Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 130.
Dienstag, den 8. Juli.
85T Das entfeffelte Schickfal.
Herr Perron blieb mit offenem Munde stehen. Mätressen, Herzoginnen, rote Schuhe zerstoben vor seinem Geist wie aufgescheuchte Vögel. Die Wirklichkeit machte ihre Rechte geltend. Warten Sie ab," sagte er mit einem Anflug schlechter Baune, dieser Prozeß bietet zahlreiche Ueberraschungen, viel leicht waren das noch nicht die letzten."
Er drehte der Landschaft den Rücken und führte seine Gefährtin zu dert Apoll - Bassin an den Rasenflächen vorbei, die mit fegel- und pyramidenförmigen Bäumen bepflanzt waren. Sa,"" rief fie, es ist zu Ende, ich fühle es... Ich ahne viele Dinge voraus. Man hat zu deutlich gesehen, daß er unschuldig ist!"
„ Das ist das Resultat solcher Zwischenfälle," rief Herr Berron. Sie beweisen nichts, aber sie üben eine gewaltige Wirkung aus. Und das ist die Freisprechung!... Wenn Sie ahnten, gnädige Frau, wie die Geschworenen unlogisch, überraschend und launisch urteilen."
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, Gott, Gott, was für eine Einrichtung!... In diesem Augenblick kamen d'Avoise und Choffart von der Allee de l'Eté her. Sie gingen an dem Baare vorüber und waren so in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie es nicht fahen. Herr Perron fing einige Worte von d'Avoise auf: ,, Eine verderbliche Einrichtung wie alle, die uns die Demokratie auferlegte
Ich wette, die sprechen auch von den Geschworenen," fagte er. Bei jeder etwas schwierigen Angelegenheit werden Unvollkommenheiten festgestellt, aber man hütet sich, daran zu rühren. Ich sage Ihnen das im Vertrauen. Wenn das jamand hörte, würde es meiner Karriere schaden."
Als sie in das Gehölz durch die untere Pforte eingetreten waren, durchschritten sie eine vereinsamte Allee. Die Zweige und Bäume formten sich wie zu einer grünen Wiege, junge Triebe gaben ihr einen hellen Ton. Die Bänke waren verLassen, aus der Ferne unterbrach Kindergeschrei die Stille. ld Nun, dieses Mal werden die Geschworenen recht haben," antwortete Frau Kharb. Ihnen seht Ihr Beruf eine falsche Brille auf: alles ist schuldig, ia, Sie sehen alles in der Farbe Ihrer Talare: schwarz. Wäre Lermantes ein Mörder, würde biese Frau ihn nicht so lieben!"
" Solch ein Beweis ist echt weiblich! Wo würde die Gesellschaft hinkommen, wenn auch Frauen Geschworene würden. Sowie der leiseste Liebeshauch über den Angeklagten hingleitet... nichtschuldig! Liebe gnädige Frau, es wird schon zehnmal zu viel freigesprochen, der Sicherheit aller zum Schaden. Die schlimmsten Missetäter haben immer noch eine Aussicht, ihrer Strafe zu entgehen; das wissen die Lumpe auch recht gut, deshalb gilt es so viele. Feinfühlige Seelen, wie Sie, haben nur mit den Mördern Mitleid... Wenn Sie manchmal an die Opfer dächten..
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Die Grotte hatte in ihrer Anmut etwas Lächerliches: mit ihrem Gott, den Musen, den Pferden, den ganzen weißen Tritonen waren sie wie eine Notoko- Vision mit einer Spur Nomantif, ein Stück Olymp zum Vergnügen der Leser Florians ausgeschnitten. Baronin Kharv schlug bewundernd die Hände zusammen:
Ach, wie reizend, entzückend, wundervoll!"
1913
zum Untersuchungsrichter zum Beispiel... Es hätte weniger Standal verursacht, es wäre nicht geschossen worden und alles hätte in einer gemütlichen kleinen Scheidung seinen Abschluß gefunden."
Frau Kharb wurde durch die Trockenheit der Auffassung unangenehm berührt.
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Ach, Herr Perron, das war nicht so leicht," rief sie. Wir Frauen wissen nie, welchen Weg wir einzuschlagen haben, wenn wir in solche Männergeschichten verwickelt sind. Dann sind wir auch leichtsinnig und denken:„ Das kommt schon wieder in Ordnung!"... Ja so sind wir nun einmal... Frau d'Entraque hat sich gesagt: Es muß sich ja erweisen, daß er unschuldig ist, denn dazu ist das Gericht da. Als sie aber merkte, daß man nichts sah" sie verbesserte sich mit einer Spur Malice, daß Sie" nichts sahen, ich meine, daß die Richter und Sie ihn berurteilen würden..., da sagte sie sich: Jetzt sind sie verblendet, nur ich allein kann ihn" noch retten. Ich stehe für ihn ein. Darauf ist sie hingegangen und hat gesprochen Beim Untersuchungsrichter, wie Sie sagen, hätte man ihr vielleicht keine Aufmerksamkeit ge schenkt Der Richter hätte Lermantes nicht in Freiheit gefeßt... Da wären noch alle Arten von Formalitäten zu erfüllen gewesen, und Verhöre hätten stattgefunden. Während es hier, vor dem Gericht und dem Publikum, bum... wie ein Kanonenschuß wirkte! Alle hören und verstehen es, und den Ausflüchten sind die Möglichkeiten genommen."
Herr Perron war von der Richtigkeit dieser Bemerkung betroffen.
" Die Menge ist wie die Frau," dachte er, die Frauen fennen sie besser als wir." Er sagte:
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Es ist wahr. Beim Untersuchungsrichter hätte das Dementi weniger gewirkt. Alles war mit Brévine vereinbart. Dieser Teufelskerl kennt alle Fädchen!"
Diese Hypothese, die Frau d'Entraque herunterzog, beleidigte Frau Kharv noch mehr, und empört rief sie:
O, Herr Perron, wie können Sie das nur sagen. Sie sehen doch gar nicht so böse aus, wenn Sie nicht in Ihrem schwarzen Talar sind. Begreifen Sie, was das heißt, wenn eine Frau liebt? Wie von einem Sturmwinde wurde sie geschüttelt, alle ihre Gefühle gingen durcheinander, sie wußte nicht mehr, was sie tat, sie konnte nicht mehr urteilen, nicht denken, nur eins war ihr klar, daß ihr Geliebter im Gefängnis saß daß Sie alle ihn töten wollten, und daß sie ihn nie wiedersehen würde. Da ist sie gelaufen, hat alles über den Haufen geworfen.. um ihn zu retten."
,, Aber sie hat sich doch mit Brévine verständigen müssen, nicht wahr?" erwiderte Herr Perron. Sie ist gelaufen... Na, wohin ist sie denn gelaufen? Und die Art, wie Brévine d'Entraque verhört hat, zeigt doch sehr klar, daß er einig mit ihr war... Deshalb sage ich Ihnen, daß alles ausgeklügelt war."
Sie stand heftig und erregt auf.
„ Schweigen Sie jetzt, Herr Perron. Ich muß sonst denken, daß Sie gar kein Verständnis für Liebe haben. Nein, zweifellos haben Sie das nicht! Sie sind nicht wie dieser Lermantes! Man hat ihn eingesperrt. Er hat nichts gesagt, seine Papiere hat man durchstöbert und nichts gefunden. Man hätte ihn auf den Scheiterhaufen führen können, und er hätte den Mund nicht geöffnet. Sein Leben, seine Ehre, alles opferte Sie fezten sich auf einen mit Moos überzogenen Stein- er, ja alles hat er für seine Liebe hingegeben. Und hinterher blod, einem Springbrunnen gegenüber, von Seerosen und sagen Sie: das ist kein anständiger Mensch! Ich sage Ihnen, Wasserpflanzen umgrünt. Herr Perron wollte über Mytho- er ist noch mehr als das. Und alle Frauen werden dasselbe logie plaudern: von Apoll , dem Gott der Kunst, von Wissen- sagen!" schaft und Schönheit, aber er hatte mit diesem Thema nicht mehr Glück als mit Mussets Bersen; seine Gefährtin schnitt ihm das Wort ab und kam auf Lermantes zurück:
Wie groß muß die Liebe dieser Frau für ihn sein, daß sie vor all die Männer trat Bu sagen, was sie gesagt hat!... Sie kannte weder Furcht noch Schande. Sie senkte nicht die Augen. Oh, was für ein Mut Ich an ihrer Stelle würde gezittert haben... Aber glauben Sie mir, ich hätte ebenso gehandelt."
..Sie hat nur zu lange gewartet," erwiderte Herr Berron. Wenn ihr Gatte log, wenn sie es wußte, wenn sie ihn rechtfertigen fonnte, weshalb hat sie nicht früher gesprochen.
Sie schlug mit der Spize ihres Sonnenschirmes auf den Stein, auf dem Herr Perron siten geblieben war, und blickte ihm gerade ins Gesicht mit ihren grünen Augen, aus denen Begeisterung, Zärtlichkeit und Born leuchteten, eine Welt von bunten, fast wilden Gefühlen.
Er erhob sich und streckte die Waffen: ,, Vielleicht haben sie recht, meine Gnädigste. Wir Männer Gewohnheitssache! Die urteilen nach unserem Verstand. Frauen richten mit der Vernunft des Herzens, die mit der wahren Vernunft nichts zu tun hat, wie Pascal fagt. Viel leicht sind sie die besseren."
Oh, nicht vielleicht, Herr Berron- bestimmt 1"