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lich bricht die Wahrheit hervor. Und man empfindet dann wie ein Künstler: ich habe die Schwierigkeiten besiegt."
Ich meinerseits," gestant Herr Rutor, ziehe es vor, besser gewappnet zu sein. Höre ich ein Geständnis, dann freue ich mich. Am liebsten gehe ich auf einem sicheren Terrain, sonst hate ich Furcht, mich zu irren, und diese Furcht stört mich, vernichtet meine Kraft."
,, Aber das ist ein ganz natürlicher Strupel! Eine solche Furcht würde auch mich lähmen! Aber ich richte es mir so ein, daß ich sie nie habe. Wenn man sich alles gehörig klar > macht, fann man nicht fehl gehen. Ueberzeugt mich allerdings meine Urteilskraft, daß der Angeklagte unschuldig ist, dann besinne ich mich nicht einen Augenblick, die Anklage einzustellen."
Ist Ihnen das oft passiert?"
„ Nein. Während meiner ganzen Laufbahn nur ein einziges Mal! Troßdem haben ihn die Geschworenen berurteilt. Glücklicherweise legte der Elende nachher ein Geständnis ab. Dieses Kleine Mißgeschid trug noch dazu bei, mein Mißtrauen zu erhöhen."
Haben Sie niemals daran gedacht, daß Sie in einem anderen Fall vielleicht im Gegenteil durch Ihre Logik Unschuldige verurteilen fönnen?"
Nein! Wie könnte man mit solchen Gedanken leben! Man muß zu sich Vertrauen haben, da man vernünftig zu urteilen versteht! Ich kenne den Prozeß nur durch die Zeitung, aber ich würde an Ihrer Stelle vollkommen ruhig sein." Sie würden ihn verdonnern?"
„ Aber ordentlich. Hätte Ihr Lermantes eine andere Vergangenheit gehabt, würde ich vielleicht noch zweifel hegen. Und auch nur schwache... Aber ein Bursche von der Sorte!... Der Typus eines Abenteurers. Wie können Sie annehmen, daß der einfache Zufall ihm zu Hilfe gekommen ist... Durch seinen eigenen Arm gerade in dem Augenblick, als er eine Erbschaft brauchte. Würde es sich um einen sehr skrupulösen, sehr rechtschaffenen Menschen handeln, dann könnte man sagen: Ja, ja, es ist möglich, daß es ein Unglück ist... Aber auch dann würde man das nur achseizuckend ausrufen. nach dem, was hier ausgepackt wurde..."
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( Fortieyung folgt.) dat
Gute Qualität.
Aber
( Schluß.)
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So gut ich konnte, erklärte ich ihm, wie ich eigentlich zu den Unglüdsstiefeln gekommen war. Doch sein Geficht und seine Stimme machten einen so tiefen Eindruck auf mich, daß ich während der nächsten Minuten mehrere Paar Schuhe bestellte. Aber des Schicksals Rache traf mich! Sie waren unverwüstlicher als je zubor. Und nahezu zwei Jahre mußte ich warten, ehe ich ihn mit gutem Gewissen wieder aufsuchen konnte.
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Als ich endlich hinging. sah ich zu meiner Ueberraschung, daß sich auf einem der fleinen Fenster seines Ladens ein anderer Name befand ebenfalls der eines Schuhmachers, der natürlich Hoflieferant war. Die altvertrauten Schuhe standen nicht mehr in bornehmer Einsamkeit da, sondern waren in dem einen Schaufenster zusammengedrängt. Drinnen war das munmehr enger gewordene Treppenhaus dunkler als sonst und roch stärker nach Leder. Und es dauerte auch länger als gewöhnlich, ehe ein Geficht herunterblickte, und man das Schlürfen der Bastpantoffel vernahm. Endlich stand er bor mir und sagte, mich durch seine rostige Stahlbrille an ftarrend:
Mr., nicht wahr?"
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" Ah, Herr Geßler!" stammelte ich, Ihre Schuhe sind aber zu gut! Sehen Sie, die da noch immer sind sie nicht zerrissen!" Und ich hielt ihm meinen Fuß hin. Er betrachtete ihn. " Ja," sagte er, es scheint, die Leute wollen keine guten Schuhe mehr haben."
Da mich seine Stimme und der vorwurfsvolle Blick verwirrten, frug ich hastig: Was haben Sie denn mit ihrem Laden gemacht?" Gelassen antwortete er: Die Miete war zu teuer. Wünschen Sie ein Paar Schuhe?"
"
Ich bestellte drei Paar, obgleich ich nur zwei brauchte und ver abschiedete mich rasch. Es beschlich mich so ein unbestimmtes Gefühl, als hätte ich seiner Meinung nach eine Art Treubruch an ihm begangen; oder vielleicht weniger an ihm, als an seiner Jdee von einem vollkommenen Schuh
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Und erleichtert atmete ich daher auf, als im Laden tatsächlich sein älterer Bruder zu sein schien, ein Stück Leder in der Hand. Guten Tag, Mr. Geßler," sagte ich, wie geht es Ihnen?" Er lam näher und sah mich forschend an.
Mir geht's ganz gut," sagte er langfam, Bruder ist tot."
aber mein älterer
aber wie blaß und
Und ich merkte, daß er selbst es war alt geworden! Und nie zuvor hatte ich ihn von seinem Bruder reden hören. Bestürzt murmelte ich: D, es tut mir wirklich leid!"
" Ja," erwiderte er, er war ein guter Mensch, er konnte gute Schuhe machen; nun ist er tot." Und er berührte mit dem Finger feinen Scheitel, wo das Haar auf einmal so dünn geworden war wie das feines armen Bruders, als wollte er damit andeuten, was feinen Tod verursacht hatte. Er konnte eben den Verlust des anderen Ladens nicht überwinden. Brauchen Sie ein Paar Schuhe?" Und er hielt das Leder empor:„ Es ist ein schönes Stück."
Ich bestellte mehrere Baare. Lange Zeit verstrich, ehe sie fertig wurden aber sie waren besser als je. Es war einfach unmöglich, fie zu zerreißen. Und bald danach ging ich ins Ausland. Ueber ein Jahr verfloß, bis ich wieder nach London zurückkam. Und mein erster Gang, um Einkäufe zu besorgen, galt meinem alten Freund. Sechzig Jahre war er alt gewesen, als ich fortging, einen Fünfundsiebzigjährigen fand ich wieder, so schwächlich, abgemagert und herabgekommen sah er aus; und diesmal erkannte er mich wirklich nicht. Ach, Mr. Geßler," sagte ich, und das Herz krampfte sich mir bei seinem Anblick zusammen, was für großartige Schuhe Sie doch machen! Schauen Sie nur her, ich habe dieses Baar fast die ganze Zeit während meiner Abwesenheit getragen, und es ist doch noch ganz gut, nicht wahr?"
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Er blickte meine Schuhe lange an es waren russische Lederstiefel und seine Züge schienen wie neu belebt. Indem er mit der Hand über den Spann hinfuhr, sagte er:
"
Drücken sie da nicht? Ich erinnere mich nämlich, mit diesem Baar hab' ich viel Mühe gehabt."
Ich versicherte ihm, daß sie prachtboll paßten. schnell fertig machen; schlechte Zeiten eben." Brauchen Sie ein Paar Schuhe?" sagte er. Ich könnte sie " Ja gewiß natürlich!" rief ich. Schuhe- jede Sorte!"
" Ich brauche allerhand
Ich werd' ein neues Modell anfertigen. Ihr Fuß muß größer geworden sein." Und ganz langsam befühlte er meinen Fuß und betastete meine Zehen, wobei er mir einmal zu mir auffah und mich frug:
" Hab ich Ihnen schon gesagt, daß mein Bruder tot ist?"
Es tat mir weh, ihm zuzusehen, so schwach war er geworden; ich war froh, als ich wieder gehen konnte.
Schon hatte ich die Hoffnung aufgegeben, diese Schuhe je zu erhalten, da tamen sie eines Abends an. Ich öffnete das Paket und stellte die vier Paare in einer Reihe auf. Dann probierte ich eines nach dem andern an. Sie waren über jeden Zweifel erhaben: In Maß und Form, in der Ausführung und Qualität des Leders waren sie das beste, was er je geliefert batte. Und in einem der Schuhe fand ich seine Rechnung. Der Betrag war derselbe wie gewöhnlich, und doch erschrat ich darüber. Denn niemals zuvor hatte er fie vor dem Quartalstag eingesandt. Ich rannte die Treppe hinab, fchrieb in aller Eile einen Scheck und trug ihn sofort selbst auf die Post.
Als ich eine Woche später an der kleinen Straße vorbeikam, wollte ich zu ihm hineingehen, um ihm zu sagen, wie großartig die neuen Schuhe jäßen. Aber wie ich vor seinem Laden stand, bemerkte ich, daß sein Name verschwunden war. Im Schaufenster immer befanden sich allerdings noch die zierlichen Tanzpantöffelchen, die Lackschuhe mit den Tuchstulpen und die mattglänzenden Reitstiefel.
Mit großer Besorgnis trat ich ein. In den beiden Läden, die wieder miteinander verbunden wonren, erblickte ich einen jungen Mann von englischem Thpus.
" Ist Mr. Geßler zu Hause?" frug ich.
Er sah mich etwas befremdet an, sagte jedoch gleich zuvor fommend: Nein, mein Herr, nein. Aber wir führen jeden Auftrag mit Vergnügen aus. Wir haben nämlich den Laden übernommen. Gewiß lasen Sie schon unseren Namen an der nächsten Tür. Wir arbeiten für eine ganze Reihe von vornehmen Herrschaften."
"
Schon gut," sagte ich, aber was ist denn mit Mr. Geßler?" ,, Ach!" erwiderte er, der ist geftorben."
„ Gestorben! aber erst Mittwoch vor acht Tagen hat er mir die Schuhe da geschickt!"
" Ja ja," sagte er, ein elender Tod! Der arme Alte hat sich zu Tode gehungert.
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Großer Gott!"
Langfam verhungert," fonstatierte der Doktor. Ja, sehen Sie, gewiß für die meisten ein peinliches er ist so'n Sonderling in seiner Arbeitsweise gewesen! Konnte fich Empfinden; denn mein nächster Besuch, der erst viele Monate später von dem Laden nicht trennen; fein Mensch, außer ihm selbst, stattfand, geschah wie ich mich erinnere mit dem Gefühl: durfte seine Schuhe anrühren. Wenn er einen Auftrag erhielt, Aber ich fann doch den Alten unmöglich im Stich lassen...! so brauchte er eine Ewigkeit zum Fertigwerden. Aber die Leute Vielleicht bedient mich sein älterer Bruder." wollen nun einmal nicht warten. So verlor er einen Kunden nach niemand in Denn ich wußte wohl, daß sein älterer Bruder nicht Charakter dem andern. Und da oben saß er Tag für Tag genug hatte, mir einen Vorwurf zu machen, nicht einmal durch London hat bessere Schuhe gemacht als er, das muß man ihm lassen. einen Blid. Aber wie soll man gegen die Konkurrenz aufkommen! Er wollte