Kleines feuilleton.
528
„ Feuer- Marie". Es war in einem der armseligsten Teile des Erzgebirges, wo ich die Feuer- Marie kennen lernte, in einem so armen Gebietsteil, daß mir der dort angestellte Parteibeamte sagte:„ Wirklich, Genossin, wir staunen hier manchmal darüber, wie diese armen wachgewordenen Frauen, denen wir die Gleich heit" gratis liefern, überhaupt die geringen Mitgliederbeiträge zusammen bekommen fönnen!"
Die Feuer- Marie war nicht die Leiterin der ersten großen öffentlichen politischen Frauenversammlung, in der ich an dem betreffenden Plate zu referieren hatte. Sie war auch nicht Schriftführerin, nicht Kassiererin. Solche Ehrenämter erstrebte sie nicht. Aber Feuer- Marie war die erste seit Jahren politischorganisierte Frau der ganzen dortigen Umgegend. Bei meinem Vortrag saß sie mir gerade gegenüber, in der ersten Reihe vor dem Rednerpult. Als sie etwas spät hereintam, hatte man sie selbstverständlich dorthin geleitet, war man selbstverständlich ihretwegen zusammengerückt. Während der einleitenden Worte des Vorsigenden fonnte ich sie genau betrachten.
Feuer- Marie war ein schmächtiges älteres Mädchen, vielleicht 45-50 Jahre alt. Sie konnte aber auch noch jünger sein. Das läßt sich bei diesen abgeraderten Arbeiterinnen der Strumpf- und Handschuhbranche schlecht beurteilen. Ihr bräunlich- hageres Angesicht war von so vielen scharfen Furchen durchschnitten, vornehmlich die Stirn, die Augenumgebung und die Mundwinkel, daß der zabulose, meist halb geöffnete Mund, die unschöne Nase und die schwarzen Strahlenaugen wie aus einem enggezogenen Himmelsfartennet hervorlugten. Grausträhniges Haar unter einem schwarz- grau gewordenen Schüppen- Filzhut, den links ein hübscher grellroter Neffentupi schmückte, umrahmte das längliche, hinten über ruhende Gesicht. Feuer- Maries Augen aber waren klug und schön. Während des später von mir gehaltenen Frauenwahlrechtvortrages hingen sie mit einer so verzehrenden Glut an mir, daß wirklich eine weniger abgebnühte Rednerin dadurch hätte aus der Fassung gebracht werden können. Feuer- Marie war die Seele dieser Volksgesamtheit, und ihren Beinamen hatte sie erhalten, weil sich alle Organisationen, die gewerkschaftlichen sowohl wie die genossenschaftlichen und die politischen, besonders die politische Frauenorganisation für ihre Begriffe oder Wünsche viel zu lang jam entwickelten und weil sie deshalb zum Schluß aller seit etwa einer Generation im dortigen Bezirk abgehaltenen proletarischen Versammlungen, ohne lange Wortmeldung, ohne lange Wortführung, flammenden Auges aus innerster Ueberzeugung mit ihrer schrill- klingenden Stimme auszurufen pflegte:„ Man muß mehr Feuer hinter die Sache sehen, Massenfeuer!"
Während ich dem alten pädagogischen Prinzip folgte:„ Gehe vom Einfachen zum Zusammengefeßten!" und den Versammelten bei Beginn meines Vortrags zunächst vom Mutterrecht" und von der weltgeschichtlichen Niederlage des weiblichen Geschlechts" erzabite, lagen Feuer- Maries Blicke so tiefgründig- prüfend auf mir, als ob sie unablässig fragten: Hast Du's auch selber ganz und gar begriffen?" Und je mehr ich auf mein eigentliches Thema tam, je mehr ich das Schicksal der in doppelter Knechtschaft schmachtenden Proletarierin ausmalte, je mehr mein Temperament mit mir durch ging, je faszinierender wurden auch Feuer- Maries Feueraugen, und als ich schließlich unter der von ihren Blicken andauernd in mich überströmenden Begeisterung mit dem beißen Appell des Zusammenschlusses an die anwesenden Frauen endigte, standen FeuerMarie Tränen in den bunklen Augen, und ich hoffte fie diesmal aber ganz befriedigt zu haben. Den lauten Beifall der Frauen hörte ich faum, auch kaum die Dankesworte der Vorsißenden und auch wenig von dem, was zwei Diskussionsrednerinnen nach mir vorzubringen hatten. Ich Harrte, was Feuer- Marie mir jagen würde. Und endlich stand sie auch auf, trat auf mich zu, schüttelte mir kräftig die Hände und ob sie es nun so meinte, oder ob es ihr schon zur Gewohnheit geworden war sprach laut: Genossin, Sie müssen mehr Feuer hinter die Sache jeßen, Maffenfeuer!"
Literarisches.
-
R. R.
Das heißt: jedes Wort muß beim Niederschreiben auf seinen Urwert geprüft werden. Wer die Wörter nicht erkennt, kann nie übernehmen leich die ganzen Säße, Wortverbindungen. Sie areinen fünstlerischen Saß schreiben. Aber die meisten Schreiber beiten stereotyp. Ihr Kopf ist mit stereotypierten Platten bernagelt. Der Zwed der Stereotypie besteht aber in der Vervielfältigung, nicht in der Erfindung. Das Leblose dient dem Lebenden, aber nie wurde Lebendes aus Leblosem geschaffen. Der Atheist sagt Adieu und empfiehlt sich mit Gott ". Einer steht am Brandenburger Tor , blickt auf die Straß Unter den Linden und sagt zu dem, der mit ihm wartet: Dur diese hohle Gasse muß er tommen." Der andere verlangt darstig nach einem Glas Bier und bietet ein Königreich für ein Pferd" aus. Ein Dichter wird,„ um einen Denkmalsjiein wieder ins Rollen zu bringen", einen Vortrag halten. Millionen solcher Säße werden täglich gesagt und geschrieben, weil niemand sich diese Säße und Zitate vorstellt, niemand die Bilder sieht, die er fortwährend in Wörtern malt. Man soll angeblich so schreiben, wie man spricht. Man kann aber nicht sprechen. Also um so weniger schreiben. Um Dichter zu sein, muß man das Material Wort kennen. Um Dichter zu lesen, muß man das Wort erleben. Wo man Seiten überfliegen kann, steht keine Dichtung unter uns. Wo jedes Wort zum Stehen zwingt, find wir von einem Dichter gefesselt. H. W ― n.
"
Technisches.
Schwarz auf weiß. Was man schwarz auf weiß besitzt, kann man bekanntlich getrost nach Hause tragen. Daß es aber viel bequemere Arten gibt, die Gedanken mittels Druckerpresse festzuhalten als sie in althergebrachter Weise in schwarz auf weiß zu übertragen, ist fürzlich durch eine Reihe von Versuchen bewiesen worden. Der französische Courrier du Livre" teilt folgende intereffante Ergebnisse der Prüfungen in bezug auf die günstigste Farbenzusammensetzung bei dem Druck mit. Die lesbarste und auf Entfernung am Klarsten wirkende Druckschrift wurde durch schwarz auf gelb erzielt. Die weitere Reihe der Farbenkombinationen bringt manche Ueberraschung und verdient durchaus beachtet zu werden. An zweiter Stelle tommt grün auf weiß, dann rot auf weiß und blau auf weiß; die fünfte Stelle nimmt weiß auf blau und erst, an der sechsten erscheint das gebräuchliche schwarz auf weiß. Die weitere Reihe bringt eine absteigende Folge: gelb auf schwarz, weiß auf rot, weiß auf grün, weiß auf schwarz, rot auf gelb, grün auf rot, rot auf grün.
Man sieht, der Verfuch ist für das altehrwürdige Schwarz auf Weiß wenig günstig, denn diese Farbenkombination kommt erst an der sechsten Stelle vor.
Täglich 50 000 Baum stämme für 60 3eitungen. Der englische Lord Nordtycliffe, der etwas über 60 Zeitungen besitzt oder mitbesißt, verbraucht, wie wir in der Köln . Volksztg." lesen, für die Herstellung des erforderlichen Papiers täglich rund 50 000 Baumstämme. Den Ankauf des Holzes in Skandinavien hat Lord Northcliffe aufgegeben, da trop des Wälderreichtums dieser Halbinsel das Holz immer mehr im Preise stieg. Es wurde auf Neufundland von einer englisch - neufundländischen Gesellschaft, an deren Spize der Lord stand, in einem Waldgebiet von 5500 Quadratkilometer eine gewaltige Zentrale errichtet, von der aus die Ausschlachtung der ungeheuren Wälder und die teilweise Verarbeitung zu Papierstoff geleitet wurde. Ein Fluß wurde aufgestaut und liefert durch zwei mächtige Stahlröhren von 712 Meter Länge und 5 Meter Durchmesser die nötige Energie für die zahlreichen Kraft- und Lichtanlagen. Heute bildet die Papierstadt bereits einen Ort mit rund 3000 Bewohnern, die sämtlich im Dienste der wälderfressenden Holzzentrale liegen. Sie hat fünf Kirchen, zwei Schulen, Hospital, Rathaus, Theater, Hotel, Klubhaus usw. und ist durch eine eigene Eisenbahn mit dem Hafen verbunden. Die Holzichläger fällen die Bäume auf bestimmte Strecken hin; an Stelle eines jeden umgeschlagenen Baumes muß sofort ein junger Baum angepflanzt werden. Wenn man bedenti, daß die Blätter des Zeitungslords täglich einen Wald von 50 000 Bäumen verschlingen, so fann man sich auch ein Bild von der Menge der geschlagenen Bäume machen. Alle Bäume werden sofort Sie oft 100 Stilometer weite Reise anzutreten. Eine Mannschaft zu Wasser geschafft, in den nächsten Fluß oder See, um dann von 20-25 Personen treibt sie durch das gewundene schwierige Flußbett hinab zur Papierstadt. Etwa vier Kilometer vor der Stadt werden die Stämme in dem natürlichen Staubecken von Rushh- Pond gesammelt. Sie lagern hier zu Millionen, durch schwere Ketten am Weitertreiben gehindert. Wenn sie an der Reihe sind, werden sie zu Tausenden hindurchgelassen und treiben einer ganzen Plantage von Kreissägen zu, die sie in Stücke von 80 Bentimeter schneiden. Die schlechten Stücke kommen ins Feuer, die guten in die 24 Stampfmühlen, wo sie zu Holzbrei zermalmt wo wöchentlich 1000 Tonnen Papier hergestellt werden, die für Der Rohstoff tommt dann nach Gravensend in England. die wöchentlich in einer Anzahl von 25 Millionen Stück era scheinenden Bettungen des Lord Northcliffe gerade hinreichen.
Das Material der Dichtung. Nicht nur das Publikum bat merkwürdige Vorstellungen vom Dichten. Man ist sich so ziem lich klar, daß die Dichtung nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Denn die Wirklichkeit der Dichtung unterliegt ganz anderen Gesezen als die Wirklichkeit des Lebens. Nämlich Bünstlerischen. Wenn man doch endlich begreifen wollte, daß sogar die künstlerische Logit nicht mit der Verstandeslogit zu faffen ist. Zahllose Menschen wunbern sich über die unverständliche Ausdrucksweise bedeutender Dichter, namentlich der Lyriker. Erstaunlich bleibt, daß gerade nur die schlechten Schriftsteller und die talentlosen Dichter sich flar" ausdrücken. Das lesende Bublifum freut sich über sie. Höchstes Lob: sie sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das ist der Irrtum. Sie sprechen nicht mit ihrem eigenen Schnabel, jie schnattern einander nach. Wie soll man aber sein eigenes Erlebnis ausdrücken( und dessen Gestaltung ist das Wesen der Dichtung), wenn man sich bereits verarbeiteten Materials bedient. Die schöpferische Freude des Arbeiters ist die Gestaltung seines Materials. Einen Tisch macht man aus Holz und nicht aus einem Tisch. Das Material der Dichtung ist das Wort. Nicht die Wortverbindung. Berantw. Redakteur: Albert Wachs, Berlin . Drud u. Verlag: Borwärts Buchdruderei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin SW..
werden.