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die Berichte der Buchhalter vollkommen klar" bewiesen

werden

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nußergewöhnliche Dinge ereigneten. Souzler versicherte, daß Der fünfzigjährige Hermann Babr. hätten, in welch schlechtem Zustande sich Lermantes' Geschäfte Viele Wandlungen hat Hermann Bahr   durchgemacht. Als man befanden. Durnant zweifelte diese Klarheit" an, denn was sein Bild zuerst fah, glich er einem Pariser   Dandy mit seiner ist ungewisser als die Aufnahme von Geschäftsbeständen, be- schönen, phantastischen Stirnlode und dem wohlgepflegten spitzen sonders unter diesen Umständen? Bart. Sein Aeußeres war schon ein Programm. Heute wallt ihm' der Bart lang und grau herab über den Lodenmantel und er sieht aus, wie ein würdiger Patriarch, auch in dieser Haltung ein Pro­gramm verkündend. Die blanken, flugen Aeuglein aber blicken mit unverminderter Jugend und Aneignungskraft in die Welt. Man ist ein bißchen in Verlegenheit, da man nun zu seinem 50. Geburts tage sein Wesen auf eine Formel bringen soll. Die proteische Wandel barkeit schien seines Daseins einziges Geset; immer ein Angeregter, dem Moment Hingegebener und vom Moment Erfüllter, wirfte er mehr als ein Anreger denn als eine fest umriffene, werteschaffende Persönlichkeit. Es war unmöglich, sich seinem Einfluß zu entziehen, benn in all seinen Büchern ist Hermann Bahr  , und doch nie der und ebenso unmöglich, das Geheimnis seiner Wirkung zu bestimmen; ganze Bahr; immer nur ein Teil von ihm, der durch irgendeinen Eindruck in Schwingung versetzt ist. Den wirklichen Bahr, das letzte seines Wesens, hat keiner gesehen. Auch in seinen Dichtungen, die alle einen gewissen Zufallscharakter tragen, ist er nicht. Ich glaube, man tommt ihm am nächsten, wenn man sagt: er ist ein Suchender. Irgend etwas, das uns allen wichtig ist für unser ganzes Dasein, sucht er mit unermüdlicher Leidenschaftlichkeit. Immer horcht er hinaus, und wo er ein Wort hört, eine Spur sieht, die ihn auf dem Wege zum Unbekannten weiterführt, folgt er, bis ihn ein neues

Mijoux mit seinem spißen Mäulchen pfiff wütend: Sie sind viel zu nachsichtig, viel zu sehr... Das Ende wird sein, daß wir noch alle in unseren Wohnungen ermordet in unseren eigenen Betten... Zillon führte wieder Châtels und Lavaur' Aussagen an. Er kannte diese beiden Zeugen: Die Worte d'Entraques, die fie wiederholt hatten, schienen Lermantes Unschuld vollständig flar zu legen. Er blickte bei diesen Worten den Oberst an. Dieser schien ihm zuzustimmen. Urteilte er mit" nein", so war der Freispruch durch die Gleichheit der Stimmen gewiß. Nun schlug Condemine, der sich auf seine Taktik etwas zu gute tat, vor, das Verdikt so zu gestalten, daß man die Todes­Strafe ebenso wie die Freisprechung vermied.

,, Auf diese Weise," sagte er mit einem Anflug von Fronie, entgehen diese Herren der Gefahr, von ihrem Ge­wissen gequält zu werden, und die Justiz hat eine gewisse Satisfaftion."

Mortara wehrte sich äußerst energisch dagegen, dieses Doppelspiel ging gegen sein anständiges Gefühl und empörte seine Rechtlichkeit:

Treibt man mit der Wahrheit Schacher?" rief er. Bei einer Frage, die eine Tatsache zum Gegenstand hat, gibt es feinen Mittelweg zwischen Ja und Nein". Zwischen einem von beiden hat man zu wählen, dazu sind wir hier und jeder muß den Mut haben, nach seiner Ueberzeugung zu handeln."

,, Hegt man einen Zweifel, soll man zugunsten des geklagten entscheiden," sagte Buthier.

Zeichen lockt.

" Niemals derfelbe", war sein Wahrspruch. Aber eines Tages fällt ihm ein, daß er nun schon bald 50 werde:" Das sieht einen furios an, erst will man es gar nicht glauben. Und dann denkt man zurüd. Und in mir wurde da plößlich gefragt: Was ist Dir von Dir treu geblieben? Und indem ich es nachzurechnen begann, vom Kind auf bis zum heutigen Tag, erschrat ich. Fast unverändert fand ich das Kind, ich fand mich all die lange Zeit immer gleich, An- vom Kind durch den Jüngling zum Mann, fast unbewegt in allen Veränderlichkeiten, eigentlich doch, wenn auch stets auf eine neue Art, an jedem Tage immer wieder denselben." So plaudert Bahr   in Con- seinem Buche Inventur", und er faßt seinen Lebensspruch nun so: Niemals und immer derselbe."

Nicht, wenn der Zweifel gering ist," erwiderte demine. ,, Erlauben Sie," fiel Mortara ein, ich hege keinen Bweifel, ich habe eine moralische Gewißheit."

Ich auch, aber im gegenteiligen Sinn," antwortete Souzier.

,, Eine moralische Gewißheit genügt, um freizusprechen, nicht, um zu verurteilen," sagte Billon  . Und Condemine fügte hinzu:

Jeder urteilt nach seinen Prinzipien."

Mijoux erklärte, daß er sich Condemines Vorschlag an schließen würde. In seinen Augen verdiente Lermantes zehnmal den Tod, aber schließlich wäre es noch beffer, ihn ins Zuchthaus einzusperren, als ihn der Gesellschaft wieder­zugeben.

Condemine konnte es sich nicht versagen, hinzuzufügen: ,, Dessen schönster Stern er würde."

" Die Hauptsache ist," vollendete Mijour, daß ein Ver­brecher nicht vom Schwurgericht freigesprochen wird und seine Straflosigkeit so noch auf andere ungünstig wirft."

Die Hauptsache ist," erwiderte Mortara, daß man einen Unschuldigen nicht ins Zuchthaus oder auf das Schafott schickt."

Besser ist es, hundert Schuldige freizusprechen," sagte Buthier.

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Was er sucht? Eines seiner ersten Bücher, ein satirisches Drama, hieß: Die neuen Menschen". Das ist es, was er gesucht hat: den neuen Menschen, die neue europäische   Seele. Dieser Sehnsucht ist er treu geblieben. Sie führt ihn durch tausend Labyrinthe, läßt ihn an tausend Pforten flopfen. Er beginnt als Sozialiſt. Sein Debüt ist eine Anrempelung des Verfassers der Aussichtslosigkeit des Sozialismus" unter dem Titel Die Einsichts­losigkeit des Herrn Schäffle". Aber sein weiterer Weg führt ihn vom Sozialismus ab zu einem individualistischen Anarchismus. Er glaubt nicht, daß aus unserer Bürgerwelt sich die neue Gesellschaft, die neue Menschheit gebären tönne. Es ist nichts mit den Bürgern in der großen Freiheitsbewegung unserer Tage, heißt es in den neuen Menschen", sie werden immer zu Verrätern, so ehrlich sie es auch meinen mögen.. Erst aus den neuen Verhältnissen werden die In Paris   lernt er den romantischen neuen Menschen entstehen." Desillusionismus, den Kult des Jch kennen, der die enttäuschte Jugend der Bürgerschicht damals beherrschte und in einer fabel­haften impressionistischen Nervenkunst ihren Ausdruck suchte. Hier, in der Gefolgschaft Maurice Barrés  , fieht er das Bolt der neuen Europäer heraufkommen, und er beeilt sich, ihr Werk in Deutsch  land zu verkündigen. Dereinst, schreibt er, würde man vielleicht sehen, wie deutlich schon in meinen Werken die Spuren dieser Zu­funft sind, und mein Verdienst der Borempfindung wäre groß". Aber er fegt auch hinzu:" Aber es ist auch möglich, daß es nur eitle und leere Marotten sind, die verschäumen". Von diesem Standpunkt aus hat er von, derleberwindung des Naturalismus" nnd Die Kritik der Moderne" geschrieben, und von Paris   bringt er den Roman des enttäuschten Nerven menschen, die fühne, impressionistische Dichtung Die gute Schule" heim. Dann entdeckt dieser Bartser die Heimat: Wien  . Und er beginnt die große, nicht immer heilsame Tätigkeit eines In diesem Augenblick richteten sich alle Augen auf den Wiener   Kulturschöpfers. Ein Jahrzehnt wirkt er als Kritiker an der Bahrs undurchdringlichen Glary. Sein Blick versteckte sich hinter Wochenschrift 8eit" und am Neuen Wiener Tageblatt". den gesenkten Augenlidern. Seine Züge blieben unbeweg- dichterische Werke leiden immer unter einem Mangel an letzter lich, feine dicken, behaarten Finger trommelten auf den Tisch. Schöpferischer Notwendigkeit. Er sagt selbst: Jeder gesteht, daß ich etwas bin, aber niemand weiß, wie ich das eigentlich verdiene. Er hatte sich vorgenommen zu schweigen, und er schwieg, aber einer zweifelt an mir, aber alle sind durch die übliche Frage ver­feine Meinung mußte er sich schon lange gebildet haben, legen: also was soll man denn von mir lesen? Und ich bekenne: denn alle Worte glitten wie ein Windhauch an ihm vorbei. ich bin es heimlich selber oft. Ich habe ja in der Tat Man begann bereits Besprochenes zu wiederholen. Alle tein Buch, kein Stück, wo die andern mich fänden." Aber Punkte des Prozesses warf man durcheinander und streifte als Anreger, als Journalist ist er durchaus berufen. Seine fie flüchtig. Irgendeiner fragte, aus welcher Fabrik Ver- nervöse Beweglichkeit, seine Einfühlungsfähigkeit, seine Erreg Moment find Gaben, die ihn fähig mantes' Gewehr gewesen wäre. Dann wurde es plößlich barkeit durch den still; man fühlte, daß alles gesagt war. Souzier, Pillon und machen, wie kein zweiter den leisesten Schwingungsveränderungen Mijour zogen mechanisch die Stimmzettel hervor, andere der Atmosphäre den Augenblidsausdruck zu geben, und es wird tat­sächlich seine beste Kunst, den fließenden Geist der Zeiten in ein nahmen Bleistifte oder Füllfederhalter aus ihrer Tasche. Feuilleton zu fassen. Er wird der Chronikus des modernen Geistes, Mortara erklärte die Diskussion für geschlossen und man stets voll innerlicher Anteilnahme und höchster Reizsamkeit. Seine stimmte ab. gesammelten Krititen: Renaissance, Wiener Theater, Bildung, Rezensionen, Gloffen ustv. verzeichnen getreu und lebendig alle Temperaturveränderungen im fulturellen Leben der letzten

Mijour protestierte wütend:

,, Na, das wäre noch schöner, vor allen Dingen fein un­bestraftes Verbrechen."

Reinen juridischen Irrtum," verbesserte Billon  . Den gibt es nie," entschied Souzier.

Schluß folgt.

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