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Anschein einer Irrtumsmöglichkeit vorliegt, verurteilen die Geschworenen nicht."
Das ist meiner Ansicht nach unbedacht," sagte Oberst Ollomont. Ein Verbrechen ist begangen worden. Man hat den Schuldigen. Dann soll man ihn doch mitleidslos bernichten. Schon um des abschreckenden Beispiels willen!" Wenn aber der angeblich Schuldige unschuldig ist," warf Conthey schüchtern ein. Dann soll man ihn in Freiheit setzen," brummte der Oberst.
Die kleine spite Stimme Mijour' warf dazwischen: Wenn man ihnen glauben würde, sind sie alle unschuldig."
Es kommt vor, daß sie es sind, und das ist schrecklich," meinte Mortara. Blößlich fam er auf die Szene von vorhin zurück, die ihn verfolgte:„ Dieser d'Entraque macht den Eindruck, als ob er eine auswendig gelernte Lektion hersagte."
Er spricht wie jemand, der seiner Sache sicher ist," erwiderte Souzier.
,, Nie verbessert er sich. Nie denkt er nach. ch an seiner Stelle würde manchmal zögern, manchmal ein Wort durch ein anderes ersetzen. Es ist so schwer, sich genau so auszudrücken, wie man will."
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Doktor Buthier pflichtete Mortara bei. ,, Daß man sich nach vier Monaten so genau erinnern
"
,, Aber denken Sie, wie oft er die Erzählung schon wiederholt hat," sagte Billon .
Und sie sich selber immer wieder hergesagt hat," Durnant hinzu.
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-VIVA
arbeiten, oh: alles wird wie in den ersten Tagen ihrer Ehe werden. Ja, er rechnete nach, wann er soviel verdient haben wird, um ihr statt des achtkarätigen Eheringes, den fie schon lange hatte und er fand seine Frau; aber der ihm die Türe öffnete, war hingeben müssen, einen neuen, einen vierzehntarätigen, zu kaufen. fein Sohn, und dieser hatte ihn kaum erblidt, so warf er krachend die Tür vor ihm zu. Da hörte er, wie alle seine Wünsche, Hoffnungen, Träume, seine Freude und seine Liebe stürzend zusammenbrachen, und als ihm seine Frau die Tür wieder öffnete, konnte er nicht mehr sprechen, als ein rauhes:" Komm zurüd!" Diese wandte sich zu ihrem Sohn um und sagte nur:" Du wirst nun auf Arbeit gehen", und griff zu ihrem Luch und ging mit ihrem Manne.
Aber der Mensch kann sich selber nicht abschütteln: die beiden Versöhnten hatten taum das Haus betreten, so fiel es den Mann an, die Schuld an ihrem Zerwürfnis ergründen zu wollen, und Schlammeimer um Schlammeimer fielen aus dem Dunkel und dem Elend ihrer Tage auf die junge Blume, die wieder blühen wollte, und begruben sie. Es wurde nur ärger als je. Er mietete die Dirne, die seiner Roheit wollüstig anhing für das Geld, das er seiner beiden. Seine Frau aber blieb bei ihm, um ihn vor den But Frau mit der Faust abpreßte, in der Nachbarschaft ein und lebte von ausbrüchen seines Frauenzimmers zu schüßen, die vor ihr in einer fast ehrfürchtigen Scheu zurückwich. Ihr Sohn betrat ihr Haus nicht mehr.
Mutter und Kind trafen sich, wo gerade beide arbeiteten. Nie flagte die Mutter, immer schwieg der Sohn und tat ihr schweigend, was er ihr Liebes tun fonnte. Er trug ihr die Wäsche bis ans aus und half selbst auf dem Hof mitwaschen, wenn er feine Arbeit hatte und der Vater nicht anwesend war. Für seine wenigen erSparten Taler faufte er ihr einen Ring und bat fie, ihn zu tragen. Er leimte ihr in der Nacht einen Fußschemel und polsterte ihn aus, er zimmerte ihr einen kleinen Schrank, da der Mann das Kleiderspind seinem Frauenzimmer geschenkt hatte. Sah er aber zufällig einen blauen Fleck oder andere Wundmale auf ihrem Arm, schoß ein fahler Schatten über sein Gesicht, und er ging ohne Gruß schnell fort. In solchem Augenblid wußte er, was geschehen wird. Er wollte nicht denken, aber das Blut, das seinem Vater einmal aus der Stirn gesprungen war, er fühlte es an feinen Händen nach Blut schreien, und er wußte, daß es seines Vaters Blut war, was nach seinen Händen schrie. Dann mied er seine Mutter lange, bis ihn Angst, Mir würde das besser gefallen," erwiderte Mortara. Schmerz, Sehnsucht wieder zu ihr hintrieben, und fie gab sich Mühe, Man kann alles auf verschiedene Art auslegen," be- ihn beinahe wie einen Unwillkommenen zu empfangen, denn immer merkte Billon. hatte sie Schläge zu versteden. Mutter", sagte er einmal zu ihr, er- haut er nochmal, fag ihm, ich fomme. Und Schlag um Schlag!" Die Mutter aber hob nur aus dem Waschfaß die Hand auf und wies ihn schweigend an, au gehen. Und er ging.
" Das beunruhigt mich eben," sagte der Arzt, wenn er die Wahrheit sagen will, fann er sich die Geschichte nach und nach eingebildet haben."
Wenn er nach Ausdrücken suchen würde." warf demine ein, würde man wieder bemängeln, daß er weiß, was er sagt."
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Connicht
Nichts ist ungewisser, als die Zeugenaussagen," flärte Durnant. Man faßt sie zu leicht auf. Es gibt ein lateinisches Sprichwort, an das man immer denken müßte, wenn man urteilt: Testis unus, testis nullus."
Er begegnete Glarys fragendem Blick, der mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt war, und wandte sich ihm:
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„ Das bedeutet, daß ein einziger Zeuge nicht zählt." " D" erwiderte Souzier, das ist eine Regel, der man beim Strafrecht nicht Rechnung trägt."
" Somit," bemerkte der Oberst, würden alle Mörder, die bei Ausübung ihrer Tat nicht mindestens von zwei Personen gesehen worden wären, ihrer Strafe entgehen. Das wäre noch schöner!"
Aber," meinte Mortara, sich ereifernd,„ denken Sie an die Frrtümer, welche Leute in gutem Glauben begehen. Ist es Ihnen nie passiert, von einem Unbekannten gegrüßt worden zu sein, der Sie für jemand anders hielt? Nun fönnen doch solche Mißverständnisse in gewissen Fällen schwere Folgen nach sich ziehen."
Und wenn man Ihnen versichert, daß man Sie an einem Orte getroffen hat, an dem Sie gar nicht waren," fügte Durnant hinzu. Sie können leugnen, fobiel Sie wollen, der andere besteht darauf. Und er wird sich nicht überzeugen lassen."
( Fortiebung folgt.)
Er trieb sich ohne Arbeit, ohne Essen, ohne Schlafen herum. Er wollte nichts sehen und sah nur, wie die faule Hand seines Baters in das Leidensgeficht seiner Mutter traf. Er wollte nichts hören und hörte nur, wie das Blut des Vaters in ihm, nach ihm schrie. Er wollte nichts fühlen, ja, er fühlte nichts. Eine Ruhe, falt und ohne Sinn fam über ihn, und in dieser Ruhe empfand er das Schreckliche, das er wußte: er wird seinen Bater niederschlagen, wie das natürliche Gesetz seines Lebens. Ja, flar und ohne Haß und ohne Wut wußte er seine Tat. Aber er löckte noch wider den Stachel: er ging auf die Polizei und forderte, daß man seiner Mutter helfen soll, doch die kluge Polizei fannte die Prügeleien in der Familie Hasta, und ein sehr Wiziger gab ihm den guten Rat: Jmmer feste mitprügeln!
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Also mußte er seiner Mutter selber helfen. Aber noch redete eine Stimme in ihm: mögen sie fich prügeln, was geht's dich an? Arbeite und vergiß! Und er nahm Arbeit als Möbelträger an. Er arbeitete im Schweiße seines Herzens. Er fand den Schlaf, aber er fand nicht die Ruhe. Plöglich fuhr er in der Nacht auf und hörte seine Mutter nach ihm schreien. Er" hörte auch andere Stimmen, die er nicht verstand, Stimmen eines Lebens in Stille und Schönheit, und wenn er, auf seiner Schlafstelle hodend, tiefer lauschte, stiegen ihm alle Stimmen wie ein einziger Chor aus feinem Blute auf: eine reine und tiefe Mufit, die ihn wieder einschläferte. So gingen ihm Wochen hin, die alle nach etwas riefen, was er während der Arbeit vergessen hatte, und jede Nacht schrie es heftiger in seinem Herzen. Eines Morgens träumte ihm, seine Mutter wäre gestorben, und er sah sie an seinem Bett in allen ihren schrecklichen Wundmalen stehen, und sie hielt seinen Ring fest in der Faust und lächelte.
Da riß es ihn auf. Er muß seine Mutter sehen. Sofort. Sein Taschenmesser, das er sich eben mit Schlüssel und Portemonnaie gedankenlos in die Tasche stecken wollte, plöglich sieht er es alt. Er erblaßt. Und wirft es weg, als hätte es ihm die Hand verbrannt. Am anderen Morgen verließ die Mutter mit ihrem Sohn ihren Er tritt auf die menschenleere Straße hinaus und friert und fängt Mann. Sie nahm ihre geringen Habseligkeiten mit, ihr Herz blieb an zu laufen. Da ist die enge Gaffe, wo sein Vater wohnt. Er zurüd, so daß ihr Gesicht verlosch wie das einer Gestorbenen. Sie läuft. Er hört Geschrei im Hof. Wie ein Stein steht er still. Im mietete sich in einem anderen Stadtviertel eine Schlafstelle. Als Hause zetert das Frauenzimmer, mit dem ſein Vater schläft. Er hört ihr Mann sich von ihr verlassen sah, überkam ihn eine fremde feinen Vater schreien: Gibst Du den Ring heraus, Du Hure 1" unverständliche Seligkeit, wie die späte Erfüllung einer langen Ah, er weiß: das gilt heute nicht seiner Mutter, er lönnte dem vergessenen Sehnsucht. Er warf das Frauenzimmer aus dem Vater viel verzeihen, daß es heute, gerade heute nicht seiner Mutter Hause und irrte, seine Frau suchend, bis zum Abend in der Stadt gilt. Da hört er Schläge, pfeifende Schläge, als ob einer mit einer umber. Sie wird ihm alles verzeihen, sie wird wiederkehren, er Peitsche trifft, und da... da. Schreie seiner Mutter: Nie wird fie nie mehr schlagen, er wird nicht mehr trinken, er wird friegst Du den Ring, schlag mich tot, bring mich unter die Erde..."