Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 99.

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Sonnabend den 24. Mai.

Das entfeffelte Schickfal.

Roman von Edouard Rod  .

5. Rapitel.

1918

Als Lermantes sich zum Verhör erhoben hatte, konnte man das Ja", mit dem er die erste Frage beantwortete, nur durch die Bewegung der Lippen sehen. Man hörte kaum den Kelang seiner Stimme. Man erfuhr, daß er seine Mutter int zehnten Lebensjahre verloren hatte; daß sein Vater 1870 unter dem General, dem damaligen Oberst de Pellice, eine Eskradon befehligt hatte und unter den Augen feines Vorgesetzten bei Gravelotte gefallen war. Nachdem diese Präliminarien er­ledigt waren, wurde der Präsident, Herr Motiers de Fraisse, eindringlicher.

ohne Fesseln weiter zu gehen und jeden Tag dieselben zweifel­haften, leichtfertigen Handlungen, von neuem begannen. Wie diese Aufeinanderfolge unleugbar entstellter Tatsachen klären, die durch ihre Verkettung und ihre Zahl nun plößlich einen so Nachdem die Ergebnisse kurz zusammengefaßt waren, ganz anderen Sinn annahmen.? Wie konnte er diefen stützte man den eigentlichen Schuldbeweis auf eine zweifel-" Doppelmenschen" verleugnen? Konnte er fagen: Sie irren hafte, noch schwebende Spekulation, für die Lermantes nur sich. Ich bin jener Mensch gar nicht. Aber das hieße auch eine schwache Erklärung fand. Die Aktien der Hochbahn leugnen, hieße mit Mein" antworten, wenn der Präsident waren seit ihrer Emission 1897 durch eine unmäßige Reklame ihn fragen würde:" Sie heißen Lionel Henry Lermantes? auf fünf-, fechs-, selbst siebenhundert Franken getrieben Sie find 1856 in Mans geboren, wo Ihr Vater in worden. Kurze Zeit vor Eröffnung der Ausstellung fielen sie Garnison   stand?"" Ach, wie in dem engen Rahmen des Ver­plöglich. Nun ist richtig, daß der große Erfolg dieser Sehens- hörs so viele verwickelte und trotzdem so einfache Dinge er­würdigkeiten sie bald auf den hohen Kurs zurückbrachte. Ler- flären! Wie sollte er so viel anfechtbare, doch im Grunde un­mantes hatte aber seine Aktien gerade kurz vor der Baisse ver- schuldige Handlungen, so viel falschen Schein, der wie ein fauft. Er behauptete, in dieser Beit besonders viel Geld nötig Schleier die Wahrheit einhüllte, klären? gehabt zu haben wegen des plöblichen Unfalls bei dem Bau des Hafens von Bonimarca. Der nur vorübergehende Sturz der Aktien, deren er sich zu so auffallend passender Zeit ent­äußert hatte, bewies jedenfalls, daß Lermantes, wenn es sich darum handelte in schwierigen Momenten seine Kasse zu füllen, nicht gerade an Skrupeln litt. Nachdem die Anklage von den geschäftlichen Schwierigkeiten gesprochen hatte, welche Lermantes gerade in dem Augenblick bedrohten, da der Tod des Generals das Schiff wieder flott machte, wurde nun die beständige Geldverlegenheit des Verhafteten betont. Schon in seiner Jugend hatte er die Freigebigkeit Herrn de Pellices, seines Vormundes, benußt, um auf dessen Kosten als reicher Student zu leben. Nach seiner Heirat er war damals ein- Sie blieben mit wenig Hilfsmitteln ohne jede Familie facher Beamter der Nordmetallgesellschaft gewesen, und seine zurück. Außer einem Onkel mütterlicherseits, der schon mit Frau hatte ihm ein sehr bescheidenes Vermögen zugebracht zwanzig Jahren in die Kolonien ging und von dem Sie nichts lebte er auf sehr großem Fuß weiter und machte ein großes mehr gehört hatten, hatten Sie feine Verwandten. Der Haus. Die Ausgaben stiegen mit seinen Einnahmen, ja viel- General von Pellice, Ihr Bate, willigte ein, Ihr Vormund zu leicht schneller als diese. Man konnte seinen jährlichen Ver- werden. Er hatte zuerst den Gedanken, Sie die militärische brauch auf zweihundertfünfzigtausend bis dreihunderttausend Laufbahn einschlagen zu lassen, um Ihnen anfangs von Franken schäßen, trop pefuniärer Schwierigkeiten und häufiger Nußen sein zu können. Sie folgten seinem Rat nicht und Verluste. Dazu kamen noch die überaus teuren Käufe, die er gaben vor, feine Neigung für den Offiziersstand zu haben?" im Verlauf der letzten zehn Jahre machte: die Villa d'Etretat  ; ,, Das ist richtig. Waren meine Mittel auch nur gering, ein Haus in der Rue des Vignes; das Schloß in l'Aveyron, so konnte ich doch das Polytechnikum besuchen." dessen Renovierung fast sechshunderttausend Franken gekostet Er richtete sich einen Augenblick straffer auf, als ob er hatte. Dann Bilder und Kunstwerke. Schließlich erzählte sich von der Last befreien wollte, die auf ihm rubte, und er­die Anklage noch kurz zusammengedrängt von den Irrungen hobenen Hauptes fügte er hinzu: seines Privatlebens: zwei Verhältnisse mit Halbweltdamen, das eine während seiner Ehe, das andere kurz nach dem Tode seiner Frau. Die Anklageschrift schloß mit folgenden ihn charakterisierenden Säßen:

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In seinem Privat- und Geschäftsleben hatte er leichte moralische Anschauungen. Er steigerte das Bedürfnis nach Lurus bis zum Prunt. Zweifellos fleißig, aber noch mehr ehrgeizig, sowohl als Geschäftsmann wie als Mensch wenig bedachtsam, gehört er offenbar zu jenen Naturen, welche der Wunsch, etwas zu scheinen und das Bedürfnis nach Genuß, widerstandslos und leicht zum Verbrecher macht."

" Ich glaube bewiesen zu haben, daß ich meinen Beruf nicht verfehlt habe."

Die stolze Geste rief im Saal beifälliges Murmeln her­vor. Vielleicht machte sie auf die Geschworenen einen minder günstigen Eindrud, die sind immer geneigt, dem Ange­flagten nur bescheidene Wünsche zu gestatten, und dieser hier schien die Offensive ergreifen zu wollen.

Es ist richtig," pflichtete der Präsident bei, Mathe­matik ist Ihnen sehr leicht geworden, und Sie sind mit einem guten Zeugnis abgegangen. Jedoch haben Sie in Ihrer Jugend nicht nur gearbeitet. Sie haben auch dem Vergnügen eine Menge Zeit gewidmet. Vergnügungen fosten viel Geld. Da Ihre Einnahmen mäßig warn, haben Sie die Freigebig­feit des Generals angenommen."

sch habe sie niemals gefordert." " Sind Sie dessen sicher?" Vollkommen."

Lermantes hörte diesen Ausführungen mit einem Ge­sichtsausdruck zu, in dem sich Demütigung und Empörung mischten. Gewiß, das alles beruhte auf Tatsachen. Dieser Art zusammengefaßt, entsprach es doch nicht der Wahrheit. Er. erkannte sich in diesem Bild wie in einem Porträt, das nur mit einigen äußeren groben Strichen gezeichnet ist und dem Farbe und Gestaltung fehlt. Das war er, und er war ,, So haben Sie wohl einen gewissen Zwischenfall aus es doch nicht. Ein anderer Lermantes, verschieden von dem, Ihrem leßten Studienjahr vergessen? Sie hatten in einem der er sein konnte, ein Lermantes ohne seinen Charakter, ohne Klub einen ziemlich bedeutenden Spielverlust gehabt, nachdem jede persönliche Note. Und dies falsche, verzeichnete Bild sollte Sie auf Ehrenwort gespielt hatten. Der General bezahlte nun für seine Richter Geltung haben! Seine Handlungen für Sie. Es handelte sich um zwei- oder dreitausend Franken, waren ungefähr so, wie sie das gerichtliche Dokument aufge- glaube ich." zählt hatte, aber die Berechnungen, die sie so erniedrigten, hatte er niemals hineingelegt. Wie auf viele andere, so hatten auch auf ihn besondere Lebensumstände eingewirkt. Das war alles. Nie hatte er den Wunsch gehabt, sich zu bewundern. Sein maßloser Hochmut! Mein Gott, niemals hatte er seine Fähigkeiten, noch sein Schaffen besonders hoch beurteilt. Seine Wünsche? Ohne Uebertreibung erfreute er sich der Früchte seiner Arbeit als gesunder, temperamentvoller Mann. Seine Verschwendung, seine Prunksucht! Ihm selbst hätte ein Tisch aus Kiefernholz, ein eisernes Bett und die einfachsten Lebensmittel genügt. Seine Skrupellosigkeit! er war gewissenhafter als andere, die frei waren, ihren Weg

Ich hatte mich in einen Klub einführen lassen, ohne überhaupt zu wissen, daß man dort spielte. Ich verlor, aber nicht zwei- oder dreitausend Franken, sondern genau acht­hundert Franken, Herr Präsident.

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Da die Verschiedenheit der Zahlen eine gewisse Ueber­raschung hervorrief, legte Lermantes Gewicht darauf.

,, Die Richtigkeit meiner Behauptung wird ein Brief des Generals beweisen, der den Aften beiliegt. Wenn die Zahl nicht stimmen sollte, ist es leicht, sie zu berichtigen."

Der Präsident sah seine Notizen durch und gab durch eine Geste seinen Irrtum zu erkennen. Die Summe ist denmach von dem General bezahlt worden."