstwelt in der Lat verblödeten, durch Meyerbeer und die Franzosen verrohten Oper. In der die Schablone, das Tanzbein, die kostümierte und tolorierte Arie, die Unnatur, die Schminke, die Maskerade alles, die Poesie, die Sprache, die dramatische Wahrheit, der Geist, die Idee nichts war. Von dieser Oper in der tiefsten Surve ihrer Erniedrigung hat uns der große Reformator, der„ Luther der Oper", für immer erlöst. In seinen vier romantischen Opern wie in seinen sieben eigentlichen Mufitdramen. Er erst hat die eigentliche Kunstform der Oper ge schaffen, die Mozart und Gluck ahnten, in der eine vernünftige Handlung von denkenden Schauspielern gesungen wird. Er hat Poefte und Musik zu einer höheren Einheit im mufifalischen Drama zu ber mählen versucht, wobei nur freilich unerläßlich blieb, daß die eine die andere störte. Die Musit sollte als Mittel des Ausdrucks eine treue Magd und Gefährtin der Dichtung sein, sie war nicht mehr „ tönender Selbstzwed" wie in der alten Oper. Aber leider, fowie die Magd ihre Stimme erhob, verstand man die Herrin nicht mehr. Das Orchester machte die Sänger tot. Was nügte dagegen die Mahnung des Meisters und der„ Bayreuther Stilbildungsschule": Konsonanten quetschen! Hier war also schon ein Bruch im tünstmöglichste Deutlichkeit des Ausdrucks, mehr deklamieren wie fingen, lichen Gefüge des Wortton- Apparats, den Wagner das Gesamtfunstwert nannte, der im Ring des Nibelungen " feinen anfecht barsten, im„ Tristan" seinen reinsten und edelsten Ausdruck gewonnen hat. Fluch des Goldes, von der erlösenden Kraft der Liebe war die Probe Das fapitalistische Weltgedicht vom vernichtenden auf das vom alten Aristoteles übernommene ästhetische Rechenexempel vom gleichberechtigten Nebeneinander aller Kunst im Drama. Aber Dichtung und Musit, Raumkunst, Malerei, Mimit und Tanz funst fönnen nicht fonfurrenzlos in der Oper miteinander wirken. Stets wird die Musit die vornehmste, die vordringlichste und die lauteste sein und die anderen Schwestern zu bloßen Mithelferinnen herabdrücken.
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Das ist auch im Ring" der Fall, der niemals eine solche Popularität errungen hätte, wäre er nicht erfüllt mit ebenso großartigen wie verständlichen musikalischen Episoden( den sinfonischen Höhepunkten im Labyrinth der Leitmotive), die den Tiefsinn der Dichtung mit ihrer politisch philosophischen Vieldeutigkeit und die grausamen Längen der die Handlung immer wieder gewaltsam unterbrechenden Monologe Wotans, Mimes, Alberichs, Waltrautes bergessen machen. Schon die herrliche Naturmusit des Rings, die Musik des Flusses und Gewitters, des Regenbogens, des Feuers, des Waldwebens und des Luftsausens im Sturm der Walküren entschädigt hierfür. Es fann sich auch jeder Mensch
an der Liebesmusik erfreuen, an der lebendig sprühenden und funkelnden Hammer- und Ambosmusik Jung- Siegfrieds, am Getrampel der Riesen, den Hornrufen des idealsten aller jungdeutschen Waldläufer und moralischer Umstürzler, an dem Trillern des Waldvögleins, an den riesenhaften Harmonien des Mannenchors. Kurz an der ungeheuren Ausdehnung des Gebiets, das dem Ring gemeinsam ist mit jener gewöhnlichen Musik", die, ohne sich an den Verstand zu wenden, Gemüt und Seele laben will. So fam es ohne alle ästhetischen Umschweife gesprochen daß im Westent wie im Osten das Lebenswert W.s populär und Mode" wurde, nicht weil es das erträumte utopische Gesamtkunstwerk darstellte, sondern weil es so viele und schöne, prachtvoll instrumentierte Musikstücke mit Melodien enthielt. Der rein- musikalische, tondichterische Genius in Wagner hatte über den konstruierenden Theoretifer gefiegt. Die geschlossene Melodie über das Leitmotiv und die unendliche Melodie. Die zähe Oper" über das nebelhafte, riffige Drama.
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Der Tag, an dem die waschechten Wagnerianer das Buch der deutschen Musikgeschichte endgültig zuschließen, ist der 13. Februar 1888, der Todestag Richard Wagners . Es gibt für sie feine deutsche Tonfunft von Belang mehr nach dem Hinscheiden ihres Gottes, der einer ganzen Kultur seinen gewaltsamen Stempel aufgedrückt hat. Das war die sonderbare künstlich zum Leben gebrachte, im Theaterlicht fünstlich erwärmte und beleuchtete Kultur völkischer Mythologie. Die deutsche Heldensage wurde veropert. Jdeale, die bisher auf die Sonderkreise blondbärtiger teutonischer Germanisten beschränkt waren Ja, ein Riß flaffte durch das ganze große Ringgebäude. Ein ( Felix Dahn !), wurden plötzlich als nationale Ideale ausgerufen. Weltanschauungsriß! Im Rheingold stand die Verfluchung des Die Kultur der Edda und der mittelalterlichen Minnedichter wurde Goldes, vor der Götterdämmerung aber der Kaisermarsch , die höchster Trumpf im arischen Germanien und das Judentum in Kunst Huldigung an das fapitalistisch- monarchische System in Alldeutschland. und Musik zu bekämpfen, war ebenso Ehrensache für den gebildeten Danach konnte Wagner seinen Siegfried nicht mehr idealisieren. Ja, teutschen Hirnbesitzer wie tiefsinnige Gespräche über die Ehe von wenn die Geschichte Deutschlands von 1849-76 die Geschichte Poesie und Mufit im Musikdrama, über Kunst und Religion, über Siegfrieds und Wotans, die Geschichte der sozialen und der moralischdie transzendentale Erlösungsidee, über das deutsche National politischen Umwertung oder die Geschichte des freiwilligen Machtdrama, über das universale Kunst- und Kulturgenie, über berzichts zugunsten einer höheren sittlichen Idee gewesen wäre, dann Bayreuth , Wahnfried , Siegfried, Vegetarismus und Vivisettion wäre die Götterdämmerung wirklich die logische Vollendung des zu halten. Noch nie war von einem Musiker ein so starker Dramas geworden, statt des opernhaften, innerlich unwahren KomEinfluß auf das gedankliche und soziale Leben seiner Zeit aus- promisses. Der Republikaner war mit Siegfried gegangen, der ent gegangen wie von dem kleinen sächsischen Feuergeist, der sein Leben täuschte Schwärmer aber ging mit Bismard und den reichsdeutschen nichts getan hat wie„ revolutionieren". Freilich nur Jdeen revolu- Machthabern. tionierte er, auf die Barrikaden ging er nur theoretisch mit.
Dreißig Jahre hat es gedauert, bis wir die rechte Distanz zu Wagner und seinem Wert, das heute die europäischen Theater mit erdrückender Kraft beherrscht, gewinnen fonnten. Bis wir aus dem Fanatismus für und wider W., von Hans v. Wolzogen und den salbungsvollen Nazarenern aus der oberfränkischen Fremdenzentrale Bayreuth wie von Nietzsche ( der an der Krankheit Wagner" starb) und seinen flugen Affen frei machen konnte. Bis wir zu übersehen bermochten, wo die Erlösung aufhörte und die Gefahr begann, wo feine unvergänglichen Kunstschöpfungen, wo Theaterzauber war, wo theoretisch zusammengetüftelte, für den Augenblick durch einen starken Willen festgehaltene Konstruktionen, wo aus innerem Schauen Bild
Vom Holländer bis zum Parsifal hat W., der doch zum ersten Male das moderne Ich, das nervöse Jch in die Oper brachte, die Philosophie und Musit der Erlösung, der Entfagung, des Pessimismus verkündet. Er war fein Aufrichter, fein Stärker der positiven Lebensmächte. Immer ist sein poetisch- musikalisches Leitmotiv: Erlösung eines schwachen Mannes durch das Weib. Das Weib ist ihm dafür dankbar geworden. Neun Zehntel des deutschen Wagner- Publikums sind Weiber. Hysterische deutsche Jungfrauen, die in der blaffen Senta oder der in himmelblauer Romantik verklärten neugierigen Else ihr Jdeal sehen, unglücklich liebende unverstandene Ehefrauen, die mit Tristan und Isolde träumen, die moderne Frau aber hält's mit Brunhilde , dem musikalischen Typ ber moralisch Emanzipierten,