Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 103.

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Freitag, den 30. Mai.

Das entfeffelte Schickfal.

Roman von Edouard Rod  .

1918

niedergeschrieben worden. Hat der General Ihnen nichts über seine Absichten mitgeteilt, als Sie bei ihm waren?" Kein Wort!"

Die Testamentsfrage ist zwischen Ihnen nicht erörtert

worden?"

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Es war nie die Rede davon."

Hatte der General zu jener Zeit noch andere Gäste?" ,, Am ersten Abend waren einige Personen aus Aig   zun Diner geladen."

,, Sie sind vom Untersuchungsrichter verhört worden, konnten aber nichts sagen, was zur Aufklärung des Tatbes standes hätte dienen fönnen... was taten Sie in der übrigen Zeit?"

-

,, Wir plauderten, wir sind geritten und haben Billard gespielt und wir sind im Park spazieren gegangen." ,, Wovon sprachen Sie?"

,, Sprachen Sie mit dem General von Ihren petuniärent Schwierigkeiten?"

Ganz bestimmt nicht. Ich war davon überzeugt, mich durch eigene Straft in allen Ehren wieder flott zu machen. Der Gedanke, seine Hilfe nötig zu haben, ist mir nicht in den Ropf gekommen."

Während dieser Frist, in der Lermantes in schwebender Ungewißheit harrte, zog das Panorama seines Lebens an thm vorüber, wie es foeben vor seinen Augen entrollt worden war, wie feine Kinder es gesehen hatten, seine Richter, seine ehemaligen Freunde, Unbekannte und Neugierige. Sicher­lich hatten ihm in seinem wirklichen Leben diese dunklen Schatten, diese heftigen Töne gefehlt. Zu schnell, zu flüchtig war es dahingeschwunden, um Augenblicke abwägen zu lassen. Aber schneller noch hatte sich diese unvollständige Stizze ent­wickelt, große Teile fehlten ganz darin, und zwar die besten. Die Stunden, in denen er sich loyal, gütig- aufopfernd, selbst­Los und großmütig gezeigt hatte, waren unerwähnt geblieben. Von allem Möglichen, von Politik, von geschäftlichen Stunden, die dahingehen, ohne wie klares, vorbeifließendes Angelegenheiten, gemeinsamen Freunden, wie Leute mit Wasser eine Spur zu hinterlassen, während von den anderen, einander plaudern, die froh sind, sich wiederzusehen, wenn den schlechten, Schlamm zurückbleibt, wenn sie vorbeigezogen sie sich auch nichts Besonderes zu sagen haben." find. Aber gerade diese, in denen er so wenig er selbst ge­wesen war, zeugten mun gegen ihn. Die anderen waren ver­schwunden. Niemand rief sie an; sie existierten selbst in seiner Erinnerung faum noch. Hatten sie jemals existiert? Da unten jedoch in dem Saal, dessen Lärm bis zu dem engen Raum hindrang, wo er nun mit feinen Gendarmen wartete, wurde er von der Menge beurteilt. Morgen von anderen Leuten, den Lesern aller Zeitungen, tausend Unbekannten, deren Auf­merksamkeit sich einen Augenblick auf die Gerichtsnachrichten fenkte, von seinen Arbeitern, Ingenieuren, Seeleuten, Buch haltern, Werkmeistern, dem ganzen Personal seiner zahl reichen Unternehmungen, der arbeitenden Menge, die er von fern, ohne sich zu zeigen, wie ein Gott regiert hatte, und da, ganz nahe, von seinen heißgeliebten Kindern, die bis jetzt nie­mals an ihm gezweifelt hatten, und schließlich von seinem Schwager, der ihn verachtete, nachdem er ihn vorher beneidet und gehaßt hatte; feiner Schwägerin und Nichte, die au Aeußerlichkeiten hingen und für die die Form alles war. Er wußte das und richtete sich selbst und versuchte sich nicht mehr zu verteidigen, weder gegen andere noch gegen sich. Nach dem eben Gehörten ichien ihm feine Katastrophe eine Art Gerechtigkeit. Nie in seinem Leben hatte er an einen Mord gedacht, und doch traf die entfesselte Nemefis in ihm feinen Unschuldigen. Er fühnte nicht das unfreiwillig begangene Verbrechen, sondern die Schwächen, die Schande, den Schmuk feines Lebens und bezahlte einen gewaltigen Preis für das, was andere so wenig foftete. Als ein von der Schicksalsgöttin erwähltes Opfer neigte er in refignierter Berzweiflung sein Haupt. Unwiderruflich hatte ihr& inger auf ihn gewiefen in der unübersehbaren Menge derer, die ihre Nachficht um bestraft ließ.

7. Kapitel.

Als die Sigung wieder eröffnet wurde, feste Herr tiers de Fraisse das Verhör fort.

Im legten Sommer verbrachten Sie drei Tage

Savoyen   beim General. Wann war es?"

,, Vom fünften bis achten Juli."

an

Mo­

in

Wie können Sie also erklären, daß zehn Tage nach Ihrem Besuch der General die Idee hatte, Ihnen sein ganzes Vermögen zu vermachen? Sie standen doch in keinerlei Be­ziehung zu ihm und ohne jeden Grund hat er seine Neffeit zu Ihren Gunsten enterbt."

da der General mir nie von seinen Absichten gesprochen hat. Das kann ich nicht erklären, Wie sollte ich es können, Selbit beute verstehe ich die Gründe noch nicht, die ihn dazu bestimmt haben. Ich sehe keinen anderen als die der Zu­neigung, die er mir immer bezenate." Schien Ihnen der General in La Combette schwach oder leidend?"

den,

Es ging ihm vorzüglich."

erklärt, daß der General ihn am Morgen seiner Ankunft Jedoch hat Doktor Finge, den wir gleich verhören wer­in La Combette, am 16, Juni, rufen ließ. Er flagte über Schwindel."

,, Davon hat er mir nichts gesagt. Er war auch während meines Besuches nicht leidend.

,, Dachte er an Krankheit oder Tod?"

Ich weiß nicht, ob er daran dachte. Gesprochen hat er nicht davon. Im Gegenteil, er machte auf längere Zeit hinaus Pläne, er wollte einen Flügel seines Hauses reno­vieren lassen. Er erzählte mir, er beabsichtige, am 1. Sep­tember nach Baris zu reisen, drei oder vier Tage dort zu bleiben und bis zum Ende des Monats nach Vichy zu gehen. Er hat mich nach dem Bahnhof in Chambéry   begleitet, mir bis an den Zug das Geleit gegeben und mich beim Abschied noch einmal erinnert, daß er mich wie immer zur Eröffnung der Jagd erwarte."

" Sie besuchten ihn unter dem Vorwand, nachher aum at er Ihnen in der Zwischenzeit geschrieben?" Kurgebrauch nach Air zu geben. Sie unternahmen diese Kur dann nicht. Können Sie uns eine Erflärung dafür geben?"

Ich hatte keinen Vorwand nötig, um den General zu besuchen. Jedes Jahr war ich einige Tage bei ihm in La Combette. Int legten Sommer litt ich an Rheumatismus  und wollte deshalb nach Air gehen. Ich hatte dort sogar schon eine Wohnung gemietet. Aber meine Arbeit zwang mich, diese Absicht aufzugeben, und ich bin direkt nach Paris   zurück­gefahren."

..Was hat sich zwischen Ihnen und dem General während der drei Tage ereignet?"

,, Nichts Besonderes." Hatten Sie mit Ihrem Gastgeber irgendwelche ernstere Unterhaltung?"

Nein, Herr Präsident."

Das Teftament des Generals ist jedoch vont achtzehnten Juli datiert. Es ist demnach zehn Tage nach Ihren Besuch

"

Einen furzen Brief, um mir mitzuteilen, daß er ant 21. August morgens anfäme und den Nachmittag bei mir bleiben wolle. Der General schrieb wenig."

Sie sahen ihn also ant 31. August wieder?" Er kam um 5 Uhr zu mir. Er hatte mit seinen Freun den im Klub Mittag gegessen. Ich wollte ihn zum Abendbrot bei mir behalten, aber er 30g es vor, nach Saint Germain zu fahren, um sich zeitig schlafen zu legen. Die Reise hatte ihn angestrengt."

Jit er au jenem Tage lange bei Ihnen geblieben?" Kaum einige Minuten."

Sie haben nichts Wichtiges geschrieben?.. Wie in La Combette?"

Nichts, Herr Bräsident."

Und am Morgen darauf?"

Am Morgen darauf bin ich zu gleicher Zeit mit den anderen sägern angekommen. Ich traf niemand bei der Ab­reise und fuhr allein in meinem Abteil. Der General ere