Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 125.

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Dienstag, den 1. Juli.

Das entfeffelte Schickfal.

Roman von Edouard Rod  .

18. Rapitel.

Frau d'Entraque hatte Lermantes seit dem Vorabend feiner Verhaftung nicht wieder gesehen.

An jenem Tage war er gegen Abend zu der gewohnten Stunde gekommen, in der sie ihn wie immer in ihrem kleinen traulichen Salon erwartete. Der Besuch war kurz gewesen. Er sagte, daß er einige Tage nicht kommen würde, weil er sich überwacht fühlte und er sie nicht in seine Angelegenheiten hin­einziehen wollte. Als er aufstand, um fortzugehen ,, versuchte sie ihn an sich zu ziehen. Sanft machte er sich frei: eine Bärtlichkeit oder ein Auß- hätten seinen Willen, den er aufbot, um Herr seiner selbst zu bleiben, vielleicht gebrochen.

Man wird mich möglicherweise verhaften," sagte er, ,, aber laß Dich dadurch nicht niederdrücken. Bleibe ruhig und bewahre mir Dein Vertrauen. Man wird mir niemals be­weisen können, daß es sich um etwas anderes als ein Un­glück gehandelt hat, weil es nichts anderes gewesen ist. Aber die Niedrigkeit meiner Feinde und Neider werden eine Stunde des Triumphes feiern. Denke, was der Haß für Hallo schla­gen wird. Aber ich möchte wenigstens Dich in Sicherheit wissen. Du darfst und sollst nicht hineingemischt werden... Bis auf das kleinste Billett habe ich alle Deine Briefe ver­brannt... Mache es mit den meinen ebenso Warte nicht damit, ich bitte Dich... Tue es gleich, heute besser noch als morgen." Sie versprach es. Er forderte noch, daß, wenn auch das Schlimmste käme, sie niemals ihr Liebesverhältnis enthüllen sollte. Sie warf ein, daß sie ihn doch in seiner Verzweiflung nicht verlassen und verleugnen dürfe. Aber er flehte sie an, fich so zu benehmen, als ob sie ihn nie geliebt hätte.

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Mein größter Trost ist, daß Du in meine Katastrophe nicht hineingezogen wirst."

Als sie sich noch dagegen wehrte, gelang es ihm, sie zu überzeugen, daß alles, was sie tun würde, ihm nur schaden könne, und ihr Untergang den seinen nach sich zöge. Endlich gab sie nach, und er ging mit ihrem Versprechen fort. Sie erinnerte sich, als unten das Haustor für ihn aufgeschlossen wurde, gehört zu haben, daß es von einer nahen Uhr sechs schlug.

1918

funft das zerrissene Band wieder knüpfen, nie würde sie dent wiedersehen, dessen Hand diese Linien geschrieben hatten, die jezt von den Flammen vernichtet wurden

Die Tür öffnete sich brüst. Wie ein Windstoẞ kam Herr d'Entraque herein, durch irgendwelche Neuigkeit aufgebracht. Schon auf der Schwelle begann er:

,, Du wirst nicht raten, was ich eben erfahren habe; man fagte bei..

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Er brach ab, der Geruch verbrannten Papiers stieg ihm in die Kehle, erstaunt stand er vor seiner weinenden, ver­störden Frau.

Was machst Du da.? Verbrennst Du Briefe...?" Voller Entsetzen wollte sie den Rest des Bündels in die Flammen werfen. Aber er stürzte auf sie zu, ergriff sie bet einem Arm, fie fiel gegen einen Sessel, und alles, was von den Briefen noch übrig war, ergriff jezt ihr Mann. Sofort hatte er Lermantes' Schrift erkannt. Laut las er einige Worte, Liebesworte, und seine erstickte Stimme änderte ihren Sinn. Er wandte sich mit erhobenen Fäusten gegen seine Frau. Aber er schlug sie nicht, er beherrschte seinen Zorn. Seuchend, das Gesicht mit Schweiß bedeckt, blieb er vor ihr stehen und sagte er mit vor Erregung fast pfeifender Stimme: Du und ich wir rechnen später ab. Erst kommt er heran!"

Er sammelte die Briefe von der Erde auf, durchflog sie, nahm sie mit sich, ohne daß sie nur eine Bewegung machte, ihn zurückzuhalten.

Am Tage darauf wurde in den Abendblättern Lermantes' Verhaftung angezeigt. Eine Zeitung fügte hinzu: Nach einer neuen Aussage d'Entraques, dessen Zunge sich endlich gelöst hat." Von dem Moment ab erfuhr Julie nichts mehr von dem Unglücklichen, nur das, was sie voller Verzweiflung in den Beitungen las und zu ihrer höchsten Qual um sich herum er­zählen hörte von Leuten, die in den Tag hineinreden und jedes Geheimnis vor aller Ohren verkünden. Wie immer mußte sie sich in das Leben mischen, von dem er ausgeschlossen war, Leute treffen, die ihn gekannt hatten, seinen Namen von gleichgültigen oder haßerfüllten Mündern sprechen hören, die ihn mit Schande und Spott überhäuften. Keine Stüße konnte fie für ihn anrufen, um keinen Rat durfte sie für ihn betteln. Sie sah ihren eisigen, forrekten Mann triumphieren, und die wenigen Worte, mit denen er ihr Leid verhöhnte, waren die Tropfen eines äßenden Mittels, das eine Wunde immer hr Mann kam nicht zum Diner nach Hause, und sie weiter aufreißt. Wie eine gefesselte Sklavin mußte sie dem nahm an, daß er spät heimkehren würde, wie gewöhnlich, dunklen Schicksal entgegengehen, dem er sie mit brutaler Ge­wenn er den Abend außerhalb verbrachte, und sie wollte ihre schicklichkeit entgegenstieß. Sie zermarterte sich das Hirn, was Einsamkeit benußen, um ihr Versprechen auszuführen. Die der Freund von diesem Schweigen denken würde, das er ihr Briefe lagen in einer Schublade ihres Schreibtisches. Sie auferlegt hatte, ohne vorauszusehen, woher die Belastung leerte den Kasten auf einen Leuchtertisch vor dem Stamin aus tam, welche ihn vernichtete. Zehnmal wollte sie schon zum und machte ein ziemlich dickes Paket aus den Briefen. Ler- Untersuchungsrichter nach Versailles   eilen, um die verwickelte mantes war kein eifriger Schreiber, aber seine große Schrift Lösung zu entwirren. Ihr Schwur hinderte sie; noch mehr die füllte schnell Seite um Seite des dicken bläulichen Papiers. Die meisten seiner Briefe waren kurz heruntergeschrieben. Aber es waren auch längere dabei, wenn er auf Reisen war und mehr Muße gehabt hatte. In dem Salon eines Steamers, in einem Hotel oder Klub in Rio de Janeiro   oder Montevideo   hatte er lange Epistel verfaßt, die von Bärtlich­feit vibrierten. Juliette las einen Brief nach dem andern, und merkte nicht, wie die Stunden dahinschwanden. Das Glück und die Angst der Vergangenheit erstand wieder vor ihr. Die lange unruhige Erwartung, die fieberhafte Freude, wenn fie das Kuvert erkannte, die Erregung der Momente, die dem Wiedersehen vorausgingen, die Verzweiflung nach der Abreise. Der schwarze Aschenhaufen wurde immer größer. Manchmal ließ der Schmerz die arme Frau laut aufschluchzen. Das Grauen der gegenwärtigen Stunde, die Gefahr, die über dem Geliebten schwebte, die ihn in noch undurchdringlicher Bu­funft umlauerte, alles das gab der Vernichtung der bläulichen Blätter einen feierlichen Anstrich. Sie küßte die Briefe siden­schaftlich, zerriß sie langsam, als ob das Knittern des Papiers Ein Geräusch aus dem Nebenzimmer ließ fie erzittern: ihr noch einen Teil von dem wiedergeben könne, was nicht Ihr Henker kam nach Hause, er hatte bei der Verhandlung mehr war, und warf sie auf ihren Scheiterhaufen, wo sie sich die Phasen ihrer immer größer werdenden Qual beobachtet. wie Fezen lebenden Fleisches frümmten. Eine entsetzliche Jetzt fehrte er von seinem Tagewerk befriedigt heim und er­Ahnung zog ihr das Herz zusammen: in dieser Rauch- und freute sich seines Verbrechens so, wie ein anderer einer guten Schreckenswolte starb ihre Liebe dahin. Nie würde die Zu- Tat. Er kleidete sich um. Lange hörte sie ihn hin und her

Angst, die ihr Lermantes eingeflößt hatte, sich als unwissende Frau in den Prozeß zu mischen und die Gefahr noch zu ver­größern. Vielleicht hielt sie auch ein schwacher Hoffnungs­fchimmer davon zurück. Konnte ein Wort, eine unkluge Be­wegung d'Entraques nicht das fürchterliche Lügengerüst zu­fammenstürzen lassen, oder würde es nicht etwa wie eine Sand­burg, ehe sie noch vollendet war, unter ihrer eigenen Bast niederbrechen? Diskutierte man über den Prozeß, hörte sie von Ueberraschungen in der Eizung", vom großen Tag der Verhandlung", der Kraft der Wahrheit",- dann erwartete sie wohl eine Rettung. Selbst in dem Augenblick, da Brévine d'Entraque scharf aufs Korn nahm, dachte sie, daß endlich Klarheit den Prozeß erleuchten würde. Aber nein, die Nacht verdichtete ihn immer mehr. Die Rüge wickelte mit ihren Schatten ein immer dunkleres Geheimnis ein; ihr Mann, der faltblütig seine Rache verfolgt hatte, schien sich daran zu er­gößen! Durch welche verzweifelte Anstrengung sollte sie ver­suchen, sie ihm zu entreißen?