Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 140.
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Dienstag, den 22. Juli.
Das entfelfelte Schickfal.
Roman von Edouard Rod. ( Schluß.)
Es waren nun fünf Ja". Die Ueberraschung war groß Bei dem Oberst hatte man gezweifelt, aber alle hatten nach Glarys Gesicht geglaubt, daß er verurteilen würde. Durnant und Billon beglückwünschten sich. Souzier sagte ärgerlich zu dem fröhlichen Conthey :
,, Auch ein schöner Sieg!"
Condemine, die Hand im Bart, fiel mit tragischem Gefichtsausdruck auf seinen Stuhl zurück. Buthier schlug ihm Scherzend auf die Schulter.
"
Dieses Mal haben Sie also noch nicht Ihre Nation Blut Vampyr!"
"
Mijour faßte Klösterli bei einem Rockknopf und stöhnte: Wie soll man ruhig zu Hause leben, wenn solche Verbrechen unbestraft bleiben... Es ist eine Voreingenommenheit, alle freizusprechen... Man solle die Gendarmen verabschieden und die Gerichte schließen, dann würde man doch wenigstens Geld sparen.
"
Die Klingel ertönte: die Gerichtsdiener hasteten umber. Die Menge schob sich zur Tür hinein.
Condemine warf Sellier einen verzweifelten Blick zu und dieser sagte zu den Umfizenden:
" Freigesprochen!"
1913
schaft meiner Freunde gewesen wäre, hätte ich die Zeit des Wartens sehr unangenehm empfunden. Themis ist in Ver sailles schlecht untergebracht, aber wenn man mit netten Leuten plaudert, fühlt man sich überall behaglich. Wie es zugegangen ist, weiß ich nicht, man erfuhr den Spruch in demselben Augenblick als die Geschworenen ihn fällten, so daß die Spannung vorbei war, als Mortara es verlas. Schade, daß dieser Maler es wie ein schlechter Schüler stotternd vortrug. Was für ein merkwürdiger Gedanke, einen Künstler für dieses Amt zu wählen! Doch es scheint, als ob darum gelost wird: es ist Gesez und dann ist nichts mehr dagegen einzuwenden. Uebrigens war niemand erregt, das ist nur bei einer Verurteilung der Fall. Die Freisprechung nimmt dem Prozeß sofort jedes Interesse; es ist zu Ende. Die Episode gehört gleich der Vergangenheit an, sie wird von dem Strom des Lebens überspült und weitergetragen. Gilig sucht man nach anderen Gesichten, denen man sein Interesse leihen kann. Ich frage mich, ob die Haupthelden, die tagelang über einem Abgrund schwebten, nun ihr ganzes Leben von dieser fürchterlichen Erinnerung verfolgt werden. denke, um es zu wissen, müßte man selbst die fürchterlichen Tage durchgemacht haben, aber diese Erfahrung wünschte ich meinen schlimmsten Feinden nicht... wenn ich welche hätte.
Ich
Languards luden mich und die kleine hübsche Advokatin Frau Winkelmatten zum Tee im Foyer ein. Dort kannten sich alle oder fast alle, und da man von demselben Schauspiel kam, plauderte man von Tisch zu Tisch wie in einem Schnell pflanzte sich das Wort bis zu den Logen weiter Salon. Es war recht amüsant, fast wie bei einer Premiere; und wurde von Mund zu Mund wiederholt. Brévine be- ein Teil applaudierte, ein anderer pfiff, aber niemand langruhigte die Kinder von Lermantes mit einer Bewegung, die feilte sich. Alles, was man von dem Prozeß wußte, wurde fie gierig auffingen und übersetzten: Freigesprochen." Herr besprochen. Was veranlaßte die Freisprechung?... Perron sah zu der Baronin Kharv empor, während Herr Lavancher versichert, daß die Ursache im gestrigen TheaterNudrit seiner Frau zulächelte, beide verstanden ebenso wie coup zu suchen ist, aber Frau Languard meint, daß sie das ihre Nachbarn: Freigesprochen!" Chaussy wütete, während Resultat der Nachficht des Staatsanwalts wäre. Vielleicht die Journalisten um ihn herum noch schnell ihre Notizen sagte sie es, um Brévine herabzusetzen. Ich habe immer befür den gleich erscheinenden Artikel machten. Freige merkt, daß die berufliche Eifersucht eine schreckliche Leidensprochen." schaft ist, besonders bei den Frauen. Die Männer mäßigen
Das Wort erfüllte den Saal, es ging von Mund zu fich, aber die Frauen fennen feine Rüdsicht. Bépinet wußte Mund, von Bank zu Bank, von furzen Ausrufen begleitet, eine andere Lösung: es scheint, daß Nutor Freimaurer ist und gelobt, diskutiert, widersprochen; die einen waren zufrieden, Lermantes auch, ebenso einer der einflußreichsten Gedie anderen ärgerten sich. Das Wort pflanzte sich weiter, schworenen, ein Versailler Apotheker, der Pillen erfunden über die Gänge des Gerichtsgebäudes hinaus auf die Straße. hat. Frau Winckelmatten, die Mortaras Bilder bewundert, Bermantes las es von Brévines Stirn, der auf sein Herein- fragte, wie er wohl abgestimmt habe. Breil fennt ihn ein tommen lauerte, er las es auf den vorgestreckten Gesichtern, wenig und vermutet, daß er für eine Verurteilung war. in den Blicken aller, die seine Seele durchwühlten. So hatte Badile, der immer alles weiß, erzählte, daß bei dem Verdikt sich der erregende Hauch schon zerteilt, als Mortara, das sieben Stimmen fünf überwogen. Das wäre nicht sehr Papier in der linken zitternden Sand, die Rechte auf der glänzend: eine solche Freisprechung befreit Lermantes nicht Brust, das Urteil aussprach. Wie jemand, der noch nie einige vom Verdacht. Zeilen vor einem Publikum gelesen hat, trug er die wenigen ,, Wenn er aber mit einer Stimmenmehrheit von einer Säbe so schlecht vor, daß Condemine die Achseln zuckte. Einige Stimme verurteilt wäre," sagte Frau Winckelmatten, hätte Beifallsbezeugungen wurden laut. Der Präsident rief das nicht gehindert, ihn ohne Echonung zu köpfen?" Ruhe". Paul Lermantes war aufgestanden, tiefatmend Diese junge Frau ist ebenso hübsch wie geistreich. Sie blidte er umher, als ob er die Unzufriedenen herausfordern hat mir so gefallen, daß ich sie faft eingeladen hätte, aber wollte. Renée und Roland weinten vor sich hin. Herr Marner hatte die Blicke gesenkt und zeichnete mit seinem fie iſt zu hübsch, sie würde meine Gäste zu sehr ablenken. Frau Breil erzählte, daß in Amerika die Geschworenen einStock fleine Streise auf den Boden. Lermantes hatte sich zustimmig Brévine geneigt, um ihm die Hand zu drücken. Dann hörte stimmig urteilen wüßten, um einen Spruch zu erreichen. er ohne Bittern, ohne freudiges Bucken zu, als ob es sich nicht mehr um ihn handele...
„ Das ist ziemlich gerecht," sagte ihr Gatte, wenn fünf von zwölf Personen an der Strafbarkeit eines Angeklagten zweifeln, so ist sie nicht ganz erwiesen."
Rechtsanwalt Languard antwortete, daß bei uns eine solche Einheit unmöglich wäre, weil die Geschworenen immer geneigt sind zu verneinen, und auf diese Weise alle Verbrecher der Gerechtigkeit entgehen würden.
15. Rapitel. Aus dem Tagebuch" von Frau de Lusenen. Diefer Prozeß Lermantes ist nun heute beendet worden. Es war die höchste Zeit! Nichts ist ermüdender als Schwur. gerichtssitzungen, besonders im Sommer: die Hize macht Es würde eine juristische Auseinandersetzung gegeben einen noch nervöser und man weiß nicht, ob man es vor- haben, wenn Proz und Lapenne nicht ziemlich erregt dazuziehen würde zu schmelzen oder zu erstiden. Jedenfalls würde gekommen wären. Sie hatten in der Nähe des Gerichts geman den Geist aufgeben, wenn man nicht auf das Ende des standen und Lermantes mit den Seinen fortgehen sehen. Prozesses gespannt wäre; aber die Neugierde ist eine Art Lavenne war von dem Anblick mehr bewegt als von dent Fieber, das einen aufrecht hält. Sie veranlaßt einen, wenn Prozeß! Ein merkwürdiger Mensch, dieser Lavenne! Unter man vollkommen erschöpft den Saal verläßt, am nächsten der Maske des Skeptisismus verbirgt er unglaubliches FeinTage wieder zurückzukehren. Böllig vernichtet, fchwört man, gefühl. Wie er uns die kleine Szene beschrieb! Das war nicht wiederkommen zu wollen, aber es zieht einen rettungs- voll Leben, packend, tragisch! Seine Bewegungen zeichneten Tos hin, man ist wieder da und-hält es bis zum Schluß die Personen in scharfen Umrissen und hauchten ihnen Leben aus. Erst gegen vier Uhr wurde das Urteil verlesen, die Be- ein, seine Stimme wechselte, wenn er die einzelnen sprechen ratung hatte sehr lange gedauert. Wenn ich nicht in Gesell- ließ. Es ist unmöglich, die Schilderung mit der Feder wieder
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